Emerging Asian Germany. Zur Notwendigkeit und den Grenzen der Selbstrepräsentation von Asiatischen Deutschen

Kimiko Suda, Sina Schindler & Jee-Un Kim

Der fol­gende Text erschien 2021 in der erwei­terten Neuauflage des Sammelbandes 🔗 Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (hrsg. von Kien Nghi Ha) bei Assoziation A.

Why repre­sen­tation still matters

2020 war für asia­tische Menschen in Deutschland in vie­lerlei Hinsicht eine Zäsur: Am 19. Februar 2020 erschoss ein Weißer1 Mann in Hanau neun Personen of Color: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Die Kontinuität ras­sis­ti­scher Morde des NSU und der anti­se­mi­tisch moti­vierte Anschlag in Halle, aber auch der behörd­liche Umgang damit haben das Vertrauen der post­mi­gran­ti­schen Gesellschaft auf den Schutz ihres Lebens in Deutschland zutiefst erschüttert. Hinzu kam eine globale Pandemie, mit deren Folgen asia­tische Menschen nicht nur in Hinblick auf ihr pri­vates und beruf­liches Leben in Deutschland zu kämpfen hatten, sondern in Teilen auch als gesell­schaft­liche Minderheit, der durch ras­sis­tische Zuschreibungen die Verantwortung für den Ausbruch und die Verbreitung von COVID-19 ange­lastet wird.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der starken Zunahme von anti-asiatischem Rassismus2 seit dem Frühjahr 2020 wurden ins­be­sondere vielen südost- und ost­asia­tisch gele­senen Menschen unter­schied­licher Generationen die nega­tiven Zuschreibungen ihrer Identität deutlich bewusst. In diesem Zusammenhang gewann auch die Frage nach Selbstrepräsentation sowohl nach außen als auch innerhalb der Community-Arbeit von kori­en­tation eine neue Aktualität und Qualität.

Im fol­genden Beitrag möchten wir die Gründe dar­legen, die es für uns als Mitglieder der Asiatisch-Deutschen Communities not­wendig machen, wei­terhin für unsere Selbstrepräsentation zu kämpfen und uns anschauen, welche Veränderungen und Kontinuitäten wir bei kori­en­tation in den letzten Jahren wahr­nehmen. Selbstbezeichnungen sind oft umkämpft und spiegeln einen Aushandlungsprozess wider – so auch der von kori­en­tation genutzte Begriff »Asiatisch-Deutsch«3. Vor diesem Hintergrund möchten wir die Möglichkeit nutzen, hier Kritiken, Grenzen und Potentiale des Begriffs sichtbar zu machen und uns zu fragen, wie (Cross-)Community Solidarität und Selbstorganisation zukünftig aus­sehen können.

Fremdzuschreibungen und anti-asiatischer Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie – Auswirkungen und Widerstand

»It’s important, the­r­efore, to know who the real enemy is, and to know the function, the very serious function of racism, which is dis­traction. It keeps you from doing your work. It keeps you explaining, over and over again, your reason for being. Somebody says you have no lan­guage and so you spend 20 years proving that you do. Somebody says your head isn’t shaped pro­perly so you have sci­en­tists working on the fact that it is. Somebody says that you have no art so you dredge that up. Somebody says that you have no kingdoms and so you dredge that up. None of that is necessary. There will always be one more thing. The strategy is no dif­ferent than bombing Cambodia to keep the Northern Vietna­mese from making their big push.« Toni Morrison (1975)

Tonangebend in der medialen Berichterstattung über COVID-19 in Deutschland seit dem Frühjahr 2020 war die Nutzung post-kolonialer Bilder und Begriffe sowie ras­sis­ti­scher und kul­tu­ra­li­sie­render Vorstellungen von (Ess-)Verhalten, die südost- und ost­asia­tisch gele­senen Menschen zuge­schrieben werden.4 Über die realen Folgen dessen berichtete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Mai 2020 in ihrem Informationspapier5 zu Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise: Vor allem südost- und ost­asia­tisch gelesene Menschen erlebten neben ver­baler und kör­per­licher Gewalt auch einen Anstieg von Diskriminierung und Stigmatisierung auf struk­tu­reller Ebene. Ärzt_innen ver­wei­gerten medi­zi­nische Behandlungen, Studierende wurden von Aufnahmeprüfungen aus­ge­schlossen und auch Fälle von insti­tu­tio­neller Diskriminierung wurden gemeldet, bei­spiels­weise durch Racial Profiling, also Kontrollen und Sanktionen auf Basis von ste­reo­ty­pi­sie­renden Annahmen und äußer­lichen Merkmalen. Für uns als eine der wenigen Asiatisch-Deutschen Selbstorganisationen war schnell klar, dass kori­en­tation diese breit zir­ku­lie­renden Fremdzuschreibungen nicht kri­tiklos stehen lassen darf. Vor allem war uns wichtig, mit Strategien der Selbstrepräsentation dem »white framing« asia­tisch gele­sener Menschen in der Corona-Pandemie einen Spiegel vor­zu­halten und unse­rer­seits einen Blick auf den Weißen Blick »auf uns« zurückzuwerfen.

Eine wichtige Aufgabe war aus unserer Perspektive die Dokumentation der ras­sis­ti­schen Berichterstattung, der Übergriffe und die Unterstützung von Betroffenen. Auf der korientation-Website wurden Medienberichte gesammelt, die in Bild und/oder Text mit ras­sis­ti­schen Stereotypen zu Asien und Asiat_innen arbeiten.6 Der Verein wurde Unterstützer der digi­talen Plattform ichbinkeinvirus.org, die es Betroffenen ermög­licht, ihre Erlebnisse ras­sis­ti­scher Diskriminierung im Kontext der Pandemie zu teilen und zu dokumentieren.

Auch for­mierte sich öffent­licher Widerstand von Asiatisch-Deutschen Aktivist_innen, von denen sich einige in der »AG Medienaktivismus« von kori­en­tation zusam­men­ge­funden haben, um gemeinsam im Internet Kritik an anti-asiatischem Rassismus in den Medien zu äußern.

Im Sommer 2020 hat die AG das digitale »#AsianGermanFestival«7 orga­ni­siert und pro­du­ziert seitdem den Podcast »The Bubbly T’s«8, in dem Asiatisch-Deutsche Perspektiven auf aktuelle gesell­schaft­liche Themen zen­triert werden. Hier wurde sehr deutlich, welches Wissen und welche Perspektiven Asiatische Deutsche zu Identität, men­taler Gesundheit, Sexualität, Popkultur, Migrationsgeschichte, Klimagerechtigkeit, Neurowissenschaft, Film, Kunst und mehr haben – wenn sie sich nicht gerade mit der Bekämpfung von Fremdzuschreibungen und Rassismus aus­ein­an­der­setzen müssen.

Insbesondere in einem gesell­schaft­lichen Klima, in dem Fremdzuschreibungen unmit­telbar zu einer Zunahme von Diskriminierung und ras­sis­ti­scher Gewalt führen, ist jede gesell­schafts­kri­tische Form von Selbstrepräsentation von mar­gi­na­li­sierten Gruppen poli­ti­scher Widerstand. Wenn wir nicht selbst als kol­lektive Stimme die Diskurse über Asiatische Deutsche in den Medien, der Wissenschaft, aber auch in den ganz all­täg­lichen Lebensbereichen mit­ge­stalten, dann wird es auch keinen sozialen Wandel dahin­gehend geben, dass wir als gleich­be­rech­tigte Individuen wahr­ge­nommen und behandelt werden.

Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland

Während das mediale Interesse am »neu« erkannten anti-asiatischen Rassismus in erster Linie und sehr ein­seitig auf indi­vi­du­ellen »Betroffenengeschichten« lag, ver­suchte kori­en­tation den Fokus auf die struk­tu­rellen Zusammenhänge und in Deutschland his­to­risch gewach­senen Kontinuitäten zu richten. Diese Kontinuitäten wurden bisher wenig beforscht9 und öffentlich-medial dis­ku­tiert, sind jedoch grund­legend für das Verständnis der kon­kreten Ausprägungen von anti-asiatischem Rassismus im deut­schen Kontext. Wir sehen es als Teil unserer poli­ti­schen Bildungsarbeit, his­to­ri­sches Wissen zusam­men­zu­tragen und aktuelle Ereignisse darin zu kon­tex­tua­li­sieren und stellen gleich­zeitig fest, dass noch viele Wissenslücken und Leerstellen exis­tieren. Im Folgenden wollen wir zudem dezi­diert darauf hin­weisen, dass der Begriff des anti-asiatischen Rassismus Gegenstand der Diskussion und Kritik ist. Wie der Begriff »asia­tisch« muss auch der Begriff »anti-asiatischer Rassismus« Teil von kri­ti­schen dis­kur­siven Aushandlungsprozessen sein und bleiben.

Rassistische Narrative von euro­päi­schen Missionaren, Kaufleuten und Kulturschaffenden über Asien als ima­gi­nierter Kontinent, asia­tische Körper und Kultur(en) lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurück­ver­folgen. Ab dem 18. Jahrhundert wurden in diversen wis­sen­schaft­lichen Disziplinen wie der Biologie, Anthropologie und Medizin ras­sis­tische Konzepte zu asia­ti­schen Körpern kon­struiert und fanden Eingang in euro­päische Wissenssysteme. Die deutsche Kolonialpolitik in China, Samoa und Neu-Guinea, sowie die Verfolgung von Chines_innen im Nationalsozialismus sind kon­krete Beispiele für die Integration von anti-asiatischem Rassismus in deutsche Staatsideologie und ‑politik.10

Bisher gibt es außerhalb von anti-asiatischem Rassismus als Klammer noch keine eta­blierten Begriffe, die die spe­zi­fi­schen und inter­sek­tional unter­schied­lichen Rassismuserfahrungen von asia­ti­schen Menschen umfassen11. Die Benennung einer spe­zi­fi­schen Diskriminierungsform und dessen Anerkennung erfolgt durch die sozialen Bewegungen und Kämpfe der Betroffenen selbst, die sich und ihre sys­te­ma­tische Benachteiligung buch­stäblich erst einmal selbst sichtbar machen und in den Machtdiskurs ein­schreiben müssen.

Im Kontext der Übergriffe seit dem Beginn der Pandemie und nach den sexistisch-rassistischen Morden in Atlanta am 16.03.202112 findet der Begriff des anti-asiatischen Rassismus ins­be­sondere auch im trans­na­tio­nalen Kontext zunehmend Verwendung. Dies geschieht einer­seits, um auf ras­sis­tische Gewalt zu ver­weisen, und ande­rer­seits, um trans­na­tional Solidarität zu for­mu­lieren. Wie der Hashtag #ich­bink­ein­virus wird auch #AntiAsianRacism in unter­schied­lichen Sprachen für Widerstand in den sozialen Medien genutzt.

Die aktuelle zuneh­mende Etablierung des Begriffs anti-asiatischer Rassismus, auch vor dem Hintergrund nach­weislich tra­dierter ras­sis­ti­scher Narrative, ermög­licht es, sys­tem­im­ma­nente ras­sis­tische Diskriminierung spe­zi­fisch gegenüber Asiatischen Deutschen sichtbar zu machen. Beispielsweise kann durch die Benennung des Model-Minority Narrativs eine ver­meintlich positive Anerkennung als Strategie des anti-asiatischem Rassismus ent­larvt werden, mit der ras­sis­tische Diskriminierung von Teilen der Asiatisch-Deutschen Communities ins­be­sondere auf struk­tu­reller Ebene unsichtbar gemacht wird.

Gleichzeitig geht mit der Verwendung des Begriffs selbst die Gefahr einher, die Heterogenität asiatischer/asiatisch-diasporischer Communities und ihrer Rassismuserfahrungen zu ver­ein­heit­lichen und aus­zu­blenden. Asien ist ein von einem post­ko­lo­nialen Europa heraus ima­gi­niertes Konstrukt und wird als geo­gra­phi­scher und geo­po­li­ti­scher Raum unter­schiedlich defi­niert. Der Sichtbarkeits- und Repräsentationsgrad ver­schie­dener asia­ti­scher Communities in Deutschland steht in Verbindung mit deren unter­schied­licher Größe, unter­schied­lichen Migrationsgeschichten, sozialen Positionierungen und den auf sie inter­sek­tional ein­wir­kenden struk­tu­rellen Diskriminierungen,13 die sich z.B. auf Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit, (zuge­schriebene) Religionszugehörigkeit, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung beziehen können.

Daher ist es wichtig, anti-asiatischen Rassismus nicht los­gelöst von der spe­zi­fi­schen deut­schen Geschichte und aktu­ellen lokalen Entwicklungen zu betrachten und zu ana­ly­sieren und gleich­zeitig auf den Einfluss glo­baler Verflechtungen hin­zu­weisen, denen die asiatisch-diasporischen Communities hier unter­worfen sind. Beispielsweise waren nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und der Fluchtmigration aus Syrien 2015 Asiatische Deutsche, die mus­li­misch wahr­ge­nommen wurden, ver­mehrt ras­sis­ti­schen Diskriminierungen aus­ge­setzt. Demgegenüber waren im Kontext der trans­na­tio­nalen Pandemie Personen, die »China« zuge­ordnet wurden, stärker betroffen. Hieran wird deutlich, dass und wie Zuschreibungen nach aktu­ellen poli­ti­schen, öko­no­mi­schen und dis­kur­siven Entwicklungen unter­schiedlich auf die soziale Situierung einer Person und deren Alltagsbehandlung wirken.

Ein kri­ti­scher Umgang mit der Gefahr der Unsichtbarmachung von Diskriminierungserfahrungen und Privilegien bringt daher die Verantwortung mit sich, bei jeder Verwendung des Begriffs anti-asiatischer Rassismus bewusst auf die spe­zi­fi­schen (Migrations)geschichten und inter­sek­tio­nalen Wirkungsweisen von Diskriminierung ein­zu­gehen und diese zu thematisieren.

Emerging Asian Germany: Vielfalt und die Schwierigkeit der Selbstbezeichnung

Seit der Erstauflage dieses Bandes hat sich die asia­tische Community-Landschaft in Deutschland erheblich ver­ändert. Neben kori­en­tation haben sich Initiativen gegründet und Menschen orga­ni­siert, die das Bild dessen, was Asiatisch-Deutsch in Deutschland sein kann, mit einer merkbar grö­ßeren Reichweite als noch vor 10 Jahren ver­viel­fäl­tigen und sichtbar machen.14

Aus dem Wunsch sich zu orga­ni­sieren und sich gegen ras­sis­tische Übergriffe im Zusammenhang mit Corona sowohl im medialen und digi­talen Kontext als auch im phy­si­schen öffent­lichen Raum zu wehren, sind neue Vernetzungen, Räume, Plattformen für Widerstand und gegen­seitige Unterstützung von und für Asiatisch-Deutsche Communities ent­standen, die es in dieser Form bisher in Deutschland nicht gegeben hat.

Auch dank nied­rig­schwel­liger digi­taler Ausdrucksmöglichkeiten in den Sozialen Medien oder durch Podcasts15 zeigt sich: Asiatische Deutsche wachsen nicht nur in Hamburg, Berlin oder Köln auf, sondern auch in Dörfern in Süd- oder Ostdeutschland, und sie erzählen von sich aus etwa Tamilisch‑, Iranisch‑, Viet‑, Kurdisch- und Postsowjetisch-Deutscher Perspektive.

Aus dieser Vielfalt heraus äußern sich auch kri­tische Stimmen zur Bezeichnung »asia­tisch« und weisen auf ihren post­ko­lo­nialen Charakter hin. Uns fehlt eine sichere Datenlage zur Frage, was die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands mit der Imagination von »Asien« bzw. »asia­tisch« ver­bindet. Fakt ist jedoch, dass vor allem während der Pandemie her­auf­be­schworene und ver­breitete Bilder, wie die von China aus­ge­hende und global wir­kende »Gelbe Gefahr« für die Menschheit, zur Unsichtbarmachung der Vielfalt asia­ti­schen Lebens in Deutschland bei­tragen und gleich­zeitig ein ver­zerrtes Feindbild heraufbeschwören.

Was bedeutet also die stra­te­gische Selbstbezeichnung »Asiatisch-Deutsch« im his­to­ri­schen Kontext eines Landes, in dem mit der eigenen unauf­ge­ar­bei­teten Kolonialgeschichte in China, Samoa und Neu-Guinea, über Generationen hinweg ein homo­ge­ni­siertes Asienbild wei­ter­ge­geben wird? Krisenzeiten wie die aktuelle COVID-19 Pandemie beweisen, wie wirk­mächtig dieses Bild ist, das kon­ti­nu­ierlich abge­rufen und repro­du­ziert wird.

Die Bezeichnung »asia­tisch« bzw. »Asiatisch-Deutsch« ist demnach nicht nur von außen, sondern auch in und aus den ver­schie­denen Communities heraus ein umkämpfter Begriff. Wir sehen eine ver­stärkte Notwendigkeit, uns mit dieser von kori­en­tation ver­wen­deten Klammer bewusst und kri­tisch aus­ein­an­der­zu­setzen. Es darf nicht aus­ge­blendet werden, dass bei kori­en­tation auf­grund der spe­zi­fi­schen Vereinsgeschichte zunächst haupt­sächlich Ostasiatisch‑, dann Südost- und nun auch Südasiatisch-Deutsch posi­tio­nierte Perspektiven ver­treten und sichtbar sind, die wie­derum ihre Netzwerke in die Vereinsarbeit einbringen.

Die Selbstbezeichnung »Asiatische Deutsche« hat kori­en­tation für sich im Sinne eines stra­te­gi­schen Essentialismus gewählt, also als eine »unna­tür­liche« Festschreibung, die wir zu poli­ti­schen Zwecken ver­wenden. Die Gefahr einer solchen sozio­kul­turell kon­stru­ierten Selbstzuschreibung ist, dass sie auch unge­wollt Ausschlüsse und Unsichtbarkeiten innerhalb der Asiatisch-Deutschen Diaspora repro­du­zieren kann, solange nicht kon­se­quent auf ihre stra­te­gische Konstruiertheit hin­ge­wiesen wird. Strategische kol­lektive Identitäten befinden sich kon­ti­nu­ierlich in einem mit gesell­schaft­lichen Entwicklungen und poli­ti­schen Kämpfen ein­her­ge­henden Fluss. Sie müssen daher in spe­zi­fi­schen Kontexten unter­schiedlich ver­ortet werden. Wichtig ist dabei die Offenheit der­je­nigen, die unter dem Label Asiatisch-Deutsch agieren. Werden im Namen einer politisch-strategischen Identität (un-)bewusst Ausschlussmechanismen und Unsichtbarmachung innerhalb mar­gi­na­li­sierter Gruppen repro­du­ziert, so ver­liert sie ihre Kraft, nach­haltig posi­tiven sozialen Wandel zu bewirken. Dem möchte kori­en­tation ent­ge­gen­wirken, indem wir inhaltlich und pro­gram­ma­tisch auf die Vielheit asia­ti­scher Positionierungen auf­merksam machen und diese auch bewusst mehr in den eigenen Strukturen wider­spiegeln. Dies kann aller­dings nur gelingen, wenn Menschen aus unter­schied­lichen asia­ti­schen Positionierungen aktiv ihre Ideen, Perspektiven und Geschichten in den Verein einbringen.

Cross-Community Solidarität

Parallel zur zuneh­menden Anzahl kri­tisch und poli­tisch aktiver Asiatisch-Deutscher Akteur_innen, stellt sich vor dem Hintergrund der viel­fäl­tigen Formen von Rassismus in der deut­schen Gesellschaft die Frage, wie eine soli­da­rische ras­sis­mus­kri­tische, post­mi­gran­tische Arbeitspraxis aus­sehen kann, die sich gleich­zeitig auch auf die Spezifika der »eigenen« sozialen Gruppe bzw. sozialen Position bezieht? Das Ausbrechen aus dem »Model-Minority-Mythos« bzw. dem Narrativ der gut inte­grierten und ergo erfolg­reichen Minderheit mit der ihm zugrunde lie­genden »Teile-und-herrsche«-Logik, die soli­da­rische Allianzen mit anderen PoC sabo­tiert, steht für uns ganz vorne auf der Tagesordnung.

Themenbezogen hat kori­en­tation schon seit ihrer Gründung die Vernetzung und Kooperation mit anderen PoC-Organisationen und Einzelpersonen aus unter­schied­lichen Communities gesucht. Inzwischen ist jedoch eine größere Selbstverständlichkeit und Routine im Alltagsgeschäft ent­standen, sich gemeinsam mit anderen post­mi­gran­ti­schen Organisationen aus­zu­tau­schen, in der Öffentlichkeit zu posi­tio­nieren und aktiver an Lobby-Kampagnen teil­zu­nehmen. Beispiele dafür sind der Begleitausschuss zum Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO)16, in dem kori­en­tation mit einer Asiatisch-Deutschen Perspektive ver­treten ist, und die Mitwirkung an der Kampagne Vielfalt im Film17 gemeinsam mit Citizens for Europe, Label Noir, BAFNET und vielen wei­teren Akteur_innen.

Gerade ange­sichts der ras­sis­ti­schen Morde in Hanau am 19. Februar 2020 sind wir davon über­zeugt, dass sich post­mi­gran­tische Organisationen ver­stärkt über Community-Grenzen hinweg zusam­men­schließen müssen, um auf der bun­des­po­li­ti­schen Bühne die finan­zielle Ausstattung und Umsetzung von kon­kreten Maßnahmen des Empowerments und zur Anerkennung, Dokumentierung und Prävention von Rassismus ein­zu­fordern. Allianzen mit unter­schiedlich posi­tio­nierten Menschen und Organisationen sind eine Grundvoraussetzung für eine dis­kri­mi­nie­rungs­ärmere Demokratie.

Im Juni 2020 hat kori­en­tation einen Community-übergreifenden Dialog initiiert und gemeinsam mit den neuen deut­schen orga­ni­sa­tionen zur Online-Veranstaltung »In the Name Of …«: Begriffe und Positionierungen der Asiatisch-Deutschen und Schwarzen Deutschen Communities ein­ge­laden. Innerhalb von zwei Tagen mel­deten sich über ein­hundert Teilnehmende an. Auf dem digi­talen Panel, das von Ferda Ataman (neue deutsche orga­ni­sa­tionen) mode­riert wurde, saßen Saraya Gomis (Each One Teach One), Dr. Noa Ha (TU Dresden), Saboura Naqshband (Berlin Muslim Feminists) und Dr. Sun-Ju Choi (kori­en­tation). Die Veranstaltung machte deutlich, dass bei der Diskussion um Selbstbezeichnungen Spezifika ein­zelner Rassismen, post­ko­lo­nialer Narrative, geo­po­li­ti­scher Grenzziehungen und bewe­gungs­po­li­ti­scher Kämpfe ein­be­zogen werden müssen. Sie sind Grundlage dafür, sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten innerhalb von Communities, aber auch Community-übergreifend, erkennen, benennen und besser mit­denken zu können. Die Diskussionen und Entwicklungen in der Geschichte der Schwarzen Bewegung eröffnen hierbei wichtige Ansatzpunkte, die für andere Communities wertvoll sein können. Hierzu zählt die Erkenntnis, nicht die Möglichkeit aus­zu­schließen, dass Bezeichnungen von Zeit zu Zeit auf­grund von Veränderungen im gesell­schaft­lichen Kontext obsolet werden können. Wie Noa Ha darlegt, ist die Suche nach Selbstbezeichnungen immer mit einem Dilemma behaftet, denn sie ent­springt dem Wunsch sich von Festschreibungen zu befreien und zugleich als Kollektiv zu ima­gi­nieren.18

Die Veranstaltung stand für uns am Anfang eines lang­fris­tigen Prozesses wei­ter­füh­render Diskussionen und der Entwicklung von Strategien, die sich auf Allianzen kon­zen­trieren und die Frage klären soll, wie wir gemeinsam punk­tuell und anlass­be­zogen sowie lang­fristig hand­lungs­fähig sein können.

Ausblick und Fazit

Auch wenn 2020 nicht einfach war, begann das Jahr für kori­en­tation mit der Förderzusage des Bundesprogramms Demokratie leben! für das Modellprojekt »Media and Empowerment for German Asians (MEGA)« durchaus in einer freu­digen Aufbruchsstimmung. Nach mehr als 10 Jahren ehren­amt­licher Arbeit bedeutet die finan­zielle Förderung des Projekts bis ins Jahr 2024 bessere Voraussetzungen, um sich dem Thema Selbstrepräsentation mit seinen vielen Fragestellungen in seinen diversen Facetten nun auch auf mit­tel­fristige Sicht fokus­sierter zu widmen!

Zudem lief von August bis Dezember 2020 das Kooperationsprojekt Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland, unter der Beteiligung von Wissenschaftler_innen der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Das Projekt, bei dem kori­en­tation sich als Community-Partner betei­ligte, unter­suchte zum ersten Mal gegen Asiat_innen gerichtete ras­sis­tische Einstellungen in der deut­schen Mehrheitsgesellschaft. Mit einem Community-Survey mit 700 Teilnehmenden und einer Tagebuchstudie mit 70 Teilnehmenden wurden zudem die Auswirkungen von ras­sis­ti­scher Diskriminierung während der Corona-Pandemie auf Asiatische Deutsche erfasst und aus­ge­wertet. Es besteht die Hoffnung, dass die Forschungsergebnisse andere Dokumentationsformen zu Rassismus gegen asia­tische Menschen in Deutschland ergänzen. Im besten Fall ver­stärken wis­sen­schaft­liche Nachweise dieser Art den poli­ti­schen Druck, die Existenz von anti-asiatischem Rassismus in Deutschland anzu­er­kennen und diesen zu bekämpfen.

Gleichzeitig ist mit wei­teren Übergriffen im Kontext der Corona-Pandemie und darüber hinaus zu rechnen. Daher arbeiten wir auf der poli­ti­schen Ebene an einer offi­zi­ellen Anerkennung der Existenz von anti-asiatischem Rassismus als einer spe­zi­fi­schen Form von Rassismus sowie einer Sensibilisierung in allen rele­vanten Bereichen wie Bildung, Kultur, Medien, Verwaltung, Polizei etc.

Wir sehen die positive Tendenz, dass die Repräsentation von Asiatischen Deutschen durch das immer stärker wer­dende Engagement unter­schied­licher Gruppen und der wach­senden Anerkennung von anti-asiatischem Rassismus zunehmen wird. Gleichzeitig sind für kori­en­tation die Schienen gestärkt und die Weichen gestellt, um die eigene Cross-Community-Arbeit aus­zu­bauen und gemeinsam mit anderen Postmigrant_innen für die Repräsentation von Diversität, für Allianzen und für Solidarität über den eigenen Tellerrand hinaus zu kämpfen.


Fußnoten

1 Wir weisen darauf hin, dass es unter­schied­liche Schreibweisen gibt, die die soziale Konstruiertheit des »Weißseins« mar­kieren. Neben der hier auf­grund redak­tio­neller Vorgaben ver­wen­deten Großschreibung wird auch die klein­ge­schriebene, kursiv gesetzte Schreibweise weiß von kori­en­tation ver­wendet, da es bei weiß gerade nicht um eine wider­ständige Selbstbezeichnung geht.

2 Der Begriff anti-asiatischer Rassismus bezeichnet einen Komplex, der ganz unter­schied­liche Formen und Ausprägungen ras­sis­ti­scher Diskriminierungen umfasst. Siehe auch Abschnitt »Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland«.

3 Wir schreiben »Asiatisch-Deutsch« bzw. »Asiatische Deutsche« als Selbstbezeichnung groß. Wir ver­weisen damit gleich­zeitig auf unsere kul­tu­rellen Identitätskonstruktionen wie auch auf unsere gesell­schafts­po­li­tische Positionierung. Demgegenüber schreiben wir »asia­tisch« als kon­stru­ierten Gegenentwurf zum euro­zen­tris­ti­schen Selbstverständnis klein, um den Begriff als Fremdzuschreibung kenntlich zu machen.

4 Vielfach werden auch Menschen als südost- und ost­asia­tisch gelesen, deren tat­säch­liche Positionierungen und Bezüge außerhalb Südost- und Ostasiens liegen.

5 www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/Dokumente_ohne_anzeige_in_Publikationen/20200504_Infopapier_zu_Coronakrise.pdf (06.05.2020).

6 www.korientation.de/corona-rassismus-medien/

7 www.korientation.de/asiangermanfestival-2020/ (25.–26.07.2020).

8 www.korientation.de/the-bubbly-ts-podcast/

9 Siehe Ausführungen zu aktu­ellen Forschungsprojekten zu anti-asiatischem Rassismus in Deutschland im Abschnitt »Ausblick und Fazit«.

10 Siehe Leutner, Mechthild/Mühlhahn, Klaus (Hg.) (2007): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung. Berlin; Hiery, Hermann (2018): Die deut­schen Kolonien in der Südsee, in: Gründer, Horst/Hiery, Hermann (Hg.) (2018): Die Deutschen und ihre Kolonien. Berlin; S. 89–123; Amenda, Lars (2006): Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung in Hamburg 1897–1972. Hamburg; Keevak, Michael (2011): Becoming Yellow: A Short History of Racial Thinking. Princeton and Oxford; Leutner, Mechthild (2009): »Schlitzäugige Schöne« und »gehorsame Dienerin des Mannes«. Deutsche Bilder von chi­ne­si­schen Frauen in der Kolonialperiode, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.) (2009): Frauen in den deut­schen Kolonien. Berlin, S. 194–204.

11 Für wei­ter­füh­rende Literatur zur Verwendung des Begriffs von Rassismen im Plural anstelle von Rassismus im Singular emp­fehlen wir das kri­tische Nachschlagewerk Arndt, Susan/Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.) (2019): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. 3. Aufl. Münster.

12 Siehe auch die Beiträge »Machtkritische Solidarität?« und »Offener Brief Atlanta – war da was«.

13 Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: University of Chicago Legal Forum Jg. 43, S.1241–1299. http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8; Roig, Emilia (2021): Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung. Berlin.

14 Zu nennen sind unter anderem Afghanische Diaspora in Europa – ADE, Berlin Asian Film Network (BAFNET), D.A.M.N (Deutsche Asiat*innen, Make Noise), Eye to Eye-Workshop, GePGeMi e.V., ichbinkeinvirus.org, Masala Movement, Me Too Asians, MSG & Friends, Queer Asia, Tiger.Riots, un.thai.tled, VLab Berlin, Yuva Berlin und mehr.

15 Beispielsweise Acca Pillai, Anti-was?, Bin ich süß­sauer?, Diaspor.Asia, DonnaSori, Halbe Katoffl, Hamam Talk, Maangai – let’s talk!, Mais Podcast, Power of Color, Rice and Shine, The Bubbly T’s, X3, Yvonne kom­men­tiert, und es werden jeden Tag mehr!

16 Siehe https://bundeskonferenz-mo.de

17 https://vielfaltimfilm.de/

18 Alle wei­teren Perspektiven aus der Veranstaltung lassen sich im Video und in der Transkription der Diskussion nach­sehen und ‑hören. Siehe www.korientation.de/in-the-name-of (11.06.2020).