Content Note: In diesem Text geht es um sexualisierte Gewalt mit Todesfolge an asiatischen Frauen.
Mitte März erhielten wir eine E‑Mail von Trần Phương Ngân von der gemeinnützigen BIPoC Organisation United Networks gUG mit der Bitte um Unterstützung. Es ging darum, die mediale Berichterstattung zur brutalen Vergewaltigung und Ermordung sowie der versuchten Ermordung zweier Frauen im Juni 2023 im Allgäu kritisch aufzuarbeiten. Das Todesopfer war die 21-jährige Eva Liu, das zweite Opfer die 22-jährige Kelsey Chang. Beide waren zusammen auf Reisen, nachdem sie ihr Studium in Informatik und Computertechnik an der University of Illinois abgeschlossen hatten und – was in den Berichten zur Tat oft unbenannt bleibt – beide waren bzw. sind asiatisch-amerikanische Frauen. Bei dem 31 Jahre alten Täter handelt es sich um einen weißen US-amerikanischen Mann.
Mit Einverständnis von Trần Phương Ngân möchten wir die korientation Webseite nutzen, um der folgenden Analyse zu einem weiteren Mord im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt an asiatischen Frauen Raum zu geben. Denn tödliche Gewalt an (süd-/südost) asiatisch gelesenen FLINTA (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) sind keine Einzelfälle. Sie sind die tödliche Folge systematisch Abwertung von FLINTA und patriarchaler, kolonialer und rassistischer Denkmuster und Strukturen. Warum es wichtig ist, dass wir diese spezifischen Formen von Gewalt und die Verbindung zum deutschem Kolonialismus in Asien benennen, erklärt Cuso aus dem korientation Projekt RADAR in einem Video.
Wir gedenken Eva Liu, sowie der thailändischen Gastronomin Siliya R., die im August 2023 in Berlin ermordet wurde, der 56-jährigen anonymen Sexarbeiterin aus China, die im April 2023 in Berlin überfallen wurde und an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben ist, Lǐ Yángjié, die am Mai 2016 vom Sohn einer Polizistin und dessen Partnerin in Dessau vergewaltigt und ermordet wurde und Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan und Yong Ae Yue, die im März 2021 in drei asiatischen Massagesalons in Atlanta (Georgia) von einem weißen christlichen Fundamentalisten erschossen wurden.
Anfang dieser Woche sind wir in den Medien auf einen Mordfall gestoßen, der sich letztes Jahr am Schloss Neuschwanstein ereignet hat. In den meisten Berichten wurde nur von US-Amerikanerinnen gesprochen (wie hier in der SZ, Spiegel oder DW), doch nach genauerer Recherche stellten wir fest, dass es sich bei den beiden Opfern konkret um Asian Americans handelte. Einige Quellen (wie hier beim BR) erwähnten auch, dass der Täter, ein weißer US-Amerikaner, ein Handy bei sich trug, auf dem pornografisches Material gefunden wurde, das seinen Fetisch für asiatische Frauen zeigte. Die Medien sprechen zwar von „sexualisierter Gewalttat“ und „Femizid“, zitieren den Richter, der gesagt haben soll, dass der Angeklagte „offensichtlich auf Frauen asiatischer Abstammung stehe“, aber erkennen keinen rassistischen und sexistischen Bezug. Wenn darauf eingegangen und darüber berichtet wurde, dann geschah es stereotypisch und wurde heruntergespielt, wie beispielsweise hier im Spiegel unter dem Titel „Manga-Fan mit Liebeskummer: Freundin beschreibt Tatverdächtigen von Neuschwanstein“.
Aus Medienberichten scheint es, dass das Landgericht Kempten nur zwei Mordmerkmale anerkannt hat: die Befriedigung des Geschlechtstriebs und Heimtücke. Ob auch eine rassistische und sexistische Motivation des Täters als niedriger Beweggrund in Frage kam, wissen wir nicht. Dafür müssen wir noch auf die vollständige Urteilsbegründung des Gerichts warten, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Falls dies nicht der Fall sein sollte, dann hat auch das Gericht den Bezug übersehen und das Rechtssystem hätte erneut versagt.
Trần Phương Ngân – United Networks gUG