Blog

von Kien Nghi Ha

Foto und Traueranzeige mit freund­licher Erlaubnis der Angehörigen.

Am 21. Mai 2023 ver­starb Dagmar Yu-Dembski nach län­gerer Krankheit mit 80 Jahren. Ihre außer­ge­wöhn­liche Geschichte spiegelt die his­to­ri­schen Verwerfungen in Deutschland im 20. Jahrhundert auf einer per­sön­lichen Ebene wider und begann unter bedroh­lichen Umständen: Sie wurde am 01. Februar 1943 in Berlin mitten während des Zweiten Krieges unehelich geboren, da chinesisch-deutsche Verbindungen auf­grund der kolo­ni­al­ras­sis­ti­schen NS-Rassengesetze nicht genehmigt wurden. Ihre Mutter (1921–2001), arbeitete als tech­nische Zeichnerin und wuchs in einer deutsch-russischen Migrantenfamilie in Kreuzberg auf. Ihr Vater war der aus Kanton stam­mende Hak-Ming Yu (1915–1976), der ab 1936 zunächst in Darmstadt und dann in Berlin Brückenbau stu­dierte und später als hoch­qua­li­fi­zierter Diplom-Ingenieur trotzdem keine Anstellung fand. In der Nachkriegszeit konnten die Eltern endlich hei­raten, und er eröffnete 1957 die ele­gante „Hongkong-Bar“ am Kurfürstendamm 210, die als ultra­mo­derne Stilikone zum begehrten Treffpunkt der Berliner High Society wurde. Später eröffnete ihr Vater mit chi­ne­si­schen Freunden eine Reihe von China-Restaurants und machte in der Boulevardpresse als „Berlins Chinesenkönig“ Schlagzeilen.

Wie Yu-Dembski in ihre Autobiografie „Chinaprinzessin. Meine deutsch-chinesische Familie“ (edition ebersbach 2013) erzählt, wuchs sie nicht nur in einer geteilten Stadt auf, sondern pen­delte täglich zwi­schen deut­schen, chi­ne­si­schen und rus­si­schen Familienwelten. Eine Zeit lang lebte sie mit ihrem Vater in West-Berlin, während ihr Bruder unter der Obhut der Mutter im Ostteil auf­wuchs. Ihre Eltern trennten sich als sie 13 Jahre alt war im Streit, und alles Chinesische wurde nun zunehmend von der Mutter vehement abgelehnt.

Erst mit dem Tod des Vaters begann Dagmar Yu-Dembski sich für die chi­ne­si­schen Anteile in ihr näher zu inter­es­sieren und hängte nach dem Magisterabschluss in Publizistik und Kunstgeschichte (1970) noch ein Zusatzstudium der Sinologie an der Freien Universität Berlin hinten dran. Inspiriert von der ersten Chinareise 1980 enga­gierte sie sich in der „Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft“ (GDCF) in Berlin und fun­gierte ab 1988 als lang­jährige Vereinsvorsitzende. Neben ihrer Forschung als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Publizistik an der FU Berlin, wo sie Frauenbilder in den Medien unter­suchte, gab sie von 1998 bis 2014 die Zeitschrift „das neue China – Zeitschrift für China und Ostasien“ für die GDCF mit heraus. Lange Zeit küm­merte sich sie auch um den „Chinaladen“ in der Innsbrucker Straße 3, den der Verein bis heute in Schöneberg betreibt. Dort orga­ni­sierte sie nicht nur Ausstellungen und Sprach- und Kalligrafiekurse mit, sondern baute hier auch eines der größten Buchhandelssortimente mit Chinabezug in Deutschland mit auf.

Im Sommer 1997 lernte ich Dagmar Yu-Dembski bei einem Besuch der chinesisch-amerikanischen Schriftstellerin Fae Myenne Ng in einem China-Restaurant in der Kantstraße kennen, deren Debütwerk „Bone“ (Hyperion 1993) kurz zuvor unter dem Titel „Der Tag der Diebe“ (Goldmann 1994) auf Deutsch erschienen war. Uns führte das gemeinsame Interesse an der chi­ne­si­schen Diaspora zusammen. Von daher war es kein Zufall, dass sie 1998 das Schwerpunktthema „Überseechinesen“ für eines der ersten Hefte der Zeitschrift „das neue China“ aus­wählte. Leider blieb es meine einzige direkte per­sön­liche Begegnung mit ihr, so dass ich sie haupt­sächlich nur als wis­sen­schaft­liche Autorin kannte.

Dagmar Yu-Dembski war eine Pionierin, die als com­munity scholar maß­geblich die Geschichte der Chinesen in Berlin“ erforschte und sie einer brei­teren Öffentlichkeit bekannt machte. Dazu trug nicht zuletzt die gleich­namige Ausstellung 2007 im Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf ebenso wie das dazu­ge­hörige Begleitbuch in der berlin edition im be.bra Verlag bei. Diese Arbeiten führten frühere Forschungsergebnisse weiter aus, die eben­falls unter diesem Titel im gleich­na­migen Heft „Chinesen in Berlin“ (1996) der Berliner Ausländerbeauftragten erschienen waren. Sie unter­suchte darüber hinaus auch die Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen, die Wahrnehmung Chinas in der west­lichen Reiseliteratur, die Deutschland-Erfahrungen von chi­ne­si­schen Intellektuellen und chinesisch-deutsche Ehen.

