AllgemeinFilmProjekt RADARVeranstaltungenWorkshop

解殖华人区!一起来揭露并干预德国的殖民性。

Köln, in was für einer Stadt wollen wir eigentlich leben?
Diese Frage stellten wir uns vom Projekt RADAR vom 22.–26.11.2023 in Köln, wo wir Kontinuitäten des deut­schen Kolonialismus unter die Lupe nahmen, die sich auch alle in Köln zeigen.

Im soge­nannten Ehrenfelder „Chinesenviertel“ finden sich Takustraße, ‑platz und ‑feld, die Lansstraße und die Iltisstraße. Alle erinnern aus Perspektive der deut­schen Kolonialherren an die gewaltsame Kolonisierung von Teilen Chinas. In dieser Zeit ver­fes­tigen und ver­schlimmern sich kolo­niale Ausbeutung und ras­sis­tische Bilder, die Menschen aus vielen Teilen Asiens bis heute beein­flussen und die heutige BRD formen.

Gemeinsam mit Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und anderen Multiplikator*innen der poli­ti­schen Bildung gingen wir den Fragen nach:
Was bedeutet es konkret, die kolo­niale Geschichte Kölns zu behandeln? Welche Grundlagen, die kolo­niale Ausbeutung ermög­lichten, sind bis heute wirk­mächtig? Wie sieht eine Praxis der poli­ti­schen Bildung aus, die aktiv gegen fort­wäh­rende kolo­niale Ungerechtigkeit arbeitet?

Auf dieser Seite kommt ihr zur Dokumentation der Veranstaltungsreihe, sowie auch zum Programm.


Rückblick & Dokumentation 

Permalink: www.korientation.de/dokumentation-decolonize-chinesenviertel/

Programm

Permalink: www.korientation.de/decolonize-chinesenviertel-programm-2023/


Credits
Grafik: Salma Abdo und Fadi Elias


Gefördert von der Bundeszentrale für poli­tische Bildung

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der BpB dar.
Für inhalt­liche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.

Projekt MEGAVeranstaltungenVerein

Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=OsKbIHv6jOI

Dieses Jahr 2022 jährte sich das ras­sis­tische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 griffen hun­derte Rechtsextremist*innen unter dem Applaus tau­sender Schaulustiger zunächst die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende an, in der vor­rangig geflüchtete Rom*nja unter­ge­bracht waren. Nachdem diese in Sicherheit gebracht worden waren, rich­teten sich die gewalt­samen Ausschreitungen des Mobs gegen das Wohnheim ehe­ma­liger viet­na­me­si­scher Vertragsarbeiter*innen im „Sonnenblumenhaus“. 

Für ein mediales Erinnern und kol­lek­tives Gedenken an die Ereignisse und ins­be­sondere an die Opfer ras­sis­ti­scher und rechter Gewalt, das nicht aus domi­nanz­ge­sell­schaftlich geprägter Perspektive auf die mar­gi­na­li­sierten und von Rassismus betrof­fenen Communities blickt, stellten wir fol­gende Fragen: Welche Perspektiven und Formen von Gedenken an das Pogrom exis­tieren in der viet­na­me­si­schen und in der Rom*nja Community? Welche gesell­schafts­po­li­ti­schen und künst­le­ri­schen Zugriffe gibt es auf das Pogrom und welche Räume werden den Betroffenenperspektiven gegeben? Welche gesell­schafts­po­li­tische Dimension nehmen diese Ereignisse in der Geschichte Deutschlands ein?

In zwei Kurzvorträgen sowie einem Diskussionspanel sprachen wir über wichtige Strategien post­mi­gran­ti­scher Erinnerungsarbeit sowohl aus wis­sen­schaft­licher Perspektive als auch aus der Perspektive von unter­schied­lichen Communities. Zusammen mit Personen aus viet­na­me­si­schen und Rom*nja-Communities haben wir die Möglichkeiten einer community-übergreifenden Erinnerungskultur als wider­ständige Praxis dis­ku­tiert und sind dabei auch auf mög­liche Differenzen und Unterschiede, aber auch Kontinuitäten in den Zugängen der ersten und zweiten Generation aus den betrof­fenen Communities auf Pogrom, Gedenken und Erinnerungspolitik eingegangen.

Termin: 16.09.2022, Einlass ab 18:00 Uhr, Beginn um 18:30 Uhr
Ort: Berlin, Adresse wird nach Anmeldung per Email mit­ge­teilt
Format: Hybrid-Veranstaltung, d.h. Präsenz sowie Live-Stream/Videoaufzeichnung
Link Youtube-Livestream:
Nur mit Anmeldung wegen limi­tierter Plätze.
Community-Veranstaltung für von Rassismus betroffene Menschen sowie Allies and Friends.
CORONA: tages­ak­tu­eller Negativ-Test. Wir bitten Euch auch darum, in den Räumen Masken zu tragen. 

PROGRAMM

Kurzvorträge

  • „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als insti­tu­tio­na­li­sierter Rassismus“,
    Dr. Kien Nghi Ha, Kultur- und Politikwissenschaftler, Uni Tübingen
  • „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen – Lokale Perspektive auf Akteur:innen und Gedenken“,
    Johann Henningsen, Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“, Soziale Bildung e.V.

Podiumsdiskussion

Moderation: Dr. Kimiko Suda, kori­en­tation e.V.

Zu den Referent*innen und Panelist*innen

Kenan Emini, Vorsitzender von Roma Center e.V., Gründung und Leitung des Roma Antidiscrimination Networks seit 2015 bun­desweit. Mitbegründer und stellv. Vorsitzender des Bundes Roma Verbandes, Dachorganisation der migran­ti­schen Roma in Deutschland. Recherchereisen zur Situation abge­scho­bener Roma, unter anderem in Serbien, Kosovo, Mazedonien, und geflüch­teter Roma aus der Ukraine in ver­schie­denen Ländern. Dokufilm „The Awakening“ über die Situation abge­scho­bener junger Roma in ver­schie­denen Ländern, von Abschiebung bedrohter junger Roma in Deutschland und Rechtsruck in Europa all­ge­meine Arbeit zu diesen Themen.

Kien Nghi Ha, pro­mo­vierter Kultur- und Politikwissenschaftler, lehrt und forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Zahlreiche Publikationen zu post­ko­lo­nialer Kritik, Rassismus und Migration. Zuletzt ist der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A 2012, 2021) erschienen. Seine Monografie Unrein und ver­mischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolo­nialen „Rassenbastarde“ (tran­script 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet.

Johann Henningsen ist freier Mitarbeiter im Rostocker Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Er koor­di­niert dort ein Forschungsprojekt zu den betrof­fenen Geflüchteten des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen 1992. Das Dokumentationszentrum ist Teil von Soziale Bildung e.V. und arbeitet seit 2015 mit einem Archiv sowie Informations- und Vermittlungsangeboten zum ras­sis­ti­schen Pogrom in Lichtenhagen: lichtenhagen-1992.de

Mai-Phuong Kollath *1963 in Hanoi, Vietnam. 1981 kam sie als Vertragsarbeiterin in die DDR. In der Anfangszeit lebte sie im Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, das 1992 von einem ras­sis­ti­schen Mob ange­zündet wurde. Zu dieser Zeit lebte sie wei­terhin in Rostock und wurde Zeitzeugin des Pogroms und der ras­sis­ti­schen Stimmung nach der Wiedervereinigung. Die Diplom-Pädagogin leitete 16 Jahre haupt­amtlich die Migrationsberatungsstelle in Rostock und leistete aktive Vorstandsarbeit bei dem deutsch-vietnamesischen Verein Diên Hồng. Heute arbeitet sie als Coach, inter­kul­tu­relle Beraterin sowie Familientherapeutin in Berlin.

Magdalena Lovrić, Dipl. Pädagogin der Jugend-und Erwachsenenbildung. Seit den 1990ern in Rom*nja-Selbstorganisationen tätig. Gründete 2013 die Jugendtheatergruppe „So keres?“ in Berlin zur Reflexion der Verfolgungsgeschichte von Sintizze* und Romnja* aus der Perspektive des Überlebens und Widerstands sowie zum Empowerment junger Rom*nja. Referentin der his­to­risch poli­ti­schen Bildung zu Rassismus gegen Rom*nja im Kontext von Schule, Erinnerungskultur und sozialer Arbeit für Pädagog*innen der for­malen, non-formalen Bildung und Sozialer Dienste. Seit 2020 Projektkoordination im Förderprogramm Migration und Erinnerungskultur der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).

Dan Thy Nguyen ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger in Hamburg. Er arbeitete an diversen Produktionen u.a. im Ballhaus Naunynstraße, auf Kampnagel, dem Mousonturm Frankfurt, dem MDR und an der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. 2014 ent­wi­ckelte und pro­du­zierte er das Theaterstück „Sonnenblumenhaus“ über das Pogrom von Rostock ‑Lichtenhagen, welches 2015 in seiner Hörspielversion die „Hörnixe“ gewonnen hat und bis heute noch an diversen Institutionen gespielt wird. Seit 2020 leitet er mit seiner Produktionsfirma Studio Marshmallow das Hamburger Festival „fluc­to­plasma – 96h Kunst Diskurs Diversität“ und er ist stell­ver­tre­tender Vorstand der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg. 2021 erhielt er zusammen mit dem Gesamtensemble den Deutschen Hörspielpreis für seine schau­spie­le­rische Leistung.

Kimiko Suda arbeitet als Soziologin/Sinologin in den Bereichen Wissenschaft und politische/kulturelle Bildung in Berlin. Sie beschäftigt sich mit inter­sek­tio­nalen Aushandlungsprozessen und Widerstand im Kontext von Rassifizierung, Identität, sozialer Positionierung, Repräsentation und Macht. Kollektives Erinnern begreift sie als poli­tische Praxis und Intervention. Sie ist seit 2009 in unter­schied­lichen Funktionen (Vorstand, Ko-Leitung Filmfestival, Referentin, Ehrenamt) für den Verein kori­en­tation e.V. tätig.

Kooperationspartner

Die Berliner Landeszentrale für poli­tische Bildung ist eine staat­liche über­par­tei­liche Bildungseinrichtung. Unsere Angebote zu Demokratieförderung, poli­ti­scher Teilhabe und poli­ti­scher Bildung richten sich an alle Berlinerinnen und Berliner. Wir ermuntern dazu, die eigenen Interessen aktiv in demo­kra­tische Entscheidungsprozesse ein­zu­bringen. „ver­stehen | betei­ligen | ver­ändern

Dies ist eine Veranstaltung des kori­en­tation e.V. in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für Politische Bildung.

Die Veranstaltung wird im Rahmen des Modellprojektes MEGA durch das BMFSFJ im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin im Rahmen des Partizipations- und Integrationsprogramms gefördert.

BlogPolitikVerein

kori­en­tation unter­stützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages orga­ni­siert hat. Die zen­trale Veranstaltung war die bun­des­weite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo.
Wir ver­öf­fent­lichen mehrere Redebeiträge auf unserer Webseite zur Dokumentation. Es folgt hier der Redebeitrag, der auf der Abschlusskundgebung von Kien Nghi Ha gehalten wurde.

Entschädigung und Rückkehrrecht für die Betroffenen des Pogroms

Bereits vor zehn Jahren war ich an diesem Ort, um meine Rede „Ich bin hier, weil ihr hier seid“ zu halten. 2012 war ich einer der wenigen Menschen of Color und meines Wissens nach der einzige Vietdeutsche, der damals ange­fragt wurde, inhaltlich bei­zu­tragen. Die Situation heute hat sich stark ver­bessert. Ich bin sehr froh, dass so viele ver­schiedene Perspektiven aus unter­schied­lichen Communities of Color hier ver­treten sind. Dieses inter­kom­munale und soli­da­rische Gedenken stärkt mich und ich weiß, dass wir zusammen erinnern, gedenken und kämpfen können. 

Die viet­na­me­si­schen Bewohner:innen des Sonnenblumenhauses kamen als Vertragsarbeiter:innen in die DDR, wo sie in iso­lierten Heimen wohnten, als Asiat:innen im Alltag exo­ti­siert wurden, aber auch mit ras­sis­ti­schen Zumutungen wie ungleichem Lohn und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu kämpfen hatten. Die Ethnisierung der Arbeitslosigkeit im Zuge der Abwicklung der DDR-Betriebe ver­schärfte ihre auf­ent­halts­rechtlich wie sozial prekäre Situation nochmals. Wenn wir uns an den jah­re­langen Kampf für das Bleiberecht der ehe­ma­ligen Vertragsarbeiter:innen in Erinnerung rufen, dann wird schnell klar, wie müh­selig, kos­ten­in­tensiv und ner­ven­auf­reibend die Auseinandersetzung mit dem Ausländeramt für die Betroffenen für jede auf wenige Monate befristete Duldung war. Es fiel der Politik sehr schwer das rigide Régime des Ausländerrechts zu lockern und als 1997 dann eine Bleibeperspektive zustande kam, wurden mög­lichst hohe Auflagen ein­gebaut. Viele mussten in die Zwangsselbstständigkeit gehen, um nicht durch Sozialhilfebezug ihr Aufenthaltsrecht zu gefährden und über­lebten diese Situation nur durch selbst­aus­beu­te­rische Arbeitsbedingungen. Auch die Polizei spielte nicht nur in dieser Zeit eine sehr unrühm­liche Rolle, wobei die auf­se­hen­er­re­genden Missbrauchsfälle auf dem Polizeirevier Bernau im Jahr 1994 nur eine von vielen Fällen des insti­tu­tio­na­li­sierten Rassismus in dieser Behörde dar­stellt. Insoweit wider­spricht das Pogrom nicht den bis dato gemachten Deutschlanderfahrungen, sondern reiht sich als nega­tiver Höhepunkt in die Serie von ras­sis­ti­schen Diskriminierungs, Marginalisierungs- und Gewalterfahrungen ein.

Angesichts der Tatumstände und der Verstricktheit von Politik, Medien und Sicherheitsorganen erwar­teten die ange­grif­fenen Communities keine Hilfe von der Weißen Mehrheitsgesellschaft. Ihre Erfahrungen waren dies­be­züglich ein­deutig: Statt Entschädigung und eine ange­messene juris­tische Aufarbeitung der ras­sis­ti­schen Gewalt, waren sie von der Abschiebung bedroht. Gerade die stän­digen Konflikte mit deut­schen Verwaltungen auf­grund des unge­si­cherten Aufenthaltsrechts, löste grund­sätz­liche Ängste aus. Wer mit solchen fort­dau­ernden exis­tenz­be­dro­henden Problemen kon­fron­tiert ist, hat natürlich nicht den Kopf frei sich mit den viel­fäl­tigen Auswirkungen des Pogroms aus­ein­an­der­zu­setzen. Die viet­deutsche Community in Rostock war und ist aktiv. Der Glaube, dass sie passiv und unsichtbar seien, ist ein Klischee. Sie hat sich sehr wohl vor Ort für ein bes­seres und inter­kul­tu­relles Zusammenleben ein­ge­setzt. So wie sie sich während des Pogroms selbst­or­ga­ni­siert, ver­teidigt und sich selbst über das Dach aus dem bren­nenden Haus gerettet hat, so hat sie später das Bleiberecht gegen Widerstände aus Politik und Verwaltung erstritten und sich aktiv für den Aufbau ihrer lokalen Gemeinschaft ein­ge­setzt. Für diese Verdienste gebührt ihr viel Respekt und Anerkennung.

Vor 30 Jahren lebte ich als junger Student der Politikwissenschaft in Berlin. Ich kam als Kind einer Boat-People Familie nach West-Berlin wuchs eigentlich mit dem Wunsch auf, aner­kannter Teil der deut­schen Gesellschaft zu sein und wollte wie viele Menschen of Color wie selbst­ver­ständlich dazu gehören. Ich wollte in Deutschland einfach ent­spannt leben.

Aber das Pogrom gegen die viet­na­me­sische Community in Rostock-Lichtenhagen räumte grund­legend mit meinen Illusionen über Deutschland auf. Je natio­na­lis­ti­scher der deutsche Wiedervereinigungsprozess eska­lierte und je stärker die ras­sis­ti­schen Exzesse in den Parlamentsdebatten und die auf­het­zende Medienberichterstattung über die angeb­liche „Asylantenflut“ wurden, desto wach­samer und poli­ti­scher wurde ich. Ich habe in dieser Zeit so viel über die Weiße deutsche Gesellschaft gelernt und hatte das Gefühl, erstmals hinter die Fassade der liberal-bürgerlichen Idylle zu blicken. Was ich dann in Rostock-Lichtenhagen unge­schminkt sah, war ein ras­sis­ti­scher Abgrund, der blanke Horror. So viel mas­sen­hafter dumpfer Hass gepaart mit dem selbst­ver­liebten Selbstbild als auf­ge­klärte Nation der Dichter, Denker und Dauersäufer. Die live im Fernsehen über­tra­genen Bilder von dem bren­nenden Sonnenblumenhaus, das tagelang wie bei einer mit­tel­al­ter­lichen Belagerung sturmreif ange­griffen wurde, waren einfach unfassbar: Es sprengte alles, was ich mir bis dahin vor­stellen konnte im modernen, angeblich so zivi­li­sierten und demokratisch-rechtsstaatlichen Deutschland. Rostock-Lichtenhagen war für mich ein erneuter Zivilisationsbruch! Meine Gefühle waren eine bizarre und wider­sprüch­liche Mischung aus abso­lutem Unglauben, Entsetzen, Abscheu, Wut, Trauer, Hilfslosigkeit und Trotz. In der unmit­tel­baren Situation wusste ich mir nicht besser zu helfen als einen Leserbrief an die taz zu schreiben.

Was ich in diesen Jahren eben­falls erlebte und was mich bis heute prägt, war aber auch die Erfahrung in migran­ti­schen, anti­ras­sis­ti­schen Zirkeln von People of Color, dass selbst­or­ga­ni­sierter Widerstand möglich ist, dass wir soli­da­rische Strukturen auf­bauen können und trotz unserer beschränkten Mittel nicht wehrlos sind.

Vor dem Pogrom in Lichtenhagen dachten alle, dass sowas nach der Nazizeit in Deutschland nicht mehr möglich sei. Das dachte ich auch. Bis zum Pogrom lebte ich in einer rea­li­täts­fernen Blase und dachte ich sei inte­griert, weil ich den deut­schen Pass habe. Rostock-Lichtenhagen und die explo­si­ons­artige ras­sis­tische Gewaltwelle in den 1990er Jahren zeigten mir, dass es ein anderes, sehr dumpfes und immer noch ziemlich schwarz­braunes Deutschland gibt. Das Pogrom dauerte vier Tage. Es war ein Volksfest mit Deutschlandweit ange­reisten Teilnehmenden. Es gab Bratwurstbuden, viel Bier und ein jubelndes Publikum. Und obwohl dieses ras­sis­tische Spektakel in aller Öffentlichkeit zele­briert und im Fernsehen live über­tragen wurde, war das absolut Unmögliche trotzdem möglich bzw. wurde durch das Versagen der Weißen Institutionen möglich gemacht. Solange es einen struk­tu­rellen Rassismus in der Gesellschaft gibt und die Institutionen dieses Machtungleichgewicht abbilden und ras­sis­tische Hierarchien mit Leben füllen, ist Rassismus in jeder Form denkbar und möglich. Wir müssen daher wachsam und soli­da­risch bleiben.

Forderungen

1) Auch nach 30 Jahren ist es nicht zu spät, die Rom*nja und viet­deut­schen Betroffenen des Pogroms mate­riell zu ent­schä­digen und ihnen ein Rückkehrrecht anzu­bieten. Wenn die offi­zielle Entschuldigung der Stadt Rostock von 2002 nicht nur eine leere Floskel ohne Konsequenzen ist, wäre es jetzt dringend geboten, ein groß­zügig aus­ge­stat­teten Fond zur Wiedergutmachung des his­to­ri­schen Unrechts ein­zu­richten. Nach dem skan­da­lösen Versagen von Politik, Stadtverwaltung und Justiz fordern wir die staat­lichen Institutionen auf, zumindest jetzt ein Mindestmaß an rechts­staat­lichen und ethi­schen Anstand zu zeigen.

2) Wir fordern die Kultur- und Wissenschaftsbetriebe auf, sich stärker mit den Pogromen und der ras­sis­ti­schen Gewalt in den 1990er Jahren aus­ein­an­der­setzen. Diese Zeit ist so grund­legend wichtig und gerade der Komplex Rostock-Lichtenhagen wurde bisher nur unzu­rei­chend erforscht und ist kul­turell kaum verarbeitet.

3) Wir fordern die Stadt Rostock auf, dass dezen­trale Gedenkkonzept zu über­ar­beiten und die bisher unver­ständ­lichen Denkmäler so zu ergänzen, dass sie dazu ein­laden sich inhaltlich mit dem Pogrom auseinanderszusetzen.

4) Wir fordern alle Menschen und spe­ziell die Medien dazu auf, das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen nicht weiter als „aus­län­der­feind­liche Gewaltexzesse“ oder als „frem­den­feind­liche Ausschreitungen“ klein­zu­reden und zu ver­harm­losen sowie die Verantwortung staat­licher Institutionen und poli­ti­scher Eliten unsichtbar zu machen. Das Pogrom ist ein Pogrom, weil staat­liche Institutionen und Verantwortungsträger unpro­fes­sionell han­delten. Sie haben versagt, die Gewalt zuge­lassen und tole­riert. Und in nicht wenigen Fälle wurde der Rassismus – inten­diert oder nicht – poli­tisch und medial gefördert. Wer die his­to­rische Tatsachen – so bitter und unbequem sie auch sind – leugnet, setzt ras­sis­tische Praktiken fort, die die Betroffenen des Pogroms erneut dis­kri­mi­niert. Das wollen und werden wir nicht zulassen. Dagegen werden wir uns heute und in Zukunft mit aller Macht gemeinsam wehren.

BlogPolitikVerein

kori­en­tation unter­stützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages orga­ni­siert hat. Die zen­trale Veranstaltung war die bun­des­weite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo. Im Folgenden unser Redebeitrag.

Wir sprechen für kori­en­tation, einer post/migrantischen Selbstorganisation und einem Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven aus Berlin.  

Wir soli­da­ri­sieren uns mit den Betroffenen des Pogroms, mit den viet­na­me­si­schen / viet-deutschen Communities, mit den Rom*nja-Communities, mit allen Betroffenen ras­sis­ti­scher und rechter Gewalt.

In unserem Verein sind Menschen mit unter­schied­lichen Geschichten aus Asiatisch-Deutschen Communities. Uns eint, dass wir als asia­tisch mar­kierte Menschen in Deutschland leben und spe­zi­fische Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen teilen. Viele unserer Eltern sind als „Gast-“ oder Vertragsarbeiter*innen nach Deutschland gekommen, viele als Geflüchtete. Einige von uns lebten als Kinder in Wohnheimen, Geflüchtetenunterkünften. Wenn wir die Bilder des grö­lenden, hass­erfüllten Mobs das bren­nende Sonnenblumenhaus stürmen sehen und die Tausenden Beifall klat­schenden Bürger*innen vor dem Haus, berührt uns das direkt. 

Das hätten auch wir sein können.

Die Menschen im Sonnenblumenhaus vor 30 Jahren, die um ihr Leben bangten, hätten auch unsere Eltern sein können, unsere Onkels und Tanten, Cousinen, Brüder, Schwestern.

