korientation unterstützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages organisiert hat. Die zentrale Veranstaltung war die bundesweite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo. Im Folgenden unser Redebeitrag.
Wir sprechen für korientation, einer post/migrantischen Selbstorganisation und einem Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven aus Berlin.
Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen des Pogroms, mit den vietnamesischen / viet-deutschen Communities, mit den Rom*nja-Communities, mit allen Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt.
In unserem Verein sind Menschen mit unterschiedlichen Geschichten aus Asiatisch-Deutschen Communities. Uns eint, dass wir als asiatisch markierte Menschen in Deutschland leben und spezifische Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen teilen. Viele unserer Eltern sind als „Gast-“ oder Vertragsarbeiter*innen nach Deutschland gekommen, viele als Geflüchtete. Einige von uns lebten als Kinder in Wohnheimen, Geflüchtetenunterkünften. Wenn wir die Bilder des grölenden, hasserfüllten Mobs das brennende Sonnenblumenhaus stürmen sehen und die Tausenden Beifall klatschenden Bürger*innen vor dem Haus, berührt uns das direkt.
Das hätten auch wir sein können.
Die Menschen im Sonnenblumenhaus vor 30 Jahren, die um ihr Leben bangten, hätten auch unsere Eltern sein können, unsere Onkels und Tanten, Cousinen, Brüder, Schwestern.
Wir erinnern an die tagelange extreme Gewalt, an die Todesängste der Betroffenen angesichts des rassistischen Mobs, denen sie nach dem Rückzug der Polizei ausgeliefert waren. Bis heute gab es keine offizielle Entschuldigung oder Wiedergutmachung.
Wir erinnern auch an den Widerstand und Mut der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen, die sich mit Holzstangen gegen die eingedrungenen rechten Gewalttäter verteidigten und einen Weg fanden, um sich gemeinsam übers Dach ins Nachbargebäude zu retten.
Ein postmigrantisches, nicht-hegemoniales Erinnern muss die Überlebenden und Betroffenen von Rassismus und rechter Gewalt würdigen und erinnern. Die Betroffenen und ihre Perspektiven tauchen in den dominanten, täterzentrierten Erinnerungsdiskursen nicht auf. Die Betroffenen werden nicht gehört und beteiligt, schlicht und einfach vergessen. Beispiel hierfür ist die Gestaltung des Mahnmals an das Pogrom der Stadt Rostock im Jahr 2017.
Ein Erinnern, das auf Veränderung zielt, muss die Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit Rassismus in der deutschen Gesellschaft einfordern, der strukturell und institutionell historisch verankert ist und bis in die Gegenwart fortwirkt.
Anti-asiatischer Rassismus, historische Kontinuitäten
Anti-asiatischer Rassismus ist in Deutschland schließlich kein neues Phänomen, sondern etablierte sich spätestens mit der deutschen Kolonialisierung chinesischer und pazifischer Gebiete im 19. Jh. auf der strukturellen und institutionellen Ebene.
Daher stellt Rostock-Lichtenhagen keinen Einzelfall dar, sondern einen tragischen Höhepunkt von anti-asiatischem Rassismus in Deutschland. Der wurde nicht benannt, nicht aufgearbeitet, institutionell negiert und unsichtbar gemacht. Dies gilt auch für den massiven Rassismus gegen die geflüchteten Rom*nja.
Auch die Ermordung etwa von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân 1980 in Hamburg, Phan Văn Toản 1997 in Fredersdorf, Pham Duy-Doan 2011 in Neuss und die Vergewaltigung sowie der Mord von Li Yangjie 2016 in Dessau verweisen auf historische Zusammenhänge, die bis in die Gegenwart reichen. Erst vor kurzem hat der mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 aufflammende anti-asiatische Rassismus gezeigt, wie schnell kolonialrassistische Stereotypen und Feindbilder in Medien, Politik und breiten Gesellschaftsschichten aktiviert werden und in rassistische Übergriffe in der Öffentlichkeit münden.
Cross-Community Solidaritäten und Gedenken
Unser Engagement gegen anti-asiatischen Rassismus ist grundlegend mit anti-rassistischen Kämpfen und historischen Erfahrungen von anderen Communities of Color verbunden.
Dazu gehört beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem NSU-Terror, dem Anschlag von Hanau oder der Support für die Black Lives Matter-Bewegung.
Dazu gehört auch die gegenseitige Solidarisierung und die Notwendigkeit von Cross-Community-Allianzen im Gedenken und in der Aufarbeitung der Vielzahl von unaufgearbeiteten, vergessenen Fällen.
Wir verweisen auf die wichtige Arbeit von Gedenkinitiativen. Das Handeln von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, das Handeln von post/migrantischen Selbstorganisationen ist unersetzlich, um politischen Druck auf staatliche Institutionen zu erzeugen.
Es geht darum, den Ermordeten und Hinterbliebenen zu sozialer Gerechtigkeit zu verhelfen.
Es geht darum, weitere Gewalt gegen People of Color und marginalisierte soziale Gruppen in Deutschland zu verhindern.
Es geht darum, für unsere eigene Zukunft, unsere eigene Sicherheit und Gleichberechtigung in diesem Land zu kämpfen.
Forderungen
- Wir unterstützen die Forderungen des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“.
- Wir fordern die deutsche Regierung auf, anti-asiatischen Rassismus in nationalen Aktions- und Maßnahmenplänen gegen Rassismus neben anderen Rassismen und Diskriminierungsformen anzuerkennen.
- Wir fordern eine multi-perspektivische Erinnerungspolitik.
- Wir fordern eine Wiedergutmachung in Form einer angemessenen Entschädigung der Betroffenen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen.
- Aus aktuellem Anlass machen wir auf die drohende Abschiebung des ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiters Pham Phi Son aufmerksam, der mit seiner Familie in Chemnitz wohnt. Er kam 1987 nach Deutschland und lebt seit 35 Jahren in Sachsen! Die Stadt plant seine Abschiebung. Unterschreibt die Petition an den Sächsischen Landtag. Wir fordern die unbefristete Niederlassungserlaubnis für Pham Phi Son!
(https://www.openpetition.de/petition/online/nach-35-jahren-in-sachsen-familie-pham-nguyen-muss-bleiben)
„Antirassistisches / (post)migrantisches Erinnern heißt
politisch/kollektiv intervenieren
und Gesellschaft verändern!“