korientation unterstützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages organisiert hat. Die zentrale Veranstaltung war die bundesweite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo.
Wir veröffentlichen mehrere Redebeiträge auf unserer Webseite zur Dokumentation. Es folgt hier der Redebeitrag, der auf der Abschlusskundgebung von Kien Nghi Ha gehalten wurde.
Entschädigung und Rückkehrrecht für die Betroffenen des Pogroms
Bereits vor zehn Jahren war ich an diesem Ort, um meine Rede „Ich bin hier, weil ihr hier seid“ zu halten. 2012 war ich einer der wenigen Menschen of Color und meines Wissens nach der einzige Vietdeutsche, der damals angefragt wurde, inhaltlich beizutragen. Die Situation heute hat sich stark verbessert. Ich bin sehr froh, dass so viele verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen Communities of Color hier vertreten sind. Dieses interkommunale und solidarische Gedenken stärkt mich und ich weiß, dass wir zusammen erinnern, gedenken und kämpfen können.
Die vietnamesischen Bewohner:innen des Sonnenblumenhauses kamen als Vertragsarbeiter:innen in die DDR, wo sie in isolierten Heimen wohnten, als Asiat:innen im Alltag exotisiert wurden, aber auch mit rassistischen Zumutungen wie ungleichem Lohn und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu kämpfen hatten. Die Ethnisierung der Arbeitslosigkeit im Zuge der Abwicklung der DDR-Betriebe verschärfte ihre aufenthaltsrechtlich wie sozial prekäre Situation nochmals. Wenn wir uns an den jahrelangen Kampf für das Bleiberecht der ehemaligen Vertragsarbeiter:innen in Erinnerung rufen, dann wird schnell klar, wie mühselig, kostenintensiv und nervenaufreibend die Auseinandersetzung mit dem Ausländeramt für die Betroffenen für jede auf wenige Monate befristete Duldung war. Es fiel der Politik sehr schwer das rigide Régime des Ausländerrechts zu lockern und als 1997 dann eine Bleibeperspektive zustande kam, wurden möglichst hohe Auflagen eingebaut. Viele mussten in die Zwangsselbstständigkeit gehen, um nicht durch Sozialhilfebezug ihr Aufenthaltsrecht zu gefährden und überlebten diese Situation nur durch selbstausbeuterische Arbeitsbedingungen. Auch die Polizei spielte nicht nur in dieser Zeit eine sehr unrühmliche Rolle, wobei die aufsehenerregenden Missbrauchsfälle auf dem Polizeirevier Bernau im Jahr 1994 nur eine von vielen Fällen des institutionalisierten Rassismus in dieser Behörde darstellt. Insoweit widerspricht das Pogrom nicht den bis dato gemachten Deutschlanderfahrungen, sondern reiht sich als negativer Höhepunkt in die Serie von rassistischen Diskriminierungs, Marginalisierungs- und Gewalterfahrungen ein.
Angesichts der Tatumstände und der Verstricktheit von Politik, Medien und Sicherheitsorganen erwarteten die angegriffenen Communities keine Hilfe von der Weißen Mehrheitsgesellschaft. Ihre Erfahrungen waren diesbezüglich eindeutig: Statt Entschädigung und eine angemessene juristische Aufarbeitung der rassistischen Gewalt, waren sie von der Abschiebung bedroht. Gerade die ständigen Konflikte mit deutschen Verwaltungen aufgrund des ungesicherten Aufenthaltsrechts, löste grundsätzliche Ängste aus. Wer mit solchen fortdauernden existenzbedrohenden Problemen konfrontiert ist, hat natürlich nicht den Kopf frei sich mit den vielfältigen Auswirkungen des Pogroms auseinanderzusetzen. Die vietdeutsche Community in Rostock war und ist aktiv. Der Glaube, dass sie passiv und unsichtbar seien, ist ein Klischee. Sie hat sich sehr wohl vor Ort für ein besseres und interkulturelles Zusammenleben eingesetzt. So wie sie sich während des Pogroms selbstorganisiert, verteidigt und sich selbst über das Dach aus dem brennenden Haus gerettet hat, so hat sie später das Bleiberecht gegen Widerstände aus Politik und Verwaltung erstritten und sich aktiv für den Aufbau ihrer lokalen Gemeinschaft eingesetzt. Für diese Verdienste gebührt ihr viel Respekt und Anerkennung.
Vor 30 Jahren lebte ich als junger Student der Politikwissenschaft in Berlin. Ich kam als Kind einer Boat-People Familie nach West-Berlin wuchs eigentlich mit dem Wunsch auf, anerkannter Teil der deutschen Gesellschaft zu sein und wollte wie viele Menschen of Color wie selbstverständlich dazu gehören. Ich wollte in Deutschland einfach entspannt leben.
Aber das Pogrom gegen die vietnamesische Community in Rostock-Lichtenhagen räumte grundlegend mit meinen Illusionen über Deutschland auf. Je nationalistischer der deutsche Wiedervereinigungsprozess eskalierte und je stärker die rassistischen Exzesse in den Parlamentsdebatten und die aufhetzende Medienberichterstattung über die angebliche „Asylantenflut“ wurden, desto wachsamer und politischer wurde ich. Ich habe in dieser Zeit so viel über die Weiße deutsche Gesellschaft gelernt und hatte das Gefühl, erstmals hinter die Fassade der liberal-bürgerlichen Idylle zu blicken. Was ich dann in Rostock-Lichtenhagen ungeschminkt sah, war ein rassistischer Abgrund, der blanke Horror. So viel massenhafter dumpfer Hass gepaart mit dem selbstverliebten Selbstbild als aufgeklärte Nation der Dichter, Denker und Dauersäufer. Die live im Fernsehen übertragenen Bilder von dem brennenden Sonnenblumenhaus, das tagelang wie bei einer mittelalterlichen Belagerung sturmreif angegriffen wurde, waren einfach unfassbar: Es sprengte alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte im modernen, angeblich so zivilisierten und demokratisch-rechtsstaatlichen Deutschland. Rostock-Lichtenhagen war für mich ein erneuter Zivilisationsbruch! Meine Gefühle waren eine bizarre und widersprüchliche Mischung aus absolutem Unglauben, Entsetzen, Abscheu, Wut, Trauer, Hilfslosigkeit und Trotz. In der unmittelbaren Situation wusste ich mir nicht besser zu helfen als einen Leserbrief an die taz zu schreiben.
Was ich in diesen Jahren ebenfalls erlebte und was mich bis heute prägt, war aber auch die Erfahrung in migrantischen, antirassistischen Zirkeln von People of Color, dass selbstorganisierter Widerstand möglich ist, dass wir solidarische Strukturen aufbauen können und trotz unserer beschränkten Mittel nicht wehrlos sind.
Vor dem Pogrom in Lichtenhagen dachten alle, dass sowas nach der Nazizeit in Deutschland nicht mehr möglich sei. Das dachte ich auch. Bis zum Pogrom lebte ich in einer realitätsfernen Blase und dachte ich sei integriert, weil ich den deutschen Pass habe. Rostock-Lichtenhagen und die explosionsartige rassistische Gewaltwelle in den 1990er Jahren zeigten mir, dass es ein anderes, sehr dumpfes und immer noch ziemlich schwarzbraunes Deutschland gibt. Das Pogrom dauerte vier Tage. Es war ein Volksfest mit Deutschlandweit angereisten Teilnehmenden. Es gab Bratwurstbuden, viel Bier und ein jubelndes Publikum. Und obwohl dieses rassistische Spektakel in aller Öffentlichkeit zelebriert und im Fernsehen live übertragen wurde, war das absolut Unmögliche trotzdem möglich bzw. wurde durch das Versagen der Weißen Institutionen möglich gemacht. Solange es einen strukturellen Rassismus in der Gesellschaft gibt und die Institutionen dieses Machtungleichgewicht abbilden und rassistische Hierarchien mit Leben füllen, ist Rassismus in jeder Form denkbar und möglich. Wir müssen daher wachsam und solidarisch bleiben.
Forderungen
1) Auch nach 30 Jahren ist es nicht zu spät, die Rom*nja und vietdeutschen Betroffenen des Pogroms materiell zu entschädigen und ihnen ein Rückkehrrecht anzubieten. Wenn die offizielle Entschuldigung der Stadt Rostock von 2002 nicht nur eine leere Floskel ohne Konsequenzen ist, wäre es jetzt dringend geboten, ein großzügig ausgestatteten Fond zur Wiedergutmachung des historischen Unrechts einzurichten. Nach dem skandalösen Versagen von Politik, Stadtverwaltung und Justiz fordern wir die staatlichen Institutionen auf, zumindest jetzt ein Mindestmaß an rechtsstaatlichen und ethischen Anstand zu zeigen.
2) Wir fordern die Kultur- und Wissenschaftsbetriebe auf, sich stärker mit den Pogromen und der rassistischen Gewalt in den 1990er Jahren auseinandersetzen. Diese Zeit ist so grundlegend wichtig und gerade der Komplex Rostock-Lichtenhagen wurde bisher nur unzureichend erforscht und ist kulturell kaum verarbeitet.
3) Wir fordern die Stadt Rostock auf, dass dezentrale Gedenkkonzept zu überarbeiten und die bisher unverständlichen Denkmäler so zu ergänzen, dass sie dazu einladen sich inhaltlich mit dem Pogrom auseinanderszusetzen.
4) Wir fordern alle Menschen und speziell die Medien dazu auf, das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen nicht weiter als „ausländerfeindliche Gewaltexzesse“ oder als „fremdenfeindliche Ausschreitungen“ kleinzureden und zu verharmlosen sowie die Verantwortung staatlicher Institutionen und politischer Eliten unsichtbar zu machen. Das Pogrom ist ein Pogrom, weil staatliche Institutionen und Verantwortungsträger unprofessionell handelten. Sie haben versagt, die Gewalt zugelassen und toleriert. Und in nicht wenigen Fälle wurde der Rassismus – intendiert oder nicht – politisch und medial gefördert. Wer die historische Tatsachen – so bitter und unbequem sie auch sind – leugnet, setzt rassistische Praktiken fort, die die Betroffenen des Pogroms erneut diskriminiert. Das wollen und werden wir nicht zulassen. Dagegen werden wir uns heute und in Zukunft mit aller Macht gemeinsam wehren.