Wir erinnern an die tage­lange extreme Gewalt, an die Todesängste der Betroffenen ange­sichts des ras­sis­ti­schen Mobs, denen sie nach dem Rückzug der Polizei aus­ge­liefert waren. Bis heute gab es keine offi­zielle Entschuldigung oder Wiedergutmachung.

Wir erinnern auch an den Widerstand und Mut der viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiter*innen, die sich mit Holzstangen gegen die ein­ge­drun­genen rechten Gewalttäter ver­tei­digten und einen Weg fanden, um sich gemeinsam übers Dach ins Nachbargebäude zu retten.

Ein post­mi­gran­ti­sches, nicht-hegemoniales Erinnern muss die Überlebenden und Betroffenen von Rassismus und rechter Gewalt wür­digen und erinnern. Die Betroffenen und ihre Perspektiven tauchen in den domi­nanten, täter­zen­trierten Erinnerungsdiskursen nicht auf. Die Betroffenen werden nicht gehört und beteiligt, schlicht und einfach ver­gessen. Beispiel hierfür ist die Gestaltung des Mahnmals an das Pogrom der Stadt Rostock im Jahr 2017.

Ein Erinnern, das auf Veränderung zielt, muss die Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit Rassismus in der deut­schen Gesellschaft ein­fordern, der struk­turell und insti­tu­tionell his­to­risch ver­ankert ist und bis in die Gegenwart fortwirkt.

Anti-asiatischer Rassismus, his­to­rische Kontinuitäten 

Anti-asiatischer Rassismus ist in Deutschland schließlich kein neues Phänomen, sondern eta­blierte sich spä­testens mit der deut­schen Kolonialisierung chi­ne­si­scher und pazi­fi­scher Gebiete im 19. Jh. auf der struk­tu­rellen und insti­tu­tio­nellen Ebene.

Daher stellt Rostock-Lichtenhagen keinen Einzelfall dar, sondern einen tra­gi­schen Höhepunkt von anti-asiatischem Rassismus in Deutschland. Der wurde nicht benannt, nicht auf­ge­ar­beitet, insti­tu­tionell negiert und unsichtbar gemacht. Dies gilt auch für den mas­siven Rassismus gegen die geflüch­teten Rom*nja. 

Auch die Ermordung etwa von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân 1980 in Hamburg, Phan Văn Toản 1997 in Fredersdorf, Pham Duy-Doan 2011 in Neuss und die Vergewaltigung sowie der Mord von Li Yangjie 2016 in Dessau ver­weisen auf his­to­rische Zusammenhänge, die bis in die Gegenwart reichen. Erst vor kurzem hat der mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 auf­flam­mende anti-asiatische Rassismus gezeigt, wie schnell kolo­ni­al­ras­sis­tische Stereotypen und Feindbilder in Medien, Politik und breiten Gesellschaftsschichten akti­viert werden und in ras­sis­tische Übergriffe in der Öffentlichkeit münden.

Cross-Community Solidaritäten und Gedenken

Unser Engagement gegen anti-asiatischen Rassismus ist grund­legend mit anti-rassistischen Kämpfen und his­to­ri­schen Erfahrungen von anderen Communities of Color verbunden.

Dazu gehört bei­spiels­weise die Auseinandersetzung mit dem NSU-Terror, dem Anschlag von Hanau oder der Support für die Black Lives Matter-Bewegung. 

Dazu gehört auch die gegen­seitige Solidarisierung und die Notwendigkeit von Cross-Community-Allianzen im Gedenken und in der Aufarbeitung der Vielzahl von unauf­ge­ar­bei­teten, ver­ges­senen Fällen.

Wir ver­weisen auf die wichtige Arbeit von Gedenkinitiativen. Das Handeln von zivil­ge­sell­schaft­lichen Akteur*innen, das Handeln von post/migrantischen Selbstorganisationen ist uner­setzlich, um poli­ti­schen Druck auf staat­liche Institutionen zu erzeugen.

Es geht darum, den Ermordeten und Hinterbliebenen zu sozialer Gerechtigkeit zu verhelfen.

Es geht darum, weitere Gewalt gegen People of Color und mar­gi­na­li­sierte soziale Gruppen in Deutschland zu verhindern.

Es geht darum, für unsere eigene Zukunft, unsere eigene Sicherheit und Gleichberechtigung in diesem Land zu kämpfen.

Forderungen

  • Wir unter­stützen die Forderungen des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992.
  • Wir fordern die deutsche Regierung auf, anti-asiatischen Rassismus in natio­nalen Aktions- und Maßnahmenplänen gegen Rassismus neben anderen Rassismen und Diskriminierungsformen anzuerkennen. 
  • Wir fordern eine multi-perspektivische Erinnerungspolitik.
  • Wir fordern eine Wiedergutmachung in Form einer ange­mes­senen Entschädigung der Betroffenen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen.
  • Aus aktu­ellem Anlass machen wir auf die dro­hende Abschiebung des ehe­ma­ligen viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiters Pham Phi Son auf­merksam, der mit seiner Familie in Chemnitz wohnt. Er kam 1987 nach Deutschland und lebt seit 35 Jahren in Sachsen! Die Stadt plant seine Abschiebung. Unterschreibt die Petition an den Sächsischen Landtag. Wir fordern die unbe­fristete Niederlassungserlaubnis für Pham Phi Son!
    (https://www.openpetition.de/petition/online/nach-35-jahren-in-sachsen-familie-pham-nguyen-muss-bleiben)

„Antirassistisches / (post)migrantisches Erinnern heißt
politisch/kollektiv inter­ve­nieren
und Gesellschaft verändern!“

BlogPolitikVeranstaltungen

ENGLISH VERSION CLICK HERE

IN MEMORY, IN RESISTANCE

Gedenken an die Opfer des rassistischen & sexisistischen Anschlags in der Gegend um Atlanta vom 16.03.2021

Am 16. März jährt sich der ras­sis­tische & sexis­tische Anschlag auf Spa-Mitarbeiter*innen in der Gegend um Atlanta, Georgia/USA. Wir, als Teil der asia­ti­schen Diaspora in Deutschland, wollen den Anlass nehmen, um zusam­men­zu­kommen & eine Mahnwache in Gedenken an die acht Opfer, von denen sechs asia­tische Frauen waren, & im Kampf gegen die kapi­ta­lis­ti­schen, ras­sis­ti­schen & sexis­tisch patri­ar­chalen Strukturen, in den USA, Deutschland & global zu halten.

In Gedenken an Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan, Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun, Paul Andre Michels.

Mahnwache

In Solidarität mit den Opfern & deren Angehörigen ver­an­stalten wir eine Mahnwache mit Redebeiträgen & Performances:

WANN: Samstag, den 19. März 2022 von 13:00 bis 15:30 Uhr
WO: an der Friedensstatue in Berlin-Moabit (Ecke Birkenstraße/Bremer Straße) 

Zur Mahnwache sind alle Menschen herzlich eingeladen!

Außerdem wird es nach den Redebeiträgen & Performances einen Community Space geben. Zu diesem Community Space laden wir alle Menschen herzlich ein, die negativ von Rassismus gegen ost­asia­tisch und süd­ost­asia­tisch gelesene Menschen betroffen sind, um sich bei Tee, Snacks & Musik ken­nen­zu­lernen, aus­zu­tau­schen & zu vernetzen.

Wir freuen uns sehr, euch alle zahl­reich auf der Mahnwache & auch auf dem Community Space zu sehen!

Bitte teilt die Infos zur Mahnwache! Dieser Veranstaltungstext wird noch in wei­teren Sprachen übersetzt.

UNTERSTÜTZT DIE ORGA-GRUPPE

Zudem wird für die Organisation der Mahnwache noch dringend Unterstützung gebraucht! Insbesondere Allies / Verbündete sind hier ange­sprochen ange­messene Aufgaben zu über­nehmen. Auf Instagram (u.a. bei @storiesbythuy und @korientation) gibt es einen Aufruf mit Aufgabenliste & Awareness-Konzept. 

