Gedenkinitiative Phan Văn Toàn

Am 31. Januar 1997 wird Phan Văn Toàn aus ras­sis­ti­scher Motivation ange­griffen und stirbt drei Monate später, am 30. April 1997, an den direkten Folgen des Angriffs. Nach einer ersten Gedenkkundgebung im Januar 2021 gründete eine Gruppe von enga­gierten Personen eine Gedenkinitiative, die das Ziel hat, wür­devoll an Phan Văn Toàn zu erinnern und in Fredersdorf (bei Berlin) auf die Tat auf­merksam zu machen.

kori­en­tation ist eins von meh­reren Mitgliedern der Gedenkinitiative und unter­stützt die Gedenkarbeit auf unter­schied­lichen Ebenen (hierzu auch Artikel von Mitglied Kimiko Suda). kori­en­tation ist also nicht Träger der Gedenkinitiative, sondern durch die Mitwirkung ver­schie­dener Personen in ihr ver­treten. Vor diesem Hintergrund infor­mieren wir auf dieser Webseite über die Gedenkinitiative, die Hintergründe der Tat und den Menschen Phan Văn Toàn.

Gedenken

Am 31. Januar 2021 fand in Fredersdorf (bei Berlin) eine erste Gedenkkundgebung für Phan Văn Toàn statt. Die Kundgebung wurde von der VVN BdA Märkisch-Oderland (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen) und der ehren­amt­lichen Beratungsgruppe für Opfer rechter Gewalt (BOrG) Märkisch-Oderland organisiert.

Um wei­terhin und aus­führ­licher und com­mu­ni­ty­be­zogen an Phan Văn Toàn zu erinnern, gründete sich im Nachgang dieser Kundgebung eine Gedenkinitiative aus Aktivist*innen der orga­ni­sie­renden Gruppen und wei­teren inter­es­sierten Einzelpersonen aus der Umgebung. Wenig später wurde kori­en­tation über die Initiative infor­miert und betei­ligte sich.

Foto: privat – Kundgebung am S‑Bhf. Fredersdorf 2022

Seitdem hat die Initiative mehrere Veranstaltungen orga­ni­siert: Ein Podiumsgespräch zur Einordnung des Falls in die so genannten „Baseballschlägerjahre“, mehrere Flyeraktionen in Fredersdorf, ein Filmscreening sowie eine weitere Gedenkkundgebung mit einem Podiumsgespräch zum 25. Todestag von Phan Văn Toàn.

Im Führjahr 2023 wurde Phan Văn Toàns Neffe über Facebook auf eine dieser Veranstaltungen auf­merksam, besuchte diese und stellte damit den Kontakt zu seiner Familie in Vietnam her. Die Gedenkinitiative konnte damit eine große Leerstelle in ihrer Arbeit füllen. Neben Informationen zu Phan Văn Toàn und seinem Leben können nun auch die Wünsche und Bedürfnisse der Familie im Gedenken an ihn berück­sichtigt werden.

Neben wei­teren Gedenkveranstaltungen in und um Fredersdorf hat sich die Initiative das Ziel gesetzt einen Gedenkort in der Nähe des S‑Bahnhofes in Fredersdorf in Erinnerung an Phan Văn Toàn zu errichten.

Phan Văn Toàn

Phan Văn Toàn, geboren am 24. Dezember 1954, lebte zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Vietnam. In der Zeit vom 10. Dezember 1988 bis zum 20. Oktober 1990 wurde er als Vertragsarbeiter in die DDR geschickt. Dort arbeitete er für die Firma Rohrleitungsbau Finow in Eberswalde. Nach seiner Rückkehr nach Vietnam zogen er und seine Familie in die Stadt Vinh, die im nörd­lichen Teil Vietnams gelegen ist.

1995 kehrte Phan Văn Toàn nach Deutschland zurück, da es dort nach der Wende mehr Arbeitsmöglichkeiten für ihn geben sollte, als es in Vietnam der Fall war. Entgegen seinen Erwartungen ver­diente er seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von unver­steu­erten Zigaretten.

Der Angriff auf Phan Văn Toàn und der Gerichtsprozess

Der Angriff

Achtung, hier gibt es eine explizite Beschreibung von ras­sis­ti­scher Gewalt.

Am 31. Januar 1997 arbeitete Phan Văn Toàn am S‑Bahnhof Fredersdorf, bei Berlin. Am Vormittag kam es dort zum Streit zwi­schen ihm und einer Gruppe von Männern, die dort regel­mäßig tranken und Fahrräder bewachten.

Im Zuge des Streits schlug einer der Männer ihm ins Gesicht. Ein anderer, über 1.90 m großer, Mann packte Phan Văn Toàn an den Hüften, hob ihn hoch und schlug seinen Kopf mehrmals mit voller Wucht auf den Steinboden.

Phan Văn Toàn hatte keine Chance sich gegen den bul­ligen Mann zu wehren. Beim Aufprall erlitt er einen dop­pelten Halswirbelbruch. Daraufhin wurde er ins Krankenhaus ein­ge­liefert und lag mehrere Tage im Koma. Fortan war er quer­schnitts­ge­lähmt und kämpfte drei Monate um sein Leben.

In einer Rehabilitationsklinik starb er schließlich am 30. April1997 an einem akuten Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Obduktion ergab, dass die Todesursache die direkte Folge des Angriffs war.

Mit Hilfe der viet­na­me­si­schen Community vor Ort und eines Rechtsanwaltes konnte sein Leichnam nach Vietnam zurück­ge­bracht werden. Phan Văn Toàn wurde dort von seiner Familie und seinen Freund*innen beerdigt.

Der Gerichtsprozess

Beim Gerichtsprozess gehen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Bekannte des Haupttäters Olaf S. von „Ausländerhass als bestim­mendes Motiv“ beim Angriff auf Phan Văn Toàn aus. Olaf S. wird wegen Mordes aus nied­rigen Beweggründen ange­klagt, obwohl er sich selbst im Gerichtssaal ras­sis­tisch äußerte. Das ras­sis­tische Motiv der Tat sieht die 5. Strafkammer am Landgericht Frankfurt (Oder) jedoch nicht als erwiesen und ver­ur­teilt Olaf S. dar­aufhin wegen Totschlags zu neun­einhalb Jahren Haft. Wegen einer dia­gnos­ti­zierten Persönlichkeitsstörung sei er zum Zeitpunkt der Tat ver­mutlich „ver­mindert steue­rungs­fähig“ gewesen, was ihm hierbei in die Karten spielte.

Der Mittäter Uwe Z. bekommt eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung. Die Polizei wertet den Fall ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als „frem­den­feind­liche Straftat“.

Bis heute ist Phan Văn Toàn kein aner­kanntes Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland, was eine Studie des Moses Mendelsohn Zentrums aus dem Jahr 20151 wei­terhin bestätigt. 

Einordnung der Tat

Seit der Veröffentlichung der RBB-Dokumentation von Christian Bangel im Dezember 2020, wird die Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands, als soge­nannte „Baseballschlägerjahre“ bezeichnet. Damit wird Bezug auf die stetig hohe rechte Gewalt in den neuen Bundesländern genommen. Bei den rechten Angriffen auf vor allem Migrant*innen, BPoC2, poli­tisch Andersdenkende, obdachlose Menschen, Arbeitslose, Sexarbeiter*innen, Menschen mit Behinderungen und anderen mar­gi­na­li­sierten Personen3, kam es auch zu vielen Todesfällen (siehe Ausstellung „KEIN SCHÖNER LAND“ zu Todesopfern rechter Gewalt in Brandenburg)4. Durch die ras­sis­ti­schen Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 19925 mani­fes­tierte sich eine Angst vor allem bei BPoC, da sie poten­ziell Betroffene von ras­sis­ti­schen Übergriffen werden könnten. Auch der Angriff auf Phan Văn Toàn ist in diese Zeit einzuordnen.

Ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus der DDR führten nach der Wende ein pre­käres Leben, das sie sich oftmals nur mit ille­ga­li­sierten Jobs, wie zum Beispiel dem Verkauf von unver­steu­erten Zigaretten, leisten konnten.6 Erst im Jahr 1997 wurde eine neue Bleiberechtsregelung für ehe­malige Vertragsarbeiter*innen beschlossen, die einen lang­fris­tigen Aufenthalt und damit auch eine Arbeitserlaubnis regelte. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt selbst ver­dienten und straffrei waren. Vor dieser Regelung bekamen die ehe­ma­ligen Vertragsarbeiter*innen eine „Duldung“, die jedoch bei den zustän­digen Behörden in regel­mä­ßigen Abständen neu bean­tragt werden musste.

Auch Phan Văn Toàn war von dieser unsi­cheren Lebensphase vor der Bleiberechtsregelung betroffen und ver­diente, ent­gegen seinen Erwartungen, seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Zigaretten.

Von der Gesellschaft als Migrant*innen wahr­ge­nommene Menschen waren zu dieser Zeit beson­deren Gefahren aus­ge­setzt, wie sich durch Zeitzeug*innen und Berichte über ras­sis­tische und extrem rechte Gewalt erkennen lässt. Viele Menschen ver­suchten ein gesi­chertes Leben zu führen und dennoch waren Unternehmungen mit Freund*innen, der Gang in den Supermarkt oder Weg zur Arbeit immer von Angst geprägt.

Unterstützungsmöglichkeiten & weiterführende Links

Ihr wollt mehr über die Gedenkinitiative und ihre Arbeit erfahren? Auf der Website https://phanvantoan.de findet ihr aktuelle Termine und weitere Informationen.

Wenn ihr aktiver Teil der Gedenkinitiative werden wollt, schreibt eine Mail an gedenken-fredersdorf[at]riseup.net oder sprecht uns auf einer unserer Veranstaltungen an.

Wenn ihr die Gedenkinitiative finan­ziell unter­stützen wollt, spendet euren Betrag mit dem Verwendungszweck „Vorname Nachname, SPENDE FÜR PHAN VAN TOAN“ an dieses Konto:

kori­en­tation e.V.
IBAN: DE47 4306 0967 1140 5089 00
BIC: GENODEM1GLS

Spenden per Paypal (auch hier als Verwendungszweck: Vorname Nachname, SPENDE FÜR PHAN VAN TOAN).

Weiterführende Links

Website der Opferperspektive (Beratungsstelle für Betroffene rechter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt in Brandenburg)
Website der VVN BdA Märkisch-Oderland
Website der Beratungsgruppe für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland (BOrG)
Webdoku über Betroffene rechter Gewalt nach 1990 in Deutschland

Autor*in

Sophie Preibisch
Sophie stu­diert Soziale Arbeit in Berlin und ist in der VVN BdA Märkisch-Oderland aktiv. Im Rahmen eines Projekts in der Hochschule und als Teil der Gedenkinitiative für Phan Văn Toàn erstellte Sophie in enger Zusammenarbeit mit kori­en­tation den Inhalt dieser Seite.


  1. Christoph Kopke, Gebhard Schulz. Abschlussbericht „Überprüfung umstrit­tener Altfälle Todesopfer rechts­extremer und ras­sis­ti­scher Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, Forschungsstudie des Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam vom 29.06.2015, https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/wp-content/uploads/2021/12/MMZ-Forschungsbericht-Studie-Todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-Gewalt-in-Brandenburg-29062015.pdf ↩︎
  2. BPoC steht für Black and People of Color. Übersetzt steht es für Schwarze Menschen und Menschen mit Rassismuserfahrung. ↩︎
  3. Es handelt sich hierbei um die gleichen Personengruppen, die während der Zeit des Nationalsozialismus ver­folgt, in Konzentrationslagern gefangen gehalten und ermordet wurden, wodurch sich eine Kontinuität rechter Gewalt zeigt. ↩︎
  4. siehe Projektseite des Vereins Opferperspektive e.V.: https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de ↩︎
  5. siehe Beitrag Kien Nghi Ha (2023). Ein kalter Fall: Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als insti­tu­tio­na­li­sierter Rassismus. ↩︎
  6. Der Artikel „Vertragsarbeiter*innen in der DDR: „Heute können sie keine Kinder mehr kriegen, weil sie kaputt sind“ von Şeyda Kurt in der ze.tt vom 16.10.2018, der Dokumentarfilm „Bruderland ist abge­brannt“ von Angelika Nguyen und der ani­mierte Kurzfilm Sorge 87 von Thanh Phuong Nguyen liefern Hintergründe zur Situation von viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiter*innen vor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands. ↩︎