von Zach Ramon Fitzpatrick (@AsianGermanUpdates auf Instagram)
Könnt ihr überhaupt etwas anfangen mit dem Begriff der “asiatisch deutschen Repräsentation”? Wenn man über Filme der letzten zehn Jahren von asiatisch deutschem Interesse nachdenkt, dann fallen vielleicht diese ein: die deutsch-vietnamesische DDR-Romanze in Wir wollten aufs Meer (2012); die fiktionale Auseinandersetzung mit den rassistischen Pogromen in Rostock 1992, Wir sind jung. Wir sind stark. (2014); die Bestseller-Coming-of-Age-Verfilmung Tschick (2016), oder die ganzen Japan-Filme von Doris Dörrie (z.B. Grüße aus Fukushima, 2016). Oder vielleicht wart ihr beim Asian Film Festival Berlin 2017 und saht Filme von asiatisch deutschen Regisseur*innen wie Uisenma Borchus mutiges queeres Spielfilmdebüt Schau mich nicht so an (2015), Seung-Hyun Chongs Steh auf (2015) oder Duc Ngo Ngocs Kurzfilm mit Standup-Komiker Tutty Tran Obst und Gemüse (2017). Aber es gibt noch weitere unterschätzte sehenswerte Filme und Serien seit 2010 mit ganz unterschiedlichen asiatischen Geschichten (mit Wurzeln in West- und Südasien bis zu Südost- und Ostasien), die ihr unbedingt auschecken müsst. Unter den verschiedenen Genres von Kunstfilmen und Dramas zu Komödie und Sci-Fi gibt es bestimmt etwas für alle!
1. Fernes Land (2011) von Kanwal Sethi / Drama
Zusammenfassung: Haroon ist ein Friseur pakistanischer Herkunft, der kein Visum hat und kämpft dafür, in Deutschland zu bleiben. In einer schicksalhaften Nacht trifft er auf den weißen Mark und die beiden haben ein kleines Abenteuer.
Warum ist der Film wichtig? Weil Haroon die Hauptfigur ist, findet ungefähr ein Drittel dieses Filmes auf Urdu statt. Kanwal Sethi ist einer der einzigen Filmregisseure südasiatischer Herkunft in Deutschland. Seine Perspektive ist auch im Nachhinein besonders relevant, weil er 2014 selbst Opfer von polizeilichem Racial Profiling war. Am Ende des Films gibt es eine Szene in der Haroon von der Polizei konfrontiert wird. Mark konfrontiert die rassistische Kontrolle der Polizisten und setzt sich sogar körperlich ein, damit Haroon fliehen kann. Hier der Trailer des Filmes.
2. Patong Girl (2014, Koproduktion mit Thailand) von Susanna Salonen / Liebesfilm, Drama
Zusammenfassung: Im Familienurlaub in Thailand begegnet der deutsche Felix Fai. Die Beziehung ist zunächst sehr leidenschaftlich, aber Felix ist später überrascht, dass auf Fais Ausweis steht, sie sei „männlich“ aus legaler Sicht. Trotz kurzen Streit halten Felix und Fai aber durch. Fai erzählt Felix „Liebe tut weh wie Dengue… man stirbt nicht daran.“
Warum ist der Film wichtig? Leider ist es noch nicht üblich, dass eine trans Schauspielerin eine trans Frau im Film spielt, aber das ist ausnahmsweise doch der Fall hier mit Aisawanya Areyawattana (Fai). Das Happyend für das Paar trotz Schwierigkeiten ist auch bedeutungsvoll mit Rücksicht darauf, dass so viele trans Geschichten in den Medien tragisch verlaufen. Bei der Grimme-Preis-Verleihung dieses Filmes plädierte Fais Schauspielerin für mehr trans Repräsentation. Die Regisseurin erwähnte auch, dass Sex- und Gendervielfalt länger in der thailändischen Kultur verankert sei als in Deutschland, obwohl Westeuropa für seine „liberale“ Ideale gefeiert wird. Im Gegenteil wird während des Filmes Kritik mehrmals gegen den Westen geäußert, zum Beispiel als Fais Großmutter sagt (auf Thai), dass sie schon fünf Sprachen kann und nicht noch Englisch lernen muss, um mit Felix‘ Familie zu kommunizieren. Felix‘ Mutter ist einfach nur verblüfft. Hier der Trailer des Filmes.
3. Marry Me! – Aber bitte auf Indisch (2015) von Neelesha Barthel / Romcom
Zusammenfassung: Kishori (Maryam Zaree) ist eine junge Berlinerin indischer Herkunft, die aber wenig von ihren Wurzeln zu tun haben möchte. Nach einem unerwarteten Besuch von ihrer Oma muss sie sich entscheiden: eine traditionelle (Schein)ehe mit dem weißen Vater ihrer Tochter von dem sie schon getrennt ist oder eine neue Beziehung mit Karim (Fahri Yardim) ohne den Segen der Oma. Obwohl der Film mit generischen und kulturellen Klischees spielt, behauptet die Regisseurin: „Es ‚clasht‘ vielleicht gar nicht… Vielleicht liegt [das Problem zwischen Kishori und der Oma] ganz woanders.“
Warum ist der Film wichtig? Neelesha Barthel hat deutsche und indische Herkunft und beide Eltern studierten Film. Mit den Bollywood-Musical-Passagen und der heiteren Atmosphäre ist diese Mainstream-Komödie eine Ausnahme für asiatisch deutsche Filmemacher*innen, die öfter in „ernsteren“ Genres drehen. Marry Me! ist auch ein interessantes Beispiel von türkisch-asiatischen Beziehungen im Film, weil Kishoris beste Freundin (Idil Baydar) und Liebhaber Karim (Fahri Yardim) beide von deutschtürkischen Prominenten gespielt werden. Hier der Trailer des Filmes.
4. Wishlist (FUNK/YouTube, 2016–2018) / Mystery, Webserie
Zusammenfassung: Die „Wishlist“-App erfüllt wirklich jeden Wunsch. Dafür musst du aber eine entsprechende Aufgabe erledigen – manchmal peinlich, manchmal aber illegal oder gewaltsam. Deutschlands erste Mystery Webserie hat zwei packende Staffeln.
Warum ist die Serie wichtig? Hier ist kein*e „Quoten-Asiat*in“ zu finden. Vor und hinter der Kamera gibt es ganz viele asiatische Mitwirkende. Yung Ngo spielt Kim, eine der Hauptfiguren, die gegen diese zunehmend gefährliche App kämpft. Yvonne Yung Hee Bormann spielt den moralisch komplexen Bösewicht hinter Wishlist. Christina Ann Zalamea (Hello Chrissy auf YouTube) hat nicht nur eine entscheidende Rolle hinter der Kamera als Mitproduzentin, Mitautorin und Masken-/Kostümbildnerin, ist aber auch die Stimme von „Wish“, quasi die Siri dieser futuristischen App. Weil Zalamea selbst das Ziel hat Synchronsprecherin zu werden, war es klug, eine solche Rolle in die Serie hineinzubauen. Weil diese FUNK-Serie auf YouTube gesendet wurde, zahlt Wishlist Tribut mit vielen Cameo-Auftritten von YouTuber*innen, darunter einige beliebten mit asiatischen Wurzeln: Gong Bao, John Youk und Shanti Joan Tan. Hier der Trailer zur Serie.
5. Mein Blind Date mit dem Leben (2017) von Marc Rothemund / Biopic, Dramedy
Zusammenfassung: Saliya Kahawatte (Kostja Ullmann) zieht sich sein Traumpraktikum an Land in einem 5‑Stern-Hotel in München, aber er verheimlicht, dass er nur 5% seines Sehvermögens hat. Der Film basiert sich auf Kahawattes Biographie desselben Titels.
Warum ist der Film wichtig? Hinter den Kulissen hat die Produktion mit dem echten Saliya Kahawatte (heutzutage ein Motivationsredner) beraten, um die Geschichte seiner Sehbeeinträchtigung mit seinem Segen zu erzählen. Der Star Kostja Ullmann verkörpert Kahawatte im Film. Ausnahmsweise darf der Schauspieler deutsch-indischer Herkunft selbst eine Rolle deutsch-südasiatische Herkunft übernehmen. Im Film ist auch wichtig, dass trotz Kahawattes schlechter Beziehung zu seinem Vater hat er immer noch den Traum, seine multikulturelle Erziehung in der Gastronomiebranche zu feiern, durch die Eröffnung eines Restaurant mit der südasiatischen Küche seiner Kultur väterlicherseits. Hier der Trailer zum Film.
6. Rose Empire (2018) von Clara Zoe My-Linh von Arnim / Fantasy, Kurzfilm
Zusammenfassung: Die elfjährige Rosalie (Lynn Dortschack) ist ein einsames Mädchen, das gerade viele Veränderungen erfährt, in ihrem Umfeld und innerlich. Mit dem Freund ihres Mutters versteht sie sich auf jeden Fall nicht gut. Die einzige Trostquelle in Rosalies Leben ist ihre Lieblingsfantasyserie “Rose Empire”, von der sie die Inspiration bekommt stärker zu sein. Durch das dunkle Fantasy-Genre zeigt Rose Empire eine stimmungsvolle Coming-Of-Age-Geschichte von der jungen Rosalie.
Warum ist der Film wichtig? Minh-Khai Phan-Thi spielt Rosalies Mutter. Phan-Thi war einer der ersten Menschen vietnamesischer Herkunft, der im deutschen Fernsehen bekannt wurde. Clara Zoe My-Linh von Arnim ist die kreative Regisseurin, die noch weitere dynamische Kurzfilme über deutsch-vietnamesische Jugendliche drehte, wie Motten (2018), Duc Nguyen (2020) oder demnächst Excalibur City (2021).
7. Beer! Beer! (2019) von Popo Fan /„Anti-Romantic Comedy“, Kurzfilm
Zusammenfassung: In diesem Kurzfilm geht es um die Begegnung von Sebastian und Tao (Popo Fan) eines Nachts in Berlin. Die zwei Männer kaufen zusammen einen Döner, gehen spazieren und… was dann? Schließlich ist das eine Anti-Romantic Comedy, also verläuft das ganze bei jedem Schritt ein bisschen subversiv.
Warum ist der Film wichtig? Popo Fan ist ein wichtiger LGBTQ-Aktivist in China, der aber zurzeit in Berlin ansässig ist. Fan war auch Gast bei dem Asian Film Festival Berlin 2017. Während er früher mehr Dokus drehte, ist dieser Film fiktiv und zeigt wie er mit weiteren Filmformen experimentiert. Und dieses Mal ist er vor der Kamera dabei als Tao! Sebastians leicht fetischisierende Sprüche über das, was Asiaten vermutlich machen (oder nicht machen) wurden von Fans echten Erfahrungen in Berlin inspiriert – im Film bekommt Sebastian bei solchen Kommentare ein Augenrollen von Tao. Hier der Trailer zum Film.
8. Kontaktlos (ARD, 2020) / Sci-Fi, Miniserie
Zusammenfassung: Was wäre, wenn das Leben in Quarantäne wegen COVID-19 nie „endet“? Genau diese dystopische Idee wird in dieser Black Mirror ähnlichen 6‑Episoden-Miniserie angenommen. Zwanzig Jahre in der Zukunft leben alle Menschen in ihren Schlafzimmern aus und „persönliche“ Verbindung verläuft nur online. Kontaklos fokussiert auf die revolutionäre Felina, die die Hilfe vom IT-Experten Max sucht.
Warum ist die Serie wichtig? Diese während der ersten Welle der Pandemie unter strengen Bedingungen produzierte ARD-Serie hat eine asiatische Darstellerin in einer Hauptrolle – Felina wird von Ariana Gansuh gespielt. Es ist jedoch von Bedeutung, dass Felina keine explizit „asiatische“ Rolle darstellt. Die Handlung weist nicht auf Felinas „Migrationshintergrund“ oder beharrt darauf, Felinas „Asiatischsein“ erklären zu müssen. Dies ist auch ein wichtiger Teil von „diverserer“ Repräsentation. Und diese futuristische Sozialdistanz-Rolle scheint für Gansuh geschrieben, weil ihr das Monolog-Format sehr bekannt ist (ihr YouTube-Kanal Drama Queen Monologues und ihre „Monologabend“ Initiative in Frankfurt). In der Serie muss sie oft vor dem Computer (also, vor sich selbst) schauspielern. Hier der Trailer zum Film.
9. Schwarze Milch (2020, Koproduktion mit der Mongolei) von Uisenma Borchu / Drama
Zusammenfassung: Nach dem provokanten Schau mich nicht so an (2015) kommt endlich Uisenma Borchus zweiter Spielfilm und dieses Mal spielt die Mongolei noch eine größere Rolle: fast der ganze Film findet in der Wüste Gobi und in mongolischer Sprache statt. Hier geht es um eine in Deutschland aufgewachsene Frau namens „Wessi“, die nach der Trennung von ihrem deutschen Freund sich entscheidet wieder in die Heimat zurückzukehren, um ihre Schwester „Ossi“ wiederzusehen.
Warum ist der Film wichtig? Zum zweiten Mal hat Borchu eine höchst bestimmende Rolle nicht nur als Regisseurin des Filmes, sondern auch als Hauptdarstellerin (Wessi), Drehbuchautorin, Mitcutterin und Produzentin. Ein solches Beteiligungsniveau für Filmschaffende asiatischer Herkunft im deutschen Film, zumindest für einen Kinofilm, ist schon bemerkenswert und ein gutes Zeichen. Aber genau wie Borchu sich im ersten Spielfilm mit Gender und Sexualität auf komplexer Weise auseinandersetzte, werden die vermeintlichen kulturellen Unterschiede der beiden Schwestern Wessi/Ossi überhaupt nicht einfach oder binär behandelt. Nach Schau mich nicht so an gewann Borchu den bayerischen Filmpreis für beste Nachwuchsregie und Schwarze Milch ist ein weiterer Beweis, dass Borchu eine wichtige Stimme im deutschen Film ist und hoffentlich bleiben wird. Hier der Trailer zum Film.
10. Futur drei (2020) von Faraz Shariat / Coming-of-Age
Zusammenfassung: Parvis (Benjamin Radjaipour) ist ein junger Mann, der seine schwule Identität offen auslebt, aber sein rassistisches Grindr-Date meint “Eigentlich stehe ich nicht so auf Ausländer.” Parvis’ Antwort darauf: “Kein Ding. Ich stehe eigentlich auch nicht so auf junggebliebene Kartoffeln.” Als Parvis in einem Flüchtlingsheim Sozialstunden machen muss, freundet er sich mit den zwei Geschwistern aus Iran an: Amon (Eidin Jalali) und Banafshe (Banafshe Hourmazdi). Später entwickeln sich zarte Gefühle zwischen Parvis und Amon. Zusammen mit der traumhaften Bildgestaltung von Simon Vu und des energischen und eklektischen Soundtracks von Grimes, Nena und persischen Interpret*innen ist Futur Drei ein bunter Snapshot der möglichen Zukunft des deutschen Films. Falls ihr noch keine Chance hattet, den Film auf der großen Leinwand zu sehen, erscheint er hoffentlich bald auf DVD. Mein persönlicher Kinofilm des Jahres 2020!
Warum ist der Film wichtig? Der vom neuen “Jünglinge”-Kolletiv produzierten Film enthält sehr persönliche Elemente vom Regisseur Faraz Shariat: genau wie Parvis ist er schwul, hat iranische Herkunft der zweiten Generation und vergöttert die japanische Popkulturfigur Sailor Moon (die Videos im Film von “Parvis” verkleidet als Sailor Moon als Kind sind eigentlich Shariat). Bei der Berlinale hat der Film nicht nur seine Première, aber gewann auch den “Teddy”-Preis für den besten queeren Film. Der “postmigrantische” Aspekt des Films ist auch höchst relevant. Wegen der tragischen Ereignisse in Hanau im Februar haben eine Gruppe von diversen Filmschaffenden (einschließlich des Teams hinter Futur Drei) bei der Eröffnungsgala der Berlinale eine Aktion der Solidarität für People of Color in Deutschland initiiert. Hier der Trailer des Films.
Zum Autor: Zach Ramon Fitzpatrick ist Doktorand an der University of Illinois at Chicago. In seiner Dissertation forscht er die überraschend lange Geschichte der asiatischen Repräsentation im deutschen Film. 2021 erscheint ein Artikel von ihm in dem Sammelband The German-East Asian Screen: Cinematic Entanglements in the 20th and 21st Centuries. Zach ist Filipino American und gründete letztes Jahr den Instagram-Account @AsianGermanUpdates.