Bei Interesse & Kapazitäten für Unterstützung & bei Rückfragen, meldet euch gerne bei uns unter:
in-memory-in-resistance@riseup.net 

ORGANISATOR*INNEN

Die Mahnwache wird von Einzelpersonen der asia­ti­schen Diaspora orga­ni­siert. „Wir sind eine kleine Gruppe von asiatisch-diasporischen Menschen aus Berlin. Wir stellen uns gegen die kapi­ta­lis­ti­schen, ras­sis­ti­schen und sexistisch-patriarchalen Strukturen in den USA, Deutschland und global.“ 

(Dies ist keine Veranstaltung von kori­en­tation, wird aber von kori­en­tation unterstützt.)

kori­en­tation ver­weist auf den Offenen Brief gegen anti-asiatischen Rassismus, der einen Monat nach dem Anschlag am 16.04.2021 ver­öf­fent­licht wurde.


English Version

In Memory, In Resistance

Remembering the victims of the racist and sexist attack in the Atlanta area on March 16, 2021.

March 16 marks the one-year anni­versary of the racist and sexist attack on spa workers in the Atlanta area, Georgia/USA. We, as part of the Asian dia­spora in Germany, want to take the occasion to come tog­ether and hold a vigil in memory of the eight victims, six of whom were Asian women, and in resis­tance against the capi­talist, racist, and sexist patri­archal struc­tures in the USA, Germany, and globally.

In memory of Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan, Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun, Paul Andre Michels.

VIGIL

In soli­darity with the victims and their families, we will hold a vigil with speeches and per­formers (the speakers and per­formers will be announced soon).

DATE: Saturday, March 19, 2022 from 1:00 to 3:30 pm
WHERE: at the Statue of Peace / Friedensstatue in Berlin-Moabit (corner of Birkenstraße and Bremer Straße)

In addition, there will be a com­munity space after the speeches and per­for­mances. To this com­munity space we warmly invite all people who are nega­tively affected by racism against East Asian- and Southeast Asian-perceived people to meet, exchange and connect over tea, snacks, and music.

We are very much looking forward to seeing you all in large numbers at the vigil and also at the Community Space! Please spread the news and share the info about the vigil! 

This call text will also be trans­lated into other lan­guages. More infor­mation will follow.

SUPPORT NEEDED

Moreover, support is still urgently needed for the orga­nization of the vigil. Allies in par­ti­cular are addressed here to take on appro­priate tasks.In the pre­vious Instagram post (among others at @storiesbythuy and @korientation) there is a call with a task list and our awa­reness concept. 

If you are inte­rested and have capacity for support, as well as any ques­tions, feel free to contact us at:
in-memory-in-resistance@riseup.net

ORGANIZERS

This vigil is orga­nized by indi­vi­duals from the Asian dia­spora in Germany. „We are a small group of Asian-diasporic people from Berlin. We oppose the capi­talist, racist and sexist patri­archal struc­tures in the US, Germany and globally.“

(Note: This is not orga­nized by kori­en­tation. We support the vigil and the cause.)

We include a link to the Open Letter against anti-asian racism that was published one month after the attack on April 16, 2021.

AllgemeinBlog

von Kimiko Suda

Sich kol­lektiv und öffentlich an ein gesell­schaft­liches Ereignis wie einen ras­sis­ti­schen Angriff oder Anschlag zu erinnern, bedeutet immer, auch als eine soziale Gruppe poli­tisch Stellung zu beziehen und einen Platz in der Gesellschaft für die Repräsentation eigener Perspektiven auf die sozialen Verhältnisse der Gegenwart ein­zu­fordern. In den letzten Jahren for­miert sich in Deutschland ein zunehmend brei­terer öffentlich-medialer Diskurs über post­mi­gran­tische[1] Erinnerungskultur. Dieser Diskurs umfasst eine Aufarbeitung der deut­schen Kolonialpolitik und ihrer Nachwirkungen[2], der his­to­ri­schen und aktu­ellen Auswirkungen des Nazi-Regimes auf BPoC[3], der staat­lichen Anwerbe- und Migrationspolitik in Westdeutschland ab Ende der 1950er (Lee 2021; Kataoka et al 2012; Choi/Berner 2006; Goel 2013) und in Ostdeutschland ab den 1980ern (Dennis 2017), aber auch spe­zi­fisch der soge­nannten „Baseballschlägerjahre“[4] der Nachwendezeit (Weiss 2017). Die Aufarbeitung erfolgt dabei oftmals explizit aus einer rassismus- und macht­kri­ti­schen Perspektive, d.h. es wird struk­tu­reller Rassismus ana­ly­siert und kon­tex­tua­li­siert sowie bewusst die Handlungsmacht und Subjektivität der Betroffenen von ras­sis­ti­scher Gewalt berück­sichtigt. Am Vorantreiben dieses Diskurses sind Aktivist*innen aus (post)migrantischen, post­ko­lo­nialen, anti­ras­sis­ti­schen und anti­fa­schis­ti­schen Initiativen und Beratungsstellen, ein­zelne Mitarbeiter*innen und Projekte von Bildungsinstitutionen wie Stiftungen, Museen[5] und Universitäten[6], sowie weitere enga­gierte Einzelpersonen wie Rechtsanwält*innen und Künstler*innen[7] beteiligt.

Wichtiger Teil dieses Diskurses ist eine öffent­liche Auseinandersetzung mit der poli­ti­schen Verantwortung, weitere Gewalt gegen ras­si­fi­zierte und mar­gi­na­li­sierte soziale Gruppen in Deutschland zu ver­hindern – im deut­schen Kontext spe­zi­fisch auch vor dem his­to­ri­schen Hintergrund des Nazi-Regimes. Weiter geht es um die detail­lierte Aufarbeitung und Dokumentation der Ereignisse, sowie das Einfordern und Etablieren eines wür­de­vollen Gedenkens für die Ermordeten, um ein Vergessen dieser Menschen und ihrer Schicksale in Deutschland zu ver­hindern. Alle drei Aspekte wurden in vielen Fällen ras­sis­ti­scher Morde auf der insti­tu­tio­nellen Ebene grob ver­nach­lässigt oder voll­ständig negiert, daher ist die Arbeit dieser zivil­ge­sell­schaft­lichen Akteur*innen uner­setzlich. Sie ist uner­setzlich, um poli­ti­schen Druck zu erzeugen, den Ermordeten und ihren Hinterbliebenen zu sozialer Gerechtigkeit zu ver­helfen und eben um jene kol­lektive soziale Verantwortung zu gene­rieren, keine wei­teren ras­sis­ti­schen Taten geschehen zu lassen.

Noch bevor die rechte und ras­sis­tische Gewalt der „Baseballschlägerjahre“ auch in den öffentlich-rechtlichen Medien stärker und kri­ti­scher the­ma­ti­siert wurde, haben seit den 1990er Jahren unter­schied­liche Initiativen bei­spiels­weise in Mölln[8], Rostock-Lichtenhagen[9], Hoyerswerda[10] und Lübeck[11] jah­relang mühevoll für die öffent­liche Anerkennung ras­sis­ti­scher Morde, eine Entschädigung der Opfer und Hinterbliebenen und ein wür­de­volles Gedenken für die Ermordeten gekämpft. Neben den Aktionen weißer deut­scher Antifas, deren Arbeit als Teil sozialer Bewegungen in Deutschland relativ gut doku­men­tiert wurde (Jänicke/Paul-Siewert 2017; Langer 2016), bestand auch weit weniger doku­men­tierter prak­ti­scher (post)migrantischer Widerstand gegen rechte Gewalt. 1989 gründete sich bei­spiels­weise die mehr­heitlich Türkisch-Kurdisch Deutsche Antifa Gençlik in Berlin, um sich gegen Übergriffe von Neonazis im öffent­lichen Raum orga­ni­siert zu wehren. Sie ver­öf­fent­lichten eine Zeitschrift und Flugblätter, in denen sie Rassismuskritik auch mit Kapitalismuskritik ver­banden, und dabei auf die Teile-und-Herrsche-Strategie der deut­schen Regierung in Hinsicht auf „deutsche“ und „aus­län­dische“ Arbeitende ver­wiesen (ak wantok 2014). Sie sind Vorbild für die aktu­ellen Cross-Community-Migrantifa-Formationen in Deutschland.[12] Beeindruckend ist auch der Mut von Nguyen Dinh Khoi, einem ehe­ma­ligen Vertragsarbeiter, der sich gegen rechte Übergriffe gewehrt hat, wie er in „Die Wendegeneration und rechte Gewalt. Baseballschlägerjahre“ (RBB Dokureihe von 2020) erzählt.[13] Wichtige Zeitzeugnisse zur Wendezeit aus BPOC-Perspektive sind darüber hinaus die Filme„Durvalar – Mauern – Walls“[14] von Can Candan und „die Mauer ist uns auf den Kopf gefallen“[15] von Diane Izabiliza.

Weitere Cross-Community-Initiativen zum Gedenken an ras­sis­tische Morde auch vor und nach der Wendezeit sind die Initiative DU 26. August 1984[16], die Gedenkinitiativen für Burak Bektaş [17] und Oury Jalloh[18], die Initiative 12. August[19] und die Initiative Halskestrasse[20]. Die Initiativen, die nach den Anschlägen jün­geren Datums, den NSU-Morden[21] an unter­schied­lichen Orten der Bundesrepublik, Halle[22] und Hanau[23], ihre Arbeit auf­nahmen, hatten demnach bereits „Vorbilder“ für ihre Arbeit im trau­rigen Sinne. Trotz der Arbeit, die bereits seit drei Jahrzehnten im Bereich der Aufarbeitung und wider­stän­digen Gedenkkultur gemacht wird[24], muss jeder Kampf und jede Auseinandersetzung lokal fast wieder von Neuem begonnen werden. Es fehlt die Bereitschaft in der Politik und all­gemein in der deut­schen Gesellschaft, Verantwortung für ver­gangene ras­sis­tische Gewalttaten, aber auch die Gegenwart zu über­nehmen. Die Gründe dafür liegen unter anderem an der Kontinuität von „Othering“, d.h. die Ermordeten werden wei­terhin als „die Anderen“ begriffen, als „Fremde“, als „Nicht-weiße“ und nicht zur gesell­schaft­lichen „Mitte“ zuge­hörig, und somit auch einer tie­fer­ge­henden Aufarbeitung und eines Gedenkens nicht wert. Ein ver­ant­wor­tungs­volles Gedenken umfasst auch die Frage nach dem „Wegschauen“ und der Mitschuldigkeit hin­sichtlich ras­sis­ti­scher Gewalt im öffent­lichen Raum, die extrem unbequem ist. Die Mitglieder der Gedenkinitiativen, die eine solche Auseinandersetzung ein­fordern, werden dann auch oftmals von ein­zelnen lokalen Politiker*innen und Anwohner*innen als „Nestbeschmutzer*innen“ und als „Unruhestifter*innen“ beschimpft, um sie mundtot zu machen und eine Mitschuld an den Geschehen der Vergangenheit und eine Verantwortung für die Gegenwart von sich zu weisen.

Das aktuelle Beispiel der Gedenkinitiative Phan Văn Toàn

Nach der Erschießung von acht Menschen, dar­unter sechs asia­ti­schen Frauen, im US-amerikanischen Atlanta durch einen weißen christ­lichen Fundamentalisten am 16. März 2021[25] demons­trierten circa 300 vor allem junge Asiatische Deutsche, Mitglieder von kori­en­tation, des Berlin Asian Film Network (BAFNET), von Deutsche Asiat*innen Make Noise (DAMN*) und soli­da­rische Einzelpersonen, im Zentrum Berlins[26]. Sie gedachten der Ermordeten und for­derten öffentlich, dass anti-asiatischer Rassismus geächtet werden müsse. Damit einher ging ein öffent­licher Brief gegen anti-asiatischen Rassismus, der im März und April 2021 von 1216 Personen und Organisationen unter­schrieben wurde.[27] Es wurde also eine relativ große Öffentlichkeit zu diesem Thema erzeugt. Vor dem Hintergrund der deut­lichen Zunahme an Übergriffen auf asiatisch-gelesene Personen in Deutschland im Jahr 2020 im Kontext der medialen Kulturalisierung und Rassifizierung des Corona-Virus[28] war diese Form der kol­lek­tiven Repräsentation ein wich­tiges Signal des Zusammenhalts nach innen in die Asiatisch-Deutschen Communities, aber auch nach außen hin­sichtlich einer kol­lek­tiven Mobilisierbarkeit von Asiatischen Deutschen für poli­ti­schen Protest im öffent­lichen Raum.

Gleichzeitig ist die Geschichte der Asiatisch-Deutschen Communities jedoch in staat­lichen Bildungsinstitutionen wie Schulen, Universitäten und Museen – von der Unsichtbarkeit ras­sis­ti­scher Morde abge­sehen – ins­gesamt ver­gleichs­weise wei­terhin unter­re­prä­sen­tiert, auch wenn Formierungsprozesse, wie zu Anfang dieses Textes beschrieben, fest­zu­stellen sind. Weiterhin ist von einer großen Dunkelziffer hin­sichtlich ras­sis­ti­scher Übergriffe, die in der Nachwendezeit außerhalb der urbanen Zentren verübt wurden und die nur durch zähe Recherchearbeit in Medien- und Gerichtsarchiven ans Tageslicht kommen werden, aus­zu­gehen. Im Januar 2020 orga­ni­sierten Engagierte aus der Strausberger Gruppe „Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt“(BorG)[29] und der VVN-BdA Märkisch-Oderland[30] zum ersten Mal eine Kundgebung zum Gedenken an den ehe­ma­ligen Vertragsarbeiter Phan Văn Toản, der im Januar 1997 in Fredersdorf bei einem ras­sis­ti­schen Übergriff zunächst schwer ver­letzt wurde und im April des­selben Jahres an seinen Verletzungen ver­starb. Noch am selben Tag wurde der an der S‑Bahn-Station pro­vi­so­risch errichtete Gedenkort ver­wüstet, Plakate wurden abge­rissen und der Blumenschmuck zer­stört. Aus dem Wunsch heraus, zu einem wür­digen Gedenken an Phan Văn Toản und zu einer poli­ti­schen Einordnung der Tat bei­zu­tragen, gründete sich die „Gedenkinitiative Phan Văn Toản“. Wäre die Initiative nicht aktiv an kori­en­tation e.V. her­an­ge­treten, hätten wir ver­mutlich niemals von Phan Văn Toảns Tod erfahren. Sein Fall wurde in einem Bericht des Politikwissenschaftlers und Historikers Christof Kopke (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) mit dem Titel „Überprüfung umstrit­tener Altfälle Todesopfer rechts­extremer und ras­sis­ti­scher Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“[31] und von der Opferperspektive e.V. in Brandenburg auf­ge­griffen und auf deren Website in deren Gedenkkalender „Kein schöner Land. Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg“ mit­be­rück­sichtigt.[32] Bisher sind leider nur wenige bio­gra­fische Informationen über Phan Văn Toản bekannt. Er hatte eine Partnerin in Deutschland und ver­mutlich noch Familie in Vietnam. Der Mord an ihm muss in den Kontext des gesell­schaft­lichen und poli­ti­schen Klimas der soge­nannten „Baseballschlägerjahre“ ein­ge­ordnet werden. Eine größere Anzahl der ehe­ma­ligen viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiter*innen, die sich ent­schieden hatte, nach der Wiedervereinigung in Deutschland zu bleiben, durch­lebte zwi­schen 1989 und 1997 eine Zeit der Prekarität und beruf­lichen Unsicherheit, da sie aus den Betrieben, für die sie staatlich ange­worben worden waren, ent­lassen wurden. Viele von ihnen erhielten erst 1997 mit der zweiten Bleiberechtsregelung im deut­schen Ausländergesetz eine recht­liche Grundlage für einen lang­fris­tigen Aufenthaltsstatus und somit eine Arbeitserlaubnis für den regu­lären Arbeitsmarkt. Diese Prekarität, die bei­spiels­weise auch Phan Văn Toản dazu zwang, seinen Lebensunterhalt mit infor­mellen Gelegenheitsjobs wie Zigarettenverkauf an S‑Bahnhöfen zu bestreiten, stellte damals unfrei­willig die Lebensrealität einer Vielzahl von Menschen dar. Die Markiertheit als „asia­tisch“ und BPoC ver­stärkte die Vulnerabilität dieser Menschen im öffent­lichen Raum. Der Zwang, sich täglich stun­denlang an öffent­lichen Orten auf­zu­halten, mit dem Gefühl, sich ange­sichts der großen Häufigkeit von Überfällen durch Neonazis seiner phy­si­schen und emo­tio­nalen Unversehrtheit nicht sicher sein zu können, muss eine große Belastung in der dama­ligen Zeit dar­ge­stellt haben. Zeitzeug*innen betonen jedoch, dass sie sich nicht aus­schließlich als Opfer der dama­ligen Verhältnisse sehen, sie hätten ihr Leben durch­ge­zogen und auch gefeiert, Freundschaften auf­gebaut und Familien gegründet. Die Angst, ins­be­sondere nach Anbruch der Dunkelheit ange­griffen zu werden, hätte sie jedoch jah­relang begleitet. Dieses Lebensgefühl wird bei­spiels­weise auch in Angelika Bach Ngoc Nguyens Film „Bruderland ist abge­brannt“ (1992)[33] beschrieben. Auch Mai Phuong Kollath, eine Aktivistin und Zeitzeugin des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen, berichtete Ähnliches auf der Diskussionsveranstaltung „Remember, Resist, Unite“[34].

Bemühungen der Gedenkinitiative Phan Văn Toản, Unterstützung von lokalen Politiker*innen für die Errichtung bei­spiels­weise einer Gedenktafel zu erhalten, sind bisher mehr­heitlich im Leeren ver­laufen. Auch Pfarrer*innen und andere gesell­schaftlich ein­fluss­reiche Personen sind einer Einladung zu einer Vernetzungsveranstaltung nicht gefolgt. Große und aus­dau­ernde Hilfsbereitschaft wurde nur von einer ein­zigen Politikerin gezeigt, die sich aus der Motivation, der lokalen AfD Stimmen abzu­ziehen, zur Wahl gestellt hat, und einem BPoC-Politiker aus einem kleinen Nachbarort. Ein Vertreter der Hamburger Initiative Halskestraße schätzte in einem digi­talen Vernetzungstreffen, dass es die Gedenkinitiative für Phan Văn Toản vor­aus­sichtlich min­destens sechs bis acht Jahre kosten wird, um eine Gedenktafel durch­setzen zu können. Der Prozess, sich Wissen über den Fall anzu­eignen, in den Austausch mit den Hinterbliebenen und der viet­na­me­si­schen Community zu treten, Unterstützung auf der lokalen poli­ti­schen Ebene zu finden und eine größere Öffentlichkeit zu dem Fall zu erzeugen, das alles brauche eben Zeit. Am 27. September 2021 orga­ni­sierte die Gedenkinitiative Phan Văn Toản eine öffent­liche Diskussionsveranstaltung in einer umge­bauten Scheune, nicht weit vom Tatort, an der rund 40 Personen teil­nahmen. Es dis­ku­tierten der ehe­malige Bürgermeister von Altlandsberg Ravindra Gujjula, die Geschäftsführerin der Opferperspektive e.V. Judith Porath, Christop Kopke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, die Journalistin und Filmemacherin Angelika Bach Ngoc Nguyen und für die Gedenkinitiative Samuel Signer und Kimiko Suda. Unter den Teilnehmenden der Veranstaltung fielen vor allem eine ältere Frau auf, die gemeinsam etwas gegen die vor Ort aktiven Reichsbürger unter­nehmen wollte, und ein Fredersdorfer, der sagte, er sei dort zur Zeit des Mordes ein Teenager gewesen, er würde sich an den Fall erinnern und würde ein Denkmal unter­stützen. Ein ehe­ma­liger Gemeinderat betonte, dass er nichts gegen die Arbeit der Gedenkinitiative ein­zu­wenden hätte, er wolle sie aber auch nicht aktiv unter­stützen, er wolle lieber neutral bleiben.

Die Gedenkinitiative Phan Văn Toản als Cross-Community-Vorhaben ermög­licht einen Lernprozess zwi­schen unter­schied­lichen Menschen – die Mitglieder der VNN-BDA Märkisch-Oderland lernen etwas über Asiatisch-Deutsche Perspektiven auf die „Baseballschlägerjahre“, deren Berliner Mitglieder von kori­en­tation lernen etwas über die Alltagsrealität und poli­ti­schen Verhältnisse in Märkisch-Oderland. Ohne die Unterstützung anti­fa­schis­ti­scher Netzwerke könnte kori­en­tation bei­spiels­weise keine Gedenkkundgebung für Phan Văn Toản an der S‑Bahn Fredersdorf durch­führen. Der Risikofaktor, als weit sichtbare größere Gruppe von Asiatischen Deutschen und Asiat*innen ange­griffen zu werden, wäre aktuell immer noch zu groß, während das Vertrauen in die Polizei, die Sicherheit zu gewähr­leisten, zu gering ist. Und ohne die Vorarbeit von Christof Kopke und Judith Porath, beides Zeitzeug*innen der „Baseballschlägerjahre“ und anti­fa­schis­tisch poli­tisch aktiv in der Region seit den 1990er Jahren, wäre der Mord an Phan Văn Toản für nach­fol­gende Generationen unsichtbar geblieben.

Fazit und Ausblick

Es bedarf einer spe­zi­fi­schen Aufarbeitung Asiatisch-Deutscher indi­vi­du­eller Schicksale und kol­lek­tiver Geschichte(n) und eines Ausbaus der Asiatisch-Deutschen Erinnerungskultur aus den Communities heraus für die Communities und in die weißen Institutionen und die all­ge­meine Gesellschaft hinein. Daneben sind Cross-Community-Allianzen erfor­derlich, ins­be­sondere auch außerhalb der urbanen Zentren, um eine nach­haltige öffent­liche Gedenkpraxis durch­setzen zu können. Um in einem Ort wie Fredersdorf eine umstrittene Gedenktafel auf­stellen zu können, bedarf es zunächst erst einmal per­sön­licher lokaler Beziehungen, Vertrauen und Einflussnahme, die Außenstehende nicht so leicht in kurzer Zeit oder grund­sätzlich nicht auf­bauen können. Gleichzeitig brauchen die lokalen Aktivist*innen Verstärkung von außen, um spe­zi­fi­sches Wissen über die Asiatisch-Deutsche Geschichte und Perspektiven zu bekommen, und auch generell, um den Mut ange­sichts der man­gelnden Unterstützung vor Ort nicht zu ver­lieren. Auf der insti­tu­tio­nellen Ebene bedarf es der Entwicklung einer erwei­terten juris­ti­schen Definition davon, was ein ras­sis­tisch moti­vierter Mord ist, die eine gezielte staat­liche Verfolgung von „Hate Crimes“ ermög­licht. In den Fällen, in denen es gelungen ist, einen Gedenkort zu errichten, besteht oftmals das Problem der Zerstörung und Vandalisierung der Gedenkorte[35], d.h. mit der Errichtung ist der Prozess kei­neswegs abge­schlossen, sondern es muss darüber hinaus ver­stärkt Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden und Schutzvorkehrungen müssen erar­beitet werden. Der Prozess des Einschreibens einer historisch-informierten und ras­sis­mus­kri­ti­schen Perspektive auf Morde, Pogrome und Übergriffe im deut­schen Alltag in den öffentlichen-medialen Diskurs ist lange noch nicht voll­endet – bezie­hungs­weise der Prozess ist ohne Abschluss zu ver­stehen, solange wir nicht sicher sein können, dass im öffent­lichen Raum keine ras­sis­ti­schen Übergriffe mehr pas­sieren werden.

Wir hoffen, dass ihr bei der nächsten Gedenkkundgebung in Fredersdorf für Phan Văn Toản dabei sein werdet – 2022 jähren sich im Januar und im April der Übergriff und sein Todestag zum 25. Mal! Aktuelle Informationen zur Arbeit der Gedenkinitiative findet ihr auf der Website[36] der Initiative.

Referenzen

ak wantok (Hg.) (2014): Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988–1994), Münster: Unrast Verlag.

Choi, Sun-ju / Berner, Heike (Hg.) (2006): Zuhause. Erzählungen von deut­schen Koreanerinnen, Assoziation A.

Dennis, Mike (2017): Vietnamesische Migration in den 1980er Jahren: Arbeiten in einem kom­mu­nis­ti­schen Paradies, in: Kocatürk-Schuster et al. (2017): unsichtbar. Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten, DoMiD, S. 78–97.

Foroutan, Naika (2019): Die post­mi­gran­tische Gesellschaft. Ein Versprechen der plu­ralen Demokratie, Bielefeld/Berlin: transcript.

Goel, Urmila (2013): „ ‚von unseren Familien finan­ziell unab­hängig und weit weg von der Heimat‘ Eine eth­no­gra­phische Annäherung an Migration, Geschlecht und Familie“ in: Thomas Geisen, Tobias Studer und Erol Yildiz (Hrsg.) (2013), Migration, Familie und soziale Lage – Beiträge zu Bildung, Gender und Care, Wiesbaden: Springer VS, 251–270.

Jänicke, Christin / Paul-Siewert Benjamin (Hg.)(2017): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigen­ständige Bewegung, Verlag Westfälisches Dampfboot

Atsushi Kataoka / Regine Mathias / Meid u. a. (Hg.)(2012), „Glückauf“ auf Japanisch. Bergleute aus Japan im Ruhrgebiet. Essen, Klartext.

Langer, Bernd (2016): Antifaschistische Aktion: Geschichte einer links­ra­di­kalen Bewegung, Unrast Verlag.

Lee, You-Jae (Hg.)(2021): Glück Auf! Lebensgeschichten korea­ni­scher Bergarbeiter in Deutschland, iudicium.

Lierke, Lydia / Perinelli, Massimo (Hg.)(2020):Erinnern stören. Der Mauerfall aus migran­ti­scher und jüdi­scher Perspektive, Verbrecher Verlag.

Piesche, Peggy (Hg.)(2020): Labor 89. Intersektionale Bewegungsgeschichte*n aus West und Ost, Verlag Yilmaz Günay.

Weiss, Karin (2017): Vietnamesische „Vertragsarbeiter*innen“ der DDR seit der deut­schen Wiedervereinigung, in: Kocatürk-Schuster et al. (2017): unsichtbar. Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten, DoMiD„ S. 111–125.


[1] Zum Begriff „post­mi­gran­tisch“ siehe Foroutan 2019.

[2] Siehe bei­spiels­weise die Auftaktveranstaltung der Dekoloniale: https://www.youtube.com/watch?v=s683I-d2s6w, abge­rufen am 20.11.2021.

[3] Siehe bei­spiels­weise Informationen über „Stolpersteine“ für Schwarze Deutsche https://taz.de/Stolpersteine-fuer-Schwarze-Deutsche/!5791607/, und Chines*innen in Hamburg https://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?&MAIN_ID=7&p=78&BIO_ID=3087

[4] Der Begriff „Baseballschlägerjahre“ wurde vom Autor und Journalisten Christian Bangel als Hashtag in den sozialen Medien eta­bliert und über den medialen Kontext hinaus auf­ge­griffen. Bangel wuchs in der Nachwendezeit als Jugendlicher in Frankfurt an der Oder auf, und wählte den Begriff, um auf die Alltäglichkeit der bru­talen Gewalt von Neonazis auf­merksam zu machen. Dieser Hashtag wird in den sozialen Medien über die mehr­teilige ARD-Reportage unter diesem Namen hinaus, von Leuten mit Erinnerungen an die 1990er Jahre verwendet.

[5] Beispielsweise das FHXB Museum, das MARKK, die Stiftung Berliner Mauer und der Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf (Schwartzsche Villa).

[6] Beispielsweise Dr. Manuela Bauche (FU Berlin) mit dem Projekt »Geschichte der Ihnestr. 22« und Prof. Dr. Iman Attia (ASH Berlin) mit dem Projekt „Verwobene Geschichten“ (https://www.verwobenegeschichten.de/ ).

[7] Beispielsweise die Künstlerin Lizza May David: http://www.lizzamaydavid.com/

[8] https://gedenkenmoelln1992.wordpress.com/2019/12/16/kein-schweigen-kein-vergessen/

[9] https://vimeo.com/ondemand/diewahrheitliegtrostock, https://lichtenhagen-1992.de/pogrom/

[10] https://www.hoyerswerda-1991.de/nach-1991/gedenkkultur.html

[11] https://hafenstrasse96.org/

[12] https://www.korientation.de/interviewreihe-migrantifa-hessen/

[13] Siehe die Dokumentation „Baseballschlägerjahre: Ich bleibe – Folge 6“ unter fol­gendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=t5ixVow-SvY

[14] https://www.bpb.de/mediathek/305232/duvarlar-mauern-walls

[15] https://www.verwobenegeschichten.de/themen/film-die-mauer-ist-uns-auf-den-kopf-gefallen

[16] http://www.inidu84.de/

[17] http://burak.blogsport.de/

[18] https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

[19] https://initiative12august.de/

[20] https://inihalskestrasse.blackblogs.org/

[21] https://www.nsu-watch.info/

[22] https://dubisthalle.de/tag/terroranschlag

[23] https://www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de/

[24] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/213-todesopfer-seit-1990-ein-trauriger-rueckblick-auf-30-jahre-rechte-gewalt-64777/.

[25] https://www.nytimes.com/2021/03/19/us/atlanta-shooting-victims-spa.html

[26] https://www.korientation.de/demo-28–03-2021-berlin-atlanta-asian-diaspora-germany/

[27] https://www.korientation.de/atlanta-offener-brief/

[28] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Factsheet_Anti_Asiatischer_Rassismus_Final.pdf

[29] https://horte-srb.de/borg/

[30] https://mol.vvn-bda.de/

[31] Es gibt eine präzise Beschreibung des Tatvorgangs hier. Diese hat jedoch der Autorin dieses Beitrags die Tränen in die Augen getrieben, daher hier eine Triggerwarnung (ab S.100): https://www.mmz-potsdam.de/files/MMZPotsdam/Bilder_Meldungen/2015/Forschungsbericht%2006_2015_Botsch.pdf

[32] https://www.todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/victims-van-toau-phan.php

[33] Siehe den Film unter: https://www.youtube.com/watch?v=2B3WDt6MkZk

[34] Mehr Informationen über die Veranstaltung unter: https://www.korientation.de/remember-resist-unite-diskussion-23092021/

[35] Siehe bei­spiels­weise diese Fälle der Zerstörung von Gedenkorten für Opfer ras­sis­ti­scher Gewalt: https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/mit-hakenkreuz-und-afd-schriftzug-gedenkstaette-fuer-burak-bektas-in-berlin-neukoelln-erneut-beschaedigt/27375692.html, https://www.belltower.news/anti-asiatischer-rassismus-gedenktafel-fuer-chinesische-ns-opfer-in-hamburg-angegriffen-und-beschmutzt-98467/, https://www.aachener-zeitung.de/nrw-region/gedenkort-fuer-opfer-von-hanau-in-koeln-zerstoert_aid-56387783, https://www.welt.de/politik/deutschland/article201795384/NSU-Die-meisten-Mahnmale-fuer-Opfer-werden-geschaendet.html, abge­rufen am 23.11.2021.

[36] Siehe Website der Initiative (noch im Aufbau): https://phanvantoan.de/,