korientation ist eine (post)migrantische Selbstorganisation und ein Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven mit einem gesellschaftskritischen Blick auf Kultur, Medien und Politik.
International Conference Anti-Asian Racism: History, Theory, Cultural Representations and Antiracist Movements
Venue: Fürstenzimmer of Schloss Hohentübingen, Burgsteige 11, 72070 Tübingen, Germany Date: Friday, 07.07.2023 − Saturday, 08.07.2023 Conveners: Dr. Kien Nghi Ha and Prof. Dr. You Jae Lee
Registration required because of limited space via email to: koreanistik@uni-tuebingen.de Participation: free of charge
The international conference, hosted by the Center for Korean Studies at the University of Tübingen, is divided into four sections. It explores how anti-Asian racism is related to modern history, theory, cultural representations and anti-racist movements. We cordially invite interested scholars, cultural workers and community activists to join the discussions of the first conference on anti-Asian racism in German academia.
P r o g r a m
Friday, 07.07.2023
14:30 – 14:45 Arrival, registration and coffee
14:45 – 15:00 Welcome and Introduction: Dr. Kien Nghi Ha and Prof. Dr. You Jae Lee
15:00 – 16:00KEYNOTE: HISTORY Making Asians Foreign: Methods of Exclusion and Contingent Belonging Lok Siu, Professor of Asian American Studies, University of California (Berkeley)
Chair: Bernd-Stefan Grewe, Professor of History, University of Tübingen
16:00 – 17:00 PANEL: HISTORY
Discrimination, Resistance, and Meritocracy. Korean Guest workers in Germany You Jae Lee, Professor of Korean Studies, University of Tübingen
The Pogrom in Rostock-Lichtenhagen as Institutional Racism Kien Nghi Ha, Postdoc Cultural Scientist, University of Tübingen
Chair: Jee-Un Kim, Managing Director of korientation. Network for Asian German Perspectives e.V.
17:30 – 18:30KEYNOTE: THEORY
The Intersections between European Racial Constructions and Modern Colonialism:Theoretical Issues and the Place of Asia Rotem Kowner, Professor of Japanese Studies, University of Haifa
Chair: Anthony Pattahu, Habilitation Candidate at the Department of Social and Cultural Anthropology, University of Tübingen
18:30 – 19:30 PANEL: THEORY
Socialists and Anti-Asian Sentiment in the Era of Mass Migration (1880–1930) Lucas Poy, Assistant Professor in Global Economic and Social History, Vrije Universiteit Amsterdam
Abolitionist Perspectives on Demands of Asian-German Formations Cuso Ehrich, Graduate Student, Institute of Sociology, Justus Liebig University Gießen
Chair: Bani Gill, Junior Professor of Sociology, University of Tübingen
Saturday, 08.07.2023
09:00 – 10:00KEYNOTE: CULTURAL REPRESENTATIONS
Racialized Screen in Early German Cinema: What Asian German Studies Can Address Qinna Shen, Associate Professor of German Studies, Bryn Mawr College
Chair: Fei Huang, Professor of Chinese Studies, University of Tübingen
10:00 – 11:00PANEL: CULTURAL REPRESENTATIONS
Anti-Asian Racism and the Politics of Asian Self-Representation in Germany: the Asian Film Festival Berlin Feng-Mei Heberer, Assistant Professor for Cinema Studies, New York University
Opportunity and Threat: Ambivalent Reporting on China in Der Spiegel, 1947–2023 Anno Dederichs, Postdoc Sociologist at China Center, University of Tübingen
Chair: Zach Ramon Fitzpatrick, Assistant Professor of German Studies at the University of Wisconsin-Madison (from fall 2023)
11:30 – 12:30 PANEL: ANTIRACIST MOVEMENTS
“Take Off Your Masks“: The Invisibility and Visibility of Anti-Asian Racism in Germany Sara Djahim, Independent Researcher, Asian and International Development Studies, Tae Jun Kim, Sociologist at German Center for Integration and Migration Research (DeZIM), Berlin
Yellow is the new Black? Emergence and Development of Asian Antiracist Activism in France Ya-han Chuang, Postdoc Sociologist at the Institut national d’études démographiques (Ined), Sciences Po Paris
Chair: Yewon Lee, Junior Professor of Korean Studies, University of Tübingen
12:30 – 13:00 Round Table: Challenging Anti-Asian Racism in Society and Academia Panelists: Qinna Shen, Lok Siu, Rotem Kowner, You Jae Lee
Chair: Kien Nghi Ha
Supported by the Platform Global Encounters of the University of Tübingen. Funded by the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and the Ministry of Science Baden-Württemberg within the framework of the Excellence Strategy of the German Federal and State Governments. Additional funding provided by the Academy of Korean Studies.
Ein Angebot für Asians in der politischen Bildungsarbeit
Sa. 03. & So. 04. Juni 2023 in der Alten Feuerwache Köln
Wie sieht politische Bildungsarbeit aus kolonialismuskritischer Perspektive aus? Was haben Identität und Selbstzuschreibungen mit Kolonialismus zu tun? Wie können wir Praxen in der politischen Bildungsarbeit schaffen und ausbauen, die auf Solidarität mit anderen rassifizierten und marginalisierten Communities basieren? Welche Werkzeuge und Strategien brauchen wir, um den Mythos der Vorzeigeminderheit aufzudecken und aktiv gegen das Teile-und-Herrsche-Prinzip vorzugehen? Auf welche Art und Weise vermitteln wir Wissen in den Lernräumen, die wir kreieren? Und wie kann ein gemeinsamer Austausch aussehen, in dem wir uns in Selbstkritik und Verantwortungsübername in unserer Praxis üben?
Das Projekt RADAR von korientation lädt Anfang Juni Aktive aus der politischen Bildungsarbeit zu einer zwei-tägigen Zukunftswerkstatt nach Köln ein. Wir werden gemeinsam diesen Fragen nachgehen und dabei immer wieder die Verbindung zur Reflektion über Kolonialität beibehalten. Wir freuen uns auf euch!
Reflexion über Identitätskonstruktionen und eigene Verbindung zu ihnen
Selbstkritischer Blick auf die eigene Praxis der politischen Bildungsarbeit
Methodenentwicklung zur Thematisierung vom Mythos Vorzeigeminderheit
Erkundung von Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Solidarisierung mit verschiedenen Positionierungen
Materialsammlung für eine kritische, dekoloniale politische Bildungsarbeit mit Schwerpunkten auf verschiedene asiatische Diasporen entwickeln
Programm
Samstag03.06.
Sonntag 04.06.
10.00- 11.30 Uhr
Ankommen, Kennenlernen, Thematische Einführung
Thematischer Input zur Verbindung von kritischen Perspektiven auf politische Bildung und wieso kolonialkritische Perspektiven ausschlaggebend für das Netzwerktreffen sind.
Ankommen und Open Space
Möglichkeit Bedürfnisorientierte Spaces zu gestalten.
11.45- 13.45
Block 1 Selbstzuschreibung und Identität „Ich fühl mich so zwischen zwei Stühlen hin- und hergerissen.“ Wir wollen wissen, wie diese Stühle gebaut werden und wieso Menschen sich so fühlen, als müssten sie einen guten Stuhl für sich finden.
Block 3 Interkommunale Solidarität
Bildungsräume schaffen, die positioniert arbeiten und sich gleichzeitig in Solidarität mit anderen Positionierungen treffen.
Pause
14.45- 16.45
Block 2 Mythos Vorzeigeminderheit
Gemeinsam Strategien finden, den Mythos zu thematisieren & aufzudecken, wie er die realen Gewalterfahrungen unsichtbar macht, aber auch versucht Asians als Schachfiguren weißer Vorherrschaft einzusetzen. Nicht mit Uns.
Block 4 Intervisions- und Reflexionsräume aufbauen Praxisübung zu kollegialer Fallberatung und Aufbau eines regelmäßigen Intervisionstreffens. Austausch zu Räumen der (Selbst-)Kritik und Verantwortungsübernahme.
Pause
17.00- 17.30
Abschluss und Ausblick Tag 2
Abschluss
Optionales gemeinsames Abendessen
Ressourcen nach Themenblöcken
Im Laufe der Zukunftswerkstatt werden wir die Themenblöcke behandeln und die Ressourcen darauf untersuchen, inwiefern sie mit Theorien, Praktiken und Verständnissen zusammenhängen, die gewaltsam durch Kolonialismus etabliert wurden.
Diese Liste wird sich immer weiter mit Ressourcen füllen.
Sie richtet sich an in der politischen Bildungsarbeit aktive BIPoC, die Bezüge zu Nord-/Süd-/Ost-/Südost-/Vorder- oder Zentralasien strategisch für sich wählen (können), um ihre vielfältigen Lebensrealitäten sichtbar zu machen und Fragen von Rassismus und anderen Ausschlüssen aus einer spezifischen Perspektive solidarisch anzusprechen. Wenn Du Zweifel hast und nicht weißt, ob diese Selbstbezeichnung für Dich funktioniert oder Du dich darunter wiederfindest, melde Dich gerne bei uns und wir sprechen darüber!
Anmeldungen
Ihr könnt Euch bis zum 02.04.2023 für die Zukunftswerkstatt in Köln anmelden.
Falls mehr Anmeldungen eingehen, als wir Plätze vergeben können, wählen wir nach thematischen Überschneidungen mit der Praxis der politischen Bildungsarbeit und Wohngebiet aus, da wir eine selbstorganisierte Schlafplatzbörse anstoßen werden.
Die Anmeldungen sind geschlossen.
Unterkunft und Anfahrt
Die Anfahrtskosten können übernommen werden. Schlafplätze können wir leider nicht stellen, und werden daher eine selbstorganisierte Schlafplatzbörse anhand eurer Anmeldungen einleiten. Alle Personen, die angenommen werden und keine Unterkunft in Köln haben, werden einen Schlafplatz bekommen. Für die Leute, die näher an Berlin dran sind: wir werden eine ähnliche Zukunftswerkstatt im Herbst in Berlin anbieten, stay tuned!
Barrieren
Hinkommen: Die Zukunftswerkstatt wird in der Alten Feuerwache in Köln stattfinden. Die nächsten Bus- & Bahnhaltestellen sind ca. 5 Minuten zu Fuß entfernt. Falls du Parkplätze direkt an der Feuerwache benötigst, schreib uns gerne eine Mail.
Reinkommen: Wir werden in Räumen sein, die nur durch Treppen zugänglich sind. Die Zukunftswerkstatt ist umsonst.
Klarkommen: Wir werden am Anfang eine Accessibility Need Runde (Bedürfnisrunde zu Zugänglichkeit & Barrieren) machen, in der alle ihre Bedürfnisse äußern können, um gut an der Zukunftswerkstatt teilnehmen zu können.
Corona: Wir werden uns alle an beiden Morgen auf Covid selbsttesten. Weitere Hygieneabstimmungen können wir gemeinsam treffen.
Schreib uns auch gerne im Vorhinein und teil uns mit, was du brauchst, um gut am Treffen teilnehmen zu können.
“Nachdem mein Vater 1968 als sogenannter „Gastarbeiter“ nach Deutschland geholt und ich 1977 hier geboren wurde, darf ich immer noch nicht hier wählen. Ich bin Deutscher, ich werde niemals in “die Heimat” zurückkehren, denn ich bin schon längst da.” Miman Jasarovski, Aktivist und Protagonist von FROM HERE, Mit-Initiator der Kampagne “Passt(t) uns allen”.
Das von der Bundesregierung kürzlich verabschiedete “Chancenaufenthaltsrecht” und die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind zwar Schritte in die richtige Richtung, doch noch weit entfernt von einem „modernen Einwanderungsland“ von dem Olaf Scholz spricht. Die Zeit ist mehr als reif, um endlich unsere Kampagne “Passt(t) uns allen” zu starten! Die Umsetzung unserer Forderungen ist überfällig. Seit Jahrzehnten kämpfen Migrant*innen und solidarische Menschen für die Gleichbehandlung aller, die in Deutschland leben. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird.
Wir sind ein Bündnis von rund 30 migrantischen und rassismuskritischen Interessenvertretungen, Selbstorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen. Wir fordern:
Die deutsche Staatsangehörigkeit für alle Menschen, die in Deutschland geboren sind.
Das Recht auf eine unbürokratische und kostenlose Einbürgerung für alle Menschen, die seit mindestens drei Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
Die Möglichkeit, mehrfache Staatsangehörigkeiten zu besitzen.
Das aktive und passive Wahlrecht auf Bundes‑, Landes- und kommunaler Ebene für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt seit mindestens drei Jahren in Deutschland haben.
Unterzeichne unsere Petition, Teile die Petition in deinen Netzwerken, schicke eine E‑mail an Bundestagsabgeordnete und fordere sie auf unsere Forderungen zu unterstützen oder mache ein Video von dir, warum du die Forderungen unterstützt und schicke es uns!
Deutschland hält an dem Abstammungsprinzip fest, wonach ein Kind die Staatsbürgerschaft seiner deutschen Eltern (oder zumindest eines Elternteils) automatisch erhält. Diese Regelung basiert auf dem rassistischen Prinzip der Blutsverwandtschaft (ius sanguinis). Für Kinder ausländischer Eltern ist die deutsche Staatsangehörigkeit an Voraussetzungen geknüpft. Mindestens ein Elternteil muss seit acht Jahren über ein Aufenthaltsrecht verfügen. Diese Praxis verhindert, dass tausende Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten – und das teilweise über Generationen hinweg. So sind auch Menschen, die hier geboren wurden, staatenlos, von Abschiebung bedroht oder wurden bereits abgeschoben – in Länder, deren Sprache sie oft nicht sprechen, wo sie niemanden kennen und häufig diskriminiert werden. Dass es auch anders möglich ist, zeigen 33 Länder weltweit, in denen ein uneingeschränktes Geburtsortprinzip gilt. Das heißt, Kinder, die dort geboren werden, erhalten sofort die Staatsangehörigkeit. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus der Eltern.
Wir fordern: Ein uneingeschränktes Geburtsortprinzip – Pass(t) uns allen!
Aktuell sind die Voraussetzungen für eine Einbürgerung unnötig hoch. So können Armut, der Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes oder das Fahren ohne Fahrschein schon Gründe dafür sein, die Einbürgerung verwehrt zu bekommen. Wie schnell die Einbürgerung erfolgt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland – teilweise von Kommune zu Kommune – und ist von der für den Antrag zuständigen Person abhängig. Ein häufig langwieriger, demütigender und intransparenter Prozess. Doch eine unbürokratische Einbürgerung ist möglich. Das zeigt das Beispiel von Millionen “(Spät) Aussiedler*innen”. Wir sollten von dieser positiven Erfahrung lernen.
Wir fordern die Abschaffung aller Einbürgerungshürden – Pass(t) uns allen!
Die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit/en als Voraussetzung für die Einbürgerung hält derzeit viele Menschen davon ab, sich einbürgern zu lassen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass nicht alle Kinder deutsche Eltern haben, dass Menschen migrieren und bleiben, an mehreren Orten zu Hause sind und gesellschaftliche Prozesse, wo sie sind, mitgestalten. Genauso sollte es selbstverständlich sein, mehrere Staatsangehörigkeiten zu besitzen. Für viele ist eine doppelte Staatsangehörigkeit bereits Alltag und stellt kein größeres Problem dar. Dass diese Möglichkeit nicht für alle besteht, ist ungerecht und diskriminierend.
Wir fordern Mehrfachstaatsangehörigkeiten – Pass(t) uns allen!
Wer sich einbürgern lassen will, muss seit mindestens acht Jahren mit einem unbefristeten Aufenthaltsrecht oder einer auf Dauer angelegten Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben. Die Ampel-Koalition hat angekündigt, den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu vereinfachen und “bei besonderen Integrationsleistungen” schon nach drei Jahren zu ermöglichen. Das reicht nicht aus! Der Erwerb der Staatsangehörigkeit darf weder von vermeintlichen “Integrationsleistungen” noch vom Aufenthaltsstatus abhängen. Statt einer Hierarchisierung von gesellschaftlicher Teilhabe und Sondergesetzen, wie dem Asylverfahrens- oder Asylbewerberleistungsgesetz, müssen alle gleiche Rechte haben: Das Recht, ohne Angst vor Abschiebung zu leben, den Wohnort frei wählen zu können, Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu haben, zu reisen und das Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Wir fordern ein Recht auf Einbürgerung nach drei Jahren für alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben – Pass(t) uns allen!
Selbst wählen zu können oder sich zur Wahl aufstellen zu lassen, ist der Grundpfeiler einer Demokratie. Alle, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, müssen diese beeinflussen können, auch wenn sie sich nicht für eine Einbürgerung entscheiden. Das Wahlrecht darf nicht von der deutschen Staatsangehörigkeit, dem Pass abhängen, sondern davon, wo Menschen leben. Bereits seit den 70er Jahren kämpfen Migrant*innen für ein Wahlrecht für alle. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird.
Wir fordern Wahlrecht für alle – Pass(t) uns allen!
WER WIR SIND
Wir sind ein Bündnis aus migrantischen und rassismuskritischen Interessenvertretungen, Selbstorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen. Zum Bündnis gehören:
Allerweltshaus Köln e.V.
Allmende e. V.
BBZ- Beratungszentrum und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrant*innen
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD)
International Women Space (IWS)
Jugendliche ohne Grenzen
korientation. Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V
Lateinamerikanische Fraueninitiative in Neukölln e.V.
MigLoom e.V.
MigraNetz e.V.
Migrationsrat Berlin e.V.
Netzwerk WIR WÄHLEN
neue deutsche organisationen – das postmigrantische netzwerk e.V..
Refugees with Attitudes
Roma Antidiscrimination Network (RAN)
Roma Center e.V.
Roma-Trial
RomaniPhen e.V.
Romano Sumnal e.V.
Seebrücke
Statefree e.V.
TBB-Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg
Trixiewiz e.V.
Türkische Gemeinde in Deutschland e.V.
With Wings and Roots e.V.
AKTIV WERDEN
Teile die Petition in deinen Netzwerken, schicke eine E‑mail an Bundestagsabgeordnete und fordere sie auf unsere Forderungen zu unterstützen oder mache ein kurzes Video von dir, warum du die Forderungen unterstützt und schicke es uns!
“Das von der Bundesregierung kürzlich verabschiedete Chancenaufenthaltsrecht und die geplante Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind zwar Schritte in die richtige Richtung, doch noch weit entfernt von einem „modernen Einwanderungsland“ von dem Olaf Scholz spricht. Aus eigener Erfahrung als sogenannte „Aussiedlerin“, die knapp ein Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland eingebürgert wurde, weiß ich, dass eine andere Einbürgerungspraxis möglich ist! Die Umsetzung unserer Forderungen ist überfällig. Seit Jahrzehnten kämpfen Migrant*innen und solidarische Menschen für die Gleichbehandlung aller, die in Deutschland leben. Es wird Zeit, dass es endlich Realität wird”. Olga Gerstenberger, Politikwissenschaftlerin und Impact Producerin von FROM HERE, Mit-Initiatorin der Kampagne “Pass(t) uns allen”
“Wahlrecht für alle. Demokratie ist das Herz unserer Gesellschaft“. Sanaz Azimipour, Aktivistin, Autorin und Mitgründerin der Kampagne »Nicht ohne Uns 14 Prozent«
„Seit 25 Jahren sind Bürger*innen mit ausländischem Pass (EU) kommunal gleichberechtigte Wähler*innen und Stadträte. Die Zeit ist überreif für gleiche demokratische Rechte für Alle.“ Elisa Calzolari, MigraNetz Thüringen & Netzwerk WIR WÄHLEN
„Wir alle werden erst wirklich gesehen und verstanden, wenn unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt auch akzeptiert und anerkannt wird. Dazu gehört selbstverständlich die Tatsache, dass ein Mensch mehrere Identitäten, mehrere Kulturen und mehrere Sprachen haben kann. Vielfalt zu leben und zu stärken bedeutet darum auch, Zugehörigkeiten Raum zu geben – und das bedeutet damit auch die Anerkennung von Mehrstaatlichkeit.“ Ayşe Demir, Vorstandssprecherin Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
„Menschen ohne staatsbürgerliche Rechte leben im permanenten Ausnahmezustand. Sie werden durch den Staat zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Ohne grundlegende Rechte müssen viele Betroffene sich ein Leben lang gegen strukturellen und institutionellen Rassismus behaupten. Solange Deutschland insbesondere Migrant*innen und geflüchteten Menschen aus ehemals kolonialisierten Gesellschaften dauerhaft die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht verweigert, ist diese Gesellschaft weder dekolonialisiert noch wirklich anti-rassistisch und demokratisch.” Dr. Kien Nghi Ha, Kulturwissenschaftler und Autor, Mitglied von korientation – Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V.
„Insbesondere in einer Zeit, in der islamfeindliche, flüchtlingsfeindliche und rassistische Aktivitäten zugenommen haben und immer mehr Zuspruch und Zulauf aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft erhalten, sollten Menschen, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, die Möglichkeit haben, das Land, in dem sie leben, in dem sie Steuern zahlen, in dem ihre Kinder zur Schule gehen, politisch mitzugestalten.“ Ayşe Demir, Vorstandssprecherin Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
„Ich sage immer: Andere Leute haben eine Karriereleiter, und bei uns ist das wirklich ein bisschen so eine Aufenthaltsleiter. Man klettert da hoch, und dann gibt es die Duldung, dann gibt es Asyl, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis. Und irgendwann schafft man es da hoch.“ Christiana Bukalo – Social Change Maker, Speakerin & Co-Gründerin, Statefree e.V.
“Uns ging und geht es nicht darum, „integrierte“, gut ausgebildete, brauchbare Jugendliche zu werden, sondern darum, dass alle Menschen, die hier leben, ein Bleiberecht bekommen – egal, ob sie für diese kapitalistische Gesellschaft brauchbar oder ob sie alt oder krank sind oder kein Deutsch können, weil sie jahrelang in Lagern gelebt haben”. Mohammed Jouni, Mit-Gründer von Jugendliche ohne Grenzen
Gedenken an die Opfer des rassistischen & sexisistischen Anschlags in der Gegend um Atlanta vom 16.03.2021
Am 16. März jährt sich der rassistische & sexistische Anschlag auf Spa-Mitarbeiter*innen in der Gegend um Atlanta, Georgia/USA. Wir, als Teil der asiatischen Diaspora in Deutschland, wollen den Anlass nehmen, um zusammenzukommen & eine Mahnwache in Gedenken an die acht Opfer, von denen sechs asiatische Frauen waren, & im Kampf gegen die kapitalistischen, rassistischen & sexistisch patriarchalen Strukturen, in den USA, Deutschland & global zu halten.
In Gedenken an Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan, Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun, Paul Andre Michels.
Mahnwache
In Solidarität mit den Opfern & deren Angehörigen veranstalten wir eine Mahnwache mit Redebeiträgen & Performances:
WANN: Samstag, den 19. März 2022 von 13:00 bis 15:30 Uhr WO: an der Friedensstatue in Berlin-Moabit (Ecke Birkenstraße/Bremer Straße)
Zur Mahnwache sind alle Menschen herzlich eingeladen!
Außerdem wird es nach den Redebeiträgen & Performances einen Community Space geben. Zu diesem Community Space laden wir alle Menschen herzlich ein, die negativ von Rassismus gegen ostasiatisch und südostasiatisch gelesene Menschen betroffen sind, um sich bei Tee, Snacks & Musik kennenzulernen, auszutauschen & zu vernetzen.
Wir freuen uns sehr, euch alle zahlreich auf der Mahnwache & auch auf dem Community Space zu sehen!
Bitte teilt die Infos zur Mahnwache! Dieser Veranstaltungstext wird noch in weiteren Sprachen übersetzt.
UNTERSTÜTZT DIE ORGA-GRUPPE
Zudem wird für die Organisation der Mahnwache noch dringend Unterstützung gebraucht! Insbesondere Allies / Verbündete sind hier angesprochen angemessene Aufgaben zu übernehmen. Auf Instagram (u.a. bei @storiesbythuy und @korientation) gibt es einen Aufruf mit Aufgabenliste & Awareness-Konzept.
Bei Interesse & Kapazitäten für Unterstützung & bei Rückfragen, meldet euch gerne bei uns unter: in-memory-in-resistance@riseup.net
ORGANISATOR*INNEN
Die Mahnwache wird von Einzelpersonen der asiatischen Diaspora organisiert. „Wir sind eine kleine Gruppe von asiatisch-diasporischen Menschen aus Berlin. Wir stellen uns gegen die kapitalistischen, rassistischen und sexistisch-patriarchalen Strukturen in den USA, Deutschland und global.“
(Dies ist keine Veranstaltung von korientation, wird aber von korientation unterstützt.)
March 16 marks the one-year anniversary of the racist and sexist attack on spa workers in the Atlanta area, Georgia/USA. We, as part of the Asian diaspora in Germany, want to take the occasion to come together and hold a vigil in memory of the eight victims, six of whom were Asian women, and in resistance against the capitalist, racist, and sexist patriarchal structures in the USA, Germany, and globally.
In memory of Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Xiaojie Tan, Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun, Paul Andre Michels.
VIGIL
In solidarity with the victims and their families, we will hold a vigil with speeches and performers (the speakers and performers will be announced soon).
DATE: Saturday, March 19, 2022 from 1:00 to 3:30 pm WHERE: at the Statue of Peace / Friedensstatue in Berlin-Moabit (corner of Birkenstraße and Bremer Straße)
In addition, there will be a community space after the speeches and performances. To this community space we warmly invite all people who are negatively affected by racism against East Asian- and Southeast Asian-perceived people to meet, exchange and connect over tea, snacks, and music.
We are very much looking forward to seeing you all in large numbers at the vigil and also at the Community Space! Please spread the news and share the info about the vigil!
This call text will also be translated into other languages. More information will follow.
SUPPORTNEEDED
Moreover, support is still urgently needed for the organization of the vigil. Allies in particular are addressed here to take on appropriate tasks.In the previous Instagram post (among others at @storiesbythuy and @korientation) there is a call with a task list and our awareness concept.
If you are interested and have capacity for support, as well as any questions, feel free to contact us at: in-memory-in-resistance@riseup.net
ORGANIZERS
This vigil is organized by individuals from the Asian diaspora in Germany. „We are a small group of Asian-diasporic people from Berlin. We oppose the capitalist, racist and sexist patriarchal structures in the US, Germany and globally.“
(Note: This is not organized by korientation. We support the vigil and the cause.)
von Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer, Christopher Nguyen
Antiasiatischer Rassismus existiert nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Basierend auf tatsächlichen und imaginierten Besuchen Asiens,[1] haben seit dem 13. Jahrhundert Europäer*innen Narrative konstruiert und verbreitet, die bis heute wirkmächtig sind. In ihnen erscheinen Asiat*innen als „anders“, „exotisch“ und „gefährlich“.[2] Auch in Deutschland lässt sich anhand von historischen Beispielen eine klare Kontinuität und Systemimmanenz von antiasiatischem Rassismus aufzeigen.[3]
So wurde beispielsweise die Errichtung der deutschen Kolonie Kiautschou 1897 zeitgenössisch mit der angeblichen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den Chines*innen innerhalb eines rassistischen Systems und dem Ziel der christlichen Missionierung und sogenannten Zivilisierung „im Namen einer höheren Gesittung“ legitimiert.[4] Wenige Jahre später, am 27. Juli 1900, argumentierte Kaiser Wilhelm II. in seiner „Hunnenrede“ zum Abschied deutscher Marinesoldaten, die zur Bekämpfung des „Boxeraufstands“ (1899–1901) nach China geschickt wurden, dass die Chines*innen mit ihrem Akt des Widerstands gegen die Kolonialmächte ihr Recht auf Leben verwirkt hätten. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist*innen waren auch die damals in Deutschland lebenden Chines*innen unmittelbar von der NS-Rassenpolitik betroffen: Sie wurden ausgewiesen oder in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager verschleppt und dort ermordet.[5]
Als schwerwiegendste Fälle antiasiatischer Gewalt nach 1945 sind die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 in das kollektive Gedächtnis asiatischer Deutscher eingegangen. Wohngebäude, in denen eine größere Anzahl von Vietnames*innen lebte, wurden unter den Augen applaudierender Zuschauer*innen von gewalttätigen Rechtsradikalen angegriffen. Die Polizei wartete in beiden Fällen tagelang, bis sie geringfügig eingriff. Die verantwortlichen Politiker*innen kapitulierten vor der rechten Gewalt und ließen in beiden Fällen die Angegriffenen evakuieren, statt für die Verhaftung der Angreifer*innen zu sorgen. Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sind dabei nicht nur als eine Folge der Vereinigungspolitik einzuordnen, sondern als Ausdruck einer kontinuierlichen Existenz von Rassismus in der deutschen Bevölkerung.[6]
Eine Anerkennung dieser spezifischen Form struktureller Diskriminierung erfolgte jedoch erst in jüngster Zeit. Beispielsweise sind die rassistisch motivierten Morde an Nguyen Ngọc Chau und Do Anh Lan, die am 20. August 1980 in Hamburg bei einem von Rechtsterroristen verübten Brandanschlag starben, bis heute kaum bekannt.[7] Während die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen noch als situationsbezogene „Fremdenfeindlichkeit“ gegenüber „Ausländer*innen“ galten, wird im Kontext der Corona-Pandemie, die weltweit mit steigender rassistischer Diskriminierung und Übergriffen auf asiatisch gelesene Menschen einherging, nun vermehrt über antiasiatischen Rassismus in Deutschland gesprochen.
Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland sind in widersprüchlicher Weise sowohl von positivem als auch negativem Rassismus betroffen. Einerseits werden sie vielfach als „Vorzeigemigrant*innen“ beschrieben und gegen andere (post)migrantische Gruppen ausgespielt; andererseits werden sie als homogene Masse dargestellt, von der eine Gefahr für die Weiße[8] Mehrheitsgesellschaft ausgehe. Antiasiatischer Rassismus in Deutschland umfasst unterschiedliche Formen von Gewalt. Diese reichen von verbalen Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffen und Morden. In Kitas und Schulen werden Kinder in Lehrbüchern und bei Festen mit rassifizierten Missrepräsentationen von „asiatischen Körpern“ und „asiatischer Kultur“ konfrontiert.[9] Dabei unterscheiden sich die in Populärkultur und medialer Berichterstattung weit verbreiteten rassifizierten Zuschreibungen auch nach Geschlecht: So werden asiatisch gelesene Frauen sexualisiert, exotisiert und infantilisiert, Männer dagegen desexualisiert und feminisiert.[10]
Diese bereits bestehenden Muster verstärkten sich im Kontext der Corona-Pandemie. So berichten asiatisch gelesene Menschen vermehrt von körperlichen Übergriffen im öffentlichen Raum und fühlen sich physisch und sozial gemieden.[11] Um diese und ähnliche Entwicklungen wissenschaftlich zu erfassen, sammelt das Kooperationsprojekt „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“ seit August 2020 Daten über die gesellschaftliche Wahrnehmung von asiatisch gelesenen Menschen und die Auswirkungen der Pandemie auf diese Wahrnehmungen. Unser Beitrag nutzt die Ergebnisse einer dabei Ende August 2020 umgesetzten Umfrage, um antiasiatischen Rassismus in Deutschland anhand von aktuellen Beispielen zu skizzieren, diese mit historischen Entwicklungen zu verknüpfen sowie Leerstellen hinsichtlich der Prävention, Dokumentation und Bekämpfung von antiasiatischem Rassismus in Deutschland aufzuzeigen.[12]
Geschichten asiatischer Migration
Asien ist der größte und einwohnerstärkste Erdteil, der durch eine Vielzahl von Migrationsströmen geprägt ist. Daher stellt sich die Frage, von wem die Rede ist, wenn wir über „Asiat*innen“ sprechen. Menschen aus Westasien, etwa aus Iran, werden in Deutschland eher als muslimisch denn als asiatisch wahrgenommen, Menschen aus Zentralasien eher mit der ehemaligen Sowjetunion verknüpft. Hinsichtlich des antiasiatischen Rassismus unterscheiden sich die Stereotypen und Vorurteile wiederum zwischen Südasien (zum Beispiel Indien), Südostasien (zum Beispiel Indonesien) und Ostasien (zum Beispiel China). Antiasiatischer Rassismus ist dabei kontextabhängig – er unterscheidet sich etwa in Großbritannien und Deutschland – und historisch gewachsen. Vielfach wird er über einzelne, medial präsente Herkunftsländer vermittelt. Auf die Frage, welche Gruppen man mit Personen aus Asien verbinde, antworteten in unserer Befragung 75 Prozent der Befragten mit Personen aus China, 46 Prozent mit Personen aus Japan und 13 bis 15 Prozent jeweils mit Personen aus Thailand, Südkorea, Indien und Vietnam. Westasiatische Länder wie Iran und Afghanistan wurden von weniger als zwei Prozent genannt und nur geringfügig mit Asien assoziiert.
Die potenziell von antiasiatischem Rassismus betroffene soziale Gruppe in Deutschland besteht aus unterschiedlichen Generationen und ist heterogen in Hinsicht auf sozioökonomische Hintergründe und Migrationsgeschichten. Die beiden Gruppen, die am ehesten mit Ländern aus Asien verbunden wurden, sind dabei nicht die zahlenmäßig stärksten Gruppen – Personen aus Japan sind zahlenmäßig deutlich weniger vertreten als Personen aus Vietnam (Tabelle).
Ein wichtiger Teil asiatischer Migrationsgeschichten ist die staatlich organisierte Arbeitsmigration in die Bundesrepublik seit Ende der 1950er Jahre. Neben einigen Hundert japanischen und 8.000 koreanischen Bergarbeitern immigrierten ab 1966 auch mehr als 10.000 koreanische Krankenschwestern. Weitere Krankenschwestern aus Indien, Indonesien und den Philippinen folgten.[13] Als sich nach dem Anwerbestopp 1973 die Rücksendeabsicht der Bundesregierung abzeichnete, erkämpfte die Koreanische Frauengruppe in Deutschland mit einer Unterschriftenaktion 1978 erfolgreich ihr Bleiberecht.[14] Seit dem 1. März 2020 werden im Rahmen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes medizinische Pflegekräfte aus den Philippinen und Vietnam angeworben, erneut ohne die rechtliche Perspektive auf dauerhafte Niederlassung. Die Geschichte der Diskriminierung asiatischer Arbeitsmigrant*innen droht, sich zu wiederholen.
Zusätzlich migrierten vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs und der vietnamesischen Wiedervereinigung ab 1975 über 40.000 Geflüchtete aus Vietnam in die Bundesrepublik. Tausende waren mit Booten über das Südchinesische Meer geflüchtet und wurden daher als „Boat People“ bezeichnet. Als Kontingentflüchtlinge erhielten sie und nachgezogene Familienmitglieder einen unbefristeten Aufenthaltstitel.[15]
Ein weiterer Teil kollektiver vietnamesischer Migrationsgeschichte ist die von der DDR staatlich organisierte Arbeitsmigration ab 1980. Die Vertragsarbeiter*innen, darunter ein Drittel Frauen, waren im Maschinenbau sowie in der Leicht- und Schwerindustrie beschäftigt. Sie sollten, ähnlich wie die Arbeitsmigrant*innen in der Bundesrepublik, für eine festgelegte Zeit dort arbeiten und sich nicht dauerhaft niederlassen. 1989 lebten und arbeiteten fast 60.000 vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Bilaterale Abkommen wurden in geringerem Umfang auch 1982 mit der Mongolei sowie 1986 mit China und Nordkorea abgeschlossen.[16] Nach der Wende blieben knapp ein Drittel der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in Deutschland, viele von ihnen kämpften jahrelang um Aufenthaltsgenehmigungen und ihre Existenzsicherung, bis 1997 mit der zweiten Bleiberechtsregelung im deutschen Ausländergesetz eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen wurde.[17]
Die Geschichte der chinesischen Communities in Deutschland ist insbesondere für die Metropolen Hamburg und Berlin seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Um 1900 arbeiteten mehrere Tausend chinesische Heizer und Seeleute auf deutschen Dampfschiffen und ließen sich ab 1919 in Hamburg nieder, eröffneten Geschäfte, Restaurants und gründeten Familien. In den 1920er und 1930er Jahren studierten prominente chinesische Intellektuelle wie zum Beispiel der spätere Premierminister Zhou Enlai in Berlin.[18] Nach dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in der Volksrepublik China unter Deng Xiaoping kamen ab 1980 immer mehr chinesische Studierende nach Berlin, gegenwärtig stellen Chines*innen an vielen deutschen Universitäten die größte Gruppe an ausländischen Studierenden.[19] Zudem leben Kulturschaffende, Wissenschaftler*innen und Geschäftsleute aus der Volksrepublik, Taiwan und Hongkong insbesondere in Berlin und haben dort Strukturen zur kulturellen Selbstrepräsentation wie das „Times Art Center“ etabliert, die für die Etablierung von Gegenperspektiven zu rassistischen Narrativen notwendig sind.
Antiasiatischer Rassismus und Covid-19
Die Verstärkung von antiasiatischem Rassismus im Kontext der Corona-Pandemie lässt sich vor dem Hintergrund (post)kolonialer Narrative zu „Asien“ historisch einordnen. Seit dem 19. Jahrhundert wird die „Gelbe Gefahr“ mit der Entstehung und Verbreitung von Epidemien wie der Pest, in der jüngeren Vergangenheit mit Infektionskrankheiten wie Sars (severe acute respiratory syndrome) verknüpft.[20] Das biologisch-medizinische Phänomen einer Pandemie wird rassifiziert und kulturalisiert; Ess‑, Wohn- und Hygienegewohnheiten werden als Teil einer imaginierten „asiatischen Kultur“ für die Entstehung und Verbreitung von Pandemien verantwortlich gemacht. Der historische und der aktuelle Diskurs unterscheiden sich jedoch in einem Aspekt: Während China früher als „traditionell“, „unzivilisiert“ und „unterentwickelt“ eingeordnet wurde, wird das Land inzwischen als eine für Europa ökonomisch, geopolitisch und technisch gefährliche Konkurrenz bewertet.[21]
Wenn also der „Spiegel“ seine Ausgabe zur Corona-Pandemie am 1. Februar 2020 mit dem Schriftzug „Made in China. Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“ in gelber Farbe betitelt, drängen sich Vergleiche zu kolonialen Narrativen unmittelbar auf. Ähnliche Zuschreibungen erfolgten auch in anderen deutschsprachigen Medienbeiträgen zu Covid-19 implizit oder explizit.[22] Auf der Straße und im Internet wird asiatisch gelesenen Menschen zudem willkürlich ein „Chinesischsein“ zugeschrieben, um sie auf eine vermeintlich niedrigere soziale Position zu verweisen beziehungsweise ihnen eine Existenz in Deutschland abzusprechen. Auch die Erinnerungstafel für chinesische NS-Opfer in der Hamburger Schmuckstraße, in deren Nachbarschaft sich in den 1920er und 1930er Jahren das „Chinesenviertel“ Hamburgs befand, wurde nach dem Beginn der Corona-Pandemie von Unbekannten stark beschädigt.[23] Als Reaktion auf diese antiasiatischen Narrative und Übergriffe bildete sich aber auch medialer Widerstand. So ging beispielsweise im Mai 2020 die von asiatisch gelesenen Menschen initiierte interaktive, digitale Plattform „Ich bin kein Virus“ online.[24]
Die seit dem Beginn der Pandemie von asiatisch gelesenen Menschen erlebten Ausgrenzungen sind keine Einzelfälle. So ist es in Anbetracht der stark auf China fokussierten medialen Diskussion nicht überraschend, dass etwa 29 Prozent der Befragten die Verantwortlichkeit für die Corona-Pandemie zumindest teilweise in Asien – und dort insbesondere in China – sehen. Diese Einschätzung kann nicht ohne weitere Informationen als antiasiatischer Rassismus eingestuft werden, weist jedoch auf eine deutliche Verknüpfung der Pandemie mit Asien hin. Eine explizitere Verbindung zwischen negativen Stereotypen und zugeschriebener Verantwortlichkeit zeigt sich in der Annahme, dass asiatische Essgewohnheiten, etwa der vermutete Konsum von Fledermäusen, und mangelnde Hygienebedingungen, zum Beispiel durch sogenannte wet markets, auf denen Obst und Gemüse, frisch hergestellte Lebensmittel wie Nudeln, Sojaprodukte und Brotfladen, Fisch und Fleisch, zum Teil auch lebendes Geflügel und Seetiere verkauft werden, zum Ausbruch der Pandemie geführt hätten. Diese Wahrnehmung haben immerhin zehn Prozent aller Befragten.
In unserer Umfrage zeigte sich zudem, dass asiatisch gelesene Menschen (weiterhin) oft als „Vorzeigemigrant*innen“ wahrgenommen werden. Während wir substanzielle Differenzen in der Wahrnehmung von muslimischen Menschen und Deutschen ohne Migrationshintergrund finden, gibt es grundsätzlich keinen statistisch sicheren Unterschied zwischen der Beurteilung von asiatisch gelesenen Menschen und Deutschen ohne Migrationshintergrund. Durch die Pandemie scheint sich dieses Verhältnis zu ändern. So zeigen unsere Ergebnisse, dass Menschen, die die Verantwortung für die Pandemie in Asien verorten, asiatisch gelesene Menschen auch innerhalb Deutschlands grundsätzlich negativer wahrnehmen. Obwohl dabei keine klare kausale Abfolge zwischen der Zuschreibung der Verantwortlichkeit und negativen Wahrnehmungen getestet werden konnte, legen die Ergebnisse nahe, dass der Kontext der Pandemie antiasiatischen Rassismus aktiviert oder zumindest sichtbar(er) gemacht hat.
Neben Veränderungen der allgemeinen Wahrnehmung von asiatisch gelesenen Menschen interessierte uns auch, inwiefern die Corona-Pandemie den alltäglichen Umgang miteinander verändert hat. Deshalb wurden auch Alltagssituationen analysiert, etwa die Platzwahl in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei wurden die Befragten mit der Situation konfrontiert, zwischen einem Platz neben einem asiatisch und einem als der „Normalbevölkerung“ angehörig gelesenen Menschen auswählen zu können.
Auch hier zeigte sich, dass die Corona-Pandemie das Verhalten der Menschen beeinflusst. Konfrontiert mit der Alltagssituation vor der Pandemie, wählten 51 Prozent aller Befragten den „asiatischen“ Sitznachbarn. Diese Auswahl lässt sich von einer zufälligen Entscheidung statistisch nicht unterscheiden, sodass – im Gegensatz zur Wahl anderer Sitznachbarn mit Migrationshintergrund[25] – keine klaren Ausgrenzungsmuster identifiziert werden können. Anders verhält es sich unter Corona-Bedingungen. Waren Menschen mit Masken abgebildet, wählten nur noch 46 Prozent aller Befragten den Sitzplatz neben den asiatisch gelesenen Menschen, sodass ein Vermeidungsverhalten identifiziert werden kann. Dieses Verhalten war besonders unter Menschen, die der AfD nahestehen, präsent. Sie bevorzugten unter Corona-Bedingungen zu fast 70 Prozent einen Weißen Sitznachbarn, während im Szenario ohne Maske dieser Anteil bei 53 Prozent liegt.
Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen, wie widersprüchlich, heterogen, aber auch fragil und kontextabhängig die Wahrnehmung asiatisch gelesener Menschen in der deutschen Gesellschaft ist. Im Vergleich zu anderen (post)migrantischen Gruppen erleben sie weniger häufig direkte Ablehnung und Ausgrenzung und werden von der „Normalbevölkerung“ positiver wahrgenommen. Die Ergebnisse zeigen aber auch, wie unsicher dieser Zustand ist. Bestehende Vorurteile und Ablehnungen können in realen oder imaginären Krisensituationen schnell aktiviert werden und zu kleinen und großen Ausprägungen von antiasiatischem Rassismus führen.
Ausblick
Die strukturelle Basis von Rassismus in der deutschen Gesellschaft lässt vermuten, dass auch zukünftig mit Ausbrüchen kollektiver antiasiatischer rassistischer Gewalt gerechnet werden muss.
Das Fortwähren von rassifizierten Zuschreibungen und deren Wirkungsweisen lässt sich unter anderem auf den Mangel an inhaltlicher und personeller Diversität in Institutionen zurückführen. Dieser besteht insbesondere in Hinsicht auf die Repräsentation von asiatischer Migration in der Wissenschaft, in Bildungsinstitutionen und ‑formaten, in den Medien und in der Kultur. Ohne die Schließung dieser Leerstellen lässt sich auch keine Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber antiasiatischem Rassismus nachhaltig gestalten, da sich kein Grundwissen etablieren kann. Zudem wurde die deutsche Kolonialpolitik in China zwar zum Teil wissenschaftlich untersucht,[26] jedoch politisch nicht aufgearbeitet.
Knapp zwei Wochen nach den rassistisch motivierten Morden in Hanau am 19. Februar 2020 wurde beim elften Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt die Einrichtung eines Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus beschlossen. Die Interessen der asiatisch-deutschen Communities sind durch den Verein „Korientation“ in der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen in diesem Ausschuss vertreten. Diese Vertretung ist ein erster Schritt einer Repräsentation auf der bundespolitischen Ebene.
Knapp eine Million asiatische Deutsche und Asiat*innen leben in Deutschland und sind potenziell von antiasiatischem Rassismus betroffen. Antiasiatischer Rassismus ist dabei nicht nur für asiatisch-gelesene Menschen relevant, sondern Teil und Symptom eines gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems. Dieses wird von hier lebenden Menschen vor dem Hintergrund eines spezifischen historischen Kontextes reproduziert. Die Verstärkung der Diskriminierung von asiatisch gelesenen Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie macht eine öffentliche Positionierung von politischen Handlungsträger*innen und letztlich jeder Person, die Zeug*in einer Diskriminierung wird, notwendig. Weitere Studien und eine systematische Dokumentation von antiasiatischem Rassismus sind zudem unabdingbar, um diesen wirkungsvoller bekämpfen zu können.
Wir danken Noa K. Ha und Jonas Köhler für die hilfreichen Anregungen und Kommentare zu diesem Beitrag.
Fußnoten
1 Die Begriffe „Asien“ und „asiatisch“ werden sowohl als Kenntlichmachung einer Imagination Europas bzw. als Fremdzuschreibung durch Europäer*innen und andere Personen als auch für Menschen genutzt, die sich selbst als „asiatisch“, „asiatische Deutsche“ oder „asiatisch-diasporisch“ bezeichnen.
2 Vgl. Michael Keevak, Becoming Yellow. A Short History of Racial Thinking, Princeton–Oxfordshire 2011.
3 Rassismus wird in diesem Beitrag nicht als persönliche oder politische Einstellung, sondern als „institutionalisiertes System, in dem soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen für weißen Alleinherrschaftserhalt wirken“, verstanden. Noah Sow, Rassismus, in: Susan Arndt/Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.), (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2019, S. 37.
4 Zit. nach Mechthild Leutner/Harald Bräuner, „Im Namen einer höheren Gesittung“. Die Kolonialperiode, 1897–1914, in: Mechthild Leutner/Dagmar Yü-Dembski (Hrsg.), Exotik und Wirklichkeit. China in Reisebeschreibungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1990, S. 41–52.
5 Vgl. Kien Nghi Ha, Chinesische Präsenzen in Berlin und Hamburg bis 1945, in: ders. (Hrsg.), Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond, Berlin–Hamburg 2012, S. 280–287; Dagmar Yü-Dembski, Chinesenverfolgung im Nationalsozialismus. Ein weiteres Kapitel verdrängter Geschichte, in: Bürgerrechte & Polizei 3/1997, S. 70–76.
6 Vgl. Noa K. Ha, Vietdeutschland und die Realität der Migration im vereinten Deutschland, in: APuZ 28–29/2020, S. 30–34; Dan Thy Nguyen, Rechte Gewalt, die DDR und die Wiedervereinigung, in: Bengü Kocatürk-Schuster et al. (Hrsg.), Unsichtbar. Vietnamesisch-Deutsche Wirklichkeiten, Köln 2017, S. 6–23.
10 Zum aktuellen Kontext vgl. Sumi K. Cho, Converging Stereotypes in Racialized Sexual Harassment. Where the Model Minority Meets Suzie Wong, in: The Journal of Gender, Race and Justice 1/1997, S. 178–211. Zu historischen Entwicklungen vgl. Mechthild Leutner, „Schlitzäugige Schöne“ und „gehorsame Dienerin des Mannes“. Deutsche Bilder von chinesischen Frauen in der Kolonialperiode, in: dies./Marianne Bechhaus-Gerst (Hrsg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 194–204.
12 Wir bedanken uns bei Jonas Köhler für die tatkräftige Hilfe bei der Kodierung.
13 Vgl. Urmila Goel, Wer sorgt für wen auf welche Weise? Migration von Krankenschwestern aus Indien in die Bundesrepublik Deutschland, in: Beate Binder et al. (Hrsg.), Care: Praktiken und Politiken der Fürsorge. Ethnographische und geschlechtertheoretische Perspektiven, Opladen 2019, S. 97–109; Florian Pölking, Schlaglichter auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ehemaliger koreanischer Bergarbeiter und Krankenschwestern in Deutschland, in: Yong-Seoun Chang-Gusko/Nataly Jung-Hwa Han/Arnd Kolb (Hrsg.), Unbekannte Vielfalt. Einblicke in die koreanische Migrationsgeschichte in Deutschland, Köln 2014, S. 42–69; You Jae Lee/Sun-ju Choi, Umgekehrte Entwicklungshilfe. Die koreanische Arbeitsmigration in Deutschland, in: Kölnischer Kunstverein et al. (Hrsg.), Projekt Migration, Köln 2005, S. 735–742.
15 Vgl. Phi Hong Su/Christina Sanko, Vietnamesische Migration nach Westdeutschland. Ein historischer Zugang, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 6–23.
16 Vgl. Mike Dennis, Vietnamesische Migration in den 1980er Jahren: Arbeiten in einem kommunistischen Paradies, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 78–97; Ann-Judith Rabenschlag, Arbeiten im Bruderland. Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung, 15.9.2016, http://www.bpb.de/233678«.
17 Vgl. Karin Weiss, Vietnamesische „Vertragsarbeiter*innen“ der DDR seit der deutschen Wiedervereinigung, in: Kocatürk-Schuster et al. (Anm. 6), S. 111–125.
18 Vgl. Kien Nghi Ha, Chinesische Präsenzen in Berlin und Hamburg bis 1945, in: ders. (Hrsg.), Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond, Berlin–Hamburg 2012, S. 280–287.
19 Im Wintersemester 2018/2019 gab es an Hochschulen in Deutschland 42676 Studierende aus China. Vgl. Statista, Anzahl der ausländischen Studierenden an Hochschulen in Deutschland im Wintersemester 2018⁄19 nach Herkunftsländern, Oktober 2019, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/301225«.
21 Vgl. Christos Lynteris, Yellow Peril Epidemics: The Political Ontology of Degeneration and Emergence, in: Franck Billé/Sören Urbansky (Hrsg.), Yellow Perils. China Narratives in the Contemporary World, Honolulu 2018, S. 35–59
25 So würden z.B. nur 44 Prozent aller Befragten einen Schwarzen statt einen Weißen Sitznachbarn auswählen. „Schwarz“ wird hier großgeschrieben, um auf die Selbstbezeichnung der Schwarzen Menschen in Deutschland und, ebenso wie beim Wort „Weiß“, auf die Konstruiertheit von Ethnizität zu verweisen.
26 Für einen Überblick vgl. Mechthild Leutner, Kiautschou: Deutsche „Musterkolonie“ in China?, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hrsg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 203–212.
„The Bubbly T’s“ teilen heute den Radiobeitrag der Ini Postmigrantisches Radio zum ersten Jahrestag von Hanau.
„Wir, das ist die Initiative Postmigrantisches Radio, möchten einen Teil dazu beitragen, das Gedenken und Erinnern an die Menschen, die beim Terroranschlag in Hanau am 19. Februar ums Leben kamen, für alle Menschen möglich sein kann und nicht vergessen wird. Wir möchten auch dazu beitragen, dass die Wünsche und die politischen Forderungen der Angehörigen und Betroffenen erfüllt werden. Dafür haben wir einen Radio Beitrag zusammengestellt, mit dem wir erinnern wollen, dass der 19. Februar kein normaler Tag für die meisten Menschen in Deutschland mehr sein wird. Wir bitten euch, wenn möglich diesen 5 minütigen Radiobeitrag in euren Radios zu spielen/auf euren Plattformen hochzuladen.
Ein paar Worte zu unserer Initiative: Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich über das Medium des Radios kritisch mit Herrschafts- und Machtstrukturen der weißen Mehrheitsgesellschaft auseinander setzt. Wir bezeichnen uns als postmigrantisch, migrantisch, queer, kanackisch, BPOC und repräsentieren all das, wovor die AFD und Horst Seehofer Angst haben. Wir sind die Gesellschaft der Vielen, die die Differenz zum Ausganspunkt unseres Schaffens macht und diese Unterschiede im Radio über Diskurs, Politik, Musik und Pop-Kultur zum Thema machen will. Der Jingle soll im Rahmen unsere derzeitigen Möglichkeiten ein Beitrag dazu leisten das Erinnern an Hanau Bundesweit zum Thema zu machen und daran zu erinnern das wir alle dafür verantwortlich sind, dass es kein weiteres Hanau geben wird.“
Zwischen dem 22. und 26. August 1992 griffen bis zu Tausend Rechtsextremist*innen zunächst die Zentrale Aufnahmestelle (ZAST) für Asylsuchende an, in der sich vor allem geflüchtete Rom*nja-Familien aufhielten. Nach der Räumung der ZAST verlagerte sich das Pogrom auf ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen, das am Abend des 24. August in Brand gesetzt wurde. Die etwa 115 Vietnames*innen, darunter Kleinkinder und Hochschwangere, konnten sich zusammen mit einem ZDF-Fernsehteam und dem Rostocker Ausländerbeauftragten mit knapper Not vor dem Tod durch Rauchvergiftung in ein Nachbargebäude retten. Zum Höhepunkt des Pogroms herrschte eine volksfestartige Stimmung mit rasch aufgebauten Bier- und Imbissbuden. Bis zu 3.000 Schaulustige bejubelten die rassistische Gewalt und feuerten die bundesweit angereisten Täter*innen an. Während die Angegriffenen in der Folgezeit fast alle abgeschoben wurden und die ZAST dauerhaft geschlossen blieb, verlief die politische Aufarbeitung und strafrechtliche Verfolgung sehr schleppend. Da während des Pogroms nur wenige beweissichernde Festnahmen erfolgten, wurden am Ende nur 40 Täter*innen meist zu geringen Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Am 6. Dezember 1992 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD das Grundrecht auf Asyl stark einzuschränken.
Kien Nghi Ha im Interview am 24.08.2020 mit Katharina Dehn (ndo)
Was sind deine Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen und die Zeit davor und danach?
Ich lebte damals als junger Student der Politikwissenschaft in Berlin und mit der Zeit machte ich mir immer weniger Illusionen über die deutsche Gesellschaft. Ich wuchs eigentlich mit dem Wunsch auf, anerkannter Teil der deutschen Gesellschaft zu sein und wollte wie viele Menschen of Color einfach wie selbstverständlich dazu gehören. Ich wollte Deutschland gerne haben und hier entspannt leben.
Aber das Pogrom gegen die vietnamesische Community in Rostock-Lichtenhagen geschah ja nicht im gesellschaftlichem und politischem Vakuum. Je nationalistischer der deutsche Wiedervereinigungsprozess eskalierte und je stärker die rassistischen Exzesse in den Parlamentsdebatten und die aufhetzende Medienberichterstattung über die angebliche „Asylantenflut“ wurden, desto wachsamer und politischer wurde ich. Ich habe in dieser Zeit so viel über die Weiße deutsche Gesellschaft gelernt und hatte das Gefühl, erstmals hinter die Maske der liberal-bürgerlichen Idylle zu blicken. Was ich dann in Rostock-Lichtenhagen ungeschminkt sah, war ein rassistischer Abgrund, der blanke Horror. So viel massenhafter dumpfer Hass gepaart mit dem selbstverliebten Selbstbild als aufgeklärte Nation der Dichter, Denker und Biertrinker. Die live im Fernsehen übertragenen Bilder von dem brennenden Sonnenblumenhaus, das tagelang wie bei einer mittelalterlichen Belagerung sturmreif angegriffen wurde, waren einfach unfassbar: Es sprengte alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte im modernen, angeblich so zivilisierten und demokratisch-rechtsstaatlichen Deutschland. Rostock-Lichtenhagen war für mich ein erneuter Zivilisationsbruch! Meine Gefühle waren eine bizarre und widersprüchliche Mischung aus absoluten Unglauben, Entsetzen, Abscheu, Wut, Trauer, Hilfslosigkeit und Trotz. In der unmittelbaren Situation wusste ich mir nicht besser zu helfen als einen Leserbrief an die taz zu schreiben.
Was ich in diesen Jahren ebenfalls erlebte und was mich bis heute prägt, war aber auch die Erfahrung in migrantischen, antirassistischen Zirkeln von People of Color, dass selbstorganisierter Widerstand möglich ist, dass wir solidarische Strukturen aufbauen können und trotz unserer beschränkten Mittel nicht wehrlos sind.
Haben die rassistischen Angriffe von Rostock-Lichtenhagen dich geprägt? Wenn ja, wie?
Die Bilder des Pogroms, das Wissen, wie der Staat und seine Institutionen darauf reagierten bzw. eher nicht reagierten, haben mein Deutschlandbild grundsätzlich in Frage gestellt. Bereits zu wissen, dass Rostock-Lichtenhagen möglich war und ein neues rassistisches Pogrom jederzeit und überall in Deutschland möglich ist, veränderte die Art und Weise, wie ich mich in Deutschland bewege, fühle und lebe. Ich stellte mir Fragen und schlug mich mit Unsicherheiten und Zweifeln herum, die ich früher nicht hatte. Wo war es noch sicher, wohin konnte ich gehen und wenn ja, wann? Ich machte mir natürlich auch Sorgen um meine Familie und Freund*innen, weil es ja offensichtlich war, dass die rassistische Gewalt allgegenwärtig ist und wir jederzeit damit rechnen müssen.
Welches Bild von der Polizei hat sich damals für dich ergeben?
Rostock-Lichtenhagen war möglich, weil die regierende politische Elite und eine Vielzahl der demokratisch gewählten Volksvertreter*innen nicht nur komplett versagten, sondern ihre diskriminierenden und unbarmherzigen Attacken gegen das Grundrecht auf Asyl einen rassistischen Flächenbrand entzündeten. Die Polizei – wie viele andere staatliche Institutionen – gaben während des Pogroms ein jämmerliches Bild ab, weil sie so offensichtlich hilflos, orientierungslos und kopflos agierte und ihre komplette Überforderung die rassistische Gewalt nicht nur zuließ, sondern auch befeuerte. Trotz wiederholter Anforderungen wurden die Einsatzkräfte vom zuständigen Innenministerium mit viel zu wenig Personal ausgestattet, und es gibt ernstzunehmende Indizien, dass chaotische Zustände durchaus ins politische Kalkül passten, um den parlamentarischen Restwiderstand gegen eine de facto Abschaffung des Asylgrundrechts in der Verfassung zu brechen.
Gegenwärtig wird das Thema Polizeigewalt und Racial Profiling diskutiert. Was ist dein Wunsch an die Politik und die Polizei heute?
Wir brauchen wissenschaftliche Studien über das Ausmaß von Racial Profiling nicht nur in der Polizeiarbeit, sondern in allen staatlichen Institutionen und Verwaltungen. Wie Polizist*innen treffen auch Mitarbeiter*innen in Behörden wie der Arbeitsagentur oder dem Bundesamt für Migration und Integration Entscheidungen, die das Leben von Menschen of Color und Geflüchteten massiv beeinflussen. Daher müssen wir sicherstellen oder zumindest alle erdenklichen Mittel einsetzen, um den Einfluss von rassistischen Diskriminierungen und Vorurteilen in der öffentlichen Daseinsfürsorge möglichst auszuschließen oder mindestens zu minimieren. Dass aber bereits die Zweckmäßigkeit und Legitimität solcher Studien vom Bundesinnenministerium irrationaler Weise verneint wird, beweist nur erneut, dass institutioneller Rassismus real existiert. Solche Studien wären auch sinnvoll, um bereits laufende Maßnahmen wie Antidiskriminierungstraining und Vermittlung von Diversitätskompetenz zielgerichteter und effektiver zu machen. Auch muss unverzüglich eine wirklich unabhängige wie unparteiische Instanz mit weitreichenden Befugnissen eingerichtet werden, um Beschwerden gegen Polizeiübergriffe und Racial Profiling effektiv aufzuklären und ggf. strafrechtliche Konsequenzen einzuleiten. So weiter zu machen wie bisher macht absolut keinen Sinn, da die Polizei solche Ermittlungen selbst kontrolliert. Daher müsste die Arbeit einer neu einzurichtenden Ermittlungsinstanz nach dem Beispiel des Rundfunkrats der öffentlich-rechtlichen Medien von einem Gremium kontrolliert werden, in dem zivilgesellschaftliche Akteure wie Gewerkschaften, Kirchen, Frauenverbände und natürlich auch Migrant*innenselbstorganisationen paritätisch vertreten sind.
Wie hast du die damalige mediale Berichterstattung erlebt? Wie schätzt du die mediale Berichterstattung in Bezug auf rassistische Gewalt heute ein? Hat sich aus deiner Sicht etwas verändert? Was muss sich verbessern?
Wie wissenschaftliche Fallstudien belegen, war die mediale Berichterstattung in den 1990er Jahren in diesem Diskursfeld nicht nur defizitär und einseitig, sondern zum Teil auch vorurteilsbelastet und diskriminierungsfördernd, so dass diese Epoche auch branchenintern nicht als Ruhmesblatt in Erinnerung geblieben ist. Verglichen mit diesem journalistischen Tiefstand sieht die mediale Berichterstattung heute zum Teil besser aus, aber um wirklich belastbare und differenzierte Aussagen zu machen, müssten wir fall- und auch immer kontextabhängig analysieren. Dass es partielle Lernprozesse in den deutschen Redaktionen gegeben hat, liegt auch an der Kritik von postmigrantischen Initiativen wie den „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“. Auch die vielfältigen Gegennarrationen etwa von People of Color-Initiativen und antirassistischen Organisationen, aber auch von Einzelpersonen in den unterschiedlichsten Formaten im Internet spielen eine Rolle, da sie das Informationsmonopol der etablierten Medienhäuser aufbrechen. Im Asiatisch[1]-diasporischen Kontext in Deutschland sind mit Organisationen wie „korientation – Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven“ auch neue Strukturen entstanden, die eine Plattform für kultur- und medienkritische Arbeit etwa zum aktuell virulenten Corona-Rassismus gegen Asiatisch markierte Menschen bildet.
Wie sollte die Gesellschaft mit den rassistischen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen umgehen? Was wurde versäumt? Was vermisst oder forderst du? Gibt es irgendetwas Positives, dass du hervorheben möchtest?
In Zeiten, wo kulturelle Dekolonialisierung und die breitere Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus auf der Tagesagenda steht, wäre es für alle an der Zeit zur Kenntnis zu nehmen, wie unverantwortlich und sträflich vernachlässigend die offizielle Erinnerungskultur mit dem Gedenken an Rostock-Lichtenhagen immer noch umgeht. Es ist ein böser Witz, wenn Medien und staatliche Repräsentant*innen 2012 zum 20. Jahrestag erstmalig ein wahrnehmbares offizielles Gedenken inszenieren, wo Vertreter*innen der lokalen vietnamesischen Community erst im letzten Moment herbei gekarrt werden, um dann gänzlich stumm als schmückendes Beiwerk zu fungieren. So verkommt das leere und diskriminatorische Gedenken, wo die Betroffenen nicht mal in der Vorbereitungsarbeit einbezogen werden, zu einem bloß symbolischen Ritual der politischen Entlastung. Damit wird politische Verantwortung nicht übernommen, sondern abgeführt mit dem Verweis „Wir haben was gemacht“. Statt auf den 30. Jahrestag zu warten, müsste das Gedenken in Form einer kontinuierlichen Bildungs- und Erinnerungsarbeit erfolgen, die über die historisch-kulturellen Voraussetzungen, den konkreten Tatablauf sowie die politischen und gesellschaftlichen Kurz- und Langzeitfolgen des größten Pogroms seit 1945 in Deutschland aufklärt. Das kann nur eine museale Institution mit Dauerausstellung, begleitenden Seminaren und Diskussionen zu verwandten Themen wie etwa struktureller Rassismus in der offiziellen Erinnerungskultur: Warum gibt es auch nach 40 Jahren immer noch keinen einzigen offiziellen Gedenkort oder Straßennamen für Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu, die am 22. August 1980 in Hamburg von organisierten Rechtsextremist*innen ermordet wurden? Sie gelten als die ersten gerichtlich dokumentierten rassistischen Mordopfer in der BRD seit 1945. Aber um mit einer positiven Nachricht zu schließen: Erstmalig wird Ende August 2020 die aus Privatpersonen bestehende „Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân“ auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf einen Gedenkstein einweihen, da ihre Gräber dort bereits aufgelöst wurden.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, arbeitet als Publizist und Dozent in Berlin. Seine Monografie Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“ (transcript 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet. Im Herbst 2020 gibt er die erweiterte Neuauflage von Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A) heraus. Er ist auch Mitherausgeber von re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland (Unrast 2007).
[1] Wie bei Schwarz deutet die Großschreibung von Asiatisch an, dass es in diesem Fall nicht als Adjektiv zur regionalen Herkunftsbezeichnung benutzt wird, sondern kulturelle Identitätskonstruktionen bezeichnet. Diese sind wie alle Identitäten umkämpft und widersprüchlich, da sowohl Praktiken der Selbstbezeichnung als auch Prozesse des Fremdwahrnehmung und des Otherings einfließen.
Gedenkrede zum 40. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, Hamburg-Moorfleet, Halskestr. 72, am 22. August 2020 von Kien Nghi Ha
Sehr geehrte Damen und Herren, hallo liebe Freund*innen und Mitstreiter*innen, Kính thưa các Quý ông và Quý bà, xin chào những người bạn và đồng nghiệp thân mến,
ich bin heute hierher gekommen, um Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu zu gedenken. Sie wurden an diesem Ort vor 40 Jahren durch organisierte deutsche Rechtsextremist*innen ermordet. Es ist mir ein wichtiges persönliches wie politisches Anliegen, meinen Respekt wie meine Trauer nicht zuletzt gegenüber den überlebenden Angehörigen der Getöteten auszudrücken. Obwohl der Anlass bedrückend ist, ermutigt es mich sehr, dass die Mutter von Đỗ Anh Lân die 2014 ins Leben gerufene Gedenkinitiative* ausdrücklich unterstützt. Ich möchte ihr sagen: Bà ơi, bà không chiến đấu một mình đâu. Oma, ihr steht mit Eurem Kampf nicht alleine da. Genauso wie sie wollen auch viele andere Menschen aus der vietnamesisch-deutschen Community in und außerhalb Hamburgs einen würdigen öffentlichen Gedenkort für die hier Ermordeten schaffen.
Aber weder das Gedenken noch der Kampf für die Errichtung eines antirassistischen Lern- und Erinnerungsortes ist ausschließlich Sache der betroffenen Familie oder der sogenannten ethnischen Gemeinschaft, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Außerdem haben viele von uns am eigenen Leib erfahren, dass die rassistische Gewalt nicht wahllos, sondern zielgerichtet und community-übergreifend muslimisch, Schwarz, jüdisch, Rom*nja und Sinte*zza, Latinx oder Asiatisch[1] markierte Menschen trifft. Daher ist es nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig, unsere uns eigene menschliche, emotional-kulturelle Solidarität großzügig zu leben und politischen Widerstand grenzüberschreitend zu organisieren.
Gedenk-Kundgebung am 22.08.2020 vor der ehem. Geflüchteten-Unterkunft in der Halskestr. 72 in Hamburg, Tatort des rassistischen Anschlags
Tödliche Spuren in der langen Geschichte des deutschen Rassismus
Ich kannte Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân nicht persönlich, aber ihre Geschichte ist mir nicht fremd. Wären wir uns begegnet, hätte ich sie mit Chu Châu und Anh Lân, also Onkel Châu und Bruder Lân angesprochen, denn ich war damals erst acht Jahre alt. Onkel Châu war Lehrer in Vietnam und wurde 1958 in Saigon geboren. Bruder Lân kam 1962 ebenfalls in Saigon zur Welt und war zum Zeitpunkt seiner Flucht noch Schüler. Obwohl sie aus Südvietnam stammten und ich zufällig in der nordvietnamesischen Stadt Hanoi geboren wurde, kann ich mich mit ihnen identifizieren, da uns auf unterschiedlichen Ebenen eine persönliche Geschichte verbindet. Wir überlebten zufällig den Geschwisterkrieg, der im Kern ein imperialistischer US-Krieg in Vietnam war, und kamen 1979 bzw. 1980 als erste sogenannte Boat People in West-Deutschland an. Es war ebenso reiner Zufall, dass sie in Hamburg und ich mit meiner Familie in West-Berlin untergebracht wurden.
Der heimtückische Brandanschlag, der genau an diesem Ort in der Nacht zum 22. August 1980 stattfand, war dagegen sehr zielgerichtet und nicht zufällig, als er die beiden im Schlaf überraschte. Dieses Ereignis hatte zuallererst für die Betroffenen die brutalst mögliche Folge; es vernichtete das Leben von zwei jungen Männern: Bruder Lân starb bereits mit 18 Jahren und Onkel Châu wurde auch nur 22 Jahre alt. Leider ist in der Öffentlichkeit kaum mehr als das eben Gesagte über sie bekannt. Wir wissen nicht, welche Wünsche und Träume sie für sich hatten oder wie sie sich selbst und ihre Familien wahrnahmen. Wir wissen aber, dass ihre Ermordung nicht zu begreifen ist, wenn wir sie nur als tragische individuelle Schicksalsschläge deuten. Vergessen wir nicht, dass seit dem Ende der 1960er Jahre mit dem Attentat auf Rudi Dutschke eine ansteigende rechtsextreme Gewaltwelle durch die BRD rollte. Dabei kamen nicht nur nackte körperliche Gewalt und einfache Waffen zum Einsatz. Vielmehr verübten organisierte Neonazis in diversen sogenannten Werwolf‑, Kampf- und Wehrsportgruppen zunehmend Brand- und Sprengstoffanschläge. Die Tötung von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu durch die Deutschen Aktionsgruppen leitete 1980 eine dichte Serie rechtsextremer und rassistischer Terrortaten ein. So verübten Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann noch im selben Jahr den Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest, der 13 Menschenleben kostete, und erschossen den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in Erlangen. Wie etwa in Mölln, Solingen und Lübeck in den 1990ern Jahren, wie die unzähligen NSU-Morde eine Dekade später, aber auch der diesjährige Massenmord in Hanau wiederkehrend bestätigen, gehört der rechtsextremistische Terror gegen People of Color und Migrierte seit vielen Jahrzehnten zum rassistischen Normalzustand der deutschen Gesellschaft. Und heute vor genau 28 Jahren begann auch das größte rassistische Pogrom seit 1945 in Rostock-Lichtenhagen, das vier Tage andauerte und stundenlang live im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm übertragen wurde.
In diesem historischen Zusammenhang nimmt die Ermordung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân einen besonderen Platz ein: Sie sind in West-Deutschland die ersten polizeilich dokumentierten und gerichtlich nachgewiesenen rassistischen Mordopfer seit 1945. Realistischerweise ist leider davon auszugehen, dass vorangegangene rassistische Morde und Gewalttaten aufgrund der Weißen Ignoranz und der rassistischen Struktur der mehrheitsdeutschen Institutionen nicht aufgedeckt und entsprechende Verdachtsmomente nicht erkannt oder nachgegangen wurden. So sind erst in den letzten Jahren Hinweise aufgetaucht, dass die kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Andrés Paret am 12. August 1979 von einem rassistischen Mob durch das sächsisch-anhaltinische Merseburg getrieben wurden und bei ihrem Fluchtversuch in der Saale ertranken.
Die Morde in der Halskestrasse stellen aber auch eine politische Zäsur für die vietnamesische Diaspora in Deutschland dar. Wer bis dahin glaubte, von der Weißen Mehrheitsgesellschaft als hart arbeitende Asiat*innen mit vermeintlich preußischen Tugenden anerkannt zu sein oder im Kalten Krieg dachte, als sympathische Opfer des Kommunismus respektiert zu werden, wurde in seiner trügerischen Komfortzone mit einer anderen Realität konfrontiert. So werden Nguyễn Văn Tú 1992 in Berlin-Marzahn, Phan Văn Toàn 1997 im brandenburgischen Fredersdorf, Nguyễn Tấn Dũng 2008 in Berlin-Marzhan und Duy Doan Pham 2011 im niederrheinischen Neuss von Rechtsextremisten erstochen oder grausam erschlagen. Diese Tötungen stellen Stationen in der langen Reihe rassistisch motivierter Morde in Deutschland dar. Für den Zeitraum von 1990 bis 2020 hat die Amadeu Antonio Stiftung 208 Todesopfer rechtsextremer Gewalt aufgelistet und zählt mindestens zwölf weitere Verdachtsfälle. Die Zeit und andere Medien haben über weitere 51 Verdachtsfälle berichtet. Nach meiner Zählung wurden seit 1979 in Ost- und Westdeutschland mindestens 134 People of Color und osteuropäische Migrant*innen aufgrund nachgewiesener oder vermutlicher rassistischer Mordmotive getötet.
Das Versagen von Politik und Medien: Entinnerung als institutioneller Rassismus
Wie vielen von uns fällt es mir auch nicht leicht, hier zu sein, um an die Terrorgeschichte dieses rassistischen Brandanschlags zu erinnern. Das hängt nicht zuletzt mit der Tatsache zusammen, dass die Geschichte von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu nach wie vor kaum bekannt ist. Zwar wurde der Brandanschlag in den damaligen Medien kurzzeitig wahrgenommen. Aber bereits bei der Beerdigung, bei der der damalige Erste Bürgermeister Hamburgs Hans-Ulrich Klose eine Trauerrede hielt, wurden nicht nur die Opfer begraben, sondern auch das öffentliche Gedenken an diese Tat. Die städtischen Honoratior*innen und die Medien, aber auch die hiesige Zivilgesellschaft gingen danach schnell zur mehrheitsdeutschen Schein-Normalität über. Sie taten so, als ob diese Tat nichts weiter als ein peinlicher Fauxpas, ein allzu bedauerlicher Betriebsunfall war, der keinesfalls als dauerhafter Schandfleck auf der weißen Weste in Erinnerung bleiben sollte. Unausgesprochen und vielleicht auch unbewusst wurde damit ein dominanzdeutscher Konsens hergestellt, in der die unleugbare Existenz eines tödlichen Rassismus weder langfristige noch tiefgreifende Auswirkungen auf das eigene Weiße Selbstverständnis oder auf gesellschaftliche Strukturen haben sollte. Entsprechend sollte das Gedenken an diesen rassistischen Doppelmord keinen Platz in der offiziellen Stadtgeschichte, im Stadtraum und der öffentlichen Erinnerungskultur beanspruchen dürfen.
Wie gründlich diese Amnesie und wie radikal die Realitätsverdrängung des institutionellen Rassismus ist, lässt sich auch noch heutzutage erahnen: So berichtete die in Hamburg sitzende Wochenzeitung „Die Zeit“ erst im Zusammenhang mit der skandalumwitterten Aufdeckung des NSU-Terrors 2012 erstmalig seit 1980 wieder über diesen Brandanschlag. Das Medienhaus, das sich selbst als systemrelevanten Watchdog sieht, hat sich in diesem Fall merkwürdig unzufällig als Totalausfall erwiesen. Auch hat „Die Zeit“ ihre offensichtlich besondere Verantwortung für Đỗ Anh Lân gänzlich vergessen, der im August 1979 in einer von Wochenzeitung und dem Hamburger Senat initiierten Hilfs- und social Sponsoring-Aktion mit 250 anderen vietnamesischen Boat People von der malaiischen Insel Pulau Bidong in die Hansestadt transportiert wurde.
Daher ist es für uns umso wichtiger, wenigstens die Erinnerung lebendig zu halten und diese Geschichte und alle anderen Geschichten nicht zu vergessen ist, wo Menschen Leidtragende von Rassismus, Sexismus, kapitalistischen Neo-Kolonialismus und anderen menschenverachtenden Machtverhältnissen wurden und immer noch werden. Es ist wichtig, dass wir uns heute hier und anderswo versammeln, um durch unsere körperliche Präsenz und durch unser gemeinsames Gedenken zumindest ein temporäres, aber dafür lebendiges Denkmal zu improvisieren und durch unsere Stimmen einen wahrnehmbaren Gedenkraum für alle Opfer rassistischer Gewalt zu inszenieren.
Das offizielle Nicht-Erinnern ist jedoch kein Zufall, sondern die logische Konsequenz der hegemonialen Entinnerung. Damit bezeichne ich institutionelle Strukturen und politisch-kulturelle Praktiken des Vergessenmachens, der Nicht-Würdigung und Aberkennung. Dass heute kein Mahnmal, keine dauerhafte Gedenktafel, keine Straße, kein Park, keine Schule, keine Halle, kein Sportplatz, kein Bahnhof, kein Haus, kein Zug, kein Schiff, kein Stolperstein, nicht mal ihre inzwischen aufgelösten Gräber an ihre Existenz und an das rassistische Verbrechen ihrer Auslöschung erinnert, sagt extrem viel über deutsche Gründlichkeit, rassistischen Sauberkeitswahn und Weiße Stadtplanung aus. An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass ihre unaussprechlichen vietnamesischen Namen dem zuständigen Bezirksamt bei der Prüfung des StraßenumbenennungsBegehrens als unpassende Fremd- und unzumutbare Klangkörper erschienen. Mir scheint dagegen, dass in der angeblich so weltoffenen Hansestadt für die Opfer des Rassismus enge bürokratische Toleranzgrenzen und sprachliche Reinheitsgebote des Eurozentrismus gelten. Umso mehr, wenn es darum geht, ihnen einen offiziellen Erinnerungsort in der heutigen Stadtlandschaft einzuräumen.
Um fair zu sein, wir kennen auch aus anderen Städten viele gleichgelagerte Beispiele, so dass die eurozentristische Aufladung bei der Benennungspolitik öffentlicher Orte kein spezifisches Problem Hamburgs ist. In der gesamtdeutschen Normalitätsvorstellung herrscht anscheinend immer noch eine urdeutsche Norm ohne Migrationserfahrungen und gegenkultureller Globalisierung. In dieser Konstruktion der deutschen Normalität erscheint es immer noch rationaler und politisch korrekter, Akteure und Orte mit kolonial-rassistischen Bezügen zu ehren als Menschen, die sich dagegen gewandt und/oder darunter gelitten haben. Umso scheinheiliger, hohler und absurder ist dieses Polit-Theater im 21. Jahrhundert, wenn im gleichen Atemzug auch noch der Anspruch auf weltpolitische und moralische Überlegenheit damit verbunden wird. In den ach so aufgeklärten, offenen und interkulturellen Demokratien des Westens ist weder die europäische Geschichte des Kolonialrassismus aufgearbeitet noch seine Gegenwart tatsächlich überwunden.
Die Umbenennung der Halskestrasse in Châu-und-Lân-Strasse, vielleicht auch Đỗ-Nguyễn-Strasse oder eine andere Namensvariation wäre aus meiner Sicht ein sinnstiftender Beitrag zur antirassistischen Umgestaltung und Dekolonialisierung deutscher Stadt- und Alltagskultur. Auf jeden Fall sollte der Senat in die Pflicht genommen werden um eventuell überlebende Familienangehörige von Nguyễn Ngọc Châu ausfindig zu machen und zu kontaktieren, um ihre Einbeziehung in den Umbenennungsprozess auf gleicher Augenhöhe sicherzustellen. Eine Umbenennung würde darüber hinaus auch dazu beitragen, unsere Ausgrenzungsmöglichkeiten zu reduzieren und unsere Vorstellungskraft davon zu verändern, wer dazu und was alles hierher gehört. Sie wäre ein kultureller und bildungspolitischer Mehrwert, den wir in Zeiten des strukturellen Racial Profiling, des unheimlichen Phänomens NSU 2.0 in der deutschen Polizei und des assimilatorischen Integrationsparadigmas unbedingt brauchen.
Rechtsextreme Kontinuitäten in den staatlichen Sicherheitsorganen
Was die staatlichen Sicherheitsorgane angeht, so zeigen nicht nur die jüngsten Ereignisse, dass rechtsextreme und rassistische Polizeigewalt ein massives systemisches Problem darstellen. Der Grad der Unterscheidbarkeit zwischen staatlichen Sicherheits- und Terrortruppen ist in Deutschland zuweilen erschreckend klein. Nicht nur die Polizei in unterschiedlichen Bundesländern, auch diverse Verfassungsschutzämter und Bundeswehreinheiten sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder durch haarsträubende Verwicklungen zu rechtsextremen Organisationen aufgefallen. Dokumentiert sind allerdings nur die aufgedeckten Fälle, aber es ist davon auszugehen, dass es in diesem Bereich eine hohe Dunkelquote an geheim operierenden Netzwerken und Tarnorganisationen gibt. Diese Verbindungen wurden vor allem durch antifaschistische Aktivist*innen und investigative Journalist*innen entdeckt, während staatliche Stellen bislang eher durch Beschwichtigungen und Dementis auffielen. Der Stellenwert rassistischer Gewalt in den Staatsorganen muss in Relation zur gesamtgesellschaftlichen Verfasstheit gesehen werden, die in ihrem Kern strukturell, administrativ-institutionell und zweifellos auch kulturell rassistische Muster aufweist. Diese Konfiguration bringt im Alltag existenzielle Probleme hervor, da nicht selten Weiße Entscheider*innen mit diskriminatorischen Vorurteilen oder Motivationen im staatlichen Auftrag handeln: Ob jemand sicher in Deutschland leben darf und kann, hängt viel zu oft von der Perspektive und der staatlich anvertrauten Entscheidungsmacht rassistischer Subjekte ab.
Wer sich die Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland seit dem Deutschen Kolonialkaiserreich anschaut, kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sich gerade in den sogenannten Sicherheitsorganen starke rechtsextreme Tendenzen konzentrieren. Das galt nicht nur in der Weimarer Republik, sondern beispielsweise auch in den 1980er Jahren, als auffällig viele Polizist*innen sich als Mitglieder und Sympathisant*innen der völkisch-nationalistischen „Republikaner“ von Franz Schönhuber zu erkennen gaben, der früher SS-Unterscharführer war, damals als stellvertretender Chefredakteur des regionalen Fernsehprogramms des Bayerischen Rundfunks fungierte und später zur NPD abwanderte. Und es gilt auch heute: Wer jetzt durch die Mitgliedslisten der AFD geht, wird wiederkehrend auf deutsch klingende Namen mit ehrenwerten bürgerlichen Berufen stoßen. Darunter sind viele Richter*innen, Staats- und Rechtsanwälte, Staatsbeamte und andere Verwaltungsangestellte, Professor*innen, Lehrer*innen, Journalist*innen, aber natürlich auch Berufe von Architekt*innen bis Unternehmer*innen und nicht zuletzt immer wieder Polizist*innen. Wie uns leider die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mehr als einmal gelehrt hat, werden rechtsextreme Bewegungen viel zu häufig von einem strukturkonservativen Rechtssystem entschuldigt und von der Mehrheit der Weißen Volksvertreter*innen verharmlost, sehr oft mit dem Standardsatz: „Wie müssen die Sorgen und Ängste der deutschen Bevölkerung ernst nehmen.“ Befremdlich ist mir an solchen Sätzen die Selbstverständlichkeit, mit der Bürger*innen of Color, migrantische und postmigrantische Communities aus der deutschen Gesellschaft und Wähler*innenschaft ausgeschlossen werden. Menschen wie wir werden so in Gedanken quasi entbürgert, d.h. entrechtet und unsichtbar gemacht. Aber sie irren sich: Unsere Stimmen zählen und das mindestens sogar im doppelten Sinne.
Der Präzedenzfall Walter Lübcke setzt neue erinnerungspolitische Standards
Wie die Gedenk- und Erinnerungskultur zugunsten der Opfer rechtsextremer Gewalt im besten Falle aussehen kann, wenn der politische Willen vorhanden ist und eine genuine identitätspolitische Betroffenheit vorliegt, zeigt die Geschichte von Walter Lübcke. Wie wahrscheinlich alle hier wissen, war Walter Lübcke zunächst Hessischer Landtagsabgeordneter der CDU und zuletzt als Regierungspräsident in Kassel tätig bevor er im Juni 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet wurde. Sein Mord löste eine überwältigende Medienresonanz und eine sehr große Betroffenheit in der Bevölkerung aus: Es fanden mehrere Trauergottesdienste und zahlreiche Gedenkveranstaltungen in mehreren Landtagen sowie im Bundesrat statt. Ihm wurde posthum neben der Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen, auch der nordhessische Herkules-Ehrenpreis verliehen. Hessen hat zudem den neuen Walter-Lübcke-Demokratie-Preis ausgelobt; eine Schule in Wolfhagen, wo er wohnte, wird nach Walter Lübcke umbenannt und in Fulda wird es bald eine Dr.-Walter-Lübcke-Straße geben. Diese Aufzählung ist nicht endgültig, da in Zukunft sicherlich mit weiteren Ehrungen zu rechnen ist. Mir steht es fern, an dieser Stelle das politische Wirken von Walter Lübcke oder die ihm zugedachten Ehrungen in Zweifel zu ziehen. Vielmehr finde ich es sehr beeindruckend, in welcher Geschwindigkeit und Dichte hier Denkmäler und öffentliche Erinnerungsorte geschaffen werden und bürokratische Anforderungen scheinbar mühelos erfüllt werden können. Das ist umso erstaunlicher, da in anderen Fällen diese von städtischen Verwaltungen als schier unüberwindbare formale Hindernisse dargestellt werden. Trotz langjähriger Bemühungen verlaufen viele Initiativen daher im Sande, während Ämter und zuständige politische Gremien mit Unschuldsmiene auf felsenfeste Vorschriften und gesetzliche Vorgaben verweisen.
Der Präzedenzfall Walter Lübcke setzt m.E. nach neue Standards im kultur- und erinnerungspolitischen Umgang mit den Opfern rechtsextremer Gewalt. Weder sachlich noch politisch oder moralisch ist es begründbar und zu rechtfertigen, dass sich eine Zweiklassengesellschaft in der öffentlichen Gedenkkultur etabliert. Da wir alle über unsere Steuern diese Gedenkkultur mitfinanzieren, verlangt nicht nur die Betroffenheit von Rassismus, sondern auch die demokratische Repräsentation eine nicht-diskriminatorische Erinnerungspolitik. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang nicht verkehrt, die politische Elite an ihrem eigenen neoliberalen Grundsatz zu erinnern: no taxation without representation. Bisher hat der institutionelle Rassismus in den gesellschaftlichen Strukturen eine Entsprechung in der selektiven Erinnerungspolitik und öffentlichen Gedenkkultur, die systematisch Menschen of Color marginalisieren und ausschließen.
Es gibt also einen Rassismus zweiter Ordnung, etwa in Form der kulturpolitischen Institutionalisierung von Diskriminierung und Benachteiligung, die auf dem initialen körperlichen Angriff oder dem ursprünglichen strukturellen Rassismus in der Schule oder auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt folgt und ihr als sich selbst verstärkender Kreislauf gleichzeitig vorausgeht. Solange wir diese kulturelle Dimension nicht erkennen, also die zweite und weitere Ebenen des Rassismus wahrnehmen, stoßen wir an Grenzen, die die Unmöglichkeit der Erinnerbarkeit und des Erkennens von Rassismus betreffen. Diese miteinander verschränkte Komplexität zu erkennen und ihre verkrusteten Dominanzstrukturen aufzubrechen, ist eine dringend zu lösende Aufgabe in der Gegenwart. Ich denke, dass die transkontinentale Solidarität mit der US-Amerikanischen Black Lives Matter-Bewegung und ihre hiesigen Rückkoppelungen etwa in Form des erstmaligen Interesses für die Dekolonialisierung eurozentristischer Kulturstandards oder die Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus in breiteren Bevölkerungskreisen ein wichtiges politisches Momentum für antirassistische Initiativen bereitstellt. Jetzt geht es darum, den Mut und die organisatorische Schlagkraft aufzubringen, um in lokalen Gruppen, bundesweiten Netzwerken und globalen Bewegungen die Verhältnisse vor Ort wie in den systemrelevanten Strukturen weltweit in Frage zu stellen und lebenswerte Alternativen zu entwickeln.
Meine Rede möchte ich hier mit einer Erkenntnis der Schwarzen amerikanischen Psychologin Beverly Daniel Tatum schließen. Die von ihr beschriebene schleichende Vergiftung macht uns dauerhaft krank und führt uns als Individuen wie als Gesellschaft alternativlos zum Tode.
Sie schreibt: „Cultural racism … is like smog in the air. Some days it is so thick it is visible, other times it is less apparent, but always, day in and day out, we are breathing it in.“
Meine Übersetzung: Kultureller Rassismus … ist wie Smog in der Luft. An manchen Tagen ist er so dick, dass er sichtbar ist, an anderen ist er weniger offensichtlich, aber immer, Tag für Tag, atmen wir ihn ein.
Kien Nghi Ha, promovierter Kultur- und Politikwissenschaftler, arbeitet als Publizist und Dozent in Berlin. Seine Monografie Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“ (transcript 2010) wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2011 ausgezeichnet. Im Herbst 2020 gibt er die erweiterte Neuauflage von Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A) heraus. Er ist auch Mitherausgeber von re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland (Unrast 2007).
[1] Wie bei Schwarz deutet die Großschreibung von Asiatisch an, dass es in diesem Fall nicht als Adjektiv zur regionalen Herkunftsbezeichnung benutzt wird, sondern kulturelle Identitätskonstruktionen bezeichnet. Diese sind wie alle Identitäten umkämpft und widersprüchlich, da sowohl Praktiken der Selbstbezeichnung als auch Prozesse des Fremdwahrnehmung und des Otherings einfließen.
„Where are you really from?“ „What does dog meat taste like?“ „Would you bring me some tea?“
In Germany, I am constantly reminded of how people see me as an Asian stereotype. I’m frequently asked where I’m „really from“ after telling a German person that I’m American. When I met my German mother-in-law for the first time, she did not ask me about my interests, my upbringing, or whether I wanted a glass of water. The first question she asked me was how I liked the taste of dog meat. At spas and restaurants, people often assume that I am an employee. On one of my first nights out in Berlin, a group of guys repeatedly shouted „konichiwa“ at me and mockingly made kung-fu poses as I walked past.
When I tell German friends about these encounters, the reaction I get is usually one of dismissive surprise. „Oh, those guys were just drunk,“ I’m told. Or, „she’s from a small village.“ „Germans wouldn’t say that to you, I bet they were Arab.“ These responses imply that racism isn’t a structural issue in Germany, but rather just the problem of “a few bad apples.” They also make clear the real problem: there is little interest among certain Germans in understanding how someone who looks Asian may experience Germany differently than someone who looks white.
„Germans simply have many rules,“ is another common response I hear when I bring up my experiences of racial micro-aggressions in Germany. But there is a difference between enforcing rules and racial profiling. At a grocery store during my first week living in Berlin, a fellow customer helped me bag my groceries. He said I was too slow and was holding up the line. I respect this kind of cultural enforcement — it’s based on outcomes, and it applies to everyone.
Racial profiling, on the other hand, looks and feels very different. When I am alone at a German grocery store, I no longer bother trying to buy fresh fish because I’ve had so many experiences of being ignored or skipped in line. „But, I doubt that’s because you look Asian. Did you stand in the right place? Did you say something to upset the employee?“ I walk home from the grocery replaying the scene over and over again, wondering what I did wrong. I leave without fresh fish, full of self-doubt. These kinds of experiences don’t happen to me when I am with a white friend, even if that friend doesn’t speak German.
After one relaxing afternoon at Vabali Spa, I was sitting in the lounge at the entrance quietly waiting for my friend. There were 3 white customers waiting as well. A security guard came over to me – just me – and told me to go wait outside. Later that evening, I wrote an e‑mail to Vabali sharing my discomfort with this experience. They e‑mailed me back asking, „Could it be that you came by with a bigger group of people and not just only you personally?“
There is an eagerness to find alternative explanations, to dodge the possibility that racism continues to affect how people treat one another in Germany. There is an eagerness to believe that Germans have conquered the plight of racism. After all, German police do not commit daily, violent murders against black people and other racialized minorities in the way we see in the US. After all, Germans have taken responsibility for the atrocities of National Socialism and begun discussions with Namibia regarding colonial crimes.
„OK fine, you’ve been racially profiled in Germany, but this isn’t as bad as American police officers violently killing black people.“ This response deflects responsibility, demonstrating an unwillingness to acknowledge how white Germans are still complicit in other forms of racial oppression. „Others are worse,“ is a different response from „I see where we could be better.“
This is why I felt so uncomfortable with the ways in which my German friends responded to recent protests in the US following the murder of George Floyd. „Time to come back to Germany, don’t you think?“, one friend texted. „Maybe you shouldn’t have left Germany.“ These responses reveal how little some of my German friends understand the ongoing racism experienced by people of color in Germany.
Though prevalent in the daily experiences of people who look Asian in Germany, anti-Asian racism continues to hide behind a myriad of alternative excuses.
Allister Chang was a Robert Bosch Stiftung Fellow 2019–2020. He was born and raised in the US, and currently lives in Washington, D.C.
Quelle: Wer weiß denn sowas“. ARD. Ausstrahlung vom 09.03.2020, Screenshot.
„Ching Chang Chong“, rief Franziska van Almsick mit albern verstellter Stimme in der Fernsehshow „Wer weiß denn sowas“ vom 09.03.2020, als die Rubrik „Asien“ ausgewählt wurde. Niemand reagierte auf den rassistischen Spruch, dem wir Asiat*innen und Asiatisch* wahrgenommenen Menschen im Alltag ausgesetzt sind. Genauso schlimm ist es allerdings, dass der öffentlich-rechtliche Fernsehsender „ARD“ Franziska van Almsicks Bemerkung überhaupt ausgestrahlt hat. Ihr Zwischenruf erhöhte meinen Puls schlagartig und ich spürte, wie ich vor Wut zitterte. In dem Moment kamen mir wieder alte Erinnerungen an all die Situationen hoch, in denen Nicht-Asiat*innen mir diese drei Silben wie aus dem Nichts entgegenschleuderten und nicht selten ihre Augen nach hinten zogen. In solchen Situationen fühlte ich mich stets hilflos und machtlos, denn selbst Unbeteiligte, die Zeug*innen eines solchen Vorfalls wurden, wiesen die Täter*innen nicht zurecht. So war ich in der Regel auf mich alleine gestellt.
Das Machtgefälle hinter dem „Ching Chang Chong“
Es gibt immer noch viele weiße* Menschen, die nicht verstehen, was an dem Spruch „Ching Chang Chong“ rassistisch sein soll. Hier eine Erklärung: Der CCC-Spruch wird ausschließlich „asiatisch“ aussehenden Menschen an den Kopf geworfen, unabhängig davon, ob sie der Landessprache mächtig oder gar in dem Land geboren und aufgewachsen sind, in dem sie sich befinden. Hier findet ein Othering-Mechanismus statt, d. h. Menschen werden aufgrund ihres Aussehens als Fremde markiert und ihre Zugehörigkeit abgesprochen. Hinzu kommt, dass dieser Spruch dazu dient, sich über Asiat*innen und ihre asiatischen Sprachen lustig zu machen. Dabei wird die Heterogenität der asiatischen Sprachen aberkannt und auf die einfachsten Silben heruntergebrochen. Alle Asiat*innen werden also wieder in einen Topf geworfen und dabei wird die Unterlegenheit der asiatischen Sprachen demonstriert, die aus vermeintlichen einsilbigen Sch-Lauten bestehen. Der CCC-Spruch diskriminiert und verletzt also in mehrfacher Hinsicht: Asiat*innen, so wie ich, werden mit diesem Spruch in herabwürdigender Weise verspottet, gedemütigt und ausgegrenzt. Es ist anzumerken, dass das kein rein deutsches Phänomen ist, denn z. B. in englischsprachigen Ländern berichten dortige Asiatische Communities dasselbe. Daran ist zu erkennen, dass Rassismus strukturell und kein Einzelfall ist.
Rassistische Kontinuität in den Medien
Als wäre der rassistische Spruch nicht genug, setzte Kai Pflaume, der Moderator der Fernsehshow „Wer weiß denn sowas“, noch einen oben drauf. Die indonesische Stadt Bandung hatte Küken an Kinder verteilt, um sie von ihren Smartphones abzulenken. Kai Pflaumes kommentierte die Meldung damit, dass die indonesischen Kinder bestimmt auch noch ein Kochbuch dazu bekommen würden. Damit wiederholte er ein rassistisches Stereotyp gegenüber Asiat*innen, nämlich, dass Asiat*innen alles essen würden, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist und nicht imstande wären, ein Tier am Leben zu erhalten.
Quelle: „Gute Nacht Österreich“. ORF 1. Ausstrahlung vom 19.03.2020, Screenshot.
Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich bei der „Gute Nacht Österreich“-Show am 19.03.2020 mit Peter Klien und Miriam Hie. Miriam Hie spielte in dieser Satiresendung eine chinesische Reporterin mit starkem chinesischem Akzent und R‑L-Schwäche. Der Sketch sollte vordergründig den Umgang der Volksrepublik China mit der Corona-Pandemie auf die Schippe nehmen, jedoch triefte er vor lauter Klischees über Chines*innen. Anstatt tatsächlich die chinesische Regierung als Gegenstand des satirischen Humors zu thematisieren, suggerierte die „Gute Nacht Österreich“-Show den Zuschauer*innen, dass Chines*innen z. B. Fledermäuse, Hunde und Katzen äßen.
Es ist ermüdend, ständig mit rassistischen Stereotypen konfrontiert zu werden, egal ob als Witz getarnt oder als Hate-Speech. Als wäre es nicht genug, dass Asiat*innen rassistische Bemerkungen oder Vorurteile über ihre vermeintlichen Essgewohnheiten ohnehin im Umfeld und im Internet zu hören oder lesen bekommen.
Quelle: „heute-show“. ZDF. Ausstrahlung vom 06.03.2020, Screenshot.Quelle: „heute-show“. ZDF. Ausstrahlung vom 06.03.2020, Screenshot.
Die deutsche Satiresendung „heute-show“ bediente sich in ihrer Ausstrahlung vom 06.03.2020 ebenfalls des anti-Asiatischen Rassismus. Sie blendete zuerst ein Foto vom Kungfu Panda mit dem Wortspiel „Kung Flu“ und später eins mit der Inschrift „Ching Chang Chong – Leer ist der Karton“ ein. In Zeiten der Corona-Pandemie, in denen Asiat*innen und Asiatisch gelesene Menschen wieder vermehrt rassistisch angefeindet, gemieden, beleidigt werden oder sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie das Coronavirus in sich tragen, sind Wortspiele wie „Kung Flu“ wie ein Stigma, das die Erkrankung am Coronavirus als etwas speziell Chinesisches darstellt.
Kabarettistin Lisa Eckhart wiederum machte sich am 19.03.2020 in der „Nuhr im Ersten“-Sendung über die Genitalien Asiatischer dyacis* Männer lustig.
Diese „Witze“ sind weder unschuldig noch harmlos. Sie normalisieren den Rassismus gegenüber Asiat*innen, weil sie dem weißen Publikum vermitteln, dass es in Ordnung sei, über Asiat*innen zu lachen. Wenn Satire nach unten tritt, dann ist es schlichtweg keine Satire, sondern Schikane. Der Rassismus gegenüber Asiat*innen ist keineswegs neu, d. h. es gibt ihn nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Auch nicht im Fernsehen.
Rassistische Darstellungen und Stereotype sind keine Einzelfälle, sondern eine Kontinuität.
Für mehr Sensibilität gegenüber Rassismen
Weil durch die Medien Stereotype an die breite Bevölkerung transportiert werden können, haben die Medien, insbesondere öffentlich-rechtliche Sender, eine besondere Verantwortung, keinen Rassismus wiederzugeben. Sie müssen angemessen auf jegliche Rassismuskritik reagieren und diese umsetzen. Hierfür ist längerfristig ein Bewusstsein für Rassismen etwa durch Fort- und Weiterbildungen unerlässlich. Als nächsten Schritt sollten Medienbetriebe eine interne Antidiskriminierungsstelle einrichten, die einerseits den Redaktionen beratend zur Seite stehen und andererseits Beschwerden entgegennehmen sollte.
Ein nicht unwesentlicher Faktor ist die fehlende Diversität in der deutschen Medienlandschaft. Aus einer Befragung der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“, die im Mai 2020 veröffentlicht wurde, geht hervor, dass 118 von 126 befragten Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten Medien Deutsche ohne Migrationshintergrund seien. Unter den sechs Chefs und zwei Chefinnen, die mindestens ein nicht-deutsches Elternteil haben, gehört niemand zu den BIPoC*.
Je pluraler, desto mehr Perspektiven können miteingebracht werden und die Wahrscheinlichkeit steigt somit, dass Vorurteile als solche erkannt werden. Es ist längst überfällig, dass Medienbetriebe gezielt Medienmacher*innen of Color rekrutieren sollten, um unsere vielfältige Gesellschaft abzubilden. Allerdings ist anzumerken, dass die Einstellung von BIPoC als Personal alleine nicht ausreichend ist, um tatsächlich weitere Diskriminierungen verhindern. Nur die Mischung aus Sensibilisierung für Rassismen und Rekrutierung von BIPoC kann einen Effekt haben, um Rassismus zu reduzieren.
Ein Beitrag von Victoria, Mitglied der AG Medienaktivismus
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Anmerkungen:
*“Asiatisch“ (großgeschrieben) als politische Kategorie
*BIPoC steht für die Selbstbezeichnung „Black, Indigenous and People of Color“, die ebenfalls nicht auf biologische Eigenschaften basiert. Sie positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus sowie gegen rassistische Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft. Angehörige dieser Gruppe werden als Nicht-weiße markiert, verfügen somit über einen gemeinsamen Erfahrungshorizont mit Rassismus und sind deswegen in einer niedrigeren Machtposition als weiße.
*dyacis: Menschen, die weder trans noch inter sind
*weiß bezeichnet keine biologische Eigenschaft, sondern eine soziale und politische Konstruktion in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Mit dem Weißsein gehen weiße Privilegien einher und Angehörige dieser Gruppe gelten als unmarkierte „Norm“.
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