Dieses Jahr 2022 jährte sich das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 griffen hunderte Rechtsextremist*innen unter dem Applaus tausender Schaulustiger zunächst die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende an, in der vorrangig geflüchtete Rom*nja untergebracht waren. Nachdem diese in Sicherheit gebracht worden waren, richteten sich die gewaltsamen Ausschreitungen des Mobs gegen das Wohnheim ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen im „Sonnenblumenhaus“.
Für ein mediales Erinnern und kollektives Gedenken an die Ereignisse und insbesondere an die Opfer rassistischer und rechter Gewalt, das nicht aus dominanzgesellschaftlich geprägter Perspektive auf die marginalisierten und von Rassismus betroffenen Communities blickt, stellten wir folgende Fragen: Welche Perspektiven und Formen von Gedenken an das Pogrom existieren in der vietnamesischen und in der Rom*nja Community? Welche gesellschaftspolitischen und künstlerischen Zugriffe gibt es auf das Pogrom und welche Räume werden den Betroffenenperspektiven gegeben? Welche gesellschaftspolitische Dimension nehmen diese Ereignisse in der Geschichte Deutschlands ein?
In zwei Kurzvorträgen sowie einem Diskussionspanel sprachen wir über wichtige Strategien postmigrantischer Erinnerungsarbeit sowohl aus wissenschaftlicher Perspektive als auch aus der Perspektive von unterschiedlichen Communities. Zusammen mit Personen aus vietnamesischen und Rom*nja-Communities haben wir die Möglichkeiten einer community-übergreifenden Erinnerungskultur als widerständige Praxis diskutiert und sind dabei auch auf mögliche Differenzen und Unterschiede, aber auch Kontinuitäten in den Zugängen der ersten und zweiten Generation aus den betroffenen Communities auf Pogrom, Gedenken und Erinnerungspolitik eingegangen.
Termin: 16.09.2022, Einlass ab 18:00 Uhr, Beginn um 18:30 Uhr
Ort: Berlin, Adresse wird nach Anmeldung per Email mitgeteilt
Format: Hybrid-Veranstaltung, d.h. Präsenz sowie Live-Stream/Videoaufzeichnung
Link Youtube-Livestream:
Nur mit Anmeldung wegen limitierter Plätze.
Community-Veranstaltung für von Rassismus betroffene Menschen sowie Allies and Friends.
CORONA: tagesaktueller Negativ-Test. Wir bitten Euch auch darum, in den Räumen Masken zu tragen.
PROGRAMM
Kurzvorträge
- „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als institutionalisierter Rassismus“,
Dr. Kien Nghi Ha, Kultur- und Politikwissenschaftler, Uni Tübingen
- „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen – Lokale Perspektive auf Akteur:innen und Gedenken“,
Johann Henningsen, Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“, Soziale Bildung e.V.
Podiumsdiskussion
- Kenan Emini, Roma Center e.V.
- Mai Phuong Kollath, Coachin, interkulturelle Beraterin, Zeitzeugin
- Magdalena Lovrić, Jugendtheatergruppe „So keres?“, Projektkoordination bei der Stiftung EVZ
- Dan Thy Nguyen, Theaterregisseur, Autor, Festivalleiter von fluctoplasma
Moderation: Dr. Kimiko Suda, korientation e.V.
Zu den Referent*innen und Panelist*innen
Kenan Emini, Vorsitzender von Roma Center e.V., Gründung und Leitung des Roma Antidiscrimination Networks seit 2015 bundesweit. Mitbegründer und stellv. Vorsitzender des Bundes Roma Verbandes, Dachorganisation der migrantischen Roma in Deutschland. Recherchereisen zur Situation abgeschobener Roma, unter anderem in Serbien, Kosovo, Mazedonien, und geflüchteter Roma aus der Ukraine in verschiedenen Ländern. Dokufilm „The Awakening“ über die Situation abgeschobener junger Roma in verschiedenen Ländern, von Abschiebung bedrohter junger Roma in Deutschland und Rechtsruck in Europa allgemeine Arbeit zu diesen Themen.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, lehrt und forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Zahlreiche Publikationen zu postkolonialer Kritik, Rassismus und Migration. Zuletzt ist der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A 2012, 2021) erschienen. Seine Monografie Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“ (transcript 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet.
Johann Henningsen ist freier Mitarbeiter im Rostocker Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Er koordiniert dort ein Forschungsprojekt zu den betroffenen Geflüchteten des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992. Das Dokumentationszentrum ist Teil von Soziale Bildung e.V. und arbeitet seit 2015 mit einem Archiv sowie Informations- und Vermittlungsangeboten zum rassistischen Pogrom in Lichtenhagen: lichtenhagen-1992.de
Mai-Phuong Kollath *1963 in Hanoi, Vietnam. 1981 kam sie als Vertragsarbeiterin in die DDR. In der Anfangszeit lebte sie im Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, das 1992 von einem rassistischen Mob angezündet wurde. Zu dieser Zeit lebte sie weiterhin in Rostock und wurde Zeitzeugin des Pogroms und der rassistischen Stimmung nach der Wiedervereinigung. Die Diplom-Pädagogin leitete 16 Jahre hauptamtlich die Migrationsberatungsstelle in Rostock und leistete aktive Vorstandsarbeit bei dem deutsch-vietnamesischen Verein Diên Hồng. Heute arbeitet sie als Coach, interkulturelle Beraterin sowie Familientherapeutin in Berlin.
Magdalena Lovrić, Dipl. Pädagogin der Jugend-und Erwachsenenbildung. Seit den 1990ern in Rom*nja-Selbstorganisationen tätig. Gründete 2013 die Jugendtheatergruppe „So keres?“ in Berlin zur Reflexion der Verfolgungsgeschichte von Sintizze* und Romnja* aus der Perspektive des Überlebens und Widerstands sowie zum Empowerment junger Rom*nja. Referentin der historisch politischen Bildung zu Rassismus gegen Rom*nja im Kontext von Schule, Erinnerungskultur und sozialer Arbeit für Pädagog*innen der formalen, non-formalen Bildung und Sozialer Dienste. Seit 2020 Projektkoordination im Förderprogramm Migration und Erinnerungskultur der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).
Dan Thy Nguyen ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger in Hamburg. Er arbeitete an diversen Produktionen u.a. im Ballhaus Naunynstraße, auf Kampnagel, dem Mousonturm Frankfurt, dem MDR und an der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. 2014 entwickelte und produzierte er das Theaterstück „Sonnenblumenhaus“ über das Pogrom von Rostock ‑Lichtenhagen, welches 2015 in seiner Hörspielversion die „Hörnixe“ gewonnen hat und bis heute noch an diversen Institutionen gespielt wird. Seit 2020 leitet er mit seiner Produktionsfirma Studio Marshmallow das Hamburger Festival „fluctoplasma – 96h Kunst Diskurs Diversität“ und er ist stellvertretender Vorstand der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg. 2021 erhielt er zusammen mit dem Gesamtensemble den Deutschen Hörspielpreis für seine schauspielerische Leistung.
Kimiko Suda arbeitet als Soziologin/Sinologin in den Bereichen Wissenschaft und politische/kulturelle Bildung in Berlin. Sie beschäftigt sich mit intersektionalen Aushandlungsprozessen und Widerstand im Kontext von Rassifizierung, Identität, sozialer Positionierung, Repräsentation und Macht. Kollektives Erinnern begreift sie als politische Praxis und Intervention. Sie ist seit 2009 in unterschiedlichen Funktionen (Vorstand, Ko-Leitung Filmfestival, Referentin, Ehrenamt) für den Verein korientation e.V. tätig.
Kooperationspartner
Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung ist eine staatliche überparteiliche Bildungseinrichtung. Unsere Angebote zu Demokratieförderung, politischer Teilhabe und politischer Bildung richten sich an alle Berlinerinnen und Berliner. Wir ermuntern dazu, die eigenen Interessen aktiv in demokratische Entscheidungsprozesse einzubringen. „verstehen | beteiligen | verändern“
Dies ist eine Veranstaltung des korientation e.V. in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für Politische Bildung.
Die Veranstaltung wird im Rahmen des Modellprojektes MEGA durch das BMFSFJ im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert.