Projekt MEGAVeranstaltungenVerein

Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=OsKbIHv6jOI

Dieses Jahr jährt sich das ras­sis­tische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 griffen hun­derte Rechtsextremist*innen unter dem Applaus tau­sender Schaulustiger zunächst die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende an, in der vor­rangig geflüchtete Rom*nja unter­ge­bracht waren. Nachdem diese in Sicherheit gebracht worden waren, rich­teten sich die gewalt­samen Ausschreitungen des Mobs gegen das Wohnheim ehe­ma­liger viet­na­me­si­scher Vertragsarbeiter*innen im „Sonnenblumenhaus“. 

Für ein mediales Erinnern und kol­lek­tives Gedenken an die Ereignisse und ins­be­sondere an die Opfer ras­sis­ti­scher und rechter Gewalt, das nicht aus domi­nanz­ge­sell­schaftlich geprägter Perspektive auf die mar­gi­na­li­sierten und von Rassismus betrof­fenen Communities blickt, möchten wir fol­gende Fragen stellen: Welche Perspektiven und Formen von Gedenken an das Pogrom exis­tieren in der viet­na­me­si­schen und in der Rom*nja Community? Welche gesell­schafts­po­li­ti­schen und künst­le­ri­schen Zugriffe gibt es auf das Pogrom und welche Räume werden den Betroffenenperspektiven gegeben? Welche gesell­schafts­po­li­tische Dimension nehmen diese Ereignisse in der Geschichte Deutschlands ein?

Anhand von zwei Kurzvorträgen sowie einem Diskussionspanel möchten wir wichtige Strategien post­mi­gran­ti­scher Erinnerungsarbeit sowohl aus wis­sen­schaft­licher Perspektive als auch aus der Perspektive von unter­schied­lichen Communities auf­zeigen. Zusammen mit Personen aus viet­na­me­si­schen und Rom*nja-Communities möchten wir die Möglichkeiten einer community-übergreifenden Erinnerungskultur als wider­ständige Praxis dis­ku­tieren und dabei auch auf mög­liche Differenzen und Unterschiede, aber auch Kontinuitäten in den Zugängen der ersten und zweiten Generation aus den betrof­fenen Communities auf Pogrom, Gedenken und Erinnerungspolitik eingehen.

Termin: 16.09.2022 (Freitag)
Einlass ab 18:00 h, Beginn um 18:30 h
Ort: Berlin, Adresse wird nach Anmeldung per Email mit­ge­teilt
Format: Hybrid-Veranstaltung, d.h. Präsenz sowie Live-Stream/Videoaufzeichnung
Link Youtube-Livestream:

Nur mit Anmeldung wegen limi­tierter Plätze.
Community-Veranstaltung für von Rassismus betroffene Menschen sowie Allies and Friends.

CORONA: Bitte macht einen tages­ak­tu­ellen Negativ-Test. Wir bitten Euch auch darum, in den Räumen Masken zu tragen.

PLÄTZE: BITTE BEACHTEN - Es gibt nur sehr limi­tierte Plätze in der Location. Falls mehr Menschen teil­nehmen möchten als es Plätze im Hauptraum gibt, werden wir die Möglichkeit nutzen, einen zweiten Raum vor Ort auf­zu­machen, in den die Talks und das Panel nur per Leinwand (Bild & Ton) über­tragen wird. 

PROGRAMM

Kurzvorträge

  • „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als insti­tu­tio­na­li­sierter Rassismus“,
    Dr. Kien Nghi Ha, Kultur- und Politikwissenschaftler, Uni Tübingen

Podiumsdiskussion

Moderation: Dr. Kimiko Suda, kori­en­tation e.V.

Zu den Referent*innen und Panelist*innen

Kenan Emini, Vorsitzender von Roma Center e.V., Gründung und Leitung des Roma Antidiscrimination Networks seit 2015 bun­desweit. Mitbegründer und stellv. Vorsitzender des Bundes Roma Verbandes, Dachorganisation der migran­ti­schen Roma in Deutschland. Recherchereisen zur Situation abge­scho­bener Roma, unter anderem in Serbien, Kosovo, Mazedonien, und geflüch­teter Roma aus der Ukraine in ver­schie­denen Ländern. Dokufilm „The Awakening“ über die Situation abge­scho­bener junger Roma in ver­schie­denen Ländern, von Abschiebung bedrohter junger Roma in Deutschland und Rechtsruck in Europa all­ge­meine Arbeit zu diesen Themen.

Kien Nghi Ha, pro­mo­vierter Kultur- und Politikwissenschaftler, lehrt und forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Zahlreiche Publikationen zu post­ko­lo­nialer Kritik, Rassismus und Migration. Zuletzt ist der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A 2012, 2021) erschienen. Seine Monografie Unrein und ver­mischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolo­nialen „Rassenbastarde“ (tran­script 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet.

Johann Henningsen ist freier Mitarbeiter im Rostocker Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Er koor­di­niert dort ein Forschungsprojekt zu den betrof­fenen Geflüchteten des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992. Das Dokumentationszentrum ist Teil von Soziale Bildung e.V. und arbeitet seit 2015 mit einem Archiv sowie Informations- und Vermittlungsangeboten zum ras­sis­ti­schen Pogrom in Lichtenhagen: lichtenhagen-1992.de

Mai-Phuong Kollath *1963 in Hanoi, Vietnam. 1981 kam sie als Vertragsarbeiterin in die DDR. In der Anfangszeit lebte sie im Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, das 1992 von einem ras­sis­ti­schen Mob ange­zündet wurde. Zu dieser Zeit lebte sie wei­terhin in Rostock und wurde Zeitzeugin des Pogroms und der ras­sis­ti­schen Stimmung nach der Wiedervereinigung. Die Diplom-Pädagogin leitete 16 Jahre haupt­amtlich die Migrationsberatungsstelle in Rostock und leistete aktive Vorstandsarbeit bei dem deutsch-vietnamesischen Verein Diên Hồng. Heute arbeitet sie als Coach, inter­kul­tu­relle Beraterin sowie Familientherapeutin in Berlin.

Magdalena Lovrić, Dipl. Pädagogin der Jugend-und Erwachsenenbildung. Seit den 1990ern in Rom*nja-Selbstorganisationen tätig. Gründete 2013 die Jugendtheatergruppe „So keres?“ in Berlin zur Reflexion der Verfolgungsgeschichte von Sintizze* und Romnja* aus der Perspektive des Überlebens und Widerstands sowie zum Empowerment junger Rom*nja. Referentin der his­to­risch poli­ti­schen Bildung zu Rassismus gegen Rom*nja im Kontext von Schule, Erinnerungskultur und sozialer Arbeit für Pädagog*innen der for­malen, non-formalen Bildung und Sozialer Dienste. Seit 2020 Projektkoordination im Förderprogramm Migration und Erinnerungskultur der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).

Dan Thy Nguyen ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger in Hamburg. Er arbeitete an diversen Produktionen u.a. im Ballhaus Naunynstraße, auf Kampnagel, dem Mousonturm Frankfurt, dem MDR und an der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. 2014 ent­wi­ckelte und pro­du­zierte er das Theaterstück „Sonnenblumenhaus“ über das Pogrom von Rostock ‑Lichtenhagen, welches 2015 in seiner Hörspielversion die „Hörnixe“ gewonnen hat und bis heute noch an diversen Institutionen gespielt wird. Seit 2020 leitet er mit seiner Produktionsfirma Studio Marshmallow das Hamburger Festival „fluc­to­plasma – 96h Kunst Diskurs Diversität“ und er ist stell­ver­tre­tender Vorstand der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg. 2021 erhielt er zusammen mit dem Gesamtensemble den Deutschen Hörspielpreis für seine schau­spie­le­rische Leistung.

Kimiko Suda arbeitet als Soziologin/Sinologin in den Bereichen Wissenschaft und politische/kulturelle Bildung in Berlin. Sie beschäftigt sich mit inter­sek­tio­nalen Aushandlungsprozessen und Widerstand im Kontext von Rassifizierung, Identität, sozialer Positionierung, Repräsentation und Macht. Kollektives Erinnern begreift sie als poli­tische Praxis und Intervention. Sie ist seit 2009 in unter­schied­lichen Funktionen (Vorstand, Ko-Leitung Filmfestival, Referentin, Ehrenamt) für den Verein kori­en­tation e.V. tätig.

Kooperationspartner

Die Berliner Landeszentrale für poli­tische Bildung ist eine staat­liche über­par­tei­liche Bildungseinrichtung. Unsere Angebote zu Demokratieförderung, poli­ti­scher Teilhabe und poli­ti­scher Bildung richten sich an alle Berlinerinnen und Berliner. Wir ermuntern dazu, die eigenen Interessen aktiv in demo­kra­tische Entscheidungsprozesse ein­zu­bringen. „ver­stehen | betei­ligen | ver­ändern

Dies ist eine Veranstaltung des kori­en­tation e.V. in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für Politische Bildung.

Die Veranstaltung wird im Rahmen des Modellprojektes MEGA durch das BMFSFJ im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert.

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kori­en­tation unter­stützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages orga­ni­siert hat. Die zen­trale Veranstaltung war die bun­des­weite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo. Im Folgenden unser Redebeitrag.

Wir sprechen für kori­en­tation, einer post/migrantischen Selbstorganisation und einem Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven aus Berlin.  

Wir soli­da­ri­sieren uns mit den Betroffenen des Pogroms, mit den viet­na­me­si­schen / viet-deutschen Communities, mit den Rom*nja-Communities, mit allen Betroffenen ras­sis­ti­scher und rechter Gewalt.

In unserem Verein sind Menschen mit unter­schied­lichen Geschichten aus Asiatisch-Deutschen Communities. Uns eint, dass wir als asia­tisch mar­kierte Menschen in Deutschland leben und spe­zi­fische Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen teilen. Viele unserer Eltern sind als „Gast-“ oder Vertragsarbeiter*innen nach Deutschland gekommen, viele als Geflüchtete. Einige von uns lebten als Kinder in Wohnheimen, Geflüchtetenunterkünften. Wenn wir die Bilder des grö­lenden, hass­erfüllten Mobs das bren­nende Sonnenblumenhaus stürmen sehen und die Tausenden Beifall klat­schenden Bürger*innen vor dem Haus, berührt uns das direkt. 

Das hätten auch wir sein können.

Die Menschen im Sonnenblumenhaus vor 30 Jahren, die um ihr Leben bangten, hätten auch unsere Eltern sein können, unsere Onkels und Tanten, Cousinen, Brüder, Schwestern.

Wir erinnern an die tage­lange extreme Gewalt, an die Todesängste der Betroffenen ange­sichts des ras­sis­ti­schen Mobs, denen sie nach dem Rückzug der Polizei aus­ge­liefert waren. Bis heute gab es keine offi­zielle Entschuldigung oder Wiedergutmachung.

Wir erinnern auch an den Widerstand und Mut der viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiter*innen, die sich mit Holzstangen gegen die ein­ge­drun­genen rechten Gewalttäter ver­tei­digten und einen Weg fanden, um sich gemeinsam übers Dach ins Nachbargebäude zu retten.

Ein post­mi­gran­ti­sches, nicht-hegemoniales Erinnern muss die Überlebenden und Betroffenen von Rassismus und rechter Gewalt wür­digen und erinnern. Die Betroffenen und ihre Perspektiven tauchen in den domi­nanten, täter­zen­trierten Erinnerungsdiskursen nicht auf. Die Betroffenen werden nicht gehört und beteiligt, schlicht und einfach ver­gessen. Beispiel hierfür ist die Gestaltung des Mahnmals an das Pogrom der Stadt Rostock im Jahr 2017.

Ein Erinnern, das auf Veränderung zielt, muss die Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit Rassismus in der deut­schen Gesellschaft ein­fordern, der struk­turell und insti­tu­tionell his­to­risch ver­ankert ist und bis in die Gegenwart fortwirkt.

Anti-asiatischer Rassismus, his­to­rische Kontinuitäten 

Anti-asiatischer Rassismus ist in Deutschland schließlich kein neues Phänomen, sondern eta­blierte sich spä­testens mit der deut­schen Kolonialisierung chi­ne­si­scher und pazi­fi­scher Gebiete im 19. Jh. auf der struk­tu­rellen und insti­tu­tio­nellen Ebene.

Daher stellt Rostock-Lichtenhagen keinen Einzelfall dar, sondern einen tra­gi­schen Höhepunkt von anti-asiatischem Rassismus in Deutschland. Der wurde nicht benannt, nicht auf­ge­ar­beitet, insti­tu­tionell negiert und unsichtbar gemacht. Dies gilt auch für den mas­siven Rassismus gegen die geflüch­teten Rom*nja. 

Auch die Ermordung etwa von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân 1980 in Hamburg, Phan Văn Toản 1997 in Fredersdorf, Pham Duy-Doan 2011 in Neuss und die Vergewaltigung sowie der Mord von Li Yangjie 2016 in Dessau ver­weisen auf his­to­rische Zusammenhänge, die bis in die Gegenwart reichen. Erst vor kurzem hat der mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 auf­flam­mende anti-asiatische Rassismus gezeigt, wie schnell kolo­ni­al­ras­sis­tische Stereotypen und Feindbilder in Medien, Politik und breiten Gesellschaftsschichten akti­viert werden und in ras­sis­tische Übergriffe in der Öffentlichkeit münden.

Cross-Community Solidaritäten und Gedenken

Unser Engagement gegen anti-asiatischen Rassismus ist grund­legend mit anti-rassistischen Kämpfen und his­to­ri­schen Erfahrungen von anderen Communities of Color verbunden.

Dazu gehört bei­spiels­weise die Auseinandersetzung mit dem NSU-Terror, dem Anschlag von Hanau oder der Support für die Black Lives Matter-Bewegung. 

Dazu gehört auch die gegen­seitige Solidarisierung und die Notwendigkeit von Cross-Community-Allianzen im Gedenken und in der Aufarbeitung der Vielzahl von unauf­ge­ar­bei­teten, ver­ges­senen Fällen.

Wir ver­weisen auf die wichtige Arbeit von Gedenkinitiativen. Das Handeln von zivil­ge­sell­schaft­lichen Akteur*innen, das Handeln von post/migrantischen Selbstorganisationen ist uner­setzlich, um poli­ti­schen Druck auf staat­liche Institutionen zu erzeugen.

Es geht darum, den Ermordeten und Hinterbliebenen zu sozialer Gerechtigkeit zu verhelfen.

Es geht darum, weitere Gewalt gegen People of Color und mar­gi­na­li­sierte soziale Gruppen in Deutschland zu verhindern.

Es geht darum, für unsere eigene Zukunft, unsere eigene Sicherheit und Gleichberechtigung in diesem Land zu kämpfen.

Forderungen

  • Wir unter­stützen die Forderungen des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992.
  • Wir fordern die deutsche Regierung auf, anti-asiatischen Rassismus in natio­nalen Aktions- und Maßnahmenplänen gegen Rassismus neben anderen Rassismen und Diskriminierungsformen anzuerkennen. 
  • Wir fordern eine multi-perspektivische Erinnerungspolitik.
  • Wir fordern eine Wiedergutmachung in Form einer ange­mes­senen Entschädigung der Betroffenen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen.
  • Aus aktu­ellem Anlass machen wir auf die dro­hende Abschiebung des ehe­ma­ligen viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiters Pham Phi Son auf­merksam, der mit seiner Familie in Chemnitz wohnt. Er kam 1987 nach Deutschland und lebt seit 35 Jahren in Sachsen! Die Stadt plant seine Abschiebung. Unterschreibt die Petition an den Sächsischen Landtag. Wir fordern die unbe­fristete Niederlassungserlaubnis für Pham Phi Son!
    (https://www.openpetition.de/petition/online/nach-35-jahren-in-sachsen-familie-pham-nguyen-muss-bleiben)

„Antirassistisches / (post)migrantisches Erinnern heißt
politisch/kollektiv inter­ve­nieren
und Gesellschaft verändern!“

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kori­en­tation unter­stützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages orga­ni­siert. Die zen­trale Veranstaltung wird die bun­des­weite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen sein. Wir betei­ligen uns an der Demo mit einem Redebeitrag vor Ort und rufen auch alle Asiatisch-Deutschen Communities, Gruppen, Inis dazu auf, daran teilzunehmen.

Dokumentation der Demo

Redebeiträge

Alle Redebeiträge sind auf der Webseite des Bündnisses doku­men­tiert: https://gedenken-lichtenhagen.de/demo/redebeitrage/

Video

Videodokumentation der Demo am 27.08.2022 von Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992.

DEMO AUFRUF

Wir ver­öf­fent­lichen an dieser Stelle die Demo-Aufrufe des Bündnisses auf Deutsch, Englisch, Vietnamesisch. Mehr Sprachen siehe Bündnis-Webseite: https://gedenken-lichtenhagen.de

Damals wie heute: Erinnern heißt verändern!

Großdemo am 27. August 2022 – 14 Uhr – Rostock-Lichtenhagen

30 Jahre nach dem ras­sis­ti­schen Pogrom werden wir am 27. August 2022 gemeinsam in Rostock-Lichtenhagen auf die Straße gehen. Denn ras­sis­tische Gewalt und insti­tu­tio­neller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand. Dem Erinnern muss ein Handeln folgen.

Wir fordern:
Den Angriff in Lichtenhagen 1992 als rassistisches Pogrom benennen!

Rostock im August 1992. Im Stadtteil Lichtenhagen werden über drei Tage hinweg Geflüchtete und ehe­malige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam ange­griffen. Die Polizei schreitet gegen den zeit­weise aus meh­reren tausend Menschen bestehenden Mob kaum ein und zieht sich schließlich ganz zurück. Die Angreifer:innen werfen dar­aufhin Brandsätze in das Haus. Mehr als 120 Menschen retten sich über das Dach des Gebäudes. Bis heute scheut sich die Hansestadt Rostock dieses Pogrom klar als solches zu benennen.

Wir fordern:
Rassistische Gewalt benennen und bekämpfen!

Das bren­nende Sonnenblumenhaus ist bis heute ein Symbol rechter Gewalt. Aber nicht nur hier und nicht nur 1992 werden unzählige Menschen durch rechte und ras­sis­tische Gewalt ver­letzt, getötet und trau­ma­ti­siert – Lichtenhagen war und ist kein Einzelfall.

Wir fordern:
Abschiebestopp und Bleiberecht für Rom:nja und alle Betroffenen rassistischer Gewalt!

Dem Pogrom in Lichtenhagen vor­aus­ge­gangen ist eine jah­re­lange Kampagne zur Verschärfung des Asylrechts durch kon­ser­vative Parteien. Im Nachgang des Ereignisses gab es für Asylsuchende keinen bes­seren Schutz, sondern Abschiebungen und Lagerunterbringung. Die Asylgesetzverschärfungen trafen wie die ras­sis­tische Debatte im Vorfeld besonders Rom:nja. Die betrof­fenen ehe­ma­ligen „Vertragsarbeiter:innen“ führten wie viele ihrer ehe­ma­ligen Kolleg:innen jah­re­lange Kämpfe um ihr Bleiberecht.

Wir fordern:
Dezentrale Unterbringung jetzt! Auflösung der Aufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst und aller Sammellager!

Wenige Monate nach dem Pogrom, im April 1993, wird das Aufnahmelager Nostorf-Horst errichtet. Statt Geflüchtete vor rechter Gewalt zu schützen, werden sie fortan im Wald iso­liert. Weitab von Einkaufsmöglichkeiten und anderer Infrastruktur leben hier seitdem Menschen für Monate oder Jahre. Das Lager in Nostorf-Horst kann als Prototyp der Erstaufnahmeeinrichtungen ver­standen werden, aus denen Geflüchtete direkt abge­schoben werden können.

Wir fordern:
Perspektiven und Forderungen Betroffener in den Mittelpunkt stellen!

Gegen rechte Gewalt und staat­lichen Rassismus kämpfen seit Jahrzehnten viele Menschen, zum Beispiel in migran­ti­schen Selbstorganisationen, als Antifas oder in lokalen Gedenkinitiativen. Dabei ist ein selbst­be­stimmtes Gedenken Betroffener wichtige Voraussetzung für Aufarbeitung und Erinnerung.

Wir fordern:
Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg!

Der Kampf gegen Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus darf sich nicht auf ein­zelne Jahrestage beschränken. Rostock wurde etwa zehn Jahre nach dem Pogrom auch Schauplatz eines NSU-Mordes. Die Verstrickungen des NSU in MV sind bis heute unzu­rei­chend auf­ge­ar­beitet. Das Gedenken muss mehr sein als ein kurzes Innehalten. Erinnerung braucht Räume, Orte und Widerstand. Wir müssen uns der Namen der Opfer erinnern.

Wir werden in Lichtenhagen gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung auf die Straße gehen. Wie es die Aktivist:innen in Hanau for­mu­lieren:
Erinnern heißt verändern!

Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992

Then as now: Remembering means changing

Demonstration on August 27, 2022, 2 p.m. in Rostock-Lichtenhagen

On August 27th we will take the streets tog­ether to take a stand against racism in Rostock and against oppression ever­y­where. We remember the racist pogrom that took place in Rostock-Lichtenhagen in 1992. We want to overcome racism that still exists today. We are con­vinced that tog­ether we can change our society for the better.

Our alliance was founded to com­me­morate the pogrom in Rostock-Lichtenhagen in 1992. Among other things, we organize events on various aspects of this nati­onwide demonstration.

With the demons­tration we demand from politics:

Name and fight racist violence!

The burning „sun­flower house“ is still a symbol of right-wing vio­lence in Germany. But it is not only here and not only in 1992 that countless people are injured, killed and trau­ma­tized by right-wing and racist vio­lence – Lichtenhagen was and is not an iso­lated case.

Clearly name the attack in Lichtenhagen in 1992 as a racist pogrom!

Rostock in August 1992. In the Lichtenhagen dis­trict, refugees and former con­tract workers from Vietnam were attacked for three days. The state government and the police did not intervene. It is important to clearly name this state racism with the term „pogrom“.

Stop deportation and right to stay for Romany People and all those affected by racist violence!

From 1992 to the present, con­ser­vative parties use racial pre­judice to tighten laws against asylum seekers. Many of those, who were affected by Lichtenhagen, were either deported or had to fight for years for a right to stay.

Decentralized housing now! Abolish the reception facility in Nostorf-Horst and all collective Refugee camps!

Horst existes since Lichtenhagen. Far away from shops and other infra­structure, people live here for months or years. The Refugee camp in Nostorf-Horst is one of many coll­ective camps. Collection camps are not good places to live, the­r­efore: Apartments for everyone!

Focus on the perspectives and demands of those affected by racism!

Many people have been fighting against right-wing vio­lence and state racism for decades. It is important that those who expe­rience racism every day help shape the com­me­mo­ration in a self-determined manner. This is an important pre­re­quisite for pro­cessing and remembering.

Rename Neudierkower Weg in Toitenwinkel into Mehmet-Turgut-Weg!

About ten years after the pogrom, Rostock was also the scene of a murder by the ter­rorist group NSU. To remember that Mehmet Turgut was part of the Rostock city society, the path at the memorial should be named after him.

The alliance „Remembrance of the Pogrom. Lichtenhagen 1992.

Ngày ấy cũng như ngày nay: Tưởng nhớ có nghĩa là thay đổi

Biểu tình ngày 27 tháng 8 năm 2022, lúc 14 giờ tại Lichtenhagen, Rostock.

Ngày 27 tháng 8 năm 2022, chúng ta sẽ cùng xuống đường biểu tình chống lại nạn phân biệt chủng tộc tại Rostock và chống lại sự đàn áp ở khắp nơi. Chúng ta tưởng nhớ về bạo động phân biệt chủng tộc đã xảy ra vào năm 1992 tại Lichtenhagen. Phân biệt chủng tộc vẫn đang tồn tại. Hãy cùng nhau chấm dứt phân biệt chủng tộc. Chúng tôi tin rằng, chúng ta có thể cùng nhau thay đổi cho một xã hội tốt đẹp hơn.

Liên hiệp chúng tôi đã được lập ra để tưởng niệm vụ bạo động phân biệt chủng tộc tại Lichtenhagen năm 1992. Chúng tôi tổ chức nhiều sự kiện với nhiều khía cạnh khác nhau và cuộc biểu tình toàn liên bang này là một trong các chương trình đó.

Với cuộc biểu tình này chúng tôi yêu cầu các chính trị gia:

Nêu tên và đấu tranh chống Bạo lực phân biệt chủng tộc!

Hình ảnh khu nhà Ba hoa bị cháy vẫn là một biểu tượng của bạo lực cánh hữu cho đến nay. Tuy nhiên không chỉ ở nơi đây và không chỉ năm 1992, vẫn còn rất nhiều người bị thương, bị giết chết và bị ám ảnh bởi bạo lực cánh hữu và phân biệt chủng tộc – Lichtenhagen đã và hiện nay cũng không phải là trường hợp duy nhất.

Gọi tên vụ tấn công tại Lichterhagen năm 1992 rõ ràng là bạo lực phân biệt chủng tộc!

Rostock vào tháng 8 năm 1992. Tại Lichtenhagen, những người tị nạn và những người hợp tác lao động Việt Nam bị tấn công 3 ngày dài. Chính quyền bang và cảnh sát đã không can thiệp. Việc nêu tên phân biệt chủng tộc mang tính nhà nước này bằng khái niệm rõ ràng “bạo lực phận phân biệt chủng tộc” (Pogrom) là rất quan trọng.

Dừng việc trục xuất và quyền được ở lại cho người Romn:ja và tất cả những người bị ảnh hưởng bởi bạo lực phân biệt chủng tộc!

Từ năm 1992 cho đến nay các đảng bảo thủ sử dụng những định kiến mang tính phân biệt chủng tộc, để tăng cường các điều luật chống lại người xin tị nạn. Những người bị ảnh hưởng đến bởi Lichtenhagen một số đã bị trục xuất hoặc đã phải đấu tranh nhiều năm trời cho quyền được ở lại.

Cư trú phi tập trung cho những người xin tị nạn ngay lập tức! Giải thể cơ sở tiếp nhận người tị nạn tại Nostorf-Horst và tất cả những nơi cư trú tập trung!

Từ vụ Lichtenhagen bây giờ có Horst. Những người tị nạn sống ở đây cách xa những nơi có thể mua sắm và cơ sở hạ tầng khác trong vài tháng hay vài năm. Nostorf-Horst là một trong số nhiều những nơi ở tập trung. Nơi ở tập trung không là chỗ ở tốt, vì vậy yêu cầu: Căn hộ chung cư cho tất cả mọi người!

Đặt trọng tâm vào những quan điểm và yêu cầu của những người bị ảnh hưởng của phân biệt chủng tộc!

Từ vài thập kỉ nay đã có nhiều người đấu tranh chống lại bạo lực cánh hữu và phân biệt chủng tộc mang tính nhà nước. Quan trọng là những người cảm nhận phân biệt chủng tộc hàng ngày tự quyết định cùng kiến tạo và thực hiện việc tưởng nhớ. Đó là một tiền đề quan trọng để nhìn lại, phân tích, xử lý những trải nghiệm và tưởng nhớ

Đổi tên đường Neudierkower Weg thành Mehmet-Turgut-Weg tại Toitenwinkel để nhắc nhở chúng ta về Mehmet Turgut!

Khoảng 10 năm sau vụ bạo động phân biệt chủng tộc, Rostock cũng đã trở thành hiện trường của một vụ giết người bởi nhóm khủng bố NSU. Để tưởng nhớ việc Mehmet Turgut là một phần của dân thành phố Rostock, đường đi qua tượng tưởng niệm của anh nên được đặt theo Mehmet Turgut.

Liên hiệp „Tưởng nhớ về bạo động phân biệt chủng tộc. Lichtenhagen năm 1992.

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Zwischen dem 22. und 26. August 1992 griffen bis zu Tausend Rechtsextremist*innen zunächst die Zentrale Aufnahmestelle (ZAST) für Asylsuchende an, in der sich vor allem geflüchtete Rom*nja-Familien auf­hielten. Nach der Räumung der ZAST ver­la­gerte sich das Pogrom auf ein Wohnheim für ehe­malige viet­na­me­sische Vertragsarbeiter*innen, das am Abend des 24. August in Brand gesetzt wurde. Die etwa 115 Vietnames*innen, dar­unter Kleinkinder und Hochschwangere, konnten sich zusammen mit einem ZDF-Fernsehteam und dem Rostocker Ausländerbeauftragten mit knapper Not vor dem Tod durch Rauchvergiftung in ein Nachbargebäude retten. Zum Höhepunkt des Pogroms herrschte eine volks­fest­artige Stimmung mit rasch auf­ge­bauten Bier- und Imbissbuden. Bis zu 3.000 Schaulustige beju­belten die ras­sis­tische Gewalt und feu­erten die bun­desweit ange­reisten Täter*innen an. Während die Angegriffenen in der Folgezeit fast alle abge­schoben wurden und die ZAST dau­erhaft geschlossen blieb, verlief die poli­tische Aufarbeitung und straf­recht­liche Verfolgung sehr schleppend. Da während des Pogroms nur wenige beweis­si­chernde Festnahmen erfolgten, wurden am Ende nur 40 Täter*innen meist zu geringen Geld- und Bewährungsstrafen ver­ur­teilt. Am 6. Dezember 1992 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD das Grundrecht auf Asyl stark einzuschränken.

Anlässlich der Jährung des ras­sis­ti­schen Pogroms von Rostock-Lichtenhagen ver­öf­fent­lichen wir ein Interview mit unserem Mitglied Kien Nghi Ha, das Katharina Dehn von den neuen deut­schen orga­ni­sa­tionen geführt hat. Siehe Originalbeitrag unter: https://neuedeutsche.org/de/artikel/rostock-lichtenhagen-war-fuer-mich-ein-erneuter-zivilisationsbruch

Kien Nghi Ha im Interview am 24.08.2020 mit Katharina Dehn (ndo)

Was sind deine Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen und die Zeit davor und danach?

Ich lebte damals als junger Student der Politikwissenschaft in Berlin und mit der Zeit machte ich mir immer weniger Illusionen über die deutsche Gesellschaft. Ich wuchs eigentlich mit dem Wunsch auf, aner­kannter Teil der deut­schen Gesellschaft zu sein und wollte wie viele Menschen of Color einfach wie selbst­ver­ständlich dazu gehören. Ich wollte Deutschland gerne haben und hier ent­spannt leben.

Aber das Pogrom gegen die viet­na­me­sische Community in Rostock-Lichtenhagen geschah ja nicht im gesell­schaft­lichem und poli­ti­schem Vakuum. Je natio­na­lis­ti­scher der deutsche Wiedervereinigungsprozess eska­lierte und je stärker die ras­sis­ti­schen Exzesse in den Parlamentsdebatten und die auf­het­zende Medienberichterstattung über die angeb­liche „Asylantenflut“ wurden, desto wach­samer und poli­ti­scher wurde ich. Ich habe in dieser Zeit so viel über die Weiße deutsche Gesellschaft gelernt und hatte das Gefühl, erstmals hinter die Maske der liberal-bürgerlichen Idylle zu blicken. Was ich dann in Rostock-Lichtenhagen unge­schminkt sah, war ein ras­sis­ti­scher Abgrund, der blanke Horror. So viel mas­sen­hafter dumpfer Hass gepaart mit dem selbst­ver­liebten Selbstbild als auf­ge­klärte Nation der Dichter, Denker und Biertrinker. Die live im Fernsehen über­tra­genen Bilder von dem bren­nenden Sonnenblumenhaus, das tagelang wie bei einer mit­tel­al­ter­lichen Belagerung sturmreif ange­griffen wurde, waren einfach unfassbar: Es sprengte alles, was ich mir bis dahin vor­stellen konnte im modernen, angeblich so zivi­li­sierten und demokratisch-rechtsstaatlichen Deutschland. Rostock-Lichtenhagen war für mich ein erneuter Zivilisationsbruch! Meine Gefühle waren eine bizarre und wider­sprüch­liche Mischung aus abso­luten Unglauben, Entsetzen, Abscheu, Wut, Trauer, Hilfslosigkeit und Trotz. In der unmit­tel­baren Situation wusste ich mir nicht besser zu helfen als einen Leserbrief an die taz zu schreiben.

Was ich in diesen Jahren eben­falls erlebte und was mich bis heute prägt, war aber auch die Erfahrung in migran­ti­schen, anti­ras­sis­ti­schen Zirkeln von People of Color, dass selbst­or­ga­ni­sierter Widerstand möglich ist, dass wir soli­da­rische Strukturen auf­bauen können und trotz unserer beschränkten Mittel nicht wehrlos sind.

Sonnenblumenhaus in der Mecklenburger Allee 19 ©KNH 2012
Haben die rassistischen Angriffe von Rostock-Lichtenhagen dich geprägt? Wenn ja, wie?

Die Bilder des Pogroms, das Wissen, wie der Staat und seine Institutionen darauf reagierten bzw. eher nicht reagierten, haben mein Deutschlandbild grund­sätzlich in Frage gestellt. Bereits zu wissen, dass Rostock-Lichtenhagen möglich war und ein neues ras­sis­ti­sches Pogrom jederzeit und überall in Deutschland möglich ist, ver­än­derte die Art und Weise, wie ich mich in Deutschland bewege, fühle und lebe. Ich stellte mir Fragen und schlug mich mit Unsicherheiten und Zweifeln herum, die ich früher nicht hatte. Wo war es noch sicher, wohin konnte ich gehen und wenn ja, wann? Ich machte mir natürlich auch Sorgen um meine Familie und Freund*innen, weil es ja offen­sichtlich war, dass die ras­sis­tische Gewalt all­ge­gen­wärtig ist und wir jederzeit damit rechnen müssen.

Welches Bild von der Polizei hat sich damals für dich ergeben?

Rostock-Lichtenhagen war möglich, weil die regie­rende poli­tische Elite und eine Vielzahl der demo­kra­tisch gewählten Volksvertreter*innen nicht nur kom­plett ver­sagten, sondern ihre dis­kri­mi­nie­renden und unbarm­her­zigen Attacken gegen das Grundrecht auf Asyl einen ras­sis­ti­schen Flächenbrand ent­zün­deten. Die Polizei – wie viele andere staat­liche Institutionen – gaben während des Pogroms ein jäm­mer­liches Bild ab, weil sie so offen­sichtlich hilflos, ori­en­tie­rungslos und kopflos agierte und ihre kom­plette Überforderung die ras­sis­tische Gewalt nicht nur zuließ, sondern auch befeuerte. Trotz wie­der­holter Anforderungen wurden die Einsatzkräfte vom zustän­digen Innenministerium mit viel zu wenig Personal aus­ge­stattet, und es gibt ernst­zu­neh­mende Indizien, dass chao­tische Zustände durchaus ins poli­tische Kalkül passten, um den par­la­men­ta­ri­schen Restwiderstand gegen eine de facto Abschaffung des Asylgrundrechts in der Verfassung zu brechen. 

Gegenwärtig wird das Thema Polizeigewalt und Racial Profiling diskutiert. Was ist dein Wunsch an die Politik und die Polizei heute?

Wir brauchen wis­sen­schaft­liche Studien über das Ausmaß von Racial Profiling nicht nur in der Polizeiarbeit, sondern in allen staat­lichen Institutionen und Verwaltungen. Wie Polizist*innen treffen auch Mitarbeiter*innen in Behörden wie der Arbeitsagentur oder dem Bundesamt für Migration und Integration Entscheidungen, die das Leben von Menschen of Color und Geflüchteten massiv beein­flussen. Daher müssen wir sicher­stellen oder zumindest alle erdenk­lichen Mittel ein­setzen, um den Einfluss von ras­sis­ti­schen Diskriminierungen und Vorurteilen in der öffent­lichen Daseinsfürsorge mög­lichst aus­zu­schließen oder min­destens zu mini­mieren. Dass aber bereits die Zweckmäßigkeit und Legitimität solcher Studien vom Bundesinnenministerium irra­tio­naler Weise ver­neint wird, beweist nur erneut, dass insti­tu­tio­neller Rassismus real exis­tiert. Solche Studien wären auch sinnvoll, um bereits lau­fende Maßnahmen wie Antidiskriminierungstraining und Vermittlung von Diversitätskompetenz ziel­ge­rich­teter und effek­tiver zu machen. Auch muss unver­züglich eine wirklich unab­hängige wie unpar­tei­ische Instanz mit weit­rei­chenden Befugnissen ein­ge­richtet werden, um Beschwerden gegen Polizeiübergriffe und Racial Profiling effektiv auf­zu­klären und ggf. straf­recht­liche Konsequenzen ein­zu­leiten. So weiter zu machen wie bisher macht absolut keinen Sinn, da die Polizei solche Ermittlungen selbst kon­trol­liert. Daher müsste die Arbeit einer neu ein­zu­rich­tenden Ermittlungsinstanz nach dem Beispiel des Rundfunkrats der öffentlich-rechtlichen Medien von einem Gremium kon­trol­liert werden, in dem zivil­ge­sell­schaft­liche Akteure wie Gewerkschaften, Kirchen, Frauenverbände und natürlich auch Migrant*innenselbstorganisationen pari­tä­tisch ver­treten sind.

Wie hast du die damalige mediale Berichterstattung erlebt? Wie schätzt du die mediale Berichterstattung in Bezug auf rassistische Gewalt heute ein? Hat sich aus deiner Sicht etwas verändert? Was muss sich verbessern?

Wie wis­sen­schaft­liche Fallstudien belegen, war die mediale Berichterstattung in den 1990er Jahren in diesem Diskursfeld nicht nur defi­zitär und ein­seitig, sondern zum Teil auch vor­ur­teils­be­lastet und dis­kri­mi­nie­rungs­för­dernd, so dass diese Epoche auch bran­chen­intern nicht als Ruhmesblatt in Erinnerung geblieben ist. Verglichen mit diesem jour­na­lis­ti­schen Tiefstand sieht die mediale Berichterstattung heute zum Teil besser aus, aber um wirklich belastbare und dif­fe­ren­zierte Aussagen zu machen, müssten wir fall- und auch immer kon­text­ab­hängig ana­ly­sieren. Dass es par­tielle Lernprozesse in den deut­schen Redaktionen gegeben hat, liegt auch an der Kritik von post­mi­gran­ti­schen Initiativen wie den „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“. Auch die viel­fäl­tigen Gegennarrationen etwa von People of Color-Initiativen und anti­ras­sis­ti­schen Organisationen, aber auch von Einzelpersonen in den unter­schied­lichsten Formaten im Internet spielen eine Rolle, da sie das Informationsmonopol der eta­blierten Medienhäuser auf­brechen. Im Asiatisch[1]-dia­spo­ri­schen Kontext in Deutschland sind mit Organisationen wie „kori­en­tation – Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven“ auch neue Strukturen ent­standen, die eine Plattform für kultur- und medi­en­kri­tische Arbeit etwa zum aktuell viru­lenten Corona-Rassismus gegen Asiatisch mar­kierte Menschen bildet.

Wie sollte die Gesellschaft mit den rassistischen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen umgehen? Was wurde versäumt? Was vermisst oder forderst du? Gibt es irgendetwas Positives, dass du hervorheben möchtest?

In Zeiten, wo kul­tu­relle Dekolonialisierung und die breitere Auseinandersetzung mit insti­tu­tio­nellem Rassismus auf der Tagesagenda steht, wäre es für alle an der Zeit zur Kenntnis zu nehmen, wie unver­ant­wortlich und sträflich ver­nach­läs­sigend die offi­zielle Erinnerungskultur mit dem Gedenken an Rostock-Lichtenhagen immer noch umgeht. Es ist ein böser Witz, wenn Medien und staat­liche Repräsentant*innen 2012 zum 20. Jahrestag erst­malig ein wahr­nehm­bares offi­zi­elles Gedenken insze­nieren, wo Vertreter*innen der lokalen viet­na­me­si­schen Community erst im letzten Moment herbei gekarrt werden, um dann gänzlich stumm als schmü­ckendes Beiwerk zu fun­gieren. So ver­kommt das leere und dis­kri­mi­na­to­rische Gedenken, wo die Betroffenen nicht mal in der Vorbereitungsarbeit ein­be­zogen werden, zu einem bloß sym­bo­li­schen Ritual der poli­ti­schen Entlastung. Damit wird poli­tische Verantwortung nicht über­nommen, sondern abge­führt mit dem Verweis „Wir haben was gemacht“. Statt auf den 30. Jahrestag zu warten, müsste das Gedenken in Form einer kon­ti­nu­ier­lichen Bildungs- und Erinnerungsarbeit erfolgen, die über die historisch-kulturellen Voraussetzungen, den kon­kreten Tatablauf sowie die poli­ti­schen und gesell­schaft­lichen Kurz- und Langzeitfolgen des größten Pogroms seit 1945 in Deutschland auf­klärt. Das kann nur eine museale Institution mit Dauerausstellung, beglei­tenden Seminaren und Diskussionen zu ver­wandten Themen wie etwa struk­tu­reller Rassismus in der offi­zi­ellen Erinnerungskultur: Warum gibt es auch nach 40 Jahren immer noch keinen ein­zigen offi­zi­ellen Gedenkort oder Straßennamen für Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu, die am 22. August 1980 in Hamburg von orga­ni­sierten Rechtsextremist*innen ermordet wurden? Sie gelten als die ersten gerichtlich doku­men­tierten ras­sis­ti­schen Mordopfer in der BRD seit 1945. Aber um mit einer posi­tiven Nachricht zu schließen: Erstmalig wird Ende August 2020 die aus Privatpersonen bestehende „Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân“ auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf einen Gedenkstein ein­weihen, da ihre Gräber dort bereits auf­gelöst wurden.

Kien Nghi Ha, pro­mo­vierter Kultur- und Politikwissenschaftler, arbeitet als Publizist und Dozent in Berlin. Seine Monografie Unrein und ver­mischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolo­nialen „Rassenbastarde“ (tran­script 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 aus­ge­zeichnet. Im Herbst 2020 gibt er die erwei­terte Neuauflage von Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A) heraus. Er ist auch Mitherausgeber von re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland (Unrast 2007).


[1] Wie bei Schwarz deutet die Großschreibung von Asiatisch an, dass es in diesem Fall nicht als Adjektiv zur regio­nalen Herkunftsbezeichnung benutzt wird, sondern kul­tu­relle Identitätskonstruktionen bezeichnet. Diese sind wie alle Identitäten umkämpft und wider­sprüchlich, da sowohl Praktiken der Selbstbezeichnung als auch Prozesse des Fremdwahrnehmung und des Otherings einfließen.