Postmigrantische Erinnerungskultur
Postmigrantische Perspektiven werden in der deutschen Erinnerungskultur zunehmend sichtbarer. Dennoch müssen Communities of Color ihre Inklusion in weiße Institutionen wie Universitäten, Museen und Gedenkstätten sowie im öffentlichen Raum weiterhin erkämpfen. In welcher Form kann aus selbst initiierten Erinnerungspraktiken Widerstand gegen Unsichtbarmachung, Misrepräsentationen und rassistische Narrative erwachsen? Welche Themen, Ereignisse und Orte sind dabei wichtig für das kollektive Gedächtnis der Asiatisch-Deutschen Communities? Welche transnationalen politischen Verflechtungen und Diskurse können in unserem Erinnern zu unterschiedlichen Wahrnehmungen von Ereignissen führen? Welche Rolle spielt kollektives Erinnern für aktuelle gesellschaftliche Machtverhältnisse, sozialen Wandel und Empowerment von marginalisierten Communities?
Wir haben drei Expert*innen eingeladen, die diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven mit uns diskutiert haben. Die Künstlerin Lizza May David gab einen Input zum Thema „Bahala Ka – Annäherungen an eine philippinische Erinnerungskultur aus der künstlerischen Praxis“, die Historikerin Iris Rajanayagam sprach zu „Verwobene[n] Geschichte*n: Erinnerungen und kollektives Gedächtnis aus transnationaler und globalhistorischer Perspektive“ und der Kultur- und Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha ging mit „Zwischen rassistischen Pogromen und Kampf um das Bleiberecht – wie aus DDR-Vertragsarbeiter*innen Vietdeutsche wurden“ auf Asiatisch-Deutsche Perspektiven (fast) 30 Jahre nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen ein.
Im Anschluss an die Inputs gab es jeweils Zeit für Fragen und gemeinsame Diskussionen und einen freien Abschlussblock, in dem weitere Beispiele für Erinnerungskultur bzw. der Mangel an Erinnerung gemeinsam besprochen werden konnte.
Das Seminar richtete sich vornehmlich an Asiatische Deutsche zwischen 18 – 30 Jahren und hatte das Ziel, die Teilnehmenden mit aktuellen rassismuskritischen Ansätzen in der historisch-politischen Bildung vertraut zu machen, Wissen zum kollektiven Gedächtnis der Asiatisch Deutschen Communities zu vermitteln bzw. auf Leerstellen in der Repräsentation Asiatisch-Deutscher Geschichte(n) in Deutschland aufmerksam zu machen.
Infos zum Seminar
Datum: 18.09.2021 (Sa)
Uhrzeit: 10 h ‑17 h
Ort: Zoom-Webinar
Teilnehmendenzahl: 20
Sprache: Deutsche Lautsprache
Unsere Referent*innen
Lizza May David – Künstlerin (Berlin/Manila) mit den Schwerpunkten Malerei/visuelle Medien. Sie arbeitet zu Themen im Kontext der philippinischen Diaspora. In ihren Werken bezieht sie sich auf persönliche/kollektive Archive und Politiken der Bild- und Wissensproduktion. Ihre Arbeiten wurden in den letzten Jahren u.a. in Berlin, London, Seoul, Nanjing, New York und Manila gezeigt und umfassen Ausstellungen, Installationen, Screenings und Performances. Seit 2021 ist sie Vorstandsmitglied bei korientation e.V. und Mitglied der Philippine Studies Series Berlin.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Als Publizist und Kurator arbeitet er auch zu postkolonialer Kritik, Rassismus und Migration. Der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond ist gerade als erweiterte Neuauflage erschienen ebenso wie das für die Heinrich Böll Stiftung herausgegebene Dossier Geschlossene Gesellschaft? Exklusion und rassistische Diskriminierung an deutschen Universitäten. Andere Bücher u.a. Ethnizität und Migration Reloaded. Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs (1999/2004), re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland (Co-Hg., 2007). Seine Monografie Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“ (2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet.
https://uni-tuebingen.de/de/208381
Iris Rajanayagam ist Historikerin und arbeitet zu post- und dekolonialen Theorien, Intersektionalität, Erinnerungspolitik(en) und Social Change; ihr Fokus liegt hierbei insbesondere auf der Verbindung von Theorie und Praxis. Aktuell ist sie Fachreferentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist die ehemalige Leiterin der Organisation xart splitta und lehrte an der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) im Modul „Rassismus und Migration“ sowie im internationalen Masterstudiengang “Social Work as a Human Rights Profession”. Von 2017 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Praxisforschungsprojekt “Passkontrolle – Leben ohne Papiere in Geschichte und Gegenwart” an der ASH (Leitung: Prof. Dr. Iman Attia) und war an der Gestaltung der Seite “Verwobene Geschichte*n [*]” mitbeteiligt. Iris Rajanayagam ist Vorstandssprecherin des Migrationsrats Berlin und war viele Jahre in der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen aktiv. Sie ist Mitbegründerin der Radiosendung „Talking Feminisms“ auf reboot.fm.
[*] Die Seite “Verwobene Geschichte*n” erinnert durch unterschiedliche Zugänge an marginalisierte und miteinander verflochtene Geschichte(n), die auf die Präsenz von Schwarzen Menschen und People of Colour in Berlin (und Deutschland) verweisen. Es werden ihr Alltag und ihre Widerstände thematisiert, die immer auch Kämpfe um Handlungs- und Definitionsmacht sind und waren.
Ressourcen
1. Transformatives Archivieren und Wissensproduktion
- The Living Archives
- Each One Teach One
- RomaniPhen
- „Erinnern stören“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung
- Re-Imagine Belonging/With Wings and Roots
- Black Queer Toronto Archival Project
- Black Cultural Archives
2. Turning the white/dominant/colonial gaze
- Snare for Birds – Künstlerische Plattform zur Forschung und Reartikulation kolonialer Fotografie (wird Ende 2021 geupdatet)
- Website der Künstler:in Rajkamal Kahlon
3. Erinnerungspolitische BPoC-Intitiatven zu Rassistischer Gewalt in der DDR/BRD
- Initiative 12. August – in Gedenken an Delfin Guerra & Raúl Garcia Paret (Merseburg 1979)
- Initiative Halskestraße – in Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân (Hamburg 1980)
- Initiative Duisburg 1984 – in Gedenken an sieben Mitglieder der Familie Satır (Duisburg-Wannheimerort 1984)
- Initiative Hafenstraße ’96 – in Gedenken an die Opfer und Betroffenen des Hafenstraßen Brandes (Lübeck 1996)
4. Weitere Ressourcen
- Artikel „Rostock-Lichtenhagen – Die Rückkehr des Verdrängten“
- Artikel „Die Ankunft der vietnamesischen Boat People – Konjunkturen und Anomalien einer exzeptionellen Flüchtlings- und Integrationspolitik“
- Dokureihe „Baseballschlägerjahre: Ich bleibe“
- Film „Die Wahrheit lügt (liegt) in Rostock“
- Infothek des Verband binationaler Familien und Partnerschaften
Das Projekt MEGA wird durch das BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert.
Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder des BAFzA dar.
Für inhaltliche Aussagen tragen die Autorinnen und Autoren die Verantwortung.
Dieses Seminar wird von korientation e.V. veranstaltet und findet im Rahmen des Projektes MEGA – Media Empowerment for German Asians statt. MEGA wird durch das BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert.