Kien Nghi Ha (Asian German Studies, Universität Tübingen)
Vom 22. bis 24. August 2023 erschien auf MiGAZIN in einer mehrteiligen Artikelserie diese stark erweiterte Fassung des Buchkapitels „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als institutionalisierter Rassismus“. In: Gudrun Heinrich/David Jünger/Oliver Plessow/Cornelia Sylla (Hrsg.): Perspektiven aus der Wissenschaft auf 30 Jahre Lichtenhagen 1992. Berlin: Neofelis, im Erscheinen 2023. Der Text basiert auf einen Vortrag am 21.06.2022 im Rahmen der Reihe „Perspektiven aus der Wissenschaft auf 30 Jahre Lichtenhagen 1992“ an der Universität Rostock. Wir präsentieren hier die leicht überarbeitete finale Fassung vom 25. August 2023 mit erweiterten visuellen Kontextualisierungen.
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Das Pogrom im tiefenhistorischen Kontext: Anti-Asiatische Aspekte des systemischen Rassismus
Um das Rostocker Pogrom von 1992 in größeren historischen Zusammenhängen zu verstehen und einzuordnen, ist es nötig, seine Bedeutung in der modernen Geschichte des Rassismus in Deutschland herauszuarbeiten. Grundlegend lässt sich zunächst feststellen, dass die Geschichte des anti-Asiatischen1 Rassismus in Deutschland nicht mit diesem Pogrom beginnt. Vielmehr ist seine Historie mit der deutschen Kolonialgeschichte verwoben, die ihrerseits in die europäische Geschichte der Kolonialisierung der Welt eingebettet ist. So verweist der ‚Fidschi‘-Begriff als abwertende Bezeichnung für südostasiatische, vor allem vietnamesische, Vertragsarbeiter:innen in Ostdeutschland in Analogie zur rassistischen Bezeichnung ‚Kanake‘ in Westdeutschland auf koloniale Kontexte.2 Deutschland war als Kolonialmacht im pazifischen Raum präsent und die ‚Südsee‘ stellt nach wie vor eine bedeutsame Kulisse des kolonial gefärbten Exotismus in westlichen Diskursen dar. Selbst wenn direkte Verbindungen zu kolonialen Praktiken wie etwa der Inbesitznahme des ‚deutschen Schutzgebietes Kiautschou‘ (1898–1919) in Nordchina oder zur brutalen Niederschlagung der chinesischen Yìhétuán (1899–1901)3 durch das vom Wilhelm II. entsandte Ostasiatische Expeditionskorps nicht nachweisbar sind, ist davon auszugehen, dass durch diese Ereignisse wichtige Elemente des kolonialrassistischen Wissens in Deutschland über China und Chines:innen geschaffen und reproduziert wurden. Dabei wurde dieses diskriminatorische und rassifizierte Wissen verallgemeinert und auf andere Asiatische, speziell Ostasiatische Menschen, Kulturen und Länder übertragen.4 Die mit diesen kolonialen Bildern und Perspektiven einhergehenden politischen, historischen, soziokulturellen und visuellen Diskurse wurden zunächst etwa durch Zeitungen5 und später durch andere Massenmedien wie etwa Bücher und Filme popularisiert, tradiert und auch ausgeweitet.6 Diese medialen und kulturellen Reproduktionen setzen letztlich mit anderen Akzentsetzungen und technisch ausgefeilteren Bildern einen stereotypen Diskurs fort, der im ideengeschichtlichen Zentrum der Weißen Vorstellung von moderner Kolonialität steht: Deutsche Professoren wie Imanuel Kant (1723–1804), Christoph Meiners (1747–1810) und Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) hatten als führende Vertreter einen bedeutenden Anteil an der philosophischen wie naturwissenschaftlichen Etablierung von Rassentheorien als Grundaxiom der Welt. Ihre Tatsachenbehauptungen waren maßgeblich bei der kognitiven Erfindung von unterschiedlichen und biologisch unterscheidbaren ‚Menschenrassen‘ beteiligt, die als ‚Gelbe, Rote, Schwarze und Weiße‘ imaginiert und in Rückkoppelung mit der expansiven außereuropäischen Kolonialisierung zunehmend streng gesellschaftlich wie wissenschaftlich hierarchisiert wurden.7 Wenn diese historischen Kontexte und epistemologische Betrachtungsweise ernst genommen werden, dann wird sichtbar, dass das Pogrom in Rostock sich vor dem Hintergrund eines viel tiefergehenden systemischen Rassismus abspielt. Aus Raumgründen werde ich mich in meiner Fallanalyse jedoch auf die Ebene des institutionellen Rassismus beschränken.
Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im Kontext der rassistischen Gewalt seit den 1980er-Jahren
Anti-Asiatische Gewalt ist ein bedeutsames Element des Rassismus in Deutschland, die wichtige Wegmarkierungen in seiner Entwicklung prägen. Dabei fällt die strukturelle Entinnerung des anti-Asiatischen Rassismus als kalte Fälle und vergessene Geschichte ins Auge. So wurden am 22. August 1980 die beiden jungen vietnamesischen Boat People Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu kurz nach ihrer Aufnahme als Geflüchtete in der Halskestraße in Hamburg-Billbrook von organisierten Rechtsextremist:innen der „Deutschen Aktionsgruppen“ bei einem Brandanschlag ermordet. Die beiden Vietnamesen gelten in West-Deutschland als die ersten polizeilich dokumentierten und gerichtlich nachgewiesenen rassistischen Mordopfer seit 1945. Eine weitere Besonderheit dieses Falls ergibt sich zudem aus der erinnerungspolitischen Umgangsweise der deutschen Gesellschaft und seiner politischen, medialen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen: Im Unterschied zu anderen rassistischen Mordfällen wurde das offizielle Gedenken nicht nur marginalisiert, sondern es wurde entinnert.8 Nach ihrer Beerdigung wurde selbst in den lokalen Medien bis 2012 nicht mehr über diese Geschichte berichtet,9 so dass mit der Zeit auch das Wissen in der Zivilgesellschaft komplett zum Verschwinden gebracht wurde. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit den damals 17-jährigen Đỗ Anh Lân als Schutzbefohlenen in einer von ihr gesponserten Hilfsaktion in die Hafenmetropole gebracht hatte und daher in einer besonderen Verantwortung steht.10
Wie die Hamburger Morde ist auch das Rostocker Pogrom gegen die vietnamesische Community und asylsuchende Roma-Familien in vielfältiger Weise mit anderen Geschichten des deutschen Rassismus und Rechtsextremismus verbunden. Als Beispiel möchte ich hier nur auf den bis heute sträflich vernachlässigten und auch daher unaufgeklärten Brandanschlag vom 26. August 1984 in Duisburg-Wannheimerort verweisen, bei dem sieben Mitglieder der Familie Satır starben. Die zeitliche Koinzidenz der Ereignisse Hamburg, Duisburg and Rostock verweisen auf politische Zusammenhänge, die diese Tatorte und Communities miteinander verbinden. Obwohl die Angriffe in Rostock-Lichtenhagen als größtes Pogrom seit dem Niedergang des NS-Staates 1945 einen außerordentlichen Stellenwert in der deutschen Geschichte hat, lässt sich seine wirkliche gesamtgesellschaftliche und historische Bedeutung nur im Zusammenhang mit anderen Geschichten des strukturellen Rassismus und der alltäglichen Diskriminierungen begreifen. Bereits beim Fall der Berliner Mauer setzte eine heute nahezu unbekannte Gewaltwelle organisierter Rechtsextremist:innen ein: In der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 griffen vorsichtig geschätzt etwa 1.500 gewalttätige Neo-Nazis in mindestens 14 ostdeutschen Städten linke Projekte und alles „Undeutsche“ an. Mit diesem Paukenschlag wurden die an einigen Orten bis heute andauernden Baseballschlägerjahre (Christian Bangel) eingeläutet. In dieser Nacht wurden auch Migrant:innen und Linke in der Hamburger Hafenstrasse von 300 Rechten angegriffen. In diesem Kontext gehören nicht nur die vorangegangenen Pogrome in Hoyerswerda (September 1991) oder in Mannheim-Schönau (Mai/Juni 1992), wo wie in Lichtenhagen Wohnheime für ehemalige Vertragsarbeitende und Geflüchtete angegriffen wurden,11 sondern auch die nachfolgenden rassistischen Morde an türkisch-deutschen Familien etwa in Mölln (November 1992) und Solingen (Mai 1993). Auch der nicht wirklich aufgeklärte Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße vom 18.01.1996 mit zehn Toten, darunter sieben Kinder, und 38 Verletzten gehört in diese Reihe. Neben anderen rassistischen Gewalttaten reicht dieses historische Kontinuum über die NSU-Morde (2000–2006) gegen die deutsch-türkische Community bis zum jüngsten rechtsterroristischen Anschlag in Hanau (Februar 2020).
Was ist ein Pogrom und was ist institutioneller Rassismus?
Wenn nach diesen Annäherungen der Fokus auf das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen herangezoomt wird, stellt sich eine weitere grundlegende Frage: Welche Bezeichnung ist für dieses Ereignis sachlich korrekt und angemessen. Je nach Antwort werden ganz unterschiedliche politische, juristische und wissenschaftliche Kategorisierungen mobilisiert. Obwohl objektive Sachverhalte entscheidend sein sollten, spielen gesellschaftlich wirksame Deutungen und dominante Interpretationen eine zentrale Rolle. Die Frage der Benennung kann daher nicht von Fragen des Framings, also der sozialen und kulturellen Bedeutungskonstruktion und ‑zuweisung abgetrennt werden. Bei der Bedeutungsgebung stehen sich oftmals gegensätzliche Perspektiven mit ungleichen Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber, wobei die Interessen von verschiedentlich beteiligten Gruppen und betroffenen Individuen unterschiedlich einflussreich sind. Wie alle gesellschaftlichen Bedeutungsgebungen reflektieren und repräsentieren vorherrschende Bezeichnungen gesellschaftlich relevante Machtverhältnisse, die kulturelle Hegemonie produzieren und durchsetzen kann. Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, dass die rassistische Gewalt nicht nur im politischen Diskurs, sondern auch in den Medien über Jahrzehnte hinweg meist verharmlosend als Krawalle, Randale, Übergriffe oder allenfalls als Ausschreitungen bezeichnet, häufig legitimierend auch als Protest oder naturalisierend als Explosion beschrieben wurden. Der Begriff „Pogrom“, der von Anfang an von anti-rassistischen Gruppen verwandt wurde,12 wurde dagegen lange Zeit im Mainstream-Diskurs als „linksextrem“ abgestempelt und gesellschaftlich marginalisiert. An der (Be-)Deutung und Aufarbeitung der rassistischen Angriffe von Lichtenhagen als Pogrom hatten – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – weder Politik und Medien vor Ort noch bundesweit ein erkennbares Interesse.13 Die tonangebende Wahrnehmung mit ihrem beschränkten Meinungskorridor hat sich im Zuge der verstärkten Kritik an den Blindstellen und Ausschlüssen im öffentlich zelebrierten Gedenken, die zum 20. Jahrestag bundesweit besonders stark wahrgenommen wurde,14 langsam gewandelt und ist inzwischen pluraler geworden.
Wichtige Impulse dafür lieferte auch die aufkommende Rassismuskritik seit 2011 am institutionellen, medialen wie gesellschaftlichen Umgang mit der verschleppten Aufdeckung des NSU-Skandals.15 Der bundesweit aufsehenerregende Terroranschlag in Hanau und die globale Black Lives Matter-Bewegung 2020 haben diesen Bewusstwerdungs- und Anerkennungsprozess nochmals verstärkt. Diese Entwicklungen haben zur Ausbildung einer kritischen Masse beigetragen, sodass in vielen gesellschaftlichen Bereichen Rassismus inzwischen nicht mehr wie früher als ‚Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit‘ verbrämt wird. All das hat sicherlich dazu beigetragen, dass der Pogrombegriff im Fall „Rostock-Lichtenhagen“ heute weniger geächtet ist. Für viele Beobachtende überraschend, hat selbst die Stadt Rostock in offiziellen Mitteilungen zum 30. Jahrestags die rassistische Gewalt als Pogrom anerkannt.16 Damit schloss sich die Stadt dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags an, der die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen als „die größten rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Angriffe gegen Angehörige einer ethnischen Minderheit in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges“17 charakterisiert. Neben den rassistischen Angriffen in Hoyerswerda (September 1991)18 wird Rostock-Lichtenhagen als zentrales Fallbeispiel diskutiert, wobei die Argumente für die Anwendung des Pogrombegriffs breiten Raum erhalten und von den Autor*innen nicht in Zweifel gezogen werden.19
Dieses Eingeständnis ist überfällig. Denn wer unvoreingenommen das rassistische Großereignis in Rostock-Lichtenhagen betrachtet, kann augenblicklich drei charakteristische Elemente erkennen: Massive Bedrohung und Gewaltausübung der dominanten Gruppe gegen eine rassifizierte Minderheit, die durch staatliche Institutionen und ihre Repräsentant:innen toleriert oder akzeptiert wird. Vor allem die institutionelle Komponente ist entscheidend und unterscheidet das Pogrom von anderen Formen rassistischer Gewalt. Das Pogrom wird übereinstimmend in der Encyclopædia Britannica als „mob attack, either approved or condoned by authorities, against the persons and property of a religious, racial, or national minority“ und in der Encyclopedia of Nationalism (2001) als „mobilized crowd violence (usually officially encouraged) against members of a subordinate cultural group“ definiert. Obwohl der Begriff ursprünglich auf die historischen Verfolgungen von jüdischen Gemeinschaften in Osteuropa verwandt wurde, ist er nach Ansicht von führenden Antisemitismusforscher:innen wie Werner Bergmann nicht darauf beschränkt.20 Auch lässt sich m.E. nach argumentieren, dass die Suche nach Parallelen und Analogien zwischen Rassismus und Antisemitismus hier produktive Erkenntnisse generieren kann. Im Anschluss an das Phänomen des sekundären Antisemitismus und des sekundären Kolonialismus können sowohl verschleiernde Entnennungen also auch unzureichende erinnerungspolitische, wissenschaftliche und kulturelle Aufarbeitungen als Fortsetzung des institutionellen Rassismus angesehen werden. Der sekundäre Rassismus kann als nachfolgende institutionelle Diskriminierung angesehen werden, in der staatliche Akteure sich weigern, das Problem sachlich angemessen zu benennen, uneingeschränkt politische Verantwortung zu übernehmen, die langanhaltenden Aus- und Nachwirkungen des Pogroms im vollen Umfang anzuerkennen und den tatsächlichen Opfern angemessene Entschädigung und Wiedergutmachung anzubieten.
Ich folge hier der im anglophonen Raum anerkannten Definition des institutionellen Rassismus der Macpherson-Kommission (1999) der britischen Regierung:
„The collective failure of an organisation to provide an appropriate and professional service to people because of their colour, culture, or ethnic origin. It can be seen or detected in processes, attitudes and behaviour which amount to discrimination through unwitting prejudice, ignorance, thoughtlessness and racist stereotyping which disadvantage minority ethnic people. It persists because of the failure of the organisation openly and adequately to recognise and address its existence and causes by policy, example and leadership. Without recognition and action to eliminate such racism it can prevail as part of the ethos or culture of the organisation.“21
Besonders hervorzuheben ist, dass nicht Absicht, sondern das Ergebnis institutionellen Handelns oder Nicht-Handelns entscheidend ist. Für das Vorliegen rassistischer Praktiken und Diskriminierungen im institutionellen Rahmen ist der Nachweis einer diskriminatorischen Intention nicht maßgeblich. Vielmehr ist fundamental, dass die unprofessionelle oder ungleiche Funktionsweise einer Institution im Ergebnis zur Benachteiligung von Menschen und Gruppen führt, die gesellschaftlich aufgrund von stigmatisierenden Rassifizierungsprozessen und kulturellen Fremdzuschreibungen diskriminiert sind.
Institutioneller Rassismus im Kontext des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen
Die verschiedenen, aber ineinandergreifenden Ebenen des institutionalisierten Rassismus mit ihren unterschiedlichen Akteur:innen lassen sich in diesem Fall wie folgt skizzieren.
1) Deutsche Einheit, ostdeutsche Sozialkrise und Asylabschaffungsdebatte
Im zeithistorischen Kontext spielte der deutsche Einheitstaumel und die ihm begleitende nationalistische Welle eine tragenden Rolle. Statt den versprochenen „blühenden Landschaften“ (Bundeskanzler Kohl)22 wurde das nationale Projekt durch gesellschaftliche Verwerfungen konterkariert und gleichzeitig politisch zugespitzt.23 So stieg in der zunehmenden Sozialkrise in der unmittelbaren Transformationsphase die Arbeitslosenquote im Westen von 6,2 % (1990) sukzessiv auf 9,0 % (1994). In Ostdeutschland, wo 1990 mit 10,2 % bereits eine deutlich ausgeprägtere Problematik vorlag, wuchs dieser Wert im gleichen Zeitraum rasant auf 15,7 %.24 In Rostock lag diese Quote im Juni 1992 bei 15,0 %.25 Die regierenden Parteien konnten keine wirkliche Lösung für die sich ausbreitende Massenarbeitslosigkeit und Verarmung anbieten. Um die eigene Hilfslosigkeit zu vertuschen, die zunehmenden Proteste zu befrieden, Verantwortung von sich zu weisen und somit die eigene politische Machtbasis zu sichern, boten rechte Parteien den Weißen Verlierer:innen der Einheit rassistisch diskriminierte Migrant:innen und Geflüchtete als Sündenböcke für die Misere an.
