Broschuere xart splitta #CommunitiesSolidarischDenken Beitragsbild (c) xart splitta
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xart splitta hat das dritte Jahr ihres Projektes #CommunitiesSolidarischDenken – Überlegungen zu nach­hal­tiger Community-Zusammenarbeit dem Thema Selbst/Bezeichnungen gewidmet. Ein zen­traler Themenschwerpunkt war dabei, sich mit der Vielschichtigkeit des Begriffs „(BI)PoC“ aus­ein­an­der­zu­setzen und sowohl den his­to­ri­schen Bezug zu vor­an­ge­gan­genen Diskursen her­zu­stellen als auch den aktu­ellen Diskurs um seine Verwendung in unter­schied­lichen Communities nach­zu­gehen. kori­en­tation war 2022 mit anderen Organisationen und Einzelpersonen Teil einer Fokusgruppe, in der diese Themen dis­ku­tiert wurden. Die unter­schied­lichen Perspektiven, Ansätze und Positionierungen sowohl der Fokusgruppen-Teilnehmenden sowie wei­terer Gruppen und Personen finden sich in der Broschüre „Zusammen als People of Color?!“, die sowohl digital als auch gedruckt Ende 2022 erschienen ist. 

Ihr könnt sie hier her­un­ter­laden: www.xartsplitta.net/broschuere-2022-communitiessolidarischdenken

© xart splitta e.V.

Beiträge in der Broschüre:

Einleitung #CommunitiesSolidarischDenken
1. Begriffsdefinition „People of Color“ von xart splitta
2. “BIPoC” in Europe: What’s in a Name? – Margo Okazawa-Rey
3. Naming the Impossible – Nicola Lauré al-Samarai
4. Intersektional-rassismuskritische Begriffsarbeit – ADEFRA
5. Limitations or Possibilities? It is all in the name – BIWOC* Rising
6. Der Begriff BIPoC: Handlungsspielraum und Befreiungskampf – Armeghan, GLADT e.V.
7. A night out in Brandenburg – Inna Michaeli
8. Arbeit mit und gegen Differenzen – kori­en­tation
9. Who are you? – May Zeidani Yufanyi
10. Solidarisches Denken und Handeln (nicht nur) in Begriffen – Koray Yılmaz-Günay, Migrationsrat Berlin (MRB)
11. BIPoC – eine kol­lektive Zwangsgemeinschaft? – Mina Jawad 37
12. Terming Us into New Obscurity – Red Haircrow
13. Wichtig ist, dass wir mit­ein­ander sprechen – Saideh Sadaat-Lendle
14. Der kolo­niale Prozess und seine grau­samen Tentakel – Sandra Bello
15. Leseliste

BlogPolitikVeranstaltungen

kori­en­tation unter­stützt das Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992., das das Gedenken anlässlich des 30. Jahrestages orga­ni­siert hat. Die zen­trale Veranstaltung war die bun­des­weite Demo am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen, siehe Aufruf zur Demo.

Wir ver­öf­fent­lichen mehrere Redebeiträge auf unserer Webseite zur Dokumentation. Es folgt der Redebeitrag der Gedenkinitiative Phan Văn Toàn in Fredersdorf bei Berlin (https://phanvantoan.de), mit der wir kooperieren. 

Im Gedenken an Phan Văn Toàn.

Es ist der 31. Januar 1997, die Temperatur in Fredersdorf aus­serhalb von Berlin liegt um den Gefrierpunkt. Um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, steht der 42-jährige Phan Văn Toàn auch in der Kälte draussen und ver­kauft Zigaretten.

Mit dem Ende der DDR waren viele ehe­malige Vertragsarbeiter_innen in ihrer Existenz bedroht.
In der von der CDU und rechten Medien geschürten, ras­sis­ti­schen und natio­na­lis­ti­schen Stimmung der 1990er Jahre, waren sie nicht nur ständig der Gefahr staatlich legi­ti­mierter Gewalt aus­ge­setzt, sondern auch öko­no­misch kom­plett auf sich allein gestellt.

Die Arbeit, die Phan Văn Toàn ver­richtete, war ille­ga­li­siert und stän­digen Anfeindungen aus­ge­setzt. Gleichzeitig wurde sie viel und gerne in Anspruch genommen. Auch von den­je­nigen, die ihn dafür anfein­deten – auch von Rassist_innen – auch von Nazis.

Die perfide Verschränkung der Ausbeutung von – und Hetze gegen ille­ga­li­sierte Arbeit hat System.

Noch heute ist sie ein Grundstein bun­des­deut­scher Wirtschaftspolitik. Arbeiter_innen in solchen Bereichen tragen ein hohes Risiko zu Opfern von Gewalt zu werden, weil Menschenfeinde ihre schwierige Lage erkennen und ausnutzen.

So geschah es auch Phan Văn Toàn. Die Nazis, welche am S‑Bahnhof Fredersdorf eine Fahrradaufbewahrung betrieben, klauten wieder einmal Zigaretten aus seinem Lager. Als Phan Văn Toàn not­ge­drungen das Gespräch sucht, wird er von zwei der Nazis lebens­ge­fährlich ver­letzt. Drei Monate kämpft er im Krankenhaus um sein Leben und stirbt am 30. April 1997 an den Folgen des Angriffs.

Trotz ras­sis­ti­scher Parolen im Gerichtssaal will das Landgericht Frankfurt (Oder) später keinen ideo­lo­gi­schen Hintergrund der Tat sehen. Stattdessen wird die Darstellung der Täter in das Urteil über­nommen. Nicht Habgier und Rassismus stehen im Fokus der Verhandlung, sondern die ille­ga­li­sierte Arbeit von Phan Văn Toàn. Einige Jahre später wird die­selbe Kammer auch beim Mord am Punk Enrico Schreiber kein poli­ti­sches Motiv bei den neo­na­zis­ti­schen Tätern erkennen.

Das besondere Verständnis der deut­schen Justiz für Neonazis hat lange Tradition.

Mehr als 20 Jahre nach dem Mord gibt es seitens der Kommune noch immer kein Gedenken an Phan Văn Toàn. Keine Unterstützung für seine Hinterbliebenen. Kein Wort der Verantwortung, des Bedauerns, Nichts. Im Gegenteil: Als im Januar 2020 erstmals Initiativen mit einer Kundgebung daran erinnern, drückt der CDU-Bürgermeister offensiv sein Missfallen aus. Nach der Kundgebung wird der pro­vi­so­risch errichtete Gedenkort zerstört.

Der Mord an Phan Văn Toàn ist nun 25 Jahre her. Das Pogrom von Rostock Lichtenhagen 30 Jahre.
Die bür­ger­liche Geschichtsschreibung möchte beides gerne ver­gessen. Weil wir sie nicht lassen, wird ver­sucht „Erinnern“ zu einer Gruselgeschichte über längst ver­gangene Tage zu machen.

Ihr Erinnern heißt Vergessen.

Auch das ist deutsche Tradition. Der Nationalsozialismus wird zu einer Verführungsgeschichte umge­deutet, Lichtenhagen zum Mysterium und die vielen ras­sis­ti­schen Morde zu Einzelfällen ver­klärt. Jedes schreck­liche Mal auf’s Neue tut man über­rascht, dass Rassist_innen morden.

Diese wider­liche Heuchelei können die sich sonst wohin stecken.

Wer selbst ras­sis­tisch hetzt, Nazis zu „besorgten Bürgern“ adelt oder die Augen vor der ras­sis­ti­schen Tyrannei deut­scher Institutionen ver­schließt, ist selbst Teil des Problems und trägt Mitverantwortung für die Gewalt.

Unser Erinnern heißt Verändern.

Als Gedenkinitiative setzen wir uns dafür ein, Phan Văn Toàn wür­devoll zu gedenken.
Damit sind wir in der Pflicht ras­sis­tische Gewalt in all ihren Formen – durch Schläge, Zeitungsartikel oder Gesetze – zu benennen. Auch die Parallelen und Verbindungen von klas­sis­ti­scher und ras­sis­ti­scher Gewalt müssen benannt werden.

Die deutsche Tradition brechen.
Fredersdorf ist auch bei dir im Ort.
Phan Văn Toàn ist nicht vergessen.