Im Dezember 2021 sah ich sie letzt­malig auf der Online-Tagung „Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“ des lange Zeit von ihr gelei­teten Konfuzius-Instituts an der Freien Universität Berlin, wo sie über anti-chinesischen Rassismus in der NS-Zeit refe­rierte. Ihr Beitrag zu diesem Thema im Ende 2022 im Lit-Verlag publi­zierten Tagungsband „Antichinesischer und anti­asia­ti­scher Rassismus“ (her­aus­ge­geben von Mechthild Leutner, Pan Lu, Kimiko Suda), war neben Rezensionen (u.a.„Wovon wir träumen“ von Lin Hierse) und einem Nachruf im Blog des GDCF auf den Sinologen und GDCF-Mitglied Jochen Noth im Mai 2022, der im Haus der Kulturen der Welt die erste große Ausstellung zu Chinese Contemporary Art unter dem Titel „China Avantgarde“ (1993) mit­kon­zi­pierte, eine ihrer letzten öffent­lichen Aktivitäten. Mein Versuch, sie im Frühjahr 2023 zu einem Vortrag im Rahmen der Filmreihe „Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole“ ein­zu­laden, wurde lange Zeit nicht beant­wortet. Ich erahnte die Umstände der miss­glückten Kontaktanbahnung nicht bis mir ihre Tochter Monate später mit­teilte, dass Dagmar Yu-Dembski schwer erkrankt war. Meine Anteilnahme gilt den Familienangehörigen, die freund­li­cher­weise der Veröffentlichung der Traueranzeige in diesem Rahmen zuge­stimmt haben.

Mit Dagmar Yu-Dembski ist eine Grande Dame der deutsch-chinesischen Community von uns gegangen, die sich blei­bende Verdienste erworben hat und unser his­to­ri­sches Wissen über uns selbst grund­legend erweitert hat. Sie reprä­sen­tierte eine zweite Generation, die anhand der eigenen Biografie auf­zeigen kann, wie stark und wie lange die eigene (Familien-)Geschichte bereits in Deutschland ver­wurzelt ist. Wie viel­seitig inter­es­siert und begabt sie war, und welche mensch­liche Qualitäten und welcher Humor sich in ihrer Person ver­ei­nigte, zeigt auch ihr Kinderbuch „Lilli und das chi­ne­sische Frühlingsfest“ (Carlsen Verlag 2010). Sie wusste, dass die Geschichte niemals zu einem Ende kommt und wir nur Brücken in die Vergangenheit und Zukunft sind.

„Von seinem Wunsch, nach China zurück­zu­kehren und nach seinem Tod in der Heimat begraben zu werden, wusste ich nichts. Wir lebten in der gleichen Stadt, aber wir lebten in ver­schie­denen Welten“ (Dagmar Yu-Demski: Chinaprinzessin)

Kien Nghi Ha ist pro­mo­vierter Kultur- und Politikwissenschaftler und leitet den Arbeitsbereich Asian German Studies am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen. Er hat an der New York University sowie an den Universitäten in Bremen, Heidelberg und Bayreuth geforscht und wurde mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien aus­ge­zeichnet. Neben zahl­reichen Publikationen zu post­ko­lo­nialer Kritik, Rassismus, Migration und Asian Diaspora Studies ist zuletzt der Sammelband Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A, 2021) als erwei­terte Neuauflage erschienen. Aktuell edi­tiert er den Sammelband Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin (Assoziation A, 2023) und schreibt am Essay Boat People – Vom schutz­wür­digen Flüchtling zur Zielscheibe des Anti-Asiatischen Rassismus für den Ausstellungskatalog „Alfredo Jaar – The Kindness of Strangers“ (2024) des Museums der Moderne Salzburg.

Im Erscheinen: Verwobene Geschichten in Hito Steyerls „Die leere Mitte“ (1998) aus Asiatisch-deutscher Perspektive. In: Ömer Alkin/Alena Strohmaier (Hg.): Rassismus und Film. Marburg: Schüren Verlag, 2023; Zur kolo­nialen Matrix des anti-Asiatischen Rassismus: Gelbe Gefahr, Unsichtbarkeit und Exotisierung. In: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) (Hg.): Rassismusforschung: Rassismen, Communities und anti­ras­sis­tische Bewegungen, Bd. 2, Bielefeld: tran­script 2023; Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen als insti­tu­tio­na­li­sierter Rassismus. In: Gudrun Heinrich/David Jünger/Oliver Plessow/Cornelia Sylla (Hg.): Perspektiven aus der Wissenschaft auf 30 Jahre Lichtenhagen 1992. Berlin: Neofelis 2023.