2) Politische Akteure und staatliche Verantwortungsträger:innen
Die Hyperbolisierung rassistisch kodierter Kampfbegriffe und Feindbilder („Überfremdung“, „Asylbetrug“, „Scheinasylant“, „massenhafter Asylmissbrauch“, „Sozialschmarotzer“ etc.) wurde in dieser Umbruchszeit im ungeahnten Ausmaß intensiviert und ausgedehnt. Ulrich Herbert, einer der führenden deutschen Zeithistoriker resümiert ernüchternd: „Daraus entwickelte sich zwischen 1990 und 1993 eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten innenpolitischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte.“26 Gerade die Attacken auf das Grundrecht auf Asyl erwiesen sich als Innovationsquelle rassistischer Diskurse, die trotz der damit zum Ausdruck kommenden Infragestellung der Menschenwürde gesellschaftlich weitgehend akzeptiert waren. Diese Diskurs- und Politikverschiebung eröffnete neue Spielräume hin zum Extremismus der Mitte.27 Gleichzeitig befeuerte jede tolerierte Grenzüberschreitung des politischen Establishments rechtsextreme Kräfte und verlieh ihren Forderungen demokratische Legitimität. Die verschärfte Ausgrenzung gesellschaftlich bereits marginalisierter Minderheiten fungierte hier als ideologische Verlustkompensation für Weiße Deutsche. Die damit einhergehende Anrufung rassistischer Hierarchisierungen dient der gesellschaftlichen Stabilisierung, so dass deutsche Einheitsverlierer:innen mit Nationalstolz symbolisch aufgewertet, einer exklusiven völkischen Identität emotional entschädigt und politisch mit dem nationalen Projekt versöhnt werden. Zu diesem Zweck wurden die seit Ende der 1970er Jahre geschürte Moralpanik gegen die gestiegene Zahl von Asylsuchenden verstärkt. Gerade in Wahlkampfzeiten wurden rechtspopulistische Angriffe auf das Asylgrundrecht massiv verschärft sowie ein rigideres Ausländerrecht gefordert.28 Nachdem der christdemokratische Generalsekretär Volker Rühe im September 1991 eine bundesweite Kampagne aller CDU-Parteigliederungen zur Skandalisierung des „Asylmissbrauches“ gestartet hatte, warnte Bundeskanzler Kohl im Oktober 1992 auf dem CDU-Sonderparteitag diesbezüglich vor dem drohenden „Staatsnotstand“. Der Rechtsruck im politischen Mainstream umfasste auch die sozialdemokratische Volkspartei29 und führte in der Folgezeit zu großen Wahlerfolgen für Parteien am rechten Rand, da unzufriedene Wähler:innen zunehmend auf rechtsextreme Originale setzten.30 Der bundespolitische Diskurs lud auch die soziale Atmosphäre in Rostock negativ auf31 und schuf gesellschaftliche und ideologische Rahmenbedingungen, die das Pogrom möglich machten. Sogar während des laufenden Pogroms und auch danach nutzten Bundes‑, Landes- und Kommunalpolitiker:innen die rassistische Gewalt um das Asylgrundrecht auszuhebeln und politische Verantwortung von sich zuweisen.32 Diese Bemühungen wurden durch den am 6. Dezember 1992 vereinbarten „Asylkompromiss“ zwischen den Volksparteien belohnt, der dieses Grundrecht durch Verfassungsänderung fundamental einschränkte. Faktisch lässt sich feststellen, dass das Pogrom politisch instrumentalisiert wurde und ein lang gehegtes Großprojekt der Rechten zum Abbau zivilisatorischer Errungenschaften maßgeblich zum gesellschaftlichen Durchbruch verhalf.
3) Rassistische Medienbilder
Dieser Anti-Asyldiskurs wurde maßgeblich, aber nicht ausschließlich von Medien des Axel Springer-Konzerns flankiert. Konservative Medien-Flaggschiffe wie Die Welt, FAZ und das Massenblatt BILD sprangen für diese Kampagne in die Bresche33 und betrieben politisches Agenda Setting. Im Laufe der Zeit zogen andere Massen- und Leitmedien nach, so dass dieser journalistischer Trend sich in Kooperation mit einflussreichen wie interessierten politischen Stichwortgeber:innen in der eigenen Echokammer eigendynamisch verstärkte.34 Das kann nicht wirklich verwundern, da die deutschen Medien als Institution seit Jahrzehnten ein strukturelles Rassismusproblem haben.35 Im Gegensatz zum Selbstbild als vierte Gewalt der Demokratie, die kritische Aufklärung und sachliche Informierung betreibt, ist die Mehrheit der Berichterstattung über Zuwanderung, Flucht und „Ausländer“ in vielen Studien übereinstimmend als stereotypisierend, rassifizierend und negativ fokussiert analysiert worden, die bis heute mit graduellen Änderungen anhält.36 Laut Forschungsgruppe Wahlen dominierte das Thema „Asyl/Ausländer“ von Juni 1991 bis Juli 1993 mit Spitzenwerten von ca. 80 % als vermeintlich wichtigstes Problem die Bundespolitik – weit vor der deutschen Einheit und der Arbeitslosigkeit. Die Leserschaft der BILD wollte zu 98 % (09/1991) das Asylrecht einschränken; andere Umfragen zu dieser Zeit ergaben eine Mehrheit von 55 % in der Bevölkerung.37 In diesem Zeitraum wurden nicht nur in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, sondern auch im Fernsehen, Radio und elektronischen Medien eine Flut von Berichten, Reportagen, Interviews, Gesprächen, Kommentaren, Bildern, Grafiken, Karikaturen und Filmen verschiedenster Art produziert, die die Aufnahme von Asylsuchenden regelmäßig einseitig problematisierten und Migrierte als Unzugehörige rassifizierte.38
Rechtsextreme Bilder propagiert in einem Leitmedium
Ein eindrückliches Beispiel wie Leitmedien an rechtsextreme Bilder anknüpfen, lieferte DER SPIEGEL in der Coverstory „Flüchtlinge – Aussiedler – Asylanten: Ansturm der Armen (09/1991). Dabei greift die Redaktion nicht nur die Begrifflichkeiten und Bildersprache des Wahlplakats „Das Boot ist voll! Schluss mit Asylbetrug“ (06/1991) der rechtsextremen ‚Republikaner‘ auf.39 Vielmehr transportiert sie nahezu ungeschminkt die damit verbundene politische Nachricht und macht sich diese Botschaft durch die fehlende kritische Distanzierung zu eigen. Durch die Metapher der Masseninvasion findet sogar eine Radikalisierung statt, die Menschen wie eine Ameisenplage darstellt. Auch das rechtsextreme Motto „Das Boot ist voll!“ wurde als kollektive Notmetaphorik mit impliziter Täter-Opfer-Umkehrung zu einem geflügelten Wort. In der Kontroverse zur Einschränkung des Asylrechts wurde mit diesem Bild die bedrohte ‚nationale Schicksalsgemeinschaft‘ konstruiert und gleichzeitig beschworen. Die vorwiegend negative journalistische Berichterstattung war nicht nur in diesem Fall durch selektives Gate Keeping (Einseitigkeit), Agenda Setting (Themenfixierung) und Framing (problematische Setzungen, Kontexte, Sprache und Perspektive) geprägt. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) hat die negativierende, entindividualisierende und entmenschlichende Verobjektivierung von Geflüchteten in der bildgewaltigen Sprache des Asyldiskurses akribisch seziert. Indem Asylsuchende in naturalisierenden Katastrophenszenarien als Fluten, Wellen, Ströme, Schwemmen und Massen erscheinen, werden sie anknüpfend an tradierte kolonialrassistische Bilder als gefährliche Bedrohung konstruiert. Da Asylbewerber:innen nicht als schützenswerte „Flüchtlinge“,40 sondern in Analogie zum Spekulanten und Simulanten nun als „Asylanten“ oder gar als betrügerische „Scheinasylanten“ kriminalisiert wurden, verdienen sie keine Sympathien oder Hilfe, sondern müssen vielmehr „abgewehrt“, d.h. bekämpft werden. Indem mediale und politische Routinen, Schlagwörter wie „Asylmissbrauch“, „Sozialbetrug“, „Ausländerkriminalität“ durch omnipräsente Wiederholung prägten, wurden nicht nur rassistische, sondern auch anti-ziganistische Klischees reaktiviert und verstärkt. Auf diese Weise wurden ‚harte Maßnahmen‘ des deutschen Staates als überlebensnotwendige Abwehr rationalisiert und legitimiert. Diese Konstruktionen beflügelten Überfremdungsängste und untermauerten Polemiken gegen Einwanderung und „Multikulti“.41
Die lokale Wahrnehmung und rassistischen Auseinandersetzung um die Zentrale Aufnahmestelle (ZAST) in Lichtenhagen wurden im Vorfeld durch überregionale Kontroversen überlagert und geframt:42 „In der Tat war die Zeit vor den Ausschreitungen von einer tendenziösen und bisweilen rassistischen Berichterstattung in den lokalen und überregionalen Medien begleitet.“43 Auch nach dem Rostocker Pogrom waren die medialen Reaktionen doppeldeutig und mehrheitlich weit von einer kritischen Selbstreflexion entfernt: Neben Abscheu waren vor allem halbherzige Distanzierungen, moralische Relativierungen und Schuldumkehrthesen in vielen Medien wahrnehmbar, die nun noch entschlossener im Gleichklang mit konservativen und rechtsextremen Stimmen das „Einfallstor Asyl“ als Gefahrenquelle und Ursache ausmachten.44
Politik und Medien müssen sich als Institutionen mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ihre Kampagnen die rassistischen Gewaltexzesse in den 1990er Jahre begünstigt und mitverursacht haben. Laut der Polizeistatistik „Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) – rechts“ wurden 1990 noch 128 rechte Gewalttaten erfasst. Diese Zahl hatte sich 1991 mit 1.483 mehr als verzehnfacht und erreichte 1992 mit 2.584 ihren bisherigen Höchststand. Eine ähnlich dramatische Entwicklung war auch bei rechten Straftaten zwischen 1990 mit 1.380 und 1993 mit 10.561 Fällen auszumachen. Im Unterschied zur polizeilich erfassten rechten Gewalt stiegen die rechten Straftaten bis 2016 tendenziell immer weiter an, da sie zum großen Teil Propagandadelikte umfassen. Obwohl die Kriterien der Statistik 2001 teilweise verändert wurden und Vergleiche Einschränkungen unterliegen, lässt sich zumindest in der Unterkategorie „rechte Gewalttaten“ sagen, dass diese bis 1995 auf etwa 800 Fälle jährlich absanken und sich auf diesem hohen Niveau bis zum nächsten rechten Gewaltexzess 2015⁄16 mit kleinen Schwankungen einpendelten. Zwischen 60 bis 80 % der seit 2001 erfassten rechten Hasskriminalität wird von der Polizei als „fremdenfeindlich“ bzw. „rassistisch“ eingestuft.45
Der SPIEGEL berichtet in seiner Titelstory zu den „Krawallen“ in Rostock-Lichtenhagen: „Nach einer Untersuchung des Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien wollen 85 Prozent der Ostdeutschen keine Türken mehr ins Land lassen. 82 Prozent hegen Aversionen gegen Afrikaner oder Asiaten, rund 60 Prozent lehnen Osteuropäer ab.“46
Auch hier zeigt sich wieder, dass die unterschiedlichen Formen des Rassismus miteinander sind und verschiedene Communities trotz aller Unterschiede auch gemeinsame Erfahrungen miteinander teilen. In Bezug auf Rostock-Lichtenhagen ist wichtig daran zu erinnern, dass sowohl anti-vietnamesische als auch anti-ziganistische Gewalt nicht nur in den 1990er Jahren im ostdeutschen Alltag etwa in Form von rassistischen Beleidigungen und Überfällen sehr präsent war.47 Unter anderem wurden am 15. März 1992 der 18-jährige Dragomir Christinel aus Rumänen in einem Asylwohnheim in Saal (MV) und am 24. April 1992 Nguyễn Văn Tú in Berlin-Marzahn von Rechtsextremisten ermordet.
4) Kommunale Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden
Die 1990 eröffnete ZAST in Rostock-Lichtenhagen verfügte über eine maximale Aufnahmekapazität für 300 Personen. Schon lange vor dem Pogrom war die dramatische Überbelegung als dauerhaftes Problem den zuständigen Verwaltungen bekannt. Bereits im Sommer 1991 kritisierte ein Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) die Lebensbedingungen in der ZAST als unhaltbar. Auch nach dringenden Warnungen des Gesundheitsamtes im Juni 1992 blieben kommunale Politik und Verwaltung weitgehend untätig, um auf kommunaler Ebene ein Asylstopp durch Überlastung zu erzwingen.48 Dabei war den politisch Verantwortlichen vor Ort schon frühzeitig klar, welche Folgen die weitere Eskalation der unvertretbaren Zustände in der ZAST haben könnte. Rostocks Oberbürgermeister Kilimann (SPD) schrieb am 26.07.1991 an den MV-Innenminister Diederich (CDU): „Schwerste Übergriffe bis hin zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen“.49 Rostocks Innensenator Peter Magdanz (SPD) warnte im Juli 1992 davor, „dass es kracht“.50 Trotz konkreter Hinweise auf rechtsextreme Drohungen gegen die ZAST und Informationen über gewaltbereite Mobilisierungen der NPD-nahen Initiative „Rostock bleibt deutsch“ und der DVU gesteuerten „Bürgerinitiative Lichtenhagen“, die in den Tagen vor dem Pogrom von Lokalmedien aufgegriffen wurden, entwickelten die Behörden weder auf Kommunal- noch auf Landesebene Sicherheitskonzepte oder trafen Vorbereitungen. Fast alle polizeilichen Führungskräfte waren am Pogromwochenende im Heimaturlaub im Westen. Diese Sorglosigkeit teilten sie mit Rostocks Oberbürgermeister Kilimann, der seinen Urlaub nur kurz unterbrach, um ihn dann noch während des laufenden Pogroms fortzusetzen. Das Versagen von Politik und Sicherheitsorganen ist offensichtlich und eklatant:51 Die ZAST und das Sonnenblumenhaus waren zu keinem Zeitpunkt während des Pogroms ausreichend geschützt. Besonders schockierend war der Abzug der letzten Polizeikräfte am Abend des 24.08.1992, so dass das Sonnenblumenhaus mit mehr als 100 vietnamesische Bewohner:innen, einem ZDF-Fernsehteam, dem Rostocker Ausländerbeauftragen Wolfgang Richter sowie linken Aktivist:innen etwa 1,5 Std. ungehindert gebrandschatzt werden konnte. Nur mit knapper Not konnten die Eingeschlossenen über eine mühevoll entsperrte Brandschutztür der tödlichen Rauchvergiftung entkommen. Bis heute ist ungeklärt, ob behördliche Überforderung, Unfähigkeit und Inkompetenz bzw. eine fahrlässige, politisch tolerierte oder gar gewollte Zuspitzung der Konflikte um Aufnahmestopp für die ZAST (kommunal) und Asylrechtsänderung (bundespolitisch) für das multiple behördliche Nicht-Handeln mitverantwortlich sind. Denkbar ist auch eine Mischung dieser Faktoren. Auffällig ist, dass die Polizei trotz Personalmangel am 23.08.1992 Zeit, Kapazitäten und Priorität (er-)fand, etwa 60 linke Demonstrierende festzunehmen, die ihre Solidarität mit den angegriffenen Roma und Vietnames:innen zeigten.52 Auch die großräumige Behinderung und Unterdrückung der Solidaritätsdemonstration „Stoppt die Pogrome“ am 29.08.1992 mit kurzfristig mobilisierten 3.000 Polizist:innen zeigt eindrucksvoll, was bei einem entsprechenden politischen Willen alles möglich ist.53 Daher muss die für einen demokratischen Rechtsstaat ungeheuerliche These endlich schonungslos untersucht werden: „Rostock-Lichtenhagen sollte als Fanal fungieren. Geplant war eine kontrollierte Eskalation des Volkszorns mit dem Ziel, die SPD zum Einlenken in der Asylfrage zu zwingen“.54
5) Unzureichende Aufarbeitungen: politisch, juristisch, wissenschaftlich, kulturell und erinnerungspolitisch
Nicht nur die Vorgeschichte und der konkrete Tatablauf des Pogroms, sondern auch die Aufarbeitung weist einzigartige institutionelle Versäumnisse auf. Auf politischer Ebene sind die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse des Schweriner Landtag und der Stadt Rostock ungewöhnlich dürftig, da es offensichtlich an Aufklärungsinteresse mangelte und die parlamentarische Arbeit im Parteienstreit endete:55 „Bis heute gibt es keinen der dafür die Verantwortung übernommen hätte. Kein Politiker, egal mit wem ich sprach, alle, wirklich alle, duckten sich in dem Moment weg56 […] Beide Untersuchungsausschüsse sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man das [gemeint ist die politische Verantwortung] so nicht mehr nachvollziehen kann.“57 Innenminister Lothar Kupfer bestritt jede Verantwortung und wurde erst Februar 1993 entlassen. Rostocks Oberbürgermeister Kilimann trat Dezember 1993 ohne Schuldeingeständnis und unter Protest zurück. Auch unter den polizeilichen Führungskräften übernahm niemand die Verantwortung. Stattdessen herrschten undurchsichtige Schuldzuweisungen und wechselseitiger Kompetenzstreit: Die verschiedenen Polizeibehörden auf Landes- und Kommunalebenen schoben sich gegenseitig die Verantwortung für das öffentliche Debakel zu und warfen einander Inkompetenz und sogar absichtliches Fehlverhalten vor,58 was die These eines tolerierten Pogroms nährte.
„Die Rollen von Polizeichef Siegfried Kordus, der auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen nach Hause fuhr und am Montag Verstärkung durch BGS-Einheiten ablehnte, von Landespolizeichef Hans-Heinrich Hansen, der keine Verstärkung nach Rostock schickte, oder Bundesinnenminister Rudolf Seiters, der in Rostock vertrauliche Gespräche mit dem Ministerpräsidenten Seite, Innenminister Kupfer und Kordus führte, sind jedoch nicht hinreichend aufgehellt worden.“59
Noch nicht merkwürdig genug: Der besonders gescholtene Rostocker Polizeidirektor Kordus wurde bereits eine Woche nach dem Pogrom zum Direktor des Landeskriminalamts befördert. Es wirkte wie eine Belohnung für treue Dienste und untergrub die Ernsthaftigkeit der laufenden Untersuchungen zum polizeilichen Versagen. Kordus wurde zwei Jahre später trotz glaubhafter Korruptionsvorwürfe und Berichte über mafiöse Beziehungen nicht angeklagt, sondern nur in den vorzeitigen Ruhestand geschickt – dies ist umso erstaunlicher, da in den letzten 14 Monaten vor Kordus Aufdeckung vier Ermordungen im umkämpften Rostocker Rotlichtmillieu stattfanden.60 Auch zwei andere Spitzenbeamte, die 1992 beim Pogrom in führenden Polizeipositionen waren, wurden durch einen Whistleblower in anderen Fällen des Amtsmissbrauchs beschuldigt.61 Auch der überforderte und von seinen Vorgesetzten im Stich gelassene Polizeieinsatzleiter Deckert wurde trotz massiver Fehler62 ausgerechnet als Dozent an die Polizeifachhochschule Güstrow versetzt. Die Ermittlungsverfahren gegen Kordus und Deckert wurden 1994 und 2000 ohne Konsequenzen eingestellt, wobei Deckert einigen als „Bauernopfer“ galt.
Auch die anderen juristischen Aufarbeitungsversuche waren von Desinteresse, unprofessioneller Arbeitsweise und Erfolgslosigkeit geprägt. Während des Pogroms wurden nur 370 vorläufige Festnahmen vorgenommen sowie 408 Ermittlungsverfahren eingeleitet – nicht zuletzt gegen linke Gegendemonstrierende. In den meisten Fällen war eine strafrechtliche Verfolgung kaum möglich, da nur wenige qualifizierte, d.h. beweissichernde Festnahmen erfolgten.63 Im Ergebnis wurde ein Großteil der 215 gerichtlich eingeleiteten Verfahren gegen 257 Personen eingestellt. Am Ende wurden nur 44 Urteile ausgesprochen, darunter auch Urteile gegen Linke auf Solidaritätsdemonstrationen: Nur ein Fall bezog sich auf den direkten Angriff auf das Sonnenblumenhaus. Zumeist wurden relativ geringfügige Geld- und Bewährungsstrafen wegen Landfriedensbruchs und Propagandadelikten ausgesprochen. Von elf ursprünglich verhängten Arreststrafen zwischen sieben Monaten und drei Jahren wurden sieben zur Bewährung ausgesetzt. Nur vier Straftäter mussten zwischen zwei und drei Jahren tatsächlich in den Jugendarrest. Insgesamt wird die juristische Aufarbeitung als skandalös bewertet: Die zum Teil sehr langsamen Verfahren mündeten bestenfalls in formale Blitzprozesse ohne sachliche Aufarbeitung mit sehr milden Urteilen, da Richter:innen und Staatsanwälte wenig Engagement und Interesse zeigten. Ein Richter wurde aufgrund der grotesken Amtsführung, die auch zur Verjährung einer Anklage führte, wegen Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt angezeigt. Selbst in Fällen, wo ausreichend Beweise vorlagen, wurden nur Bewährungsstrafen für vorbestrafte rechtsextreme Gewalttäter verhängt – trotz Verurteilung wegen versuchten Mordes. Das letzte nach elf Jahren abgeschlossene Verfahren gilt aufgrund der absurd langen Prozessverschleppung als eines der „größten Justizskandale der Nachkriegszeit“.64
Die große Diskrepanz zwischen der objektiv erkennbaren gesellschaftspolitischen Bedeutung des Pogroms und der nachlässigen institutionellen Aufarbeitung trifft auch im wissenschaftlichen Bereich zu. Bis heute ist kein großes Forschungsinteresse am Pogrom von Lichtenhagen feststellbar. Das spiegelt sich auch im bisherigen Bestand der Literatur zum Thema wider: Bisher sind weniger als eine Handvoll Monographien und Anthologien erschienen, die sich zentral mit den Angriffen von Rostock-Lichtenhagen auseinandersetzen. Der konjunkturellen Aufmerksamkeitsökonomie folgend sind bisher alle zehn Jahre Jubiläumsbänder zum Thema erschienen. Den Anfang machte das DISS mit seinem diskursanalytischen Ansatz in „SchlagZeilen. Rostock: Rassismus in den Medien“ (1992), der die Ereignisse medienwissenschaftlich zeitnah einordnete. Dann folgte 2002 die journalistische Aufarbeitung von Jochen Schmidt, der als ZDF-Praktikant und Zeitzeuge im Sonnenblumenhaus das Pogrom hautnah erlebte. Obwohl das Buch von den bisherigen Publikationen zum Thema die größte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, löste die titelgebende These von der „Politische[n] Brandstiftung“65 trotz der guten journalistischen Vernetzung des Autors weder einen medialen Wirbelsturm noch ein politisches Erdbeben aus. Die These wurde in der Berichterstattung relativiert und der thematische Fokus verschoben. Dieses Desinteresse deutet Schmidt als „Totschweigen“66. Die Angst vor Kontroll- und Glaubwürdigkeitsverlust macht diese Frage anscheinend auch noch nach Jahrzehnten höchst explosiv. Zum 20. Jahrestag erschien dann ein kleiner, nur aus drei lesenswerten Beiträgen bestehender Sammelband, den Thomas Prenzel als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Rostock herausgab und wesentlich miterarbeitete. Dieser Rhythmus wird 2023 mit dem von Gudrun Heinrich, David Jünger, Oliver Plessow und Cornelia Sylla editierten Sammelband „Perspektiven aus der Wissenschaft auf 30 Jahre Lichtenhagen 1992“ leicht verspätet fortgesetzt. Das Buch dokumentiert und fasst die Ergebnisse der Vorlesungsreihe an der Universität Rostock zum 30. Jahrestag des Pogroms zusammen. Wie 2012 kam dieses Projekt aber nicht durch ein institutionell geplantes Programm der Universität, sondern durch Eigeninitiativen von Universitätsangehörigen zustande, die alle in unterschiedlichen Fachbereichen arbeiten und sich Frühjahr 2022 zufällig bei einem Workshop trafen.
Zweifellos ist die Anzahl von wissenschaftlichen Aufsätzen und Bezugnahmen höher, ebenso die zahlreichen journalistischen Erzeugnisse, die zu den Jahrestagen regelmäßig einen Boom erfahren. All das kann aber nicht über die wissenschaftliche Marginalisierung und das letztlich unzureichende Interesse an einer kontinuierlichen Aufarbeitung und vertieften Erforschung hinwegtäuschen. Die Ursachen dafür sind unklar: Wenn wir die Aufarbeitung des NSU-Komplexes zum Vergleich heranziehen,67 kann die These aufgestellt werden, dass die staatspolitische Brisanz des Falls der wissenschaftlichen und journalistischen Aufarbeitung hier nicht im Wege steht – eher kann das Gegenteil behauptet werden. In den letzten Jahren ist ein verstärktes Interesse zu verzeichnen: Darunter zählt etwa das Forschungsprojekt „Doing Memory“ von Tanja Thomas, Fabian Virchow und Matthias Lorenz sowie Rostocker Initiativen mit Lokalforschenden wie etwa Gudrun Heinrich und das Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Vereinzelt existieren auch Bachelor- und Masterarbeiten von interessierten Studierenden sowie einige Dissertationsprojekte.
Auf der Ebene der kulturellen Verarbeitung fällt ebenfalls im Vergleich zur Themensetzung des NSU-Komplexes etwa im Bereich „Theater“ ein deutlicher Unterschied auf,68 obwohl beide Themen miteinander verbunden sind und trotz wichtiger Unterschiede in ihrer gesellschaftlichen und zeithistorischen Bedeutung vergleichbar erscheinen. Zum Thema Rostock-Lichtenhagen sind bisher lediglich drei Stücke in kleinen Theaterproduktionen entstanden: Davon nimmt nur das Stück „Sonnenblumenhaus“ (2014) von Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos die Perspektive der angegriffenen vietnamesischen Community ein.69 Die beiden Stücke „Kein schöner Land“ (2000) der freien Gruppe „Neue Tendenz Theater“ aus NRW und „Bis zum Anschlag“ (2011) von Christof Lange vom Freien Theater Jugend Rostock fokussieren sich dagegen auf Weiße Täter.70 Diese Perspektive nimmt auch der bisher einzige Spielfilm zum Thema ein. In Burhan Qurbanis Kinostreifen „Wir sind jung. Wir sind stark“ (2015) stehen erneut eine Weiße Jugendgruppe und die Tätersicht im Zentrum.71 Im Unterschied dazu sind die Dokumentarfilme weniger bekannt, aber thematisch diverser aufgestellt, da im Laufe der Zeit neue Fragen etwa zur Integrations- und Erinnerungsarbeit dazu kamen. Neben der „Kennzeichen D“-Reportage des ZDF-Teams ist insbesondere der britische Dokumentarfilm „The Truth Lies in Rostock“ (1993) von Mark Saunders und Siobhan Cleary, die bei ihrer Arbeit von der linken Rostocker Initiative JAKO videocoop unterstützt wurden, als zeithistorisches Dokument und als Archivmaterial von besonderer Bedeutung. In Interviews mit Roma-Geflüchteten und vietnamesischen Arbeiter:innen entstanden Bilder und Narrative, die den Angegriffenen bis heute eine Stimme geben und ihre Sicht der Geschichte ansatzweise repräsentieren. Anlässlich des 30. Jahrestags entstand in der Reihe „Die Narbe“ die bisher letzte Fernsehproduktion „Der Anschlag in Rostock-Lichtenhagen“ (NDR 2022). Trotz des Postulats Rassismus zu benennen und Betroffenenperspektiven Raum einzuräumen, gelingt das nicht wirklich. So wurde Mai-Phuong Kollaths Plädoyer die rassistische Gewalt im August 1992 als „Pogrom“ zu bezeichnen aus der dokumentierten Diskussion rausgeschnitten und stattdessen am Begriff „Krawalle“ festgehalten.72
Auch die Stadt Rostock tut sich schwer, diesen Themen und Herausforderungen gerecht zu werden. Zwar wurde von zivilgesellschaftlicher Seite etwa die Ausstellung „Von Menschen, Ansichten und Gesetzen. Rostock-Lichtenhagen – 10 Jahre danach“ (Bund statt Braun, 2002) erarbeitet. Im Laufe der Jahre fanden auch unzählige Veranstaltungen und unterschiedlichste Projekte statt. Trotzdem kann gesagt werden, dass bis 2017 die offizielle wie zivilgesellschaftliche Erinnerungspolitik lediglich ereignisbezogen, kurzfristig und temporär, z.T. auch verklärend und instrumentell war. Statt die institutionelle Verantwortung staatlicher Akteure und den allgegenwärtigen Rassismus im Alltag bis hin zum behördlichen Handeln aufzuarbeiten und in der Bildungsarbeit weiterzuvermitteln, wurde nicht selten der Fokus auf multikulturelle Feste, Versöhnung und Integration gelegt73, um unangenehme und konfliktträchtige Themen zu vermeiden. Diese Kritik lässt sich auch an einem städtischen Vorzeigeprojekt zur erinnerungspolitischen Aufarbeitung des Pogroms verdeutlichen.
In Reaktion auf fortlaufende Kritik und Forderungen nach Schaffung von Lern- und Erinnerungsorten in öffentlichen Raum74 lud die Stadt Juli 2016 zehn Künstler:innen und Projekte zu einem Wettbewerb mit einem Gesamtetat von lediglich 105.000 Euro ein.75
Die Entscheidung der Rostocker Jury fiel zugunsten der lokalen Künstlergruppe SCHAUM aus, deren Entwurf als Nachrücker eingebracht wurde. Ihr dezentrales Konzept „Gestern Heute Morgen“ geht von dem zentralen Arbeitsmotto aus: „Die Kunstwerke wollen keine Antworten oder Schuldzuweisungen geben.“76
Was aber bedeutet das? Aus meiner Sicht stellt dieses Denkmal eine verpasste Chance dar. Denn die dezentrale Aufstellung u.a. vor dem Rathaus, dem Redaktionsgebäude der Ostsee-Zeitung und dem Polizeipräsidium ist eigentlich hervorragend geeignet, die Rolle und Verantwortung dieser Institutionen beim Pogrom ganz konkret mit künstlerischen Mitteln und bildungspolitischer Aufarbeitung offen zum Thema zu machen. Stattdessen wurden zum 25. Jahrestag Installationen aufgestellt, die nicht nur sehr unauffällig und leicht zu übersehen sind; ihre abstrakten Symbole und universelle Gesten lenken auch davon ab, sich tatsächlich mit dem rassistischen Pogrom im lokalen Kontext auseinanderzusetzen. Da diese Skulpturen so unverständlich sind, entsteht immer wieder die absurde Situation, dass Besucher:innen diese Gebilde nicht als Erinnerungsorte erkennen und weiter danach suchen, obwohl sie direkt davor stehen.77 Aufgrund ihrer minimalistischen und kostengünstigen Gestaltung, die mit einer Grundfläche von meist nur 0,18 qm auch kaum Raum beansprucht, wirken dieser Mahnmale wie eine formale Pflichtaufgabe, die im Alltag möglichst wenig stören soll und zumindest der Dominanzgesellschaft keine schmerzhaften Erinnerungen oder Lernprozesse zumuten will. In diese Logik passt auch die Benennung der Installation vor dem Sonnenblumenhaus als „Selbstjustiz“, die mit diesem Titel das fragwürdige Risiko der Legitimierung rassistischer Gewalt eingeht.
Auch bei diesem erinnerungspolitischen Projekt offenbarte sich erneut ein altbekanntes Strukturproblem: Das Übergehen und die Unsichtbarmachung von Betroffenenperspektiven. Erst im Nachhinein wurde der Stadt bewusst, dass vergessen wurde, die Opfer des Pogroms einzubeziehen. Daher wurde die sechste Skulptur „Empathie“ von einer NGO finanziert und 2018 den betroffenen Opfern nachträglich gewidmet. Obwohl mit Romani Rose sowie dem Vorsitzenden des Migrantenrat Rostock Selbstrepräsentation ermöglicht wurde, standen bei beiden Einweihungen bedauerlicherweise keine Sprecher:innen der vietnamesischen Community auf dem Programm. Auch die modernisierte Erinnerungspolitik ist mit Marginalisierung und Unsichtbarmachung verstrickt. So lange Arbeits- und Entscheidungsprozesse ohne gleichberechtigte Mitwirkung aller betroffenen Communities stattfinden und entsprechende (auch materielle) Voraussetzungen dafür geschaffen werden, werden zwangsläufig institutionalisierte Ausschlüsse reproduziert.
So verhält es sich auch mit der offiziellen Entschuldigung der Stadt durch Oberbürgermeister Pöker, die schon 2002 ausgesprochen wurde. Aber so lange keine Entschädigungsleistungen und ein Rückkehrrecht für die damals abgeschobenen Opfer des Pogroms angeboten werden, beschränkt sich die „Wiedergutmachung“ auf ein symbolpolitisches Zeichen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass anti-Asiatischer Rassismus nicht nur in Rostock, sondern allgemein in Deutschland bisher historisch verkannt, verdrängt und in allen Bereichen stark unsichtbar gemacht wurde. Ob diese gravierenden Defizite in den nächsten Jahren ein Stück weit abgebaut werden können, ist mit Skepsis zu betrachten, solange der politische Wille in den Institutionen und bei entscheidenden Gatekeepern fehlt. Obwohl Deutschland nicht nur postmigrantischer, sondern aufgrund zunehmender Migrationsprozesse aus dieser Weltregion auch Asiatisch-diasporischer wird, ist die strukturelle Sensibilität für diese Thematik in der deutschen Gesellschaft nach wie vor nur gering ausgeprägt. Das zeigen nicht zuletzt die Koalitionsvereinbarungen der aktuellen Bundesregierung vom Dezember 2021: Trotz Aktualität und Vielzahl der dokumentierten Corona-Rassismusfälle gegen Asiatisch Aussehende in Deutschland wird das Thema „anti-Asiatischer Rassismus“ im Unterschied zu anderen Rassismusformen dort nicht einmal erwähnt. Folglich werden die Institutionen des Bundes keine spezifischen Maßnahmenpakete gegen anti-Asiatischen Rassismus konzipieren oder das Thema systematisch berücksichtigen, da dieses Problem dort nicht explizit anerkannt ist. Das ist insoweit konsequent, da auch im bisherigen „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ (Bundesministerium des Innern 2017) anti-Asiatischer Rassismus kein Thema ist. Asiatische Deutsche, Asiatisch-diasporische und Asiatische Menschen sind in Deutschland im Unterschied zu anderen Betroffenengruppen immer noch nicht ausdrücklich als vulnerable und schutzwürdige Gruppe anerkannt. Das bedeutet, dass aus dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen auch heute noch nicht die richtigen Lehren gezogen wurden.
Kien Nghi Ha ist promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler und leitet den Arbeitsbereich Asian German Studies am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen.. Er hat an der New York University sowie an den Universitäten in Bremen, Heidelberg und Bayreuth geforscht und wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien ausgezeichnet. Neben zahlreichen Publikationen zu postkolonialer Kritik, Rassismus, Migration und Asian Diaspora Studies ist zuletzt der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A, 2021) als erweiterte Neuauflage erschienen. Aktuell editiert er die Anthologie Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin (Assoziation A, 2023) und schreibt am Essay Boat People – Vom schutzwürdigen Flüchtling zur Zielscheibe des Anti-Asiatischen Rassismus für den Ausstellungskatalog „Alfredo Jaar – The Kindness of Strangers“ (2024) des Museums der Moderne Salzburg und den Kunstsammlungen Chemnitz.
Im Erscheinen: Verwobene Geschichten in Hito Steyerls „Die leere Mitte“ (1998) aus Asiatisch-deutscher Perspektive. In: Ömer Alkin/Alena Strohmaier (Hg.): Rassismus und Film. Marburg: Schüren Verlag, 2023. Zur kolonialen Matrix des anti-Asiatischen Rassismus: Gelbe Gefahr, Unsichtbarkeit und Exotisierung. In: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) (Hg.): Rassismusforschung: Rassismen, Communities und antirassistische Bewegungen, Bd. 2, Bielefeld: transcript 2023.
Fußnoten
1Um die geographische Bezeichnung „asiatisch“ von kulturellen Fremd- wie Selbstkonstruktionen zu unterscheiden, schlage ich – im Unterschied zur medialen Verwendung und in Anlehnung an die inzwischen im anglophonen Raum institutionell etablierte Schreibweise von Asian, Black, Brown und auch White – die Großschreibung von „Asiatisch“ vor, um eine Differenzierung zu ermöglichen.
2Vgl. Kien Nghi Ha: Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“. Bielefeld: transcript 2010, S. 259–277.
3Vgl. zum antikolonialen Aufstand des „Verbands für Gerechtigkeit und Harmonie“ (義和團) Mechthild Leutner / Klaus Mühlhahn (Hrsg.): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900–1901. Berlin: Links 2007.
4Dieser Effekt ließ sich in der Corona-Pandemie sowohl in den USA als auch in der BRD gut erkennen als ursprünglich anti-chinesische Ressentiments auch auf andere diasporische Gruppen mit Ost- und Südostasienbezügen ausgedehnt wurden. Die Betroffenen wurden angegriffen und vielfach grenzüberschreitend in Kollektivhaftung genommen, so dass Asiatisch-Sein in diesen Fällen zwangsweise durch anti-Asiatischen Rassismus fremd definiert wurde. Vgl. Kien Nghi Ha: Zur transnationalen Kolonialität des anti-Asiatischen Rassismus: Yellow Peril und anti-chinesische Migrationspolitik im pazifischen Raum. In: Mechthild Leutner / Pan Lu / Kimiko Suda (Hrsg.): Antichinesischer und anti-asiatischer Rassismus. Historische und gegenwärtige Diskurse, Erscheinungsformen und Gegenpositionen. Münster: LIT-Verlag 2022, S. 38–58, hier S. 54–56.
5Vgl. etwa die Karikaturen des deutsch-amerikanischen Zeichners Lyonel Feininger, der zur Jahrhundertwende die deutsche Kolonialpolitik in Afrika und China mit rassistischen Bildern kommentierte. Siehe Mechthild Leutner: Rassismus und deutscher Kolonialismus in China. Legitimation Weißer Herrschaft und das Feindbild von der „Gelben Gefahr“. In: Dies. / Pan Lu / Kimiko Suda (Hrsg.): Antichinesischer und anti-asiatischer Rassismus. Historische und gegenwärtige Diskurse, Erscheinungsformen und Gegenpositionen. Münster: LIT-Verlag 2022, S. 11–37, hier S. 28–33.
6Vgl. Kien Nghi Ha: Zur kolonialen Matrix des anti-Asiatischen Rassismus. Gelbe Gefahr, Unsichtbarkeit und Exotisierung. In: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) (Hrsg.): Rassismusforschung: Rassismen, Communities und antirassistische Bewegungen, Bd. 2, Bielefeld: transcript 2023, im Erscheinen.
7Vgl. Walter Demel: How the ‚Mongoloid Race‘ Came into Being: Late Eighteenth-Century Constructions of East Asians in Europe, In: Rotem Kowner / Ders. (Hrsg.): Race and Racism in Modern East Asia Western and Eastern Constructions, Leiden: Brill 2013, S. 59–85; Rotem Kowner: Between Contempt and Fear: Western Racial Constructions of East Asians since 1800. In: Ebd., S. 87–125.
8Ich habe den Begriff der „Entinnerung“ in Abgrenzung zum passiven und unbewussten Vergessen als einen aktiven kultur- und erinnerungspolitischen Prozess definiert, der die zu dieser Zeit gesellschaftlich dominanten Werte und Interessen artikuliert. Vgl. Kien Nghi Ha: Macht(t)raum(a) Berlin – Deutschland als Kolonialgesellschaft. In: Maisha Eggers/Grada Kilomba/Peggy Piesche/Susan Arndt (Hrsg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast 2005, S. 105–117, hier S. 105.
9Der freie Lokaljournalist Frank Keil entdeckte bei seinen Recherchen zu Süleyman Taşköprü, dem Hamburger Mordopfer des NSU, zufällig diese ihm unbekannte Geschichte wieder. Vgl. Frank Keil: Der blanke Hass. In: Die Zeit, 23.02.2012.
10Vgl. Kien Nghi Ha: Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân († Hamburg 1980): Keine Zweiklassengesellschaft in der Kultur- und Erinnerungspolitik!. In: Ders. (Hrsg.): Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond. Berlin / Hamburg: Assoziation A 2021, S. 140–149, hier S. 143–144 und Kien Nghi Ha: Die Ankunft der vietnamesischen Boat People. In: Webmap Hamburg Global, Eine Welt Netzwerk Hamburg e.V. 16.04.2014. https://www.hamburg-global.de/v1.0/placemarks/100 (Zugriff am 21.07.2023).
11Vgl. Matthias Möller: „Ein recht direktes Völkchen“? Mannheim-Schönau und die Darstellung kollektiver Gewalt gegen Flüchtlinge. Frankfurt am Main: Trotzdem 2007.
12So wurde die unmittelbar nach den Angriffen auf das Sonnenblumenhaus und die Zentrale Aufnahmestelle organisierte bundesweite Demonstration am 29. August 1992 in Rostock unter dem Motto „Stoppt die Pogrome“ durchgeführt.
13So ist im Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern vermeintlich neutral von „Ereignissen“ (12 Erwähnungen) die Rede, wobei dieser wertfreie Begriff nicht in der Lage ist die tatsächliche Gewalt auch nur annähernd zu benennen und daher beschönigend wirkt. Im Bericht werden abwechseln auch die Begriffe „Krawalle“ (13), „Auseinandersetzungen“ (5), „Ausschreitungen“ (5), „Randale“ (2), Protest (1) und „Demonstration“ (1) verwandt. Dagegen tauchen auf den 51 Seiten des Berichts an keiner Stelle die Begriffe „Pogrom“ und „Rassismus“ bzw. „rassistisch“ auf. Vgl. Drucksache 1⁄3771, 04.11.1993.
14Vgl. Kien Nghi Ha: Rostock-Lichtenhagen – Die Rückkehr des Verdrängten. In: Ders. (Hrsg.): Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond. Berlin / Hamburg: Assoziation A 2021, S. 150–166. Erstveröffentlichung: Heinrich Böll Stiftung, September 2012. https://heimatkunde.boell.de/de/2012/09/01/rostock-lichtenhagen-die-rueckkehr-des-verdraengten (Zugriff am 20.02.2023).
15So haben die Sicherheitsbehörden mit ihren mehrheitlich biodeutschen Mitarbeiter:innen das rassistische Motiv nicht erkannt und die Opfer verdächtigt. Trotz fehlender Indizien rechnete die „Soko Bosporus“ über Jahre hinweg die „Dönermorde“ aufgrund eigener Vorurteile unbeirrt der „Türken-Mafia“ zu, die Schutzgelder und Wettschulden erpressen wolle oder aus Rache „Ehrenmorde“ beginge. Vgl. Hajo Funke: Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung. Münster / Berlin: Kontur 2015, S. 308–342; Juliane Karakayali/Çagri Kahveci/Doris Liebscher/Carl Melchers (Hrsg.): Den NSU-Komplex analysieren. Aktuelle Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld: transcript 2017; Tanjev Schultz: NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates. München: Droemer 2018.
16So wurde in der Pressemitteilung „30 Jahre Pogrom von Rostock-Lichtenhagen: ‚Gedenken – Aufklären – Gestalten‘“ vom 22.08.2022 zur zentralen Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eingeladen. Siehe https://rathaus.rostock.de/de/rathaus/aktuelles_medien/30_jahre_pogrom_von_rostock_lichtenhagen_gedenken_aufklaeren_gestalten/329398 (Zugriff am 20.02.2023).
17Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag: Pogrome. Definition und Fallbeispiele. Aktenzeichen WD 1 – 3000 – 023⁄22, 29.07.2022. hier S. 8–9. https://www.bundestag.de/resource/blob/908734/5dea5b3a56c9f5afab0f73bf9e20b7b6/WD‑1–023-22-pdf-data.pdf (Zugriff am 16.07.2023).
18Ebd. S. 14–15.
19Ebd. S. 8–10. Bereits die Publikation des Gutachtens drei Wochen vor dem 30. Jahrestags des Pogroms kann als deutliches gesellschaftspolitisches Statement gelesen werden.
20Vgl. Thomas Prenzel: Rostock-Lichtenhagen und die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl. In: Ders. (Hrsg.): 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Kontext, Dimensionen und Folgen der rassistischen Gewalt. Universität Rostock. Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften 2012, S. 9–29, hier S. 10. https://doi.org/10.18453/rosdok_id00003587 (Open Access)
21William Macpherson: The Stephen Lawrence Inquiry. Presented to Parliament by the Secretary of State for the Home Department by Command of Her Majesty. London: 1999, hier Punkt 6.34.
22Fernsehansprache anlässlich des Inkrafttretens der Währungs‑, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990.
23Hajo Funke: Brandstifter. Deutschland zwischen Demokratie und völkischem Nationalismus. Göttingen: Lamuv 1993, S. 50–66; 106–108.
24Bundeszentrale für politische Bildung: Arbeitslose und Arbeitslosenquote. In absoluten Zahlen und in Prozent aller zivilen Erwerbspersonen, 1980 bis 2013, 2014, hier S. 6. https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/01%20Arbeitslose%20und%20Arbeitslosenquote_0.pdf (Zugriff am 25.02.2023).
25Johann Gerdes, Annett Jackisch, Christoph Schützler: Lagebericht zur sozialen Situation in der Hansestadt Rostock. Universität Rostock: 2005, S. 32. DER SPIEGEL gibt ohne Zeitbezug die Arbeitslosenquote in Rostock mit 13 % und im Stadtteil Lichtenhagen mit 17 % an. Vgl. DER SPIEGEL: „Ernstes Zeichen an der Wand“, Nr. 36⁄1992. 30.08.1992. https://www.spiegel.de/politik/ernstes-zeichen-an-der-wand-a-eb1b8609-0002–0001-0000–000013689982 (Zugriff am 25.02.2023).
26Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Bonn: bpb 2003, S. 299.
27Nur ein Beispiel von vielen, um den unverhohlenen Rassismus im damaligen politischen Diskurs der demokratischen Volksparteien zu illustrieren: „Es kann nicht sein, dass ein Teil der Ausländer bettelnd, betrügend, ja auch messerstechend durch die Straßen ziehen, festgenommen werden und nur, weil sie das Wort ‚Asyl‘ rufen, dem Steuerzahler auf der Tasche liegen.“ (Klaus Landowsky, CDU-Fraktionsvorsitzender in Berlin, In: Stern, Nr. 43 vom 17.10.1991).
28Vgl. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 263–273; 296–322.
29Die Eskalationsspirale gegenseitiger rhetorischer Übertrumpfungen führte zu einer enthemmten Debatte, die ein sehr breites politisches Spektrum umfasste. Wie entfesselt der politische Extremismus der Mitte war, zeigte etwa Friedhelm Farthmann, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in NRW und späterer Ehrenvorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz des Malteserordens. Er schlug vor „Asylanten“ auf diesem Weg abzuschieben: „Kurzen Prozess, an Kopf und Kragen packen und raus damit!“ (17.03.1992) Später blies Gerhard Schröder als SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen im Landeswahlkampf ins gleiche Horn. Im Interview mit BILD am Sonntag forderte er „Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell?“ (20.07.1997). Trotz oder gerade wegen solcher Aussagen wurde er SPD-Vorsitzender und Bundeskanzler (1998–2005).
30In Berlin erzielten die „Republikaner“ 7,5 % (1989) und in Baden-Württemberg sogar 10,9 % (1992). Die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) kam in Bremen auf 6,2 % (1991), in Schleswig-Holstein auf 6,3 % (1992) und erreichte in Sachsen-Anhalt mit 12,9 % (1998) ihr bestes Wahlergebnis.
31Vgl. Prenzel: Rostock-Lichtenhagen und die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, S. 13–15.
32Vgl. Jochen Schmidt: Politische Brandstiftung. Warum 1992 in Rostock das Ausländerwohnheim in Flammen aufging. Berlin: Edition Ost 2002, S. 154–196.
33Vgl. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 303.
34Vgl. Margaret Jäger: BrandSätze und SchlagZeilen. Rassismus in den Medien. In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Entstehung von Fremdenfeindlichkeit. Die Verantwortung von Politik und Medien. Bonn: 1993, S. 73–92.
35Vgl. Jesus Manuel Delgado: Die „Gastarbeiter“ in der Presse. Eine inhaltsanalytische Studie. Opladen: Leske 1972. Siehe auch diese medienwissenschaftliche Metastudie, die die Ergebnisse von zwölf empirischen Untersuchungen lokaler und überregionaler Zeitungen aus den Jahren 1972 bis 2000 zusammenfasst: Daniel Müller: Die Darstellung ethnischer Minderheiten in deutschen Massenmedien. In: Rainer Geißler / Horst Pöttker (Hrsg.): Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Bielefeld: transcript 2015. S. 83–126.
36Vgl. Christine Horz: Fluchtmigration in den Medien. Stereotypisierungen, Medienanalyse und Effekte der rassifizierten Medienberichterstattung. In: Meltem Kulaçatan / Harry Harun Behr (Hrsg.): Migration, Religion, Gender und Bildung: Beiträge zu einem erweiterten Verständnis von Intersektionalität. Bielefeld: transcript 2020, S. 175–210; Marcus Maurer et al.: Fünf Jahre Medienberichterstattung über Flucht und Migration. Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Institut für Publizistik 2021. https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2021/07/Medienanalyse_Flucht_Migration.pdf (20.02.2023).
37Vgl. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 303.
38Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung: Schlagzeilen. Rostock: Rassismus in den Medien, Duisburg: DISS 1993, zweite durchges. Aufl.
39Vgl. Cord Pagenstecher: „Das Boot ist voll“. Schreckensvision des vereinten Deutschland. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder, Band II: 1949 bis heute. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 606–613.
40Heutzutage wird der Begriff „Geflüchtete“ bevorzugt, da die Bezeichnung „Flüchtling“ verniedlichend und die Endung ‑ling häufig mit negativ assoziierten Wörtern wie Fiesling besetzt sei. Trotzdem ist daran zu erinnern, dass nur der letztgenannte Begriff laut Genfer Flüchtlingskonvention international anerkannt ist und einen gesetzlichen Schutzstatus darstellt. Vgl. Andrea Kothen: Sagt man jetzt Flüchtlinge oder Geflüchtete?, In: Pro Asyl, 01.06.2016. https://www.proasyl.de/hintergrund/sagt-man-jetzt-fluechtlinge-oder-gefluechtete/ (Zugriff am 01.07.2023).
41Vgl. Jäger: BrandSätze und SchlagZeilen, S. 73–92.
42Vgl. Prenzel: Rostock-Lichtenhagen, S. 13–17.
43Roman Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen: Aufarbeitung und Perspektiven des Gedenkens. In: Thomas Prenzel (Hrsg.): 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Universität Rostock. Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften 2012, S. 31–52, hier S. 34.
44Helmut Kellershohn: „Der Feind steht links!“. In: Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung: Schlagzeilen, S. 55–71.
45Vgl. Toralf Staud: Straf- und Gewalttaten von rechts: Was sagen die offiziellen Statistiken?, In: Bundeszentrale für politische Bildung, 13.11.2018. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/264178/straf-und-gewalttaten-von-rechts-was-sagen-die-offiziellen-statistiken/ (Zugriff am 25.02.2023).
46DER SPIEGEL: „Ernstes Zeichen an der Wand“, o. S.
47In jüngerer Zeit wird unter dem Hashtag #baseballschlägerjahre an dieser Zeit erinnert. Vgl. Christian Bangel: #baseballschlägerjahre. Ein Hashtag und seine Geschichten. In: APuZ, Nr. 49–50/2022, S. 4–9 und Fabian Virchow: Rechte Gewalt in Deutschland nach 1945. Eine Einordnung der 1990er Jahre. In: ebd., S.10–14.
48Vgl. Schmidt, Politische Brandstiftung, S. 54–68; Prenzel: Rostock-Lichtenhagen, S. 16–17.
49Vgl. taz: Brief des Oberbürgermeisters belegt. Rostocker Warnung ein Jahr ignoriert. In: taz, 5.9.1992, S. 1.
50DER SPIEGEL: „Ernstes Zeichen an der Wand“, o. S.
51Vgl. Otto Diederichs: Das Polizeidebakel von Rostock – Versuch einer analytischen Würdigung. In: CILIP, Nr. 44, 22.02.1993. https://www.cilip.de/1993/02/22/das-polizeidebakel-von-rostock-versuch-einer-analytischen-wuerdigung/ (Zugriff am 25.02.2023).
52Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags Mecklenburg-Vorpommern: Beschlussempfehlung und Zwischenbericht. 16. Juni 1993, S. 48.
53Vgl. Diederichs: Das Polizeidebakel von Rostock.
54Jochen Schmidt bei der Buchvorstellung von „Politische Brandstiftung“ zit. nach Heike Kleffner: Pogrom gewollt?. In: taz, 21.08.2002, S. 8.
55Vgl. Diederichs: Das Polizeidebakel von Rostock; Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen, S. 32–34.
56Jochen Schmidt: Das Haus brennt! – Die Asyldebatte und ihre Parallelen 1992 und heute , Vortrag in Synagoge und Kulturzentrum Marburg, 27.09.2016. https://www.youtube.com/watch?v=vRzYbMJ24RE (Zugriff am 25.02.2023), hier 9:00–9:12.
57Ebd., hier 35:45–35:55.
58Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_in_Rostock-Lichtenhagen#Unzureichender_Polizeieinsatz (Zugriff am 25.02.2023).
59Prenzel: Rostock-Lichtenhagen, S. 24.
60Vgl. Benjamin Unger: Zeitreise. Rostocker Polizeichef im Rotlicht-Strudel. In: NDR, 06.01.2023. https://www.ndr.de/geschichte/Zeitreise-Rostocker-Polizeichef-im-Rotlicht-Strudel,rostockerrotlicht100.html (Zugriff am 25.02.2023).
61Vgl. DER SPIEGEL: Polizei Tod im Bienenstock. In: DER SPIEGEL, Nr. 49⁄1994, 04.12.1994. https://www.spiegel.de/politik/tod-im-bienenstock-a-b43a33e1-0002–0001-0000–000013686169 (Zugriff am 25.02.2023).
62Hierzu zählt der „Pakt von Rostock“ mit einem selbsternannten Anführer des gewalttätigen Mobs, um auf dieser Grundlage den Rückzug der letzten Polizeieinheiten vor dem Wohnheim anzuordnen. Vgl. Diederichs: Das Polizeidebakel von Rostock.
63Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_in_Rostock-Lichtenhagen#Juristische_Aufarbeitung (Zugriff am 25.02.2023).
64Peter Gärtner: Urteile im Lichtenhagen-Prozess. In: Weser-Kurier, 18.06.2002 zit. nach Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen, S. 35–38, hier S. 38.
65Diese These ist nicht neu, sondern wurde bereits unmittelbar nach dem Pogrom diskutiert. Vgl. etwa das Kapitel „Rostock-Gate: Das politisch zugelassene und geförderte Pogrom?“ in Funke: Brandstifter, 103–177.
66Schmidt: Das Haus brennt!, 45:05–46:47; 51:20–54:28, hier 54:02.
67Beispielsweise listet Amazon im Februar 2023 unter der Buchrubrik „Terrorismus & Extremismus“ 127 Angebote zum Stichwort „NSU“ mit einer relativ hohen Trefferquote und nur drei Angebote zu Lichtenhagen, die sich aber allgemein mit Rechtsextremismus beschäftigen.
68Ein herausragendes Beispiel ist das dezentrale und interdisziplinäre Theaterprojekt „Kein Schlussstrich!“ mit einer angegliederten Ausstellung sowie einem umfangreichen Diskurs- und Rahmenprogramm, welches 2021 zum zehnjährigen Gedenken der Opfer der NSU-Morde von 18 Trägern in 15 Städten mit mehr als 700 Vorstellungen durchgeführt wurde. Eine zusammenfassende Übersicht findet sich hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistischer_Untergrund#Theater_und_Oper (Zugriff am 25.02.2023).
69Das Stück erwähnt zwar die anti-ziganistischen Angriffe auf die Roma-Familien in der ZAST, kann aber ihre Erfahrungen auch aus praktischen Gründen nicht repräsentieren, da ihr Verbleib durch Abschiebungen unklar war.
70Vgl. Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen, S. 40–41.
71Vgl. Figge, Maja: Rassistische Gewalt und ihre Rahmungen. Zur filmischen Erinnerung in Burhan Qurbanis WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation. 25,2 (2016), S. 37–54.
72Vgl. Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“: Kommentar zur NDR Sendung „Die Narbe“, 28.04.2022. https://gedenken-lichtenhagen.de/kommentar-die-narbe-ndr/ (Zugriff am 25.02.2023).
73Vgl. Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen, S. 43–44.
74Vgl. Guski: Nach Rostock-Lichtenhagen, S. 50; Tanja Thomas / Fabian Virchow: Hegemoniales Hören und Doing Memory an rechte Gewalt. Leviathan Sonderband 37 (2021), S. 205–226; Gudrun Heinrich: Rostock Lichtenhagen 1992–2017. Aufarbeitung und Erinnerung als Prozess der lokalen politischen Kultur. In: Martin Koschkar / Clara Ruvituso (Hrsg.): Politische Führung im Spiegel regionaler politischer Kultur. Wiesbaden: Springer VS 2018, S. 293–309.
75Hansestadt Rostock: Nichtoffener Kunstwettbewerb „Erinnern und Mahnen an Rostock-Lichtenhagen 1992“. 2016.
76Projektwebsite: www.rostock-lichtenhagen-1992.de (Zugriff am 25.02.2023).
77So Claudia Carla (Evangelischen Akademie der Nordkirche) und Lisa Radl (Stadtteilmanagerin Rostock-Lichtenhagen) in Heinrich-Böll-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern: Rostock-Lichtenhagen 1992: Gedenken im öffentlichen Raum, 0:50–1:03; 5:35–6:00. https://www.youtube.com/watch?v=wzVhWJUKZ74 (Zugriff am 25.02.2023).