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Liebe, nein, streichen wir das.

Findest du wahr­scheinlich kit­schig und blöd. Ist OK. Also.

Hallo Du, mein 17-jähriges Ich.

Du wirst Dich fragen, warum ich Dir schreibe. Halte mich für sen­ti­mental oder albern – aber ich dachte, ich kann Dich an ein paar Erkenntnissen teil­haben lassen, die Du im Laufe der Zeit als Bewohnerin dieser Welt lernen willst.

Warum an Dich, die 17-jährige? Es ist ein gutes Alter, in dem sich viel ändert. Erste Freiheiten, erste Verantwortung. Jugendlicher Élan gepaart mit erstem kri­ti­schem Denken, dem Auftauchen einer eigenen Vernunft. Eine auf­re­gende Zeit.

Erst vor kurzem hat Dir ein enger Schulfreund D. – Du kennst ihn gut – erzählt, dass 17 das beste Alter ist. Man sei noch jung genug, um keine Verantwortung zu tragen, aber schon alt genug, dass man schon vieles tun darf. Womit wir bei meinem ersten Rat an Dich wären:

17 ist nicht das beste Alter

Beruhigend zu wissen, nicht wahr? Anders als D. sagt, wirst Du auch jen­seits der 17 gute und sogar supergute Zeiten haben. Unser Leben jetzt ist zwar auch bis­weilen tur­bulent, aber Du wirst Mittel und Wege lernen, damit umzu­gehen und Deine Grenzen zu respek­tieren. Dass mein 17-jähriges Leben das beste über­haupt war – kann ich im Rückblick nicht bestä­tigen. Denn Du bist im Stress. Du spielst in Deiner Band und in unter­schied­lichen Musikensembles, Du machst den Führerschein (den Du später fast nie brauchen wirst) und Du arbeitest nebenher im Supermarkt. Du willst gut in der Schule sein und ein Einser-Abi schaffen. Du gehst drei‑, manchmal viermal die Woche in die Kirche für den MinistrantInnen-Dienst. Dann hast Du noch diesen Freund, der – ernsthaft? Ich möchte nichts vor­weg­nehmen, aber Du wirst bald fest­stellen, dass dieser Typ eine Verschwendung von Lebenszeit ist. Aber lassen wir das, Du kommst noch dahinter. Du wirst Dich weniger von Menschen, Aufgaben und Verpflichtungen ver­ein­nahmen lassen. Du wirst lernen, Dein Pflichtgefühl zu zügeln und öfter mal Nein zu sagen.

Ich höre Dich schon auf­atmen. Aber ein bisschen Zweckpessimismus brauchst Du schon, deshalb lass es mich gleich schreiben:

Du wirst ein paar beschissene Jahre haben

Mit 17 weißt Du es noch nicht. Aber in ein paar Jahren wirst Du her­aus­finden, dass Du veri­tabel und ordentlich depressiv bist. Behandlungswürdig depressiv, und das seit Jahren. Über die Gründe wirst Du Dir mit Deiner Therapeutin klar werden, darauf werde ich nicht ins Detail gehen. Hat viel mit unbe­wäl­tigten Gefühlen von Schuld und Scham, viel unver­ar­bei­teter Wut und nicht mehr nütz­lichen Coping-Mechanismen zu tun. Ich weiß, dass Du eine Depression weit von Dir weisen würdest. Aber überleg mal: So viel Seufzen ist nicht normal. Auch so leicht wütend zu werden und aus­zu­rasten – nicht normal. Dein Nervenkostüm ist knapp auf Kante genäht. Null Bewegungsspielraum. Die Jahre in Behandlung werden hart sein, aber Du wirst Dich mit Verve in die Introspektion stürzen und rigoros auf­räumen. Das wird Jahre dauern und Du wirst immer mal wieder Rückfälle haben (Sprich: des­wegen Jobs hin­werfen und Dich mona­telang auf der Couch parken), aber diese Phasen werden nicht mehr all­ver­schlingend sein. Du wirst zurecht­kommen und Dein Gleichgewicht finden.

Du wirst Dich mit Deiner Herkunft aussöhnen

Sensibles Thema – deine viet­na­me­si­schen Wurzeln in deut­scher Umgebung. Du kannst nicht einmal Deine Herkunft erklären ohne fast zu heulen. Du denkst nicht gerne daran. Du fühlst Dich im fal­schen Film. Dein Umgang mit Deiner Herkunft ist pures Verdrängen. Es fühlt sich an, wie wenn ver­schiedene Rollenbilder an Dir ziehen: brave viet­na­me­sische Tochter mit Familiensinn einer­seits – eman­zi­pierte, unab­hängige Frau ande­rer­seits; gläubige Christin einer­seits – kri­tische Zweiflerin andererseits.

Weißt Du, was Dein eigent­liches Problem ist? Du willst es allen recht machen. Eine Erfolgsstory werden, weil Du es „allen“ (wer ist „alle“?) beweisen musst. Das ist das Anstrengende in jungen Jahren. Zu lernen, wer man ist und vor allem, wer man im Verhältnis zu anderen ist. All diese Zuschreibungen, all die Menschen, die Dich auf eine bestimmte Art sehen, können bis zu einem gewissen Grad Orientierung geben. Aber Du wirst anfangen müssen zu sor­tieren, welche Zuschreibungen für Dich wei­terhin sinnvoll sind und welche Du ruhigen Gewissens auf die Müllhalde werfen kannst.

Ich sag’s Dir gleich: Du kannst niemals lupenrein viet­na­me­sisch sein. Wie auch? Du kennst das Land weniger als der durch­schnitt­liche Asien-Backpacker. Du wirst auch niemals lupenrein deutsch sein. Dafür sind Deine Erfahrungen mit viet­na­me­si­schen Eltern einfach anders. Aber das macht nichts. Es ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach Deine Erfahrung.

Seine eigene Kategorie zu sein, hat auch etwas Befreiendes. Du wirst fest­stellen, dass es in Ordnung ist, Vietnamesisch eher zu rade­brechen als zu sprechen. Dass Du zwar wei­terhin ein starkes Pflichtgefühl und einen aus­ge­prägten Gemeinsinn haben wirst, aber dass Du in wich­tigen Punkten immer Dein Ding machen willst. Du wirst Dich von dem Gedanken der Model Minority befreien. Zwar musst Du in diesem Wirtschaftssystem bestehen, aber Du musst nicht flei­ßiger sein als „die Deutschen“. Faulenzen können ist ein Wert für sich und nach­gerade eine wider­stän­dische Handlung in Zeiten des per­ma­nenten Produktivitätsdrucks. Und Thema Religion: Es ist nichts falsch daran, nur „kul­turell katho­lisch“ zu sein. Damit meine ich: Die Rituale gefallen Dir nach wie vor, Weihrauch ist super, aber Du glaubst nicht, dass Jesus Christus Dein per­sön­licher Heiland und Erlöser ist.

Ihr Rassismus ist nicht Dein Problem

Ja, auch heute noch könnte ich heulen, wenn mich Leute nach meiner Herkunft fragen. Dann aber aus Zorn. Denn Rassismus gibt es wei­terhin, Dir wird er noch bewusster. Aber zumindest wird Dir klar sein, dass ras­sis­tische Diskriminierung mehr über das System und die RassistInnen selbst aussagt, als über Dich. Du wirst eine Zeit lang in jede Auseinandersetzung gehen, um Leuten klar­zu­machen, dass sie ras­sis­tisch sind. Doch nicht jeden Konflikt musst Du per­sönlich aus­tragen (Pflichtgefühl much?), statt­dessen wirst Du Dir Deine Kräfte besser ein­teilen. Sollen sich auch mal andere, nicht von Rassismus Betroffene die Köpfe ein­schlagen. Deren Rassismus ist nicht Dein Problem.

Ein Wort zum Schluss

17-jähriges Ich, ein Versprechen kann ich Dir geben: Du wirst älter. Nicht viele Sachen am Altern sind toll (denk immer an Sonnenschutz und kümmere Dich gut um Deine Schultern. Ist eine neur­al­gische Stelle bei Dir!), aber toll ist der Zuwachs an Wissen, Weisheit und Entspanntheit. Und das sind Sachen, auf die Du Dich wirklich freuen kannst.

In diesem Sinne halt die Ohren steif,

Deine Y.

Dieser Beitrag ist Teil des #AsianGermanFestival20.

Zur Autorin
Yenhan, im Netz auch bekannt als Naekubi, schreibt unter anderem auf ihrem Blog Danger! Bananas u den Themen asiatisch-deutsche Identität, Rassismus und Medienkritik. Ihr Beitrag zum #AsianGermanFestival20 ist ein offener Brief an sich selbst: Nämlich was sie ihrem jün­geren Ich gerne sagen würde.

Regie: Dieu Hao Do, Der Garten des Herrn Vong 2015/2016 / Timon Schäppi
Film

Regie: Dieu Hao Do, Der Garten des Herrn Vong 2015/2016 / Timon Schäppi

Fünf Kurzfilme aus der deutsch- vietnamesischen Diaspora

Vietnam und Deutschland – neben ihrer Vergangenheit als geteilte Länder ver­bindet sie auch eine besondere Migrationsgeschichte. Unter der immer noch emo­tional besetzten Losung „Solidarität mit Vietnam“ und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gibt es seit Jahrzehnten viet­na­me­sische Einwanderung nach Ost- und Westdeutschland. Trotzdem ist hier in Deutschland wenig bekannt darüber.

Welche unter­schied­lichen Bedingungen gab und gibt es für die „West- und Ost-Vietnames*innen“? Was ver­bindet sie, was trennt sie? Was bedeuten die his­to­ri­schen Erbschaften für die Zweite Generation?

An diese Fragen will die Veranstaltung anknüpfen. Gezeigt werden fünf Kurzfilme (vier Dokus und ein Spielfilm), die sich auf die Spurensuche viet­na­me­si­scher Einwander*innen aus Nord- und Südvietnam – ehe­malige Vertragsarbeiter*innen und ehe­malige Bootsflüchtlinge – begeben. Die Geschichten zeigen die Vielfalt von häufig noch unsicht­baren Communities.

In einem anschlie­ßenden Gespräch zwi­schen den Filmemacher*innen und der Moderatorin Angelika Nguyen, die selbst zur zweiten Generation viet­na­me­si­scher Einwanderung gehört, gibt es die Möglichkeit zum direkten Austausch.

Filme

Nachhall – Erinnerungen an die Gehrenseestraße | 20 min | Dokumentarfilm | Regie: Tresor Ilunga Mukuna

Zwei ehe­malige Vertragsarbeiter aus Vietnam besuchen mit ihren Töchtern die Ruinen ihres ehe­ma­ligen Wohnheims in Berlin-Lichtenberg und erzählen von ihrer Vergangenheit in der DDR.


Sonnenblumenhaus – Interview mit Mai Phuong Kollath | 8 min | Dokumentarfilm 2018 | Regie: Mala Reinhardt

Interview mit der ehe­ma­ligen Vertragsarbeiterin und heu­tigen Diversity Trainerin und Theaterschauspielerin Mai Phuong Kollath.


Obst & Gemüse | 30 min | Kurzspielfilm 2017 | Regie: Duc Ngo Ngoc

Herr Nguyen, ehemals Vertragsarbeiter, ist nach 30 Jahren Obst- & Gemüseladen in Berlin-Prenzlauer Berg kör­perlich nicht mehr so fit und heuert den arbeits­losen Harald an.


Der Garten des Herrn Vong | 18 min | Dokumentarfilm 2015/2016, Regie: Dieu Hao Do 

Nach Ende des Vietnamkrieges 1975 und der Wiedervereinigung der beiden Landesteile unter den Kommunisten flohen mehr als 1,6 Millionen Menschen über das Meer ins Ausland. Unter den soge­nannten „Boat People“ befand sich auch Chuon Sam Vong. Heute lebt er in Deutschland.


Roan | 12 min | Dokumentarfilm 2019 | Regie: Thuy Trang Nguyen

Ein Nachmittag mit Thuy und ihrer Oma aus der Familie geflo­hener „Boat People“.


Dienstag, 11.02.2020 um 18:30h
Robert-Havemann-Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin

Eine Veranstaltung von kori­en­tation e.V. und Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte