Kimiko Suda, Sina Schindler & Jee-Un Kim
Der folgende Text erschien 2021 in der erweiterten Neuauflage des Sammelbandes 🔗 Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (hrsg. von Kien Nghi Ha) bei Assoziation A.
Why representation still matters
2020 war für asiatische Menschen in Deutschland in vielerlei Hinsicht eine Zäsur: Am 19. Februar 2020 erschoss ein Weißer1 Mann in Hanau neun Personen of Color: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Die Kontinuität rassistischer Morde des NSU und der antisemitisch motivierte Anschlag in Halle, aber auch der behördliche Umgang damit haben das Vertrauen der postmigrantischen Gesellschaft auf den Schutz ihres Lebens in Deutschland zutiefst erschüttert. Hinzu kam eine globale Pandemie, mit deren Folgen asiatische Menschen nicht nur in Hinblick auf ihr privates und berufliches Leben in Deutschland zu kämpfen hatten, sondern in Teilen auch als gesellschaftliche Minderheit, der durch rassistische Zuschreibungen die Verantwortung für den Ausbruch und die Verbreitung von COVID-19 angelastet wird.
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der starken Zunahme von anti-asiatischem Rassismus2 seit dem Frühjahr 2020 wurden insbesondere vielen südost- und ostasiatisch gelesenen Menschen unterschiedlicher Generationen die negativen Zuschreibungen ihrer Identität deutlich bewusst. In diesem Zusammenhang gewann auch die Frage nach Selbstrepräsentation sowohl nach außen als auch innerhalb der Community-Arbeit von korientation eine neue Aktualität und Qualität.
Im folgenden Beitrag möchten wir die Gründe darlegen, die es für uns als Mitglieder der Asiatisch-Deutschen Communities notwendig machen, weiterhin für unsere Selbstrepräsentation zu kämpfen und uns anschauen, welche Veränderungen und Kontinuitäten wir bei korientation in den letzten Jahren wahrnehmen. Selbstbezeichnungen sind oft umkämpft und spiegeln einen Aushandlungsprozess wider – so auch der von korientation genutzte Begriff »Asiatisch-Deutsch«3. Vor diesem Hintergrund möchten wir die Möglichkeit nutzen, hier Kritiken, Grenzen und Potentiale des Begriffs sichtbar zu machen und uns zu fragen, wie (Cross-)Community Solidarität und Selbstorganisation zukünftig aussehen können.
Fremdzuschreibungen und anti-asiatischer Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie – Auswirkungen und Widerstand
»It’s important, therefore, to know who the real enemy is, and to know the function, the very serious function of racism, which is distraction. It keeps you from doing your work. It keeps you explaining, over and over again, your reason for being. Somebody says you have no language and so you spend 20 years proving that you do. Somebody says your head isn’t shaped properly so you have scientists working on the fact that it is. Somebody says that you have no art so you dredge that up. Somebody says that you have no kingdoms and so you dredge that up. None of that is necessary. There will always be one more thing. The strategy is no different than bombing Cambodia to keep the Northern Vietnamese from making their big push.« Toni Morrison (1975)
Tonangebend in der medialen Berichterstattung über COVID-19 in Deutschland seit dem Frühjahr 2020 war die Nutzung post-kolonialer Bilder und Begriffe sowie rassistischer und kulturalisierender Vorstellungen von (Ess-)Verhalten, die südost- und ostasiatisch gelesenen Menschen zugeschrieben werden.4 Über die realen Folgen dessen berichtete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Mai 2020 in ihrem Informationspapier5 zu Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise: Vor allem südost- und ostasiatisch gelesene Menschen erlebten neben verbaler und körperlicher Gewalt auch einen Anstieg von Diskriminierung und Stigmatisierung auf struktureller Ebene. Ärzt_innen verweigerten medizinische Behandlungen, Studierende wurden von Aufnahmeprüfungen ausgeschlossen und auch Fälle von institutioneller Diskriminierung wurden gemeldet, beispielsweise durch Racial Profiling, also Kontrollen und Sanktionen auf Basis von stereotypisierenden Annahmen und äußerlichen Merkmalen. Für uns als eine der wenigen Asiatisch-Deutschen Selbstorganisationen war schnell klar, dass korientation diese breit zirkulierenden Fremdzuschreibungen nicht kritiklos stehen lassen darf. Vor allem war uns wichtig, mit Strategien der Selbstrepräsentation dem »white framing« asiatisch gelesener Menschen in der Corona-Pandemie einen Spiegel vorzuhalten und unsererseits einen Blick auf den Weißen Blick »auf uns« zurückzuwerfen.
Eine wichtige Aufgabe war aus unserer Perspektive die Dokumentation der rassistischen Berichterstattung, der Übergriffe und die Unterstützung von Betroffenen. Auf der korientation-Website wurden Medienberichte gesammelt, die in Bild und/oder Text mit rassistischen Stereotypen zu Asien und Asiat_innen arbeiten.6 Der Verein wurde Unterstützer der digitalen Plattform ichbinkeinvirus.org, die es Betroffenen ermöglicht, ihre Erlebnisse rassistischer Diskriminierung im Kontext der Pandemie zu teilen und zu dokumentieren.
Auch formierte sich öffentlicher Widerstand von Asiatisch-Deutschen Aktivist_innen, von denen sich einige in der »AG Medienaktivismus« von korientation zusammengefunden haben, um gemeinsam im Internet Kritik an anti-asiatischem Rassismus in den Medien zu äußern.
Im Sommer 2020 hat die AG das digitale »#AsianGermanFestival«7 organisiert und produziert seitdem den Podcast »The Bubbly T’s«8, in dem Asiatisch-Deutsche Perspektiven auf aktuelle gesellschaftliche Themen zentriert werden. Hier wurde sehr deutlich, welches Wissen und welche Perspektiven Asiatische Deutsche zu Identität, mentaler Gesundheit, Sexualität, Popkultur, Migrationsgeschichte, Klimagerechtigkeit, Neurowissenschaft, Film, Kunst und mehr haben – wenn sie sich nicht gerade mit der Bekämpfung von Fremdzuschreibungen und Rassismus auseinandersetzen müssen.
Insbesondere in einem gesellschaftlichen Klima, in dem Fremdzuschreibungen unmittelbar zu einer Zunahme von Diskriminierung und rassistischer Gewalt führen, ist jede gesellschaftskritische Form von Selbstrepräsentation von marginalisierten Gruppen politischer Widerstand. Wenn wir nicht selbst als kollektive Stimme die Diskurse über Asiatische Deutsche in den Medien, der Wissenschaft, aber auch in den ganz alltäglichen Lebensbereichen mitgestalten, dann wird es auch keinen sozialen Wandel dahingehend geben, dass wir als gleichberechtigte Individuen wahrgenommen und behandelt werden.
Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland
Während das mediale Interesse am »neu« erkannten anti-asiatischen Rassismus in erster Linie und sehr einseitig auf individuellen »Betroffenengeschichten« lag, versuchte korientation den Fokus auf die strukturellen Zusammenhänge und in Deutschland historisch gewachsenen Kontinuitäten zu richten. Diese Kontinuitäten wurden bisher wenig beforscht9 und öffentlich-medial diskutiert, sind jedoch grundlegend für das Verständnis der konkreten Ausprägungen von anti-asiatischem Rassismus im deutschen Kontext. Wir sehen es als Teil unserer politischen Bildungsarbeit, historisches Wissen zusammenzutragen und aktuelle Ereignisse darin zu kontextualisieren und stellen gleichzeitig fest, dass noch viele Wissenslücken und Leerstellen existieren. Im Folgenden wollen wir zudem dezidiert darauf hinweisen, dass der Begriff des anti-asiatischen Rassismus Gegenstand der Diskussion und Kritik ist. Wie der Begriff »asiatisch« muss auch der Begriff »anti-asiatischer Rassismus« Teil von kritischen diskursiven Aushandlungsprozessen sein und bleiben.
Rassistische Narrative von europäischen Missionaren, Kaufleuten und Kulturschaffenden über Asien als imaginierter Kontinent, asiatische Körper und Kultur(en) lassen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Ab dem 18. Jahrhundert wurden in diversen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Biologie, Anthropologie und Medizin rassistische Konzepte zu asiatischen Körpern konstruiert und fanden Eingang in europäische Wissenssysteme. Die deutsche Kolonialpolitik in China, Samoa und Neu-Guinea, sowie die Verfolgung von Chines_innen im Nationalsozialismus sind konkrete Beispiele für die Integration von anti-asiatischem Rassismus in deutsche Staatsideologie und ‑politik.10
Bisher gibt es außerhalb von anti-asiatischem Rassismus als Klammer noch keine etablierten Begriffe, die die spezifischen und intersektional unterschiedlichen Rassismuserfahrungen von asiatischen Menschen umfassen11. Die Benennung einer spezifischen Diskriminierungsform und dessen Anerkennung erfolgt durch die sozialen Bewegungen und Kämpfe der Betroffenen selbst, die sich und ihre systematische Benachteiligung buchstäblich erst einmal selbst sichtbar machen und in den Machtdiskurs einschreiben müssen.
Im Kontext der Übergriffe seit dem Beginn der Pandemie und nach den sexistisch-rassistischen Morden in Atlanta am 16.03.202112 findet der Begriff des anti-asiatischen Rassismus insbesondere auch im transnationalen Kontext zunehmend Verwendung. Dies geschieht einerseits, um auf rassistische Gewalt zu verweisen, und andererseits, um transnational Solidarität zu formulieren. Wie der Hashtag #ichbinkeinvirus wird auch #AntiAsianRacism in unterschiedlichen Sprachen für Widerstand in den sozialen Medien genutzt.
Die aktuelle zunehmende Etablierung des Begriffs anti-asiatischer Rassismus, auch vor dem Hintergrund nachweislich tradierter rassistischer Narrative, ermöglicht es, systemimmanente rassistische Diskriminierung spezifisch gegenüber Asiatischen Deutschen sichtbar zu machen. Beispielsweise kann durch die Benennung des Model-Minority Narrativs eine vermeintlich positive Anerkennung als Strategie des anti-asiatischem Rassismus entlarvt werden, mit der rassistische Diskriminierung von Teilen der Asiatisch-Deutschen Communities insbesondere auf struktureller Ebene unsichtbar gemacht wird.
Gleichzeitig geht mit der Verwendung des Begriffs selbst die Gefahr einher, die Heterogenität asiatischer/asiatisch-diasporischer Communities und ihrer Rassismuserfahrungen zu vereinheitlichen und auszublenden. Asien ist ein von einem postkolonialen Europa heraus imaginiertes Konstrukt und wird als geographischer und geopolitischer Raum unterschiedlich definiert. Der Sichtbarkeits- und Repräsentationsgrad verschiedener asiatischer Communities in Deutschland steht in Verbindung mit deren unterschiedlicher Größe, unterschiedlichen Migrationsgeschichten, sozialen Positionierungen und den auf sie intersektional einwirkenden strukturellen Diskriminierungen,13 die sich z.B. auf Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit, (zugeschriebene) Religionszugehörigkeit, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung beziehen können.
Daher ist es wichtig, anti-asiatischen Rassismus nicht losgelöst von der spezifischen deutschen Geschichte und aktuellen lokalen Entwicklungen zu betrachten und zu analysieren und gleichzeitig auf den Einfluss globaler Verflechtungen hinzuweisen, denen die asiatisch-diasporischen Communities hier unterworfen sind. Beispielsweise waren nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und der Fluchtmigration aus Syrien 2015 Asiatische Deutsche, die muslimisch wahrgenommen wurden, vermehrt rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Demgegenüber waren im Kontext der transnationalen Pandemie Personen, die »China« zugeordnet wurden, stärker betroffen. Hieran wird deutlich, dass und wie Zuschreibungen nach aktuellen politischen, ökonomischen und diskursiven Entwicklungen unterschiedlich auf die soziale Situierung einer Person und deren Alltagsbehandlung wirken.
Ein kritischer Umgang mit der Gefahr der Unsichtbarmachung von Diskriminierungserfahrungen und Privilegien bringt daher die Verantwortung mit sich, bei jeder Verwendung des Begriffs anti-asiatischer Rassismus bewusst auf die spezifischen (Migrations)geschichten und intersektionalen Wirkungsweisen von Diskriminierung einzugehen und diese zu thematisieren.
Emerging Asian Germany: Vielfalt und die Schwierigkeit der Selbstbezeichnung
Seit der Erstauflage dieses Bandes hat sich die asiatische Community-Landschaft in Deutschland erheblich verändert. Neben korientation haben sich Initiativen gegründet und Menschen organisiert, die das Bild dessen, was Asiatisch-Deutsch in Deutschland sein kann, mit einer merkbar größeren Reichweite als noch vor 10 Jahren vervielfältigen und sichtbar machen.14
Aus dem Wunsch sich zu organisieren und sich gegen rassistische Übergriffe im Zusammenhang mit Corona sowohl im medialen und digitalen Kontext als auch im physischen öffentlichen Raum zu wehren, sind neue Vernetzungen, Räume, Plattformen für Widerstand und gegenseitige Unterstützung von und für Asiatisch-Deutsche Communities entstanden, die es in dieser Form bisher in Deutschland nicht gegeben hat.
Auch dank niedrigschwelliger digitaler Ausdrucksmöglichkeiten in den Sozialen Medien oder durch Podcasts15 zeigt sich: Asiatische Deutsche wachsen nicht nur in Hamburg, Berlin oder Köln auf, sondern auch in Dörfern in Süd- oder Ostdeutschland, und sie erzählen von sich aus etwa Tamilisch‑, Iranisch‑, Viet‑, Kurdisch- und Postsowjetisch-Deutscher Perspektive.
Aus dieser Vielfalt heraus äußern sich auch kritische Stimmen zur Bezeichnung »asiatisch« und weisen auf ihren postkolonialen Charakter hin. Uns fehlt eine sichere Datenlage zur Frage, was die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands mit der Imagination von »Asien« bzw. »asiatisch« verbindet. Fakt ist jedoch, dass vor allem während der Pandemie heraufbeschworene und verbreitete Bilder, wie die von China ausgehende und global wirkende »Gelbe Gefahr« für die Menschheit, zur Unsichtbarmachung der Vielfalt asiatischen Lebens in Deutschland beitragen und gleichzeitig ein verzerrtes Feindbild heraufbeschwören.
Was bedeutet also die strategische Selbstbezeichnung »Asiatisch-Deutsch« im historischen Kontext eines Landes, in dem mit der eigenen unaufgearbeiteten Kolonialgeschichte in China, Samoa und Neu-Guinea, über Generationen hinweg ein homogenisiertes Asienbild weitergegeben wird? Krisenzeiten wie die aktuelle COVID-19 Pandemie beweisen, wie wirkmächtig dieses Bild ist, das kontinuierlich abgerufen und reproduziert wird.
Die Bezeichnung »asiatisch« bzw. »Asiatisch-Deutsch« ist demnach nicht nur von außen, sondern auch in und aus den verschiedenen Communities heraus ein umkämpfter Begriff. Wir sehen eine verstärkte Notwendigkeit, uns mit dieser von korientation verwendeten Klammer bewusst und kritisch auseinanderzusetzen. Es darf nicht ausgeblendet werden, dass bei korientation aufgrund der spezifischen Vereinsgeschichte zunächst hauptsächlich Ostasiatisch‑, dann Südost- und nun auch Südasiatisch-Deutsch positionierte Perspektiven vertreten und sichtbar sind, die wiederum ihre Netzwerke in die Vereinsarbeit einbringen.
Die Selbstbezeichnung »Asiatische Deutsche« hat korientation für sich im Sinne eines strategischen Essentialismus gewählt, also als eine »unnatürliche« Festschreibung, die wir zu politischen Zwecken verwenden. Die Gefahr einer solchen soziokulturell konstruierten Selbstzuschreibung ist, dass sie auch ungewollt Ausschlüsse und Unsichtbarkeiten innerhalb der Asiatisch-Deutschen Diaspora reproduzieren kann, solange nicht konsequent auf ihre strategische Konstruiertheit hingewiesen wird. Strategische kollektive Identitäten befinden sich kontinuierlich in einem mit gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Kämpfen einhergehenden Fluss. Sie müssen daher in spezifischen Kontexten unterschiedlich verortet werden. Wichtig ist dabei die Offenheit derjenigen, die unter dem Label Asiatisch-Deutsch agieren. Werden im Namen einer politisch-strategischen Identität (un-)bewusst Ausschlussmechanismen und Unsichtbarmachung innerhalb marginalisierter Gruppen reproduziert, so verliert sie ihre Kraft, nachhaltig positiven sozialen Wandel zu bewirken. Dem möchte korientation entgegenwirken, indem wir inhaltlich und programmatisch auf die Vielheit asiatischer Positionierungen aufmerksam machen und diese auch bewusst mehr in den eigenen Strukturen widerspiegeln. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn Menschen aus unterschiedlichen asiatischen Positionierungen aktiv ihre Ideen, Perspektiven und Geschichten in den Verein einbringen.
Cross-Community Solidarität
Parallel zur zunehmenden Anzahl kritisch und politisch aktiver Asiatisch-Deutscher Akteur_innen, stellt sich vor dem Hintergrund der vielfältigen Formen von Rassismus in der deutschen Gesellschaft die Frage, wie eine solidarische rassismuskritische, postmigrantische Arbeitspraxis aussehen kann, die sich gleichzeitig auch auf die Spezifika der »eigenen« sozialen Gruppe bzw. sozialen Position bezieht? Das Ausbrechen aus dem »Model-Minority-Mythos« bzw. dem Narrativ der gut integrierten und ergo erfolgreichen Minderheit mit der ihm zugrunde liegenden »Teile-und-herrsche«-Logik, die solidarische Allianzen mit anderen PoC sabotiert, steht für uns ganz vorne auf der Tagesordnung.
Themenbezogen hat korientation schon seit ihrer Gründung die Vernetzung und Kooperation mit anderen PoC-Organisationen und Einzelpersonen aus unterschiedlichen Communities gesucht. Inzwischen ist jedoch eine größere Selbstverständlichkeit und Routine im Alltagsgeschäft entstanden, sich gemeinsam mit anderen postmigrantischen Organisationen auszutauschen, in der Öffentlichkeit zu positionieren und aktiver an Lobby-Kampagnen teilzunehmen. Beispiele dafür sind der Begleitausschuss zum Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO)16, in dem korientation mit einer Asiatisch-Deutschen Perspektive vertreten ist, und die Mitwirkung an der Kampagne Vielfalt im Film17 gemeinsam mit Citizens for Europe, Label Noir, BAFNET und vielen weiteren Akteur_innen.
Gerade angesichts der rassistischen Morde in Hanau am 19. Februar 2020 sind wir davon überzeugt, dass sich postmigrantische Organisationen verstärkt über Community-Grenzen hinweg zusammenschließen müssen, um auf der bundespolitischen Bühne die finanzielle Ausstattung und Umsetzung von konkreten Maßnahmen des Empowerments und zur Anerkennung, Dokumentierung und Prävention von Rassismus einzufordern. Allianzen mit unterschiedlich positionierten Menschen und Organisationen sind eine Grundvoraussetzung für eine diskriminierungsärmere Demokratie.
Im Juni 2020 hat korientation einen Community-übergreifenden Dialog initiiert und gemeinsam mit den neuen deutschen organisationen zur Online-Veranstaltung »In the Name Of …«: Begriffe und Positionierungen der Asiatisch-Deutschen und Schwarzen Deutschen Communities eingeladen. Innerhalb von zwei Tagen meldeten sich über einhundert Teilnehmende an. Auf dem digitalen Panel, das von Ferda Ataman (neue deutsche organisationen) moderiert wurde, saßen Saraya Gomis (Each One Teach One), Dr. Noa Ha (TU Dresden), Saboura Naqshband (Berlin Muslim Feminists) und Dr. Sun-Ju Choi (korientation). Die Veranstaltung machte deutlich, dass bei der Diskussion um Selbstbezeichnungen Spezifika einzelner Rassismen, postkolonialer Narrative, geopolitischer Grenzziehungen und bewegungspolitischer Kämpfe einbezogen werden müssen. Sie sind Grundlage dafür, sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten innerhalb von Communities, aber auch Community-übergreifend, erkennen, benennen und besser mitdenken zu können. Die Diskussionen und Entwicklungen in der Geschichte der Schwarzen Bewegung eröffnen hierbei wichtige Ansatzpunkte, die für andere Communities wertvoll sein können. Hierzu zählt die Erkenntnis, nicht die Möglichkeit auszuschließen, dass Bezeichnungen von Zeit zu Zeit aufgrund von Veränderungen im gesellschaftlichen Kontext obsolet werden können. Wie Noa Ha darlegt, ist die Suche nach Selbstbezeichnungen immer mit einem Dilemma behaftet, denn sie entspringt dem Wunsch sich von Festschreibungen zu befreien und zugleich als Kollektiv zu imaginieren.18
Die Veranstaltung stand für uns am Anfang eines langfristigen Prozesses weiterführender Diskussionen und der Entwicklung von Strategien, die sich auf Allianzen konzentrieren und die Frage klären soll, wie wir gemeinsam punktuell und anlassbezogen sowie langfristig handlungsfähig sein können.
Ausblick und Fazit
Auch wenn 2020 nicht einfach war, begann das Jahr für korientation mit der Förderzusage des Bundesprogramms Demokratie leben! für das Modellprojekt »Media and Empowerment for German Asians (MEGA)« durchaus in einer freudigen Aufbruchsstimmung. Nach mehr als 10 Jahren ehrenamtlicher Arbeit bedeutet die finanzielle Förderung des Projekts bis ins Jahr 2024 bessere Voraussetzungen, um sich dem Thema Selbstrepräsentation mit seinen vielen Fragestellungen in seinen diversen Facetten nun auch auf mittelfristige Sicht fokussierter zu widmen!
Zudem lief von August bis Dezember 2020 das Kooperationsprojekt Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland, unter der Beteiligung von Wissenschaftler_innen der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Das Projekt, bei dem korientation sich als Community-Partner beteiligte, untersuchte zum ersten Mal gegen Asiat_innen gerichtete rassistische Einstellungen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Mit einem Community-Survey mit 700 Teilnehmenden und einer Tagebuchstudie mit 70 Teilnehmenden wurden zudem die Auswirkungen von rassistischer Diskriminierung während der Corona-Pandemie auf Asiatische Deutsche erfasst und ausgewertet. Es besteht die Hoffnung, dass die Forschungsergebnisse andere Dokumentationsformen zu Rassismus gegen asiatische Menschen in Deutschland ergänzen. Im besten Fall verstärken wissenschaftliche Nachweise dieser Art den politischen Druck, die Existenz von anti-asiatischem Rassismus in Deutschland anzuerkennen und diesen zu bekämpfen.
Gleichzeitig ist mit weiteren Übergriffen im Kontext der Corona-Pandemie und darüber hinaus zu rechnen. Daher arbeiten wir auf der politischen Ebene an einer offiziellen Anerkennung der Existenz von anti-asiatischem Rassismus als einer spezifischen Form von Rassismus sowie einer Sensibilisierung in allen relevanten Bereichen wie Bildung, Kultur, Medien, Verwaltung, Polizei etc.
Wir sehen die positive Tendenz, dass die Repräsentation von Asiatischen Deutschen durch das immer stärker werdende Engagement unterschiedlicher Gruppen und der wachsenden Anerkennung von anti-asiatischem Rassismus zunehmen wird. Gleichzeitig sind für korientation die Schienen gestärkt und die Weichen gestellt, um die eigene Cross-Community-Arbeit auszubauen und gemeinsam mit anderen Postmigrant_innen für die Repräsentation von Diversität, für Allianzen und für Solidarität über den eigenen Tellerrand hinaus zu kämpfen.
Fußnoten
1 Wir weisen darauf hin, dass es unterschiedliche Schreibweisen gibt, die die soziale Konstruiertheit des »Weißseins« markieren. Neben der hier aufgrund redaktioneller Vorgaben verwendeten Großschreibung wird auch die kleingeschriebene, kursiv gesetzte Schreibweise weiß von korientation verwendet, da es bei weiß gerade nicht um eine widerständige Selbstbezeichnung geht.
2 Der Begriff anti-asiatischer Rassismus bezeichnet einen Komplex, der ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen rassistischer Diskriminierungen umfasst. Siehe auch Abschnitt »Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland«.
3 Wir schreiben »Asiatisch-Deutsch« bzw. »Asiatische Deutsche« als Selbstbezeichnung groß. Wir verweisen damit gleichzeitig auf unsere kulturellen Identitätskonstruktionen wie auch auf unsere gesellschaftspolitische Positionierung. Demgegenüber schreiben wir »asiatisch« als konstruierten Gegenentwurf zum eurozentristischen Selbstverständnis klein, um den Begriff als Fremdzuschreibung kenntlich zu machen.
4 Vielfach werden auch Menschen als südost- und ostasiatisch gelesen, deren tatsächliche Positionierungen und Bezüge außerhalb Südost- und Ostasiens liegen.
5 www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/Dokumente_ohne_anzeige_in_Publikationen/20200504_Infopapier_zu_Coronakrise.pdf (06.05.2020).
6 www.korientation.de/corona-rassismus-medien/
7 www.korientation.de/asiangermanfestival-2020/ (25.–26.07.2020).
8 www.korientation.de/the-bubbly-ts-podcast/
9 Siehe Ausführungen zu aktuellen Forschungsprojekten zu anti-asiatischem Rassismus in Deutschland im Abschnitt »Ausblick und Fazit«.
10 Siehe Leutner, Mechthild/Mühlhahn, Klaus (Hg.) (2007): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung. Berlin; Hiery, Hermann (2018): Die deutschen Kolonien in der Südsee, in: Gründer, Horst/Hiery, Hermann (Hg.) (2018): Die Deutschen und ihre Kolonien. Berlin; S. 89–123; Amenda, Lars (2006): Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung in Hamburg 1897–1972. Hamburg; Keevak, Michael (2011): Becoming Yellow: A Short History of Racial Thinking. Princeton and Oxford; Leutner, Mechthild (2009): »Schlitzäugige Schöne« und »gehorsame Dienerin des Mannes«. Deutsche Bilder von chinesischen Frauen in der Kolonialperiode, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Leutner, Mechthild (Hg.) (2009): Frauen in den deutschen Kolonien. Berlin, S. 194–204.
11 Für weiterführende Literatur zur Verwendung des Begriffs von Rassismen im Plural anstelle von Rassismus im Singular empfehlen wir das kritische Nachschlagewerk Arndt, Susan/Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.) (2019): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. 3. Aufl. Münster.
12 Siehe auch die Beiträge »Machtkritische Solidarität?« und »Offener Brief Atlanta – war da was«.
13 Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: University of Chicago Legal Forum Jg. 43, S.1241–1299. http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8; Roig, Emilia (2021): Why We Matter. Das Ende der Unterdrückung. Berlin.
14 Zu nennen sind unter anderem Afghanische Diaspora in Europa – ADE, Berlin Asian Film Network (BAFNET), D.A.M.N (Deutsche Asiat*innen, Make Noise), Eye to Eye-Workshop, GePGeMi e.V., ichbinkeinvirus.org, Masala Movement, Me Too Asians, MSG & Friends, Queer Asia, Tiger.Riots, un.thai.tled, VLab Berlin, Yuva Berlin und mehr.
15 Beispielsweise Acca Pillai, Anti-was?, Bin ich süßsauer?, Diaspor.Asia, DonnaSori, Halbe Katoffl, Hamam Talk, Maangai – let’s talk!, Mais Podcast, Power of Color, Rice and Shine, The Bubbly T’s, X3, Yvonne kommentiert, und es werden jeden Tag mehr!
16 Siehe https://bundeskonferenz-mo.de
18 Alle weiteren Perspektiven aus der Veranstaltung lassen sich im Video und in der Transkription der Diskussion nachsehen und ‑hören. Siehe www.korientation.de/in-the-name-of (11.06.2020).