korientation ist eine (post)migrantische Selbstorganisation und ein Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven mit einem gesellschaftskritischen Blick auf Kultur, Medien und Politik.
“Nachdem mein Vater 1968 als sogenannter „Gastarbeiter“ nach Deutschland geholt und ich 1977 hier geboren wurde, darf ich immer noch nicht hier wählen. Ich bin Deutscher, ich werde niemals in “die Heimat” zurückkehren, denn ich bin schon längst da.” Miman Jasarovski, Aktivist und Protagonist von FROM HERE, Mit-Initiator der Kampagne “Passt(t) uns allen”.
Das von der Bundesregierung kürzlich verabschiedete “Chancenaufenthaltsrecht” und die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind zwar Schritte in die richtige Richtung, doch noch weit entfernt von einem „modernen Einwanderungsland“ von dem Olaf Scholz spricht. Die Zeit ist mehr als reif, um endlich unsere Kampagne “Passt(t) uns allen” zu starten! Die Umsetzung unserer Forderungen ist überfällig. Seit Jahrzehnten kämpfen Migrant*innen und solidarische Menschen für die Gleichbehandlung aller, die in Deutschland leben. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird.
Wir sind ein Bündnis von rund 30 migrantischen und rassismuskritischen Interessenvertretungen, Selbstorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen. Wir fordern:
Die deutsche Staatsangehörigkeit für alle Menschen, die in Deutschland geboren sind.
Das Recht auf eine unbürokratische und kostenlose Einbürgerung für alle Menschen, die seit mindestens drei Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
Die Möglichkeit, mehrfache Staatsangehörigkeiten zu besitzen.
Das aktive und passive Wahlrecht auf Bundes‑, Landes- und kommunaler Ebene für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt seit mindestens drei Jahren in Deutschland haben.
Unterzeichne unsere Petition, Teile die Petition in deinen Netzwerken, schicke eine E‑mail an Bundestagsabgeordnete und fordere sie auf unsere Forderungen zu unterstützen oder mache ein Video von dir, warum du die Forderungen unterstützt und schicke es uns!
Deutschland hält an dem Abstammungsprinzip fest, wonach ein Kind die Staatsbürgerschaft seiner deutschen Eltern (oder zumindest eines Elternteils) automatisch erhält. Diese Regelung basiert auf dem rassistischen Prinzip der Blutsverwandtschaft (ius sanguinis). Für Kinder ausländischer Eltern ist die deutsche Staatsangehörigkeit an Voraussetzungen geknüpft. Mindestens ein Elternteil muss seit acht Jahren über ein Aufenthaltsrecht verfügen. Diese Praxis verhindert, dass tausende Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten – und das teilweise über Generationen hinweg. So sind auch Menschen, die hier geboren wurden, staatenlos, von Abschiebung bedroht oder wurden bereits abgeschoben – in Länder, deren Sprache sie oft nicht sprechen, wo sie niemanden kennen und häufig diskriminiert werden. Dass es auch anders möglich ist, zeigen 33 Länder weltweit, in denen ein uneingeschränktes Geburtsortprinzip gilt. Das heißt, Kinder, die dort geboren werden, erhalten sofort die Staatsangehörigkeit. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus der Eltern.
Wir fordern: Ein uneingeschränktes Geburtsortprinzip – Pass(t) uns allen!
Aktuell sind die Voraussetzungen für eine Einbürgerung unnötig hoch. So können Armut, der Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes oder das Fahren ohne Fahrschein schon Gründe dafür sein, die Einbürgerung verwehrt zu bekommen. Wie schnell die Einbürgerung erfolgt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland – teilweise von Kommune zu Kommune – und ist von der für den Antrag zuständigen Person abhängig. Ein häufig langwieriger, demütigender und intransparenter Prozess. Doch eine unbürokratische Einbürgerung ist möglich. Das zeigt das Beispiel von Millionen “(Spät) Aussiedler*innen”. Wir sollten von dieser positiven Erfahrung lernen.
Wir fordern die Abschaffung aller Einbürgerungshürden – Pass(t) uns allen!
Die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit/en als Voraussetzung für die Einbürgerung hält derzeit viele Menschen davon ab, sich einbürgern zu lassen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass nicht alle Kinder deutsche Eltern haben, dass Menschen migrieren und bleiben, an mehreren Orten zu Hause sind und gesellschaftliche Prozesse, wo sie sind, mitgestalten. Genauso sollte es selbstverständlich sein, mehrere Staatsangehörigkeiten zu besitzen. Für viele ist eine doppelte Staatsangehörigkeit bereits Alltag und stellt kein größeres Problem dar. Dass diese Möglichkeit nicht für alle besteht, ist ungerecht und diskriminierend.
Wir fordern Mehrfachstaatsangehörigkeiten – Pass(t) uns allen!
Wer sich einbürgern lassen will, muss seit mindestens acht Jahren mit einem unbefristeten Aufenthaltsrecht oder einer auf Dauer angelegten Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben. Die Ampel-Koalition hat angekündigt, den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu vereinfachen und “bei besonderen Integrationsleistungen” schon nach drei Jahren zu ermöglichen. Das reicht nicht aus! Der Erwerb der Staatsangehörigkeit darf weder von vermeintlichen “Integrationsleistungen” noch vom Aufenthaltsstatus abhängen. Statt einer Hierarchisierung von gesellschaftlicher Teilhabe und Sondergesetzen, wie dem Asylverfahrens- oder Asylbewerberleistungsgesetz, müssen alle gleiche Rechte haben: Das Recht, ohne Angst vor Abschiebung zu leben, den Wohnort frei wählen zu können, Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu haben, zu reisen und das Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Wir fordern ein Recht auf Einbürgerung nach drei Jahren für alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben – Pass(t) uns allen!
Selbst wählen zu können oder sich zur Wahl aufstellen zu lassen, ist der Grundpfeiler einer Demokratie. Alle, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, müssen diese beeinflussen können, auch wenn sie sich nicht für eine Einbürgerung entscheiden. Das Wahlrecht darf nicht von der deutschen Staatsangehörigkeit, dem Pass abhängen, sondern davon, wo Menschen leben. Bereits seit den 70er Jahren kämpfen Migrant*innen für ein Wahlrecht für alle. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird.
Wir fordern Wahlrecht für alle – Pass(t) uns allen!
WER WIR SIND
Wir sind ein Bündnis aus migrantischen und rassismuskritischen Interessenvertretungen, Selbstorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen. Zum Bündnis gehören:
Allerweltshaus Köln e.V.
Allmende e. V.
BBZ- Beratungszentrum und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrant*innen
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD)
International Women Space (IWS)
Jugendliche ohne Grenzen
korientation. Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V
Lateinamerikanische Fraueninitiative in Neukölln e.V.
MigLoom e.V.
MigraNetz e.V.
Migrationsrat Berlin e.V.
Netzwerk WIR WÄHLEN
neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V..
Refugees with Attitudes
Roma Antidiscrimination Network (RAN)
Roma Center e.V.
Roma-Trial
RomaniPhen e.V.
Romano Sumnal e.V.
Seebrücke
Statefree e.V.
TBB-Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg
Trixiewiz e.V.
Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.
With Wings and Roots e.V.
AKTIV WERDEN
Teile die Petition in deinen Netzwerken, schicke eine E‑mail an Bundestagsabgeordnete und fordere sie auf unsere Forderungen zu unterstützen oder mache ein kurzes Video von dir, warum du die Forderungen unterstützt und schicke es uns!
“Das von der Bundesregierung kürzlich verabschiedete Chancenaufenthaltsrecht und die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind zwar Schritte in die richtige Richtung, doch noch weit entfernt von einem „modernen Einwanderungsland“ von dem Olaf Scholz spricht. Aus eigener Erfahrung als sogenannte „Aussiedlerin“, die knapp ein Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland eingebürgert wurde, weiß ich, dass eine andere Einbürgerungspraxis möglich ist! Die Umsetzung unserer Forderungen ist überfällig. Seit Jahrzehnten kämpfen Migrant*innen und solidarische Menschen für die Gleichbehandlung aller, die in Deutschland leben. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird”. Olga Gerstenberger, Politikwissenschaftlerin und Impact Producerin von FROM HERE, Mit-Initiatorin der Kampagne “Pass(t) uns allen”
“Wahlrecht für alle. Demokratie ist das Herz unserer Gesellschaft“. Sanaz Azimipour, Aktivistin, Autorin und Mitgründerin der Kampagne »Nicht ohne Uns 14 Prozent«
„Seit 25 Jahren sind Bürger*innen mit ausländischem Pass (EU) kommunal gleichberechtigte Wähler*innen und Stadträte. Die Zeit ist überreif für gleiche demokratische Rechte für Alle.“ Elisa Calzolari, MigraNetz Thüringen & Netzwerk WIR WÄHLEN
„Wir alle werden erst wirklich gesehen und verstanden, wenn unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt auch akzeptiert und anerkannt wird. Dazu gehört selbstverständlich die Tatsache, dass ein Mensch mehrere Identitäten, mehrere Kulturen und mehrere Sprachen haben kann. Vielfalt zu leben und zu stärken bedeutet darum auch, Zugehörigkeiten Raum zu geben – und das bedeutet damit auch die Anerkennung von Mehrstaatlichkeit.“ Ayşe Demir, Vorstandssprecherin Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
„Menschen ohne staatsbürgerliche Rechte leben im permanenten Ausnahmezustand. Sie werden durch den Staat zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Ohne grundlegende Rechte müssen viele Betroffene sich ein Leben lang gegen strukturellen und institutionellen Rassismus behaupten. Solange Deutschland insbesondere Migrant*innen und geflüchteten Menschen aus ehemals kolonialisierten Gesellschaften dauerhaft die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht verweigert, ist diese Gesellschaft weder dekolonialisiert noch wirklich anti-rassistisch und demokratisch.” Dr. Kien Nghi Ha, Kulturwissenschaftler und Autor, Mitglied von korientation – Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V.
„Insbesondere in einer Zeit, in der islamfeindliche, flüchtlingsfeindliche und rassistische Aktivitäten zugenommen haben und immer mehr Zuspruch und Zulauf aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft erhalten, sollten Menschen, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, die Möglichkeit haben, das Land, in dem sie leben, in dem sie Steuern zahlen, in dem ihre Kinder zur Schule gehen, politisch mitzugestalten.“ Ayşe Demir, Vorstandssprecherin Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
„Ich sage immer: Andere Leute haben eine Karriereleiter, und bei uns ist das wirklich ein bisschen so eine Aufenthaltsleiter. Man klettert da hoch, und dann gibt es die Duldung, dann gibt es Asyl, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis. Und irgendwann schafft man es da hoch.“ Christiana Bukalo – Social Change Maker, Speakerin & Co-Gründerin, Statefree e.V.
“Uns ging und geht es nicht darum, „integrierte“, gut ausgebildete, brauchbare Jugendliche zu werden, sondern darum, dass alle Menschen, die hier leben, ein Bleiberecht bekommen – egal, ob sie für diese kapitalistische Gesellschaft brauchbar oder ob sie alt oder krank sind oder kein Deutsch können, weil sie jahrelang in Lagern gelebt haben”. Mohammed Jouni, Mit-Gründer von Jugendliche ohne Grenzen
Der am 16.04.2021 veröffentlichte Offene Briefwurde zum Zeitpunkt seines Erscheinens von 32 asiatisch-deutschen bzw. asiatisch-diasporischen Organisationen und 235 Personen mitgetragen. Hinzu kommen weitere solidarische 175 Individuen sowie 93 unterstützende Organisationen, neben der Amadeu Antonio Stiftung, dem Bundesjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt, Each One Teach One, der Stiftung Asienhaus und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt auch die großen bundesweit agierenden migrantischen Verbände: Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, Dachverband der Migrant:innenorganisationen in Ostdeutschland, DaMigra – Dachverband der Migrantinnenorganisationen, neue deutsche organisationen und der Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege, Empowerment und Diversity.
Nachdem der Offene Brief veröffentlicht wurde, folgten viele weitere Mitzeichnungen. Bis zum 16.05.2021 haben zusätzlich 46 Organisationen und 601 weitere Einzelpersonen den Brief mitgezeichnet. Darunter sind Dachorganisationen wie der Antidiskriminierungsverband Deutschland, lokale Verbünde wie der Raum der Kulturen in Neuss oder das bundesweit tätige Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Ebenso folgten weitere asiatisch-deutsche Initiativen dem Aufruf wie A.Unit / Afro-Asian Art Project (Wien), SrirachaHotNews (Offenbach am Main) und Vielfalt Vietnam e.V. (Frankfurt am Main).
Obwohl der Offene Brief vielfach Anklang gefunden hat und empowernd wirkt, möchte ich einen kritischen Punkt nicht verschweigen. Bereits kurz vor der Veröffentlichung des Offenen Briefes war mir die Auslassung der rassistischen Morde gegen deutsch-türkische Familien etwa in Mölln und Solingen in den 1990ern Jahren schmerzhaft aufgefallen. Es tut mir weh, dass diese Auslassung mir nicht schon viel früher aufgefallen ist, nämlich während der Abfassung. Im Brief können sicherlich nicht alle Formen rassistischer Gewalt und Ausgrenzung repräsentiert werden. Die Erwähnung von „Hanau“ steht als symbolisches Zeichen, dass in diesem Brief diese anderen Formen mitgedacht werden, auch wenn sie nicht explizit genannt werden. Trotzdem ist das nicht ausreichend, weil das Ungleichgewicht, aber auch die Fragen nach politischer Zentrierung fortbestehen. Vielleicht war dieses Übergehen aber auch eine unterbewusste, funktionale Betriebsblindheit, um diesen Brief überhaupt schreiben zu können und um sich nicht mit der Frage beschäftigen zu müssen, ob der Offene Brief Menschen mit etwa arabischen, indischen, iranischen, kurdischen oder türkischen Vibes politisch als asiatisch-deutsche Betroffene claimen bzw. kontextualisieren darf. Die diffuse, poröse wie widersprüchliche Grenze zwischen unintendierter Ausgrenzung und ungewollter Vereinnahmung ist sehr klein, zur Zeit auf der bewegungspolitischen Community-Ebene unentschieden und daher nur individuell verhandelbar. Aus diesem Grunde war es uns bei den Unterschriften wichtig zu fragen, wie die Betroffenen sich selbst verorten und positionieren. Auf der Ebene der politischen Repräsentation hätte ich zumindest im Möllner Fall İbrahim Arslan fragen können, der 1992 den rassistischen Brandanschlag auf seine Familie überlebte, ob es für ihn Sinn macht, seine Großmutter Bahide Arslan, seine Schwester Yeliz Arslan und seine Cousine Ayşe Yılmaz in diesem Brief namentlich zu erwähnen.
Trotz dieser schwierigen Ambiguität kann dieser Offener Brief in asiatisch-deutschen Zusammenhängen als bahnbrechend bezeichnet werden: Erstmalig hat sich eine sehr breite und starke Koalition von verschiedenen asiatisch-deutschen und asiatisch-diasporischen Organisationen zusammengeschlossen, um öffentlich gegenseitige, transnationale und interkommunale Solidarität gegen anti-asiatischen Rassismus zu demonstrieren. Ebenso ist die wachsende Unterstützung durch NGOs of Color und andere solidarische Organisationen beeindruckend. Zu guter Letzt hat dieser Offene Brief Asiatische Deutsche, asiatisch-diasporische, asiatische und asiatisch identifizierte Menschen, die in und außerhalb Deutschlands leben, dazu ermutigt, politische Forderungen zu erheben. Außergewöhnlich ist auch die intergenerationale, crosskulturelle und sozial inklusive Zusammensetzung der Supporter aus sehr unterschiedlichen asiatischen Communities: Sie reicht vom Koch, Sicherheitsfachmann und Handelstreibenden bis hin zu den üblichen Aktivist*innen, Akademiker*innen und Kulturschaffenden. Neben Zeichnungen von altbekannten Community-Mitgliedern sind auch viele neue Namen von Studierenden und z.T. auch Schüler*innen zu lesen, die sich in diesem Brief wiederfinden können. Ebenso wesentlich ist die Tatsache, dass in diesem Brief Menschen mit Namen aus dem arabischen, türkischen und süd- und westasiatischen Sprachraum sich selbst als Asiatische Deutsche identifizieren – für viele wahrscheinlich zum allerersten Mal.
Aus all diesen Gründen, sowohl was die Stärken als auch die Unzulänglichkeiten angeht, ist das gemeinsame und möglichst gleichberechtigte Coming to Voice ungemein wichtig. Es ist davon auszugehen, dass dieser Offene Brief nicht nur ein Meilenstein bei der Formierung und Öffnung der Bewegung der Asiatischen Deutschen darstellt, sondern sich hoffentlich auch als ein historisches Dokument auf dem Weg in ein postmigrantisches und postkoloniales Deutschland erweisen wird.
Dr. Kien Nghi Ha (Asian German Studies, University of Tübingen)
The open letter was co-signed by 32 Asian-German and Asian-Diasporic organizations and 235 self-identified Asian individuals at the time of its publication. In addition, there are another 175 individuals in solidarity as well as 93 supporting organizations like Amadeu Antonio Foundation, Federal Workers‘ WelfareYouth Organization, Each One Teach One, Asia House Foundation and the Association of Counseling Centers for Victims of Right-Wing, Racist and Anti-Semitic Violence in Germany (VBRG). Furthermore, the major federal immigrant associations are first signatories of the open letter: BAGIV (Federal Working Group of Immigrant Associations), BKMO (Federal Conference of Migrant Organizations), DAMOST (Umbrella Association of Migrants Organizations in East Germany), DaMigra (Umbrella Association of Migrant Women’s Self Organizations), ndo (New German Organizations) and VIW (Association for Intercultural Welfare, Empowerment and Diversity).
After the open letter was published, many more co-signatories followed. By May 16, 2021, more than 46 organizations and 601 individuals have additionally signed the letter, including umbrella organizations such as the Federal Anti-Discrimination Agency of Germany, local alliances such as Space for Cultures in Neuss or the nationwide Action Alliance of Muslim Women in Germany (AmF), Association of Binational Families and Partnerships (IAF) and the Initiative of Black People in Germany (ISD). Likewise, other Asian-German initiatives followed the call such as A.Unit / Afro-Asian Art Project (Vienna), SrirachaHotNews (Offenbach am Main) and Diverse Vietnam (Frankfurt am Main).
Although the open letter has been well received and has an empowering effect, I do not want to conceal a critical point. Shortly before the publication of the open letter, I was painfully aware of the omission of the racist murders against German-Turkish families, for example in Mölln and Solingen in the 1990s. It pains me that this omission did not occur to me much earlier, during the drafting. Certainly not all forms of racist violence and exclusion can be represented in the letter. The mention of “Hanau” stands as a symbolic sign that in this letter these other victims are also thought of even if they are not explicitly mentioned. Nevertheless, this is not sufficient because the imbalance as well as the questions of political centering and focus persist. Perhaps this omission was also a subconscious, functional operational blindness in order to be able to write this letter at all and in order not to have to deal with the difficult question of whether the open letter is politically entitled to claim or contextualize people with for example Arab, Indian, Iranian, Kurdish, or Turkish vibes as Asian-Germans. The diffuse, porous and contradictory line between unintentional exclusion and unintentional appropriation is very small, currently undecided at the community level, and only individually negotiable. Therefore, it was important for us to ask how the people affected position themselves when co-signing this letter. On the level of political representation, I could have asked İbrahim Arslan, who survived the racist arson attack on his family in 1992 in Mölln, whether it made sense for him to mention his grandmother Bahide Arslan, his sister Yeliz Arslan and his cousin Ayşe Yılmaz by name in this letter.
However, the open letter is groundbreaking for the Asian-German context despite this difficult ambiguity in several ways: For the first time, a very broad and strong coalition of diverse Asian-German and Asian-Diasporic organizations has come together to publicly demonstrate mutual, transnational, and intercommunal solidarity against anti-Asian racism. Likewise, the growing support from NGOs of Color and other progressive organizations has been impressive. Last but not least, this open letter has encouraged Asian Germans, Asian diasporic, Asian and Asian identified people living in and outside of Germany to raise political demands. The intergenerational, cross-cultural and socially inclusive composition of supporters from very different Asian communities is also striking: it ranges from cooks, security professionals and tradesmen to the usual suspects including activists, academics and cultural workers. There are veteran and well-known community members but also many new names of Asian students and in some cases even pupils who can be found in this letter. Equally essential is the fact that people with names from the Arabic, Turkish, South and West Asian languages identify themselves in this open letter as Asian Germans – for many also for the very first time.
For all these reasons, pointing to the strengths as well as the shortcomings of this open letter, this joint and equality-based coming to voice is immensely important. It can be assumed that this open letter will not only be a milestone in the formation and diversification of the Asian German Movement, but will hopefully also prove to be a historical document on the way to a post-migrant and post-colonial Germany.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Als Publizist und Kurator arbeitet er auch zu postkolonialer Kritik, Rassismus und Migration. Neueste Publikationen sind unter anderem der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (VÖ Juni 2021) als erweiterte Neuauflagesowie das für die Heinrich Böll Stiftung herausgegebene Dossier Geschlossene Gesellschaft? Exklusion und rassistische Diskriminierung an deutschen Universitäten.
Wir stellen die Ergebnisse der vom Bündnis #VielfaltImFilm initiierten Online-Umfrage vor, an der über 6.000 Filmschaffende in ihren 440 Berufen teilnahmen. Damit liegen nun erstmals umfassende Daten zu ihren Erfahrungen bzgl. Vielfalt und Diskriminierung vor und hinter der Kamera vor. Die Ergebnisse von Vielfalt im Film deuten darauf hin, dass Diskriminierung die deutsche Filmbranche durchzieht und die Teilhabe von Filmschaffenden mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen einschränkt. Unsere Ergebnisse gelten als Basis für Handlungsempfehlungen, die die Entwicklung eines inklusiven und gerechten Arbeitsumfeldes in der Filmbranche vorantreiben wollen.
Max Weiland, Geschäftsleitung uns* LGBTQIA+ Talentagentur
Tobias Lehmann, Kameramann
Manuela Wisbeck, Schauspielerin
Chun Mei Tan, Schauspielerin, Agentin und Business Coach
Juan Vivanco, Wissenschaftler
Jonathan Kwesi Aikins, Schauspieler
Judyta Smykowski, Journalistin
Dieu Hao Do, Regisseur
SHERI HAGEN, Schauspielerin, Regisseurin und Filmproduzentin
Jerry Kwarteng, Schauspieler
Deniz Yildirim, Wissenschaftlerin
Prof. Dr. Skadi Loist, Professor*in für Produktionskulturen
Künstlerische Leitung / Produktion: Séverine Lenglet (Citizens For Europe) Kamera / Schnitt : Gábor Hollós Ton /Licht: Bär in Mind VFX / Colorist: DERAVEN AVMusik: Erik Siefken Gebärdesprache-Dolmetschen: Eyk Kauly# Audiodeskription: Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH in Koproduktion mit 48hearts productions Sprecherin: Susanne Hauf
Vielen Dank für die Unterstützung:
Studio Emanuelf
Júlia Erő
Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen Berlin / Brandenburg e.V.
Barbara Fickert (Kinoblindgänger)
Jan Meuel (DBSV: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.)
KOPF, HAND und FUSS gGmbH
Förderer:innen:
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Bundesagentur für Arbeit: ZAV – Zentrale Auslands- undFachvermittlung, Bündnis 90/Die Grünen – Landtag Bayern, Constantin Film, FilmFernsehFonds Bayern, HessenFilm und Medien, Kulturwerk Bild-Kunst, MFG Filmförderung Baden-Württemberg, Netflix, Pensionskasse RundfunkUnterstützer:innen: Bundesverband Casting Deutsche Akademie für Fernsehen e.V. Deutsche Filmakademie Erich Pommer Institut Indiefilmtalk Podcast Neue deutsche Medienmacher @Produzentenallianz #Produzentenverband @Spitzenorganisation-der-Filmwirtschaft-e-V-SPIO #themis_vertrauensstelle Verband Deutscher Drehbuchautoren VÖFS – Verband Österreichischer FilmschauspielerInnen
von Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer, Christopher Nguyen
Antiasiatischer Rassismus existiert nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Basierend auf tatsächlichen und imaginierten Besuchen Asiens,[1] haben seit dem 13. Jahrhundert Europäer*innen Narrative konstruiert und verbreitet, die bis heute wirkmächtig sind. In ihnen erscheinen Asiat*innen als „anders“, „exotisch“ und „gefährlich“.[2] Auch in Deutschland lässt sich anhand von historischen Beispielen eine klare Kontinuität und Systemimmanenz von antiasiatischem Rassismus aufzeigen.[3]
So wurde beispielsweise die Errichtung der deutschen Kolonie Kiautschou 1897 zeitgenössisch mit der angeblichen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Chines*innen innerhalb eines rassistischen Systems und dem Ziel der christlichen Missionierung und sogenannten Zivilisierung „im Namen einer höheren Gesittung“ legitimiert.[4] Wenige Jahre später, am 27. Juli 1900, argumentierte Kaiser Wilhelm II. in seiner „Hunnenrede“ zum Abschied deutscher Marinesoldaten, die zur Bekämpfung des „Boxeraufstands“ (1899–1901) nach China geschickt wurden, dass die Chines*innen mit ihrem Akt des Widerstands gegen die Kolonialmächte ihr Recht auf Leben verwirkt hätten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist*innen waren auch die damals in Deutschland lebenden Chines*innen unmittelbar von der NS-Rassenpolitik betroffen: Sie wurden ausgewiesen oder in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager verschleppt und dort ermordet.[5]
Als schwerwiegendste Fälle antiasiatischer Gewalt nach 1945 sind die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 in das kollektive Gedächtnis asiatischer Deutscher eingegangen. Wohngebäude, in denen eine größere Anzahl von Vietnames*innen lebte, wurden unter den Augen applaudierender Zuschauer*innen von gewalttätigen Rechtsradikalen angegriffen. Die Polizei wartete in beiden Fällen tagelang, bis sie geringfügig eingriff. Die verantwortlichen Politiker*innen kapitulierten vor der rechten Gewalt und ließen in beiden Fällen die Angegriffenen evakuieren, statt für die Verhaftung der Angreifer*innen zu sorgen. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind dabei nicht nur als eine Folge der Vereinigungspolitik einzuordnen, sondern als Ausdruck einer kontinuierlichen Existenz von Rassismus in der deutschen Bevölkerung.[6]
Eine Anerkennung dieser spezifischen Form struktureller Diskriminierung erfolgte jedoch erst in jüngster Zeit. Beispielsweise sind die rassistisch motivierten Morde an Nguyen Ngọc Chau und Do Anh Lan, die am 20. August 1980 in Hamburg bei einem von Rechtsterroristen verübten Brandanschlag starben, bis heute kaum bekannt.[7] Während die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen noch als situationsbezogene „Fremdenfeindlichkeit“ gegenüber „Ausländer*innen“ galten, wird im Kontext der Corona-Pandemie, die weltweit mit steigender rassistischer Diskriminierung und Übergriffen auf asiatisch gelesene Menschen einherging, nun vermehrt über antiasiatischen Rassismus in Deutschland gesprochen.
Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland sind in widersprüchlicher Weise sowohl von positivem als auch negativem Rassismus betroffen. Einerseits werden sie vielfach als „Vorzeigemigrant*innen“ beschrieben und gegen andere (post)migrantische Gruppen ausgespielt; andererseits werden sie als homogene Masse dargestellt, von der eine Gefahr für die Weiße[8] Mehrheitsgesellschaft ausgehe. Antiasiatischer Rassismus in Deutschland umfasst unterschiedliche Formen von Gewalt. Diese reichen von verbalen Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffen und Morden. In Kitas und Schulen werden Kinder in Lehrbüchern und bei Festen mit rassifizierten Missrepräsentationen von „asiatischen Körpern“ und „asiatischer Kultur“ konfrontiert.[9] Dabei unterscheiden sich die in Populärkultur und medialer Berichterstattung weit verbreiteten rassifizierten Zuschreibungen auch nach Geschlecht: So werden asiatisch gelesene Frauen sexualisiert, exotisiert und infantilisiert, Männer dagegen desexualisiert und feminisiert.[10]
Diese bereits bestehenden Muster verstärkten sich im Kontext der Corona-Pandemie. So berichten asiatisch gelesene Menschen vermehrt von körperlichen Übergriffen im öffentlichen Raum und fühlen sich physisch und sozial gemieden.[11] Um diese und ähnliche Entwicklungen wissenschaftlich zu erfassen, sammelt das Kooperationsprojekt „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“ seit August 2020 Daten über die gesellschaftliche Wahrnehmung von asiatisch gelesenen Menschen und die Auswirkungen der Pandemie auf diese Wahrnehmungen. Unser Beitrag nutzt die Ergebnisse einer dabei Ende August 2020 umgesetzten Umfrage, um antiasiatischen Rassismus in Deutschland anhand von aktuellen Beispielen zu skizzieren, diese mit historischen Entwicklungen zu verknüpfen sowie Leerstellen hinsichtlich der Prävention, Dokumentation und Bekämpfung von antiasiatischem Rassismus in Deutschland aufzuzeigen.[12]
Geschichten asiatischer Migration
Asien ist der größte und einwohnerstärkste Erdteil, der durch eine Vielzahl von Migrationsströmen geprägt ist. Daher stellt sich die Frage, von wem die Rede ist, wenn wir über „Asiat*innen“ sprechen. Menschen aus Westasien, etwa aus Iran, werden in Deutschland eher als muslimisch denn als asiatisch wahrgenommen, Menschen aus Zentralasien eher mit der ehemaligen Sowjetunion verknüpft. Hinsichtlich des antiasiatischen Rassismus unterscheiden sich die Stereotypen und Vorurteile wiederum zwischen Südasien (zum Beispiel Indien), Südostasien (zum Beispiel Indonesien) und Ostasien (zum Beispiel China). Antiasiatischer Rassismus ist dabei kontextabhängig – er unterscheidet sich etwa in Großbritannien und Deutschland – und historisch gewachsen. Vielfach wird er über einzelne, medial präsente Herkunftsländer vermittelt. Auf die Frage, welche Gruppen man mit Personen aus Asien verbinde, antworteten in unserer Befragung 75 Prozent der Befragten mit Personen aus China, 46 Prozent mit Personen aus Japan und 13 bis 15 Prozent jeweils mit Personen aus Thailand, Südkorea, Indien und Vietnam. Westasiatische Länder wie Iran und Afghanistan wurden von weniger als zwei Prozent genannt und nur geringfügig mit Asien assoziiert.
Die potenziell von antiasiatischem Rassismus betroffene soziale Gruppe in Deutschland besteht aus unterschiedlichen Generationen und ist heterogen in Hinsicht auf sozioökonomische Hintergründe und Migrationsgeschichten. Die beiden Gruppen, die am ehesten mit Ländern aus Asien verbunden wurden, sind dabei nicht die zahlenmäßig stärksten Gruppen – Personen aus Japan sind zahlenmäßig deutlich weniger vertreten als Personen aus Vietnam (Tabelle).
Ein wichtiger Teil asiatischer Migrationsgeschichten ist die staatlich organisierte Arbeitsmigration in die Bundesrepublik seit Ende der 1950er Jahre. Neben einigen Hundert japanischen und 8.000 koreanischen Bergarbeitern immigrierten ab 1966 auch mehr als 10.000 koreanische Krankenschwestern. Weitere Krankenschwestern aus Indien, Indonesien und den Philippinen folgten.[13] Als sich nach dem Anwerbestopp 1973 die Rücksendeabsicht der Bundesregierung abzeichnete, erkämpfte die Koreanische Frauengruppe in Deutschland mit einer Unterschriftenaktion 1978 erfolgreich ihr Bleiberecht.[14] Seit dem 1. März 2020 werden im Rahmen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes medizinische Pflegekräfte aus den Philippinen und Vietnam angeworben, erneut ohne die rechtliche Perspektive auf dauerhafte Niederlassung. Die Geschichte der Diskriminierung asiatischer Arbeitsmigrant*innen droht, sich zu wiederholen.
Zusätzlich migrierten vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs und der vietnamesischen Wiedervereinigung ab 1975 über 40.000 Geflüchtete aus Vietnam in die Bundesrepublik. Tausende waren mit Booten über das Südchinesische Meer geflüchtet und wurden daher als „Boat People“ bezeichnet. Als Kontingentflüchtlinge erhielten sie und nachgezogene Familienmitglieder einen unbefristeten Aufenthaltstitel.[15]
Ein weiterer Teil kollektiver vietnamesischer Migrationsgeschichte ist die von der DDR staatlich organisierte Arbeitsmigration ab 1980. Die Vertragsarbeiter*innen, darunter ein Drittel Frauen, waren im Maschinenbau sowie in der Leicht- und Schwerindustrie beschäftigt. Sie sollten, ähnlich wie die Arbeitsmigrant*innen in der Bundesrepublik, für eine festgelegte Zeit dort arbeiten und sich nicht dauerhaft niederlassen. 1989 lebten und arbeiteten fast 60.000 vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Bilaterale Abkommen wurden in geringerem Umfang auch 1982 mit der Mongolei sowie 1986 mit China und Nordkorea abgeschlossen.[16] Nach der Wende blieben knapp ein Drittel der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in Deutschland, viele von ihnen kämpften jahrelang um Aufenthaltsgenehmigungen und ihre Existenzsicherung, bis 1997 mit der zweiten Bleiberechtsregelung im deutschen Ausländergesetz eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen wurde.[17]
Die Geschichte der chinesischen Communities in Deutschland ist insbesondere für die Metropolen Hamburg und Berlin seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Um 1900 arbeiteten mehrere Tausend chinesische Heizer und Seeleute auf deutschen Dampfschiffen und ließen sich ab 1919 in Hamburg nieder, eröffneten Geschäfte, Restaurants und gründeten Familien. In den 1920er und 1930er Jahren studierten prominente chinesische Intellektuelle wie zum Beispiel der spätere Premierminister Zhou Enlai in Berlin.[18] Nach dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in der Volksrepublik China unter Deng Xiaoping kamen ab 1980 immer mehr chinesische Studierende nach Berlin, gegenwärtig stellen Chines*innen an vielen deutschen Universitäten die größte Gruppe an ausländischen Studierenden.[19] Zudem leben Kulturschaffende, Wissenschaftler*innen und Geschäftsleute aus der Volksrepublik, Taiwan und Hongkong insbesondere in Berlin und haben dort Strukturen zur kulturellen Selbstrepräsentation wie das „Times Art Center“ etabliert, die für die Etablierung von Gegenperspektiven zu rassistischen Narrativen notwendig sind.
Antiasiatischer Rassismus und Covid-19
Die Verstärkung von antiasiatischem Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie lässt sich vor dem Hintergrund (post)kolonialer Narrative zu „Asien“ historisch einordnen. Seit dem 19. Jahrhundert wird die „Gelbe Gefahr“ mit der Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest, in der jüngeren Vergangenheit mit Infektionskrankheiten wie Sars (severe acute respiratory syndrome) verknüpft.[20] Das biologisch-medizinische Phänomen einer Pandemie wird rassifiziert und kulturalisiert; Ess‑, Wohn- und Hygienegewohnheiten werden als Teil einer imaginierten „asiatischen Kultur“ für die Entstehung und Verbreitung von Pandemien verantwortlich gemacht. Der historische und der aktuelle Diskurs unterscheiden sich jedoch in einem Aspekt: Während China früher als „traditionell“, „unzivilisiert“ und „unterentwickelt“ eingeordnet wurde, wird das Land inzwischen als eine für Europa ökonomisch, geopolitisch und technisch gefährliche Konkurrenz bewertet.[21]
Wenn also der „Spiegel“ seine Ausgabe zur Corona-Pandemie am 1. Februar 2020 mit dem Schriftzug „Made in China. Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“ in gelber Farbe betitelt, drängen sich Vergleiche zu kolonialen Narrativen unmittelbar auf. Ähnliche Zuschreibungen erfolgten auch in anderen deutschsprachigen Medienbeiträgen zu Covid-19 implizit oder explizit.[22] Auf der Straße und im Internet wird asiatisch gelesenen Menschen zudem willkürlich ein „Chinesischsein“ zugeschrieben, um sie auf eine vermeintlich niedrigere soziale Position zu verweisen beziehungsweise ihnen eine Existenz in Deutschland abzusprechen. Auch die Erinnerungstafel für chinesische NS-Opfer in der Hamburger Schmuckstraße, in deren Nachbarschaft sich in den 1920er und 1930er Jahren das „Chinesenviertel“ Hamburgs befand, wurde nach dem Beginn der Corona-Pandemie von Unbekannten stark beschädigt.[23] Als Reaktion auf diese antiasiatischen Narrative und Übergriffe bildete sich aber auch medialer Widerstand. So ging beispielsweise im Mai 2020 die von asiatisch gelesenen Menschen initiierte interaktive, digitale Plattform „Ich bin kein Virus“ online.[24]
Die seit dem Beginn der Pandemie von asiatisch gelesenen Menschen erlebten Ausgrenzungen sind keine Einzelfälle. So ist es in Anbetracht der stark auf China fokussierten medialen Diskussion nicht überraschend, dass etwa 29 Prozent der Befragten die Verantwortlichkeit für die Corona-Pandemie zumindest teilweise in Asien – und dort insbesondere in China – sehen. Diese Einschätzung kann nicht ohne weitere Informationen als antiasiatischer Rassismus eingestuft werden, weist jedoch auf eine deutliche Verknüpfung der Pandemie mit Asien hin. Eine explizitere Verbindung zwischen negativen Stereotypen und zugeschriebener Verantwortlichkeit zeigt sich in der Annahme, dass asiatische Essgewohnheiten, etwa der vermutete Konsum von Fledermäusen, und mangelnde Hygienebedingungen, zum Beispiel durch sogenannte wet markets, auf denen Obst und Gemüse, frisch hergestellte Lebensmittel wie Nudeln, Sojaprodukte und Brotfladen, Fisch und Fleisch, zum Teil auch lebendes Geflügel und Seetiere verkauft werden, zum Ausbruch der Pandemie geführt hätten. Diese Wahrnehmung haben immerhin zehn Prozent aller Befragten.
In unserer Umfrage zeigte sich zudem, dass asiatisch gelesene Menschen (weiterhin) oft als „Vorzeigemigrant*innen“ wahrgenommen werden. Während wir substanzielle Differenzen in der Wahrnehmung von muslimischen Menschen und Deutschen ohne Migrationshintergrund finden, gibt es grundsätzlich keinen statistisch sicheren Unterschied zwischen der Beurteilung von asiatisch gelesenen Menschen und Deutschen ohne Migrationshintergrund. Durch die Pandemie scheint sich dieses Verhältnis zu ändern. So zeigen unsere Ergebnisse, dass Menschen, die die Verantwortung für die Pandemie in Asien verorten, asiatisch gelesene Menschen auch innerhalb Deutschlands grundsätzlich negativer wahrnehmen. Obwohl dabei keine klare kausale Abfolge zwischen der Zuschreibung der Verantwortlichkeit und negativen Wahrnehmungen getestet werden konnte, legen die Ergebnisse nahe, dass der Kontext der Pandemie antiasiatischen Rassismus aktiviert oder zumindest sichtbar(er) gemacht hat.
Neben Veränderungen der allgemeinen Wahrnehmung von asiatisch gelesenen Menschen interessierte uns auch, inwiefern die Corona-Pandemie den alltäglichen Umgang miteinander verändert hat. Deshalb wurden auch Alltagssituationen analysiert, etwa die Platzwahl in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei wurden die Befragten mit der Situation konfrontiert, zwischen einem Platz neben einem asiatisch und einem als der „Normalbevölkerung“ angehörig gelesenen Menschen auswählen zu können.
Auch hier zeigte sich, dass die Corona-Pandemie das Verhalten der Menschen beeinflusst. Konfrontiert mit der Alltagssituation vor der Pandemie, wählten 51 Prozent aller Befragten den „asiatischen“ Sitznachbarn. Diese Auswahl lässt sich von einer zufälligen Entscheidung statistisch nicht unterscheiden, sodass – im Gegensatz zur Wahl anderer Sitznachbarn mit Migrationshintergrund[25] – keine klaren Ausgrenzungsmuster identifiziert werden können. Anders verhält es sich unter Corona-Bedingungen. Waren Menschen mit Masken abgebildet, wählten nur noch 46 Prozent aller Befragten den Sitzplatz neben den asiatisch gelesenen Menschen, sodass ein Vermeidungsverhalten identifiziert werden kann. Dieses Verhalten war besonders unter Menschen, die der AfD nahestehen, präsent. Sie bevorzugten unter Corona-Bedingungen zu fast 70 Prozent einen Weißen Sitznachbarn, während im Szenario ohne Maske dieser Anteil bei 53 Prozent liegt.
Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen, wie widersprüchlich, heterogen, aber auch fragil und kontextabhängig die Wahrnehmung asiatisch gelesener Menschen in der deutschen Gesellschaft ist. Im Vergleich zu anderen (post)migrantischen Gruppen erleben sie weniger häufig direkte Ablehnung und Ausgrenzung und werden von der „Normalbevölkerung“ positiver wahrgenommen. Die Ergebnisse zeigen aber auch, wie unsicher dieser Zustand ist. Bestehende Vorurteile und Ablehnungen können in realen oder imaginären Krisensituationen schnell aktiviert werden und zu kleinen und großen Ausprägungen von antiasiatischem Rassismus führen.
Ausblick
Die strukturelle Basis von Rassismus in der deutschen Gesellschaft lässt vermuten, dass auch zukünftig mit Ausbrüchen kollektiver antiasiatischer rassistischer Gewalt gerechnet werden muss.
Das Fortwähren von rassifizierten Zuschreibungen und deren Wirkungsweisen lässt sich unter anderem auf den Mangel an inhaltlicher und personeller Diversität in Institutionen zurückführen. Dieser besteht insbesondere in Hinsicht auf die Repräsentation von asiatischer Migration in der Wissenschaft, in Bildungsinstitutionen und ‑formaten, in den Medien und in der Kultur. Ohne die Schließung dieser Leerstellen lässt sich auch keine Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber antiasiatischem Rassismus nachhaltig gestalten, da sich kein Grundwissen etablieren kann. Zudem wurde die deutsche Kolonialpolitik in China zwar zum Teil wissenschaftlich untersucht,[26] jedoch politisch nicht aufgearbeitet.
Knapp zwei Wochen nach den rassistisch motivierten Morden in Hanau am 19. Februar 2020 wurde beim elften Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt die Einrichtung eines Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus beschlossen. Die Interessen der asiatisch-deutschen Communities sind durch den Verein „Korientation“ in der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen in diesem Ausschuss vertreten. Diese Vertretung ist ein erster Schritt einer Repräsentation auf der bundespolitischen Ebene.
Knapp eine Million asiatische Deutsche und Asiat*innen leben in Deutschland und sind potenziell von antiasiatischem Rassismus betroffen. Antiasiatischer Rassismus ist dabei nicht nur für asiatisch-gelesene Menschen relevant, sondern Teil und Symptom eines gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems. Dieses wird von hier lebenden Menschen vor dem Hintergrund eines spezifischen historischen Kontextes reproduziert. Die Verstärkung der Diskriminierung von asiatisch gelesenen Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie macht eine öffentliche Positionierung von politischen Handlungsträger*innen und letztlich jeder Person, die Zeug*in einer Diskriminierung wird, notwendig. Weitere Studien und eine systematische Dokumentation von antiasiatischem Rassismus sind zudem unabdingbar, um diesen wirkungsvoller bekämpfen zu können.
Wir danken Noa K. Ha und Jonas Köhler für die hilfreichen Anregungen und Kommentare zu diesem Beitrag.
Fußnoten
1 Die Begriffe „Asien“ und „asiatisch“ werden sowohl als Kenntlichmachung einer Imagination Europas bzw. als Fremdzuschreibung durch Europäer*innen und andere Personen als auch für Menschen genutzt, die sich selbst als „asiatisch“, „asiatische Deutsche“ oder „asiatisch-diasporisch“ bezeichnen.
2 Vgl. Michael Keevak, Becoming Yellow. A Short History of Racial Thinking, Princeton–Oxfordshire 2011.
3 Rassismus wird in diesem Beitrag nicht als persönliche oder politische Einstellung, sondern als „institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken“, verstanden. Noah Sow, Rassismus, in: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.), (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2019, S. 37.
4 Zit. nach Mechthild Leutner/Harald Bräuner, „Im Namen einer höheren Gesittung“. Die Kolonialperiode, 1897–1914, in: Mechthild Leutner/Dagmar Yü-Dembski (Hrsg.), Exotik und Wirklichkeit. China in Reisebeschreibungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1990, S. 41–52.
5 Vgl. Kien Nghi Ha, Chinesische Präsenzen in Berlin und Hamburg bis 1945, in: ders. (Hrsg.), Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond, Berlin–Hamburg 2012, S. 280–287; Dagmar Yü-Dembski, Chinesenverfolgung im Nationalsozialismus. Ein weiteres Kapitel verdrängter Geschichte, in: Bürgerrechte & Polizei 3/1997, S. 70–76.
6 Vgl. Noa K. Ha, Vietdeutschland und die Realität der Migration im vereinten Deutschland, in: APuZ 28–29/2020, S. 30–34; Dan Thy Nguyen, Rechte Gewalt, die DDR und die Wiedervereinigung, in: Bengü Kocatürk-Schuster et al. (Hrsg.), Unsichtbar. Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten, Köln 2017, S. 6–23.
10 Zum aktuellen Kontext vgl. Sumi K. Cho, Converging Stereotypes in Racialized Sexual Harassment. Where the Model Minority Meets Suzie Wong, in: The Journal of Gender, Race and Justice 1/1997, S. 178–211. Zu historischen Entwicklungen vgl. Mechthild Leutner, „Schlitzäugige Schöne“ und „gehorsame Dienerin des Mannes“. Deutsche Bilder von chinesischen Frauen in der Kolonialperiode, in: dies./Marianne Bechhaus-Gerst (Hrsg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 194–204.
12 Wir bedanken uns bei Jonas Köhler für die tatkräftige Hilfe bei der Kodierung.
13 Vgl. Urmila Goel, Wer sorgt für wen auf welche Weise? Migration von Krankenschwestern aus Indien in die Bundesrepublik Deutschland, in: Beate Binder et al. (Hrsg.), Care: Praktiken und Politiken der Fürsorge. Ethnographische und geschlechtertheoretische Perspektiven, Opladen 2019, S. 97–109; Florian Pölking, Schlaglichter auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ehemaliger koreanischer Bergarbeiter und Krankenschwestern in Deutschland, in: Yong-Seoun Chang-Gusko/Nataly Jung-Hwa Han/Arnd Kolb (Hrsg.), Unbekannte Vielfalt. Einblicke in die koreanische Migrationsgeschichte in Deutschland, Köln 2014, S. 42–69; You Jae Lee/Sun-ju Choi, Umgekehrte Entwicklungshilfe. Die koreanische Arbeitsmigration in Deutschland, in: Kölnischer Kunstverein et al. (Hrsg.), Projekt Migration, Köln 2005, S. 735–742.
15 Vgl. Phi Hong Su/Christina Sanko, Vietnamesische Migration nach Westdeutschland. Ein historischer Zugang, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 6–23.
16 Vgl. Mike Dennis, Vietnamesische Migration in den 1980er Jahren: Arbeiten in einem kommunistischen Paradies, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 78–97; Ann-Judith Rabenschlag, Arbeiten im Bruderland. Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung, 15.9.2016, http://www.bpb.de/233678«.
17 Vgl. Karin Weiss, Vietnamesische „Vertragsarbeiter*innen“ der DDR seit der deutschen Wiedervereinigung, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 111–125.
18 Vgl. Kien Nghi Ha, Chinesische Präsenzen in Berlin und Hamburg bis 1945, in: ders. (Hrsg.), Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond, Berlin–Hamburg 2012, S. 280–287.
19 Im Wintersemester 2018/2019 gab es an Hochschulen in Deutschland 42676 Studierende aus China. Vgl. Statista, Anzahl der ausländischen Studierenden an Hochschulen in Deutschland im Wintersemester 2018⁄19 nach Herkunftsländern, Oktober 2019, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/301225«.
21 Vgl. Christos Lynteris, Yellow Peril Epidemics: The Political Ontology of Degeneration and Emergence, in: Franck Billé/Sören Urbansky (Hrsg.), Yellow Perils. China Narratives in the Contemporary World, Honolulu 2018, S. 35–59
25 So würden z.B. nur 44 Prozent aller Befragten einen Schwarzen statt einen Weißen Sitznachbarn auswählen. „Schwarz“ wird hier großgeschrieben, um auf die Selbstbezeichnung der Schwarzen Menschen in Deutschland und, ebenso wie beim Wort „Weiß“, auf die Konstruiertheit von Ethnizität zu verweisen.
26 Für einen Überblick vgl. Mechthild Leutner, Kiautschou: Deutsche „Musterkolonie“ in China?, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hrsg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 203–212.
Gedenkrede zum 40. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, Hamburg-Moorfleet, Halskestr. 72, am 22. August 2020 von Kien Nghi Ha
Sehr geehrte Damen und Herren, hallo liebe Freund*innen und Mitstreiter*innen, Kính thưa các Quý ông và Quý bà, xin chào những người bạn và đồng nghiệp thân mến,
ich bin heute hierher gekommen, um Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu zu gedenken. Sie wurden an diesem Ort vor 40 Jahren durch organisierte deutsche Rechtsextremist*innen ermordet. Es ist mir ein wichtiges persönliches wie politisches Anliegen, meinen Respekt wie meine Trauer nicht zuletzt gegenüber den überlebenden Angehörigen der Getöteten auszudrücken. Obwohl der Anlass bedrückend ist, ermutigt es mich sehr, dass die Mutter von Đỗ Anh Lân die 2014 ins Leben gerufene Gedenkinitiative* ausdrücklich unterstützt. Ich möchte ihr sagen: Bà ơi, bà không chiến đấu một mình đâu. Oma, ihr steht mit Eurem Kampf nicht alleine da. Genauso wie sie wollen auch viele andere Menschen aus der vietnamesisch-deutschen Community in und außerhalb Hamburgs einen würdigen öffentlichen Gedenkort für die hier Ermordeten schaffen.
Aber weder das Gedenken noch der Kampf für die Errichtung eines antirassistischen Lern- und Erinnerungsortes ist ausschließlich Sache der betroffenen Familie oder der sogenannten ethnischen Gemeinschaft, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Außerdem haben viele von uns am eigenen Leib erfahren, dass die rassistische Gewalt nicht wahllos, sondern zielgerichtet und community-übergreifend muslimisch, Schwarz, jüdisch, Rom*nja und Sinte*zza, Latinx oder Asiatisch[1] markierte Menschen trifft. Daher ist es nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig, unsere uns eigene menschliche, emotional-kulturelle Solidarität großzügig zu leben und politischen Widerstand grenzüberschreitend zu organisieren.
Gedenk-Kundgebung am 22.08.2020 vor der ehem. Geflüchteten-Unterkunft in der Halskestr. 72 in Hamburg, Tatort des rassistischen Anschlags
Tödliche Spuren in der langen Geschichte des deutschen Rassismus
Ich kannte Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân nicht persönlich, aber ihre Geschichte ist mir nicht fremd. Wären wir uns begegnet, hätte ich sie mit Chu Châu und Anh Lân, also Onkel Châu und Bruder Lân angesprochen, denn ich war damals erst acht Jahre alt. Onkel Châu war Lehrer in Vietnam und wurde 1958 in Saigon geboren. Bruder Lân kam 1962 ebenfalls in Saigon zur Welt und war zum Zeitpunkt seiner Flucht noch Schüler. Obwohl sie aus Südvietnam stammten und ich zufällig in der nordvietnamesischen Stadt Hanoi geboren wurde, kann ich mich mit ihnen identifizieren, da uns auf unterschiedlichen Ebenen eine persönliche Geschichte verbindet. Wir überlebten zufällig den Geschwisterkrieg, der im Kern ein imperialistischer US-Krieg in Vietnam war, und kamen 1979 bzw. 1980 als erste sogenannte Boat People in West-Deutschland an. Es war ebenso reiner Zufall, dass sie in Hamburg und ich mit meiner Familie in West-Berlin untergebracht wurden.
Der heimtückische Brandanschlag, der genau an diesem Ort in der Nacht zum 22. August 1980 stattfand, war dagegen sehr zielgerichtet und nicht zufällig, als er die beiden im Schlaf überraschte. Dieses Ereignis hatte zuallererst für die Betroffenen die brutalst mögliche Folge; es vernichtete das Leben von zwei jungen Männern: Bruder Lân starb bereits mit 18 Jahren und Onkel Châu wurde auch nur 22 Jahre alt. Leider ist in der Öffentlichkeit kaum mehr als das eben Gesagte über sie bekannt. Wir wissen nicht, welche Wünsche und Träume sie für sich hatten oder wie sie sich selbst und ihre Familien wahrnahmen. Wir wissen aber, dass ihre Ermordung nicht zu begreifen ist, wenn wir sie nur als tragische individuelle Schicksalsschläge deuten. Vergessen wir nicht, dass seit dem Ende der 1960er Jahre mit dem Attentat auf Rudi Dutschke eine ansteigende rechtsextreme Gewaltwelle durch die BRD rollte. Dabei kamen nicht nur nackte körperliche Gewalt und einfache Waffen zum Einsatz. Vielmehr verübten organisierte Neonazis in diversen sogenannten Werwolf‑, Kampf- und Wehrsportgruppen zunehmend Brand- und Sprengstoffanschläge. Die Tötung von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu durch die Deutschen Aktionsgruppen leitete 1980 eine dichte Serie rechtsextremer und rassistischer Terrortaten ein. So verübten Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann noch im selben Jahr den Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest, der 13 Menschenleben kostete, und erschossen den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen. Wie etwa in Mölln, Solingen und Lübeck in den 1990ern Jahren, wie die unzähligen NSU-Morde eine Dekade später, aber auch der diesjährige Massenmord in Hanau wiederkehrend bestätigen, gehört der rechtsextremistische Terror gegen People of Color und Migrierte seit vielen Jahrzehnten zum rassistischen Normalzustand der deutschen Gesellschaft. Und heute vor genau 28 Jahren begann auch das größte rassistische Pogrom seit 1945 in Rostock-Lichtenhagen, das vier Tage andauerte und stundenlang live im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm übertragen wurde.
In diesem historischen Zusammenhang nimmt die Ermordung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân einen besonderen Platz ein: Sie sind in West-Deutschland die ersten polizeilich dokumentierten und gerichtlich nachgewiesenen rassistischen Mordopfer seit 1945. Realistischerweise ist leider davon auszugehen, dass vorangegangene rassistische Morde und Gewalttaten aufgrund der Weißen Ignoranz und der rassistischen Struktur der mehrheitsdeutschen Institutionen nicht aufgedeckt und entsprechende Verdachtsmomente nicht erkannt oder nachgegangen wurden. So sind erst in den letzten Jahren Hinweise aufgetaucht, dass die kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Andrés Paret am 12. August 1979 von einem rassistischen Mob durch das sächsisch-anhaltinische Merseburg getrieben wurden und bei ihrem Fluchtversuch in der Saale ertranken.
Die Morde in der Halskestrasse stellen aber auch eine politische Zäsur für die vietnamesische Diaspora in Deutschland dar. Wer bis dahin glaubte, von der Weißen Mehrheitsgesellschaft als hart arbeitende Asiat*innen mit vermeintlich preußischen Tugenden anerkannt zu sein oder im Kalten Krieg dachte, als sympathische Opfer des Kommunismus respektiert zu werden, wurde in seiner trügerischen Komfortzone mit einer anderen Realität konfrontiert. So werden Nguyễn Văn Tú 1992 in Berlin-Marzahn, Phan Văn Toàn 1997 im brandenburgischen Fredersdorf, Nguyễn Tấn Dũng 2008 in Berlin-Marzhan und Duy Doan Pham 2011 im niederrheinischen Neuss von Rechtsextremisten erstochen oder grausam erschlagen. Diese Tötungen stellen Stationen in der langen Reihe rassistisch motivierter Morde in Deutschland dar. Für den Zeitraum von 1990 bis 2020 hat die Amadeu Antonio Stiftung 208 Todesopfer rechtsextremer Gewalt aufgelistet und zählt mindestens zwölf weitere Verdachtsfälle. Die Zeit und andere Medien haben über weitere 51 Verdachtsfälle berichtet. Nach meiner Zählung wurden seit 1979 in Ost- und Westdeutschland mindestens 134 People of Color und osteuropäische Migrant*innen aufgrund nachgewiesener oder vermutlicher rassistischer Mordmotive getötet.
Das Versagen von Politik und Medien: Entinnerung als institutioneller Rassismus
Wie vielen von uns fällt es mir auch nicht leicht, hier zu sein, um an die Terrorgeschichte dieses rassistischen Brandanschlags zu erinnern. Das hängt nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, dass die Geschichte von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu nach wie vor kaum bekannt ist. Zwar wurde der Brandanschlag in den damaligen Medien kurzzeitig wahrgenommen. Aber bereits bei der Beerdigung, bei der der damalige Erste Bürgermeister Hamburgs Hans-Ulrich Klose eine Trauerrede hielt, wurden nicht nur die Opfer begraben, sondern auch das öffentliche Gedenken an diese Tat. Die städtischen Honoratior*innen und die Medien, aber auch die hiesige Zivilgesellschaft gingen danach schnell zur mehrheitsdeutschen Schein-Normalität über. Sie taten so, als ob diese Tat nichts weiter als ein peinlicher Fauxpas, ein allzu bedauerlicher Betriebsunfall war, der keinesfalls als dauerhafter Schandfleck auf der weißen Weste in Erinnerung bleiben sollte. Unausgesprochen und vielleicht auch unbewusst wurde damit ein dominanzdeutscher Konsens hergestellt, in der die unleugbare Existenz eines tödlichen Rassismus weder langfristige noch tiefgreifende Auswirkungen auf das eigene Weiße Selbstverständnis oder auf gesellschaftliche Strukturen haben sollte. Entsprechend sollte das Gedenken an diesen rassistischen Doppelmord keinen Platz in der offiziellen Stadtgeschichte, im Stadtraum und der öffentlichen Erinnerungskultur beanspruchen dürfen.
Wie gründlich diese Amnesie und wie radikal die Realitätsverdrängung des institutionellen Rassismus ist, lässt sich auch noch heutzutage erahnen: So berichtete die in Hamburg sitzende Wochenzeitung „Die Zeit“ erst im Zusammenhang mit der skandalumwitterten Aufdeckung des NSU-Terrors 2012 erstmalig seit 1980 wieder über diesen Brandanschlag. Das Medienhaus, das sich selbst als systemrelevanten Watchdog sieht, hat sich in diesem Fall merkwürdig unzufällig als Totalausfall erwiesen. Auch hat „Die Zeit“ ihre offensichtlich besondere Verantwortung für Đỗ Anh Lân gänzlich vergessen, der im August 1979 in einer von Wochenzeitung und dem Hamburger Senat initiierten Hilfs- und social Sponsoring-Aktion mit 250 anderen vietnamesischen Boat People von der malaiischen Insel Pulau Bidong in die Hansestadt transportiert wurde.
Daher ist es für uns umso wichtiger, wenigstens die Erinnerung lebendig zu halten und diese Geschichte und alle anderen Geschichten nicht zu vergessen ist, wo Menschen Leidtragende von Rassismus, Sexismus, kapitalistischen Neo-Kolonialismus und anderen menschenverachtenden Machtverhältnissen wurden und immer noch werden. Es ist wichtig, dass wir uns heute hier und anderswo versammeln, um durch unsere körperliche Präsenz und durch unser gemeinsames Gedenken zumindest ein temporäres, aber dafür lebendiges Denkmal zu improvisieren und durch unsere Stimmen einen wahrnehmbaren Gedenkraum für alle Opfer rassistischer Gewalt zu inszenieren.
Das offizielle Nicht-Erinnern ist jedoch kein Zufall, sondern die logische Konsequenz der hegemonialen Entinnerung. Damit bezeichne ich institutionelle Strukturen und politisch-kulturelle Praktiken des Vergessenmachens, der Nicht-Würdigung und Aberkennung. Dass heute kein Mahnmal, keine dauerhafte Gedenktafel, keine Straße, kein Park, keine Schule, keine Halle, kein Sportplatz, kein Bahnhof, kein Haus, kein Zug, kein Schiff, kein Stolperstein, nicht mal ihre inzwischen aufgelösten Gräber an ihre Existenz und an das rassistische Verbrechen ihrer Auslöschung erinnert, sagt extrem viel über deutsche Gründlichkeit, rassistischen Sauberkeitswahn und Weiße Stadtplanung aus. An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass ihre unaussprechlichen vietnamesischen Namen dem zuständigen Bezirksamt bei der Prüfung des StraßenumbenennungsBegehrens als unpassende Fremd- und unzumutbare Klangkörper erschienen. Mir scheint dagegen, dass in der angeblich so weltoffenen Hansestadt für die Opfer des Rassismus enge bürokratische Toleranzgrenzen und sprachliche Reinheitsgebote des Eurozentrismus gelten. Umso mehr, wenn es darum geht, ihnen einen offiziellen Erinnerungsort in der heutigen Stadtlandschaft einzuräumen.
Um fair zu sein, wir kennen auch aus anderen Städten viele gleichgelagerte Beispiele, so dass die eurozentristische Aufladung bei der Benennungspolitik öffentlicher Orte kein spezifisches Problem Hamburgs ist. In der gesamtdeutschen Normalitätsvorstellung herrscht anscheinend immer noch eine urdeutsche Norm ohne Migrationserfahrungen und gegenkultureller Globalisierung. In dieser Konstruktion der deutschen Normalität erscheint es immer noch rationaler und politisch korrekter, Akteure und Orte mit kolonial-rassistischen Bezügen zu ehren als Menschen, die sich dagegen gewandt und/oder darunter gelitten haben. Umso scheinheiliger, hohler und absurder ist dieses Polit-Theater im 21. Jahrhundert, wenn im gleichen Atemzug auch noch der Anspruch auf weltpolitische und moralische Überlegenheit damit verbunden wird. In den ach so aufgeklärten, offenen und interkulturellen Demokratien des Westens ist weder die europäische Geschichte des Kolonialrassismus aufgearbeitet noch seine Gegenwart tatsächlich überwunden.
Die Umbenennung der Halskestrasse in Châu-und-Lân-Strasse, vielleicht auch Đỗ-Nguyễn-Strasse oder eine andere Namensvariation wäre aus meiner Sicht ein sinnstiftender Beitrag zur antirassistischen Umgestaltung und Dekolonialisierung deutscher Stadt- und Alltagskultur. Auf jeden Fall sollte der Senat in die Pflicht genommen werden um eventuell überlebende Familienangehörige von Nguyễn Ngọc Châu ausfindig zu machen und zu kontaktieren, um ihre Einbeziehung in den Umbenennungsprozess auf gleicher Augenhöhe sicherzustellen. Eine Umbenennung würde darüber hinaus auch dazu beitragen, unsere Ausgrenzungsmöglichkeiten zu reduzieren und unsere Vorstellungskraft davon zu verändern, wer dazu und was alles hierher gehört. Sie wäre ein kultureller und bildungspolitischer Mehrwert, den wir in Zeiten des strukturellen Racial Profiling, des unheimlichen Phänomens NSU 2.0 in der deutschen Polizei und des assimilatorischen Integrationsparadigmas unbedingt brauchen.
Rechtsextreme Kontinuitäten in den staatlichen Sicherheitsorganen
Was die staatlichen Sicherheitsorgane angeht, so zeigen nicht nur die jüngsten Ereignisse, dass rechtsextreme und rassistische Polizeigewalt ein massives systemisches Problem darstellen. Der Grad der Unterscheidbarkeit zwischen staatlichen Sicherheits- und Terrortruppen ist in Deutschland zuweilen erschreckend klein. Nicht nur die Polizei in unterschiedlichen Bundesländern, auch diverse Verfassungsschutzämter und Bundeswehreinheiten sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder durch haarsträubende Verwicklungen zu rechtsextremen Organisationen aufgefallen. Dokumentiert sind allerdings nur die aufgedeckten Fälle, aber es ist davon auszugehen, dass es in diesem Bereich eine hohe Dunkelquote an geheim operierenden Netzwerken und Tarnorganisationen gibt. Diese Verbindungen wurden vor allem durch antifaschistische Aktivist*innen und investigative Journalist*innen entdeckt, während staatliche Stellen bislang eher durch Beschwichtigungen und Dementis auffielen. Der Stellenwert rassistischer Gewalt in den Staatsorganen muss in Relation zur gesamtgesellschaftlichen Verfasstheit gesehen werden, die in ihrem Kern strukturell, administrativ-institutionell und zweifellos auch kulturell rassistische Muster aufweist. Diese Konfiguration bringt im Alltag existenzielle Probleme hervor, da nicht selten Weiße Entscheider*innen mit diskriminatorischen Vorurteilen oder Motivationen im staatlichen Auftrag handeln: Ob jemand sicher in Deutschland leben darf und kann, hängt viel zu oft von der Perspektive und der staatlich anvertrauten Entscheidungsmacht rassistischer Subjekte ab.
Wer sich die Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland seit dem Deutschen Kolonialkaiserreich anschaut, kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sich gerade in den sogenannten Sicherheitsorganen starke rechtsextreme Tendenzen konzentrieren. Das galt nicht nur in der Weimarer Republik, sondern beispielsweise auch in den 1980er Jahren, als auffällig viele Polizist*innen sich als Mitglieder und Sympathisant*innen der völkisch-nationalistischen „Republikaner“ von Franz Schönhuber zu erkennen gaben, der früher SS-Unterscharführer war, damals als stellvertretender Chefredakteur des regionalen Fernsehprogramms des Bayerischen Rundfunks fungierte und später zur NPD abwanderte. Und es gilt auch heute: Wer jetzt durch die Mitgliedslisten der AFD geht, wird wiederkehrend auf deutsch klingende Namen mit ehrenwerten bürgerlichen Berufen stoßen. Darunter sind viele Richter*innen, Staats- und Rechtsanwälte, Staatsbeamte und andere Verwaltungsangestellte, Professor*innen, Lehrer*innen, Journalist*innen, aber natürlich auch Berufe von Architekt*innen bis Unternehmer*innen und nicht zuletzt immer wieder Polizist*innen. Wie uns leider die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mehr als einmal gelehrt hat, werden rechtsextreme Bewegungen viel zu häufig von einem strukturkonservativen Rechtssystem entschuldigt und von der Mehrheit der Weißen Volksvertreter*innen verharmlost, sehr oft mit dem Standardsatz: „Wie müssen die Sorgen und Ängste der deutschen Bevölkerung ernst nehmen.“ Befremdlich ist mir an solchen Sätzen die Selbstverständlichkeit, mit der Bürger*innen of Color, migrantische und postmigrantische Communities aus der deutschen Gesellschaft und Wähler*innenschaft ausgeschlossen werden. Menschen wie wir werden so in Gedanken quasi entbürgert, d.h. entrechtet und unsichtbar gemacht. Aber sie irren sich: Unsere Stimmen zählen und das mindestens sogar im doppelten Sinne.
Der Präzedenzfall Walter Lübcke setzt neue erinnerungspolitische Standards
Wie die Gedenk- und Erinnerungskultur zugunsten der Opfer rechtsextremer Gewalt im besten Falle aussehen kann, wenn der politische Willen vorhanden ist und eine genuine identitätspolitische Betroffenheit vorliegt, zeigt die Geschichte von Walter Lübcke. Wie wahrscheinlich alle hier wissen, war Walter Lübcke zunächst Hessischer Landtagsabgeordneter der CDU und zuletzt als Regierungspräsident in Kassel tätig bevor er im Juni 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet wurde. Sein Mord löste eine überwältigende Medienresonanz und eine sehr große Betroffenheit in der Bevölkerung aus: Es fanden mehrere Trauergottesdienste und zahlreiche Gedenkveranstaltungen in mehreren Landtagen sowie im Bundesrat statt. Ihm wurde posthum neben der Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen, auch der nordhessische Herkules-Ehrenpreis verliehen. Hessen hat zudem den neuen Walter-Lübcke-Demokratie-Preis ausgelobt; eine Schule in Wolfhagen, wo er wohnte, wird nach Walter Lübcke umbenannt und in Fulda wird es bald eine Dr.-Walter-Lübcke-Straße geben. Diese Aufzählung ist nicht endgültig, da in Zukunft sicherlich mit weiteren Ehrungen zu rechnen ist. Mir steht es fern, an dieser Stelle das politische Wirken von Walter Lübcke oder die ihm zugedachten Ehrungen in Zweifel zu ziehen. Vielmehr finde ich es sehr beeindruckend, in welcher Geschwindigkeit und Dichte hier Denkmäler und öffentliche Erinnerungsorte geschaffen werden und bürokratische Anforderungen scheinbar mühelos erfüllt werden können. Das ist umso erstaunlicher, da in anderen Fällen diese von städtischen Verwaltungen als schier unüberwindbare formale Hindernisse dargestellt werden. Trotz langjähriger Bemühungen verlaufen viele Initiativen daher im Sande, während Ämter und zuständige politische Gremien mit Unschuldsmiene auf felsenfeste Vorschriften und gesetzliche Vorgaben verweisen.
Der Präzedenzfall Walter Lübcke setzt m.E. nach neue Standards im kultur- und erinnerungspolitischen Umgang mit den Opfern rechtsextremer Gewalt. Weder sachlich noch politisch oder moralisch ist es begründbar und zu rechtfertigen, dass sich eine Zweiklassengesellschaft in der öffentlichen Gedenkkultur etabliert. Da wir alle über unsere Steuern diese Gedenkkultur mitfinanzieren, verlangt nicht nur die Betroffenheit von Rassismus, sondern auch die demokratische Repräsentation eine nicht-diskriminatorische Erinnerungspolitik. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang nicht verkehrt, die politische Elite an ihrem eigenen neoliberalen Grundsatz zu erinnern: no taxation without representation. Bisher hat der institutionelle Rassismus in den gesellschaftlichen Strukturen eine Entsprechung in der selektiven Erinnerungspolitik und öffentlichen Gedenkkultur, die systematisch Menschen of Color marginalisieren und ausschließen.
Es gibt also einen Rassismus zweiter Ordnung, etwa in Form der kulturpolitischen Institutionalisierung von Diskriminierung und Benachteiligung, die auf dem initialen körperlichen Angriff oder dem ursprünglichen strukturellen Rassismus in der Schule oder auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt folgt und ihr als sich selbst verstärkender Kreislauf gleichzeitig vorausgeht. Solange wir diese kulturelle Dimension nicht erkennen, also die zweite und weitere Ebenen des Rassismus wahrnehmen, stoßen wir an Grenzen, die die Unmöglichkeit der Erinnerbarkeit und des Erkennens von Rassismus betreffen. Diese miteinander verschränkte Komplexität zu erkennen und ihre verkrusteten Dominanzstrukturen aufzubrechen, ist eine dringend zu lösende Aufgabe in der Gegenwart. Ich denke, dass die transkontinentale Solidarität mit der US-Amerikanischen Black Lives Matter-Bewegung und ihre hiesigen Rückkoppelungen etwa in Form des erstmaligen Interesses für die Dekolonialisierung eurozentristischer Kulturstandards oder die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus in breiteren Bevölkerungskreisen ein wichtiges politisches Momentum für antirassistische Initiativen bereitstellt. Jetzt geht es darum, den Mut und die organisatorische Schlagkraft aufzubringen, um in lokalen Gruppen, bundesweiten Netzwerken und globalen Bewegungen die Verhältnisse vor Ort wie in den systemrelevanten Strukturen weltweit in Frage zu stellen und lebenswerte Alternativen zu entwickeln.
Meine Rede möchte ich hier mit einer Erkenntnis der Schwarzen amerikanischen Psychologin Beverly Daniel Tatum schließen. Die von ihr beschriebene schleichende Vergiftung macht uns dauerhaft krank und führt uns als Individuen wie als Gesellschaft alternativlos zum Tode.
Sie schreibt: „Cultural racism … is like smog in the air. Some days it is so thick it is visible, other times it is less apparent, but always, day in and day out, we are breathing it in.“
Meine Übersetzung: Kultureller Rassismus … ist wie Smog in der Luft. An manchen Tagen ist er so dick, dass er sichtbar ist, an anderen ist er weniger offensichtlich, aber immer, Tag für Tag, atmen wir ihn ein.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, arbeitet als Publizist und Dozent in Berlin. Seine Monografie Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“ (transcript 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet. Im Herbst 2020 gibt er die erweiterte Neuauflage von Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A) heraus. Er ist auch Mitherausgeber von re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland (Unrast 2007).
[1] Wie bei Schwarz deutet die Großschreibung von Asiatisch an, dass es in diesem Fall nicht als Adjektiv zur regionalen Herkunftsbezeichnung benutzt wird, sondern kulturelle Identitätskonstruktionen bezeichnet. Diese sind wie alle Identitäten umkämpft und widersprüchlich, da sowohl Praktiken der Selbstbezeichnung als auch Prozesse des Fremdwahrnehmung und des Otherings einfließen.
Eine Nacht im April, knapp drei Monate nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Deutschland: Eine Gruppe Mitfahrender belästigt ein südkoreanisches Paar mit sexistischen und rassistischen Beleidigungen in der Berliner U‑Bahn. Zwei weitere Mitfahrende beobachten den Vorfall unter Gelächter. Als eine der betroffenen Personen beginnt den Vorfall per Handykamera zu dokumentieren, greift ein Teil der Gruppe das Paar körperlich an und bespuckt die beiden. Die Polizei wird noch während der U‑Bahnfahrt eingeschaltet. Sie kann die aus der U‑Bahnstation Fehrbelliner Platz flüchtenden Angreifer nicht stellen, macht aber die beiden Beobachter*innen ausfindig.
Das Paar will Anzeige stellen, was die Polizei jedoch mit der Begründung ablehnt, dass es sich seitens der Angreifenden nicht um rassistisches Verhalten handele. Erst nachdem eine der beiden Betroffenen telefonisch den südkoreanischen Vizekonsul kontaktiert, lenken die Polizist*innen ein. Sie nehmen nun zwei Anzeigen auf, unter anderem auch eine gegen die beiden Betroffenen: Die beiden Beobachter*innen fühlen sich rassistisch beleidigt. Das Paar hat sie als Rassist*innen bezeichnet.
Rassismus in Zeiten von Corona
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Zahl und das Ausmaß an verbaler und körperlicher Gewalt gegenüber asiatisch gelesenen Personen in Deutschland und auch weltweit stark zugenommen. Erfahrungen, die Betroffene über Social Media öffentlich machen, decken sich mit den Daten aus dem Infopapier zu Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Dieses hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Anfang Mai bereitgestellt.
Von den 100 Beratungsanfragen, die bis Mitte April im Zusammenhang mit dem Coronavirus eingegangen sind, handelt es sich in 58 Fällen um Diskriminierungserfahrungen aus rassistischen Gründen, besonders von Personen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird. Die Erfahrungen reichen von verbalen und körperlichen Attacken zur Verweigerung von medizinischen Behandlungen oder Dienstleistungen und Bedrohungen durch Hassbotschaften am Arbeitsplatz und am Wohnort. Auch Fälle von institutionellem Rassismus wurden gemeldet, z.B. durch Racial Profiling, also Polizeikontrollen auf Basis von stereotypisierenden Annahmen und äußerlichen Merkmalen.
Die Dunkelziffer rassistischer Übergriffe auf asiatisch gelesene Personen ist auf ein Vielfaches höher einzuschätzen. Darauf lassen die zahlreichen Erfahrungen und Zeug*innenberichte schließen, die Betroffene bisher in privaten Accounts in den sozialen Netzwerken, der Presse und unter dem Hashtag #IchBinKeinVirus geteilt haben. Dazu kommen die Erlebnisse all derjenigen, die sich dazu entschieden haben, mit diesen individuellen und oft schamvollen Erfahrungen nicht nach außen zu treten oder die keinen Zugang zu Hilfs- und Dokumentationsstrukturen haben.
Rassistische Berichterstattung zu Corona
Ebenfalls mit Beginn der Corona-Pandemie haben korientation und viele andere Asiatisch-Deutsche Akteur*innen einen Anstieg problematischer Medienberichterstattung zu COVID-19 festgestellt und öffentlich darauf hingewiesen. Bereits am 5. Februar hat das Team von korientation gemeinsam mit den Neuen deutschen Medienmacher*innen in der Pressemitteilung „Rassismus ‚Made in Media‘ – Diskriminierende Berichterstattung zum Coronavirus“ darauf aufmerksam gemacht. Die Pressemitteilung weist auf den Zusammenhang von diskriminierendem und kulturalisierendem Framing und/oder mehrdeutigen, stereotypisierenden, klischeebeladenen und unsachlichen Text-Bild-Verknüpfungen in Beiträgen vom Spiegel, der Bild und des FOCUS Magazins und dem wachsenden anti-asiatischem Rassismus hin. Trotz Hinweisen und Handlungsvorschlägen zum diskriminierungssensiblen Berichten wird die Liste der Artikel, Cover und Bebilderungen, die anti-asiatischen Rassismus befeuern bis heute stetig länger.
Wir alle wissen, dass stereotypisierende und suggestive Sprache und Bilder beeinflussen, wie Menschen wahrgenommen werden. Dabei geht es nicht allein um Worte einiger weniger aus dem konservativen und rechten Spektrum. Auch mediale Berichterstattung hat darin eine Verantwortung. Sie ist nicht unschuldig, denn: Bilder wecken Assoziationen, Sprache schafft Wirklichkeit und Worte führen zu Taten. Bebilderungen von Integrationsdebatten mit kopftuchtragenden Frauen (meist von hinten) oder Generalverdächtigung eines gesamten Berliner Stadtteils als „Clan-Kriminelle“ gehören dazu. Wir wissen historisch durch den Nationalsozialismus und erleben gegenwärtig mit den NSU Morden und den Morden in Hanau, wie diskriminierende Repräsentation von Minderheiten zu tödlichen Konsequenzen führt.
Wenn der Spiegel schreibt: „CORONA VIRUS – Made in China [in gelber Schrift] – Wenn Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“, der Schwarzwälder Bote über einen lokalen Karneval mit dem Titel „Chinese mit Atemschutzmaske baumelt über der Stadt“ berichtet und der Cicero seine Mai-Ausgabe mit „Gruß aus Wuhan – China, Corona und der Schaden für die Welt“ betitelt, wissen asiatische gelesene Menschen und BIPoC, was als nächstes passiert – nämlich angespuckt, beleidigt, mit Desinfektionsmittel eingesprüht, vom Fahrrad geschubst werden und mehr.
Vielen ist dies nicht bewusst, andere blenden es aus. Wir bezweifeln jedoch, dass es saubere journalistische Arbeit ist, Bilder wie „die Gelbe Gefahr“, die ihren rassistischen Ursprung in der Kolonialzeit haben, ohne Kontextualisierung auf die Corona-Pandemie zu übertragen und wieder salonfähig zu machen. Gleiches gilt für Redaktionen, die mit dem Schüren von Panik und der Emotionalisierung ihrer Leser*innen darauf abzielen, ihre Auflage- und Absatzzahlen zu steigern. Ob unbewusst oder ignorant, sie handeln fahrlässig und nehmen für kapitalistischen Gewinn in Kauf, rassistische Gewalt zu verstärken.
Fremddarstellung von asiatisch gelesenen Menschen und ihre Folgen
Was vielen nicht-asiatischen Menschen vermutlich auch nicht bewusst ist: Die Fremddarstellung asiatisch gelesener Menschen hat eine lange Kontinuität, deren Auswirkungen asiatische Menschen heute noch spüren.
Nehmen wir das Beispiel „Yellow Fever“ – oder in anderen Worten: die Fetischisierung asiatischer Frauen*. Yellow Fever gründet auf dem Bild der (sexuell) unterwürfigen asiatischen Frau*, das – wer hätte es geahnt – ein weißer Schriftsteller namens Pierre Loti im Jahr 1887 als Motiv für seine Novelle „Madame Chrysanthème“ gewählt hat und das seitdem in Opern, Musicals und zahlreichen Filmen bis heute reproduziert wird. Verstärkt wurde dieses Bild durch systematische Förderung von Prostitution in süd‑, süd-ost- und ost-asiatischen Ländern zum Zweck der „Rest and Relaxation“ US-amerikanischer Soldaten während der Kriege in Japan, Korea und Vietnam. 85% der US-Soldaten gaben an, bei dieser Gelegenheit sexuellen Kontakt zu einer Prostituierten gehabt zu haben. Diese Fetischisierung wiederum spiegelt sich in den hohen Klickzahlen der rassifizierten Pornokategorie „asiatisch“ und hat negativen Einfluss auf die Lebensrealitäten asiatisch gelesener Frauen*. korientation wurde Anfang April von einer betroffenen Person über gehäufte Fälle informiert, in denen ein weißer Mann in Berlin-Kreuzberg gezielt asiatische Frauen* digital gestalked, sexuell belästigt und emotional manipuliert hat.
Model Minority Myth und anti-asiatischer Rassismus
Mit der Zuschreibung, eine „Model Minority“, also die „gut Integrierten“ zu sein, erfahren manche asiatisch gelesene Personen (v.a. die sichtbaren) im Vergleich zu anderen negativ stigmatisierten People of Color (u.a. auch weniger sichtbare asiatische* Gruppen) eine gesellschaftliche Besserbehandlung. Der Preis für diese Privilegien ist die Erfüllung und Verinnerlichung der stereotypen Rolle der „stillen Asiat*innen“ und entsprechend dankbares Verhalten. Doch diese Rechnung geht nicht auf, denn über diese vermeintlich „positive“ (vor allem aber auch paternalistische) Zuschreibung werden die verschiedenen von Rassismus negativ betroffenen Gruppen hierarchisiert und gegeneinander ausgespielt. Und der Rassismus gegen asiatisch gelesene Personen existiert trotzdem, auch wenn Betroffenen ihre Rassismuserfahrungen oft abgesprochen oder nicht ernst genommen werden.
Besonders problematisch wird es, wenn dies durch diejenigen Strukturen geschieht, deren Aufgabe es ist, Personen zu schützen, Straftaten zu verfolgen und Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen. Das Verhalten der Polizei, die im Angriff auf das eingangs genannte koreanische Paar weder sexuelle noch rassistische Belästigung erkennen wollte, findet dabei auf der vergleichsweise noch „harmloseren“ Seite des Spektrums institutionellen Rassismus statt.
Wir möchten an dieser Stelle aber auch daran erinnern:
Dass beim mehrmals in der Presse angekündigten Pogrom in Rostock-Lichtenhagen von 1992 sowohl die Polizei als auch die Landesregierung von Mecklenburg Vorpommern rassistische Motive ignoriert, und Hilfeleistung und Strafverfolgung unterlassen haben.
Dass die Polizei bei einer Festnahme vietnamesischer Männer 1993 in Bernau und 1994 in Leipzig Racial Profiling, rassistische und sexualisierte Gewalt angewendet hat.
Rassismus gegen asiatisch gelesene Personen ist eine von vielen verschiedenen Formen des „Othering“, also der Konstruktion eines rassifizierten „Anderen“. Er findet auf unterschiedlichen strukturellen Ebenen, in unterschiedlichen Bereichen, mit unterschiedlichen geschichtlichen Kontexten und in unterschiedlichen Funktionen statt. Er ist oftmals geschlechtsspezifisch und variiert auch entlang anderer Diskriminierungskategorien. Er ist ebenso vielfältig wie die Positionierungen asiatisch gelesener Menschen in Deutschland. Der spezifisch mit der Corona-Pandemie aufflammende Rassismus richtet sich in unterschiedlichen Ausprägungen auch gegen Jüdische Menschen, Sint*ezza und Rom*nja, Schwarze Menschen und andere People of Color. Eine fehlende Positionierung bzw. Schweigen und Abwertung ihrer Rassismuserfahrungen (nicht nur im Corona-Kontext) sind Bestandteile einer Dynamik, mit der Betroffenen gezeigt wird, dass sie in der Gesellschaft keine gleichwertige Position einnehmen.
Als Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven schließen wir folgendes Fazit:
Politiker*innen, Behörden, Schulen, Polizei und Verwaltungen müssen das Thema anti-asiatischer Rassismus aufgreifen und eine klare Stellung dazu beziehen. Außenminister Heiko Maas hatte sich Anfang April zwar kritisch zu den im Coronakontext aufgetretenen Beleidigungen gegenüber Französ*innen geäußert, anti-asiatischer Rassismus scheint aber bisher kein Thema zu sein. Wenn staatliche Institutionen dazu schweigen, vermittelt dies die Botschaft, dass rassistisches Verhalten akzeptiert wird und erlaubt ist. Institutionen müssen einen Plan und Regeln entwickeln, wie mit rassistischem und diskriminierendem Verhalten umgegangen werden soll.
Alle Polizist*innen müssen verbale und körperliche Angriffe auf asiatisch gelesene Menschen ernstnehmen und ihrer Verpflichtung nachkommen, dagegen Anzeige aufzunehmen. Die Polizei muss sich sowohl intern als auch im Kontakt nach außen ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen und sich sensibilisieren. Für die Betroffenen rassistischer Übergriffe ist es doppelt traumatisierend, wenn ihnen vermittelt wird, dass ihre Erfahrungen eine Strafverfolgung nicht wert sind.
Personen, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind, sollen Erfahrungen asiatisch gelesener Menschen nicht in Frage stellen oder verharmlosen und jede Form von anti-asiatischem Rassismus unterlassen. Daher der Appell: Wenn Ihr rassistische Übergriffe beobachtet, zeigt Euch solidarisch und leistet Beistand. Lasst rassistisches Verhalten nicht einfach stehen oder ignoriert es. Jede Person, die sich in so einem Fall kritisch äußert, kann Vorbild für andere sein.
Medienschaffende müssen sich und ihre Redaktionen grundsätzlich und speziell im Kontext der Corona-Pandemie auf kulturalisierendes, stereotypisierendes, unsachliches oder rassistisches Framing bzw. Bild-Text-Verknüpfungen überprüfen und nachbessern. Als Hilfestellung, wie es besser gemacht werden kann, empfehlen wir Glossare und Leitfäden zum diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch. Auf der Webseite von No Hate Speech https://no-hate-speech.de/de/wissen/ ist eine Sammlung zu finden.
Offener Brief deutsch-asiatischer Kunst- und Kulturschaffender* sowie Unterstützer*innen an das Schauspiel Leipzig, das Deutsche Theater Berlin und die Mülheimer Theatertage (vom 05.06.2